Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.08.2012, Az. 4 StR 84/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3518

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BUNDES[X.]ERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
4
StR
84/12

vom
30.
August
2012
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30.
August 2012, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer

als Vorsitzender,

[X.]in
am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. [X.],
[X.],
Reiter

als beisitzende [X.]

Staatsanwältin

als Vertreterin
der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

für die Nebenklägerin [X.].

als [X.],

Rechtsanwalt

für den Nebenkläger [X.]

als [X.],

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der [X.]eschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1.
Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des [X.] vom 25.
Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a)
soweit der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körper-verletzung,
verurteilt worden ist; insofern bleiben die Fest-stellungen zum äußeren Tatgeschehen jedoch aufrecht-erhalten;
b)
im Ausspruch
über die [X.]esamtstrafe.
2.
Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete
Urteil im verbleibenden Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des gefährlichen Eingriffs in den Straßenver-kehr in Tateinheit mit zwei Fällen der gefährlichen Körperver-letzung schuldig i[X.]
3.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbe-gründet verworfen.
4.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch den [X.] im Revisionsverfahren entstan-denen notwendigen Auslagen zu tragen.
5.
Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Nebenkläger, an eine andere als Schwur-
-
4
-
gericht zuständige Strafkammer des [X.].
Von Rechts wegen
[X.]ründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Kör-perverletzung zu einer
[X.]esamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren fest-gesetzt. [X.]egen dieses Urteil haben der Angeklagte und beide Nebenkläger
Revision eingelegt. Der Angeklagte hat eine Verfahrens-
und die allgemeine Sachrüge erhoben. Die Nebenkläger streben eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes an. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegrün-det.
Die Revisionen der Nebenkläger haben den aus der Urteilsformel ersicht-lichen Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen unterhielt der Angeklagte über mehrere Jahre eine außereheliche Beziehung zu der in A.

wohnenden Nebenklägerin

[X.].

. Aus der Beziehung sind drei Kinder hervorgegangen. Im Lauf des Jahres 2010 beendete

[X.].

die konfliktreich gewordene Beziehung. Der Angeklagte vermochte das Beziehungsende nicht zu akzeptieren und er-schien regelmäßig in der Wohnung der Nebenklägerin,
weil er sie noch immer als seine Lebensgefährtin ansah und davon ausging, dass sie zu ihm gehöre (UA
7). Nachdem er am 11.
Dezember 2010 gegenüber

[X.].

tätlich geworden war, wurde er von der herbeigerufenen Polizei der Wohnung verwie-1
2
-
5
-
sen und ihm ein Rückkehrverbot auferlegt. [X.]leich nach der Abfahrt der Polizei suchte er

[X.].

wieder auf und drohte,
ihr den Kopf abzuschlagen (UA
7). Da

[X.].

bei dem Angeklagten einige [X.] zuvor eine Schuss-waffe gesehen hatte, bekam sie nun soviel Angst, dass sie sich von ihrem
Onkel, dem Zeugen

D.

, abholen ließ und bei ihm das Wochenende verbrachte (UA
8). Nach den [X.] bezog sie eine eigene Wohnung in [X.]

, die ihr

D.

vermittelt hatte. Sie
lebte noch immer in großer Angst vor dem Angeklagten, der zwar nicht wusste,
wo sie wohnte, aber regelmäßig Kontakt zu

D.

aufnahm, um ihren Wohnort zu erfahren (UA
8).
Im Januar 2011 kam es auf Veranlassung des Angeklagten zu einer Sit-zung eines sog. Ältesten-
oder Familienrates aus Mitgliedern der Familie des Angeklagten und der Familie von

[X.].

. Dabei erhob der Angeklagte den Vorwurf, dass

D.

seine Kinder entführt und ihm die Frau [X.] habe.

[X.].

und die Kinder gehörten
zu
ihm und hätten zu tun, was er wünsche
(UA
10). Nachdem

[X.].

vor dem Ältestenrat darauf bestanden hatte, von dem Angeklagten getrennt zu leben, entschied der [X.], dass

D.

nicht schuldhaft gehandelt
habe und der Angeklagte die Trennung von

[X.].

akzeptieren müsse. Der Angeklagte reagierte hierauf mit einer Äußerung, die von der Nebenklägerin

[X.].

zutreffend so verstanden wurde, dass er etwas so Schlimmes mit ihr anstellen werde,

11).
Für

[X.].

entwickelte sich nun eine Phase erheblicher Ang[X.] Sie lebte in der Hoffnung, dass der Angeklagte nicht wusste, wo sie wohnte. [X.] war dem Angeklagten lediglich bekannt, dass

[X.].

in der
Nähe der Wohnung ihres Onkels

D.

in [X.]

lebte. Er bestreifte [X.] mit seinem Pkw die [X.]egend um die Wohnung des

D.

und hielt 3
4
-
6
-
Ausschau. Dabei fiel sein Fahrzeug Nachbarn und Angehörigen von

[X.].

auf (UA
12). Auch rief der Angeklagte regelmäßig bei

D.

an und ließ ihn von anderen L[X.] in aggressiver Weise nach der Adresse von

[X.].

befragen. Dabei gelang es ihm nicht, die genaue Adresse zu erfahren (UA
12). Nachdem

[X.].

von den Nachstellungen des Angeklagten er-fahren und von ihm eine [X.] mit einer Todesdrohung erhalten hatte, rechnete Sie konnte deshalb nicht mehr angstfrei vor die Tür treten und schränkte ihre Lebensführung erheblich ein (UA
12).
Im März 2011 kam der Bruder von

[X.].

, der Nebenkläger

[X.]

, aus [X.] nach [X.], weil er hier Asyl beantragen [X.]. Dazu hielt er sich ab dem 1.
April 2011 in der Wohnung von

[X.].

in [X.]

auf.
Am 2.
April 2011 kauften

[X.].

und

[X.]

gegen 15
Uhr in einem Supermarkt gegenüber der Wohnung von

[X.].

für einen Kin-dergeburtstag
ein. Der Angeklagte wartete zu diesem [X.]punkt in seinem in der Nähe der Einfahrt zum Parkplatz des Supermarktes geparkten Fahrzeug, weil er mit einem Einkauf von

[X.].

rechnete. Als

[X.].

und

[X.]

mit dem beladenen Einkaufswagen den Parkplatz des [X.] über die Einfahrt verließen,
nahmen sie
den Angeklagten nicht wahr.

[X.].

war jedoch
noch
immer in erheblicher und konkreter Sorge, dass der Angeklagte jederzeit unvermittelt auftauchen und sie überfallen könnte. Diese Sorge war auch

[X.]

bekannt und wurde von ihm [X.] (UA
13). Als der Angeklagte

[X.].

und

[X.]

erblick-te, fuhr er mit voller Beschleunigung los, um einen Zusammenstoß mit beiden oder wenigstens mit dem Einkaufswagen herbeizuführen. Dabei nahm er [X.] von

[X.].

und

[X.]

zumindest billigend in Kauf. Der 5
6
-
7
-
Zusammenstoß sollte dazu dienen,

[X.].

dass sie sich gegen den anschließend
geplanten Angriff mit einer mitgeführten Selbstladepistole
nicht mehr wehren oder davonlaufen konnte. Wenige Sekun-den vor dem Zusammenstoß bemerkte

[X.]

das rasch näher kom-mende Fahrzeug und erkannte den Angeklagten. Er warnte deshalb sofort [X.]. Eine Flucht war jedoch nicht mehr möglich. Der von dem Ange-klagten gesteuerte Pkw stieß mit einer [X.]eschwindigkeit von mindestens 35
km/h gegen den Einkaufswagen.

[X.].

und

[X.]

wurden durch den Zusammenprall mit dem Pkw zu Boden geschleudert, nachdem [X.] einer von beiden auf die Motorhaube des Fahrzeugs aufgeladen worden war
(UA
14).
Der Angeklagte verließ sogleich
sein Fahrzeug und lief mit der [X.] Pistole auf

[X.].

zu, um sie zu töten. Die nur leicht verletzte Nebenklägerin sprang auf und versuchte
laut schreiend zu flüchten. Als sich

[X.]

dem Angeklagten in den Weg stellte, wurde er von ihm mit der Pistole zu Boden geschlagen. Der Angeklagte lief

[X.].

nach, wobei er ihr zu ver-stehen
gab, dass er sie jetzt
töten werde. Als der Angeklagte die sich zwischen mehreren Fahrzeugen verbergende

[X.].

eingeholt hatte, schlug er ihr von hinten mit der Waffe auf den Kopf und drückte sie zu Boden. Anschließend richtete er die Pistole auf ihre rechte Halsseite und betätigte mit

15). Das Projektil drang tief in den [X.] von

[X.].

ein, zerstörte den vierten Halswir-belkörper und blieb schließlich auf der
linken Seite hinter
der Halsschlagader stecken (UA
16).

[X.].

stürzte zu Boden und blieb wimmernd liegen.
Als der Angeklagte unmittelbar nach dem Schuss auf

[X.].

zu seinem Auto laufen wollte (UA
15),
wurde er von dem seiner Schwester zu Hilfe eilenden

[X.]

in einen Zweikampf verwickelt, in dessen Verlauf der 7
8
-
8
-
Angeklagte

[X.]

direkt unterhalb des rechten Auges in den Kopf schoss, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, auch ihn zu töten (UA
15). Das Projektil zerstörte das Mittelgesicht und verursachte unter anderem eine Orbitabodenfraktur, eine ausgedehnte und dislozierte Kieferhöhlenfraktur, eine klaffende Jochbeinfraktur sowie ein Netzhautödem. Nachdem

[X.]

den Angeklagten losgelassen hatte und dieser nun tatsächlich zu seinem Auto laufen konnte (UA
25), ergriff er mit seinem Auto die Flucht. Hierbei ging es ihm ausschließlich darum, den [X.]

wie von vorneherein geplant

so schnell wie möglich zu verlassen, um einer Festnahme durch die zahlreich vorhande-nen Zeugen zu entgehen (UA
16). Er rechnete damit, dass beide Nebenkläger an den erlittenen Schusswunden versterben würden. Dies war ihm wenigstens gleichgültig (UA
17 und 25).
II.
Zur Revision der Nebenklägerin

[X.].

Die
Revision der Nebenklägerin

[X.].

hat Erfolg, weil die [X.],
mit denen das [X.] einen versuchten [X.] und
einen versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
1.
Das [X.] hat das Vorgehen des Angeklagten nicht als heim-tückisch im Sinne des §
211 Abs.
2 St[X.]B bewertet, weil die Nebenklägerin in-folge der früheren Drohungen und Nachstellungen des Angeklagten jederzeit mit einem Übergriff rechnete. Dies habe dazu geführt, dass sie in der [X.] nicht mehr arglos gewesen sei (UA
30). Diese Ausführungen lassen [X.], dass das [X.] von einem zu engen Begriff der Heimtücke ausge-gangen i[X.]

9
10
11
-
9
-
a)
[X.] handelt, wer die Arg-
und dadurch bedingte Wehrlosig-keit seines Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. [X.] ist das Opfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet ([X.]
Rspr.; vgl. B[X.]H, Urteil vom 1.
März 2012

3
StR
425/11, Rn.
20; Urteil vom 9.
September 2003

5
StR 126/03, [X.], 14, 16; Urteil vom 9.
Januar 1991

3
StR
205/90, B[X.]HR §
211 Abs.
2 Heimtücke
13; Urteil vom 4.
Juli 1984

3
StR
199/84, B[X.]HSt 32, 382, 383
f.). [X.] tötet auch, wer sein ahnungsloses Opfer zunächst nur mit [X.] angreift, dann aber unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer nicht mehr möglich ist, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, sodass die hierdurch geschaffene
Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert (B[X.]H, Urteil vom 1.
März 2012

3
StR
425/11, Rn.
20; Urteil vom 16.
Februar 2012

3
StR
346/11, Rn.
20; Beschluss vom 19.
Juni 2008

1
StR
217/08, [X.], 29, 30; Urteil vom 27.
Juni 2006

1
StR
113/06, [X.], 502, 503; Urteil vom 9.
Dezember 1986

1
StR
596/86, B[X.]HR §
211 Abs.
2 Heimtücke
3). [X.] der Täter
seinem ahnungslosen Opfer auf, um an dieses heranzukommen, kommt es nicht mehr darauf an, ob und wann es die von dem ihm gegenübertretenden Täter ausgehende [X.]efahr erkennt (B[X.]H, Urteil vom 12.
Februar 2009

4
StR
529/08, [X.], 264). Eine auf früheren Aggressionen beruhende latente Angst des Opfers hebt seine [X.]igkeit erst dann auf, wenn es [X.] im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des [X.] rechnet (B[X.]H, Urteil vom 9.
September 2003

5
StR
126/03, [X.], 14, 16; Urteil vom 20.
Okto-ber 1993

5
StR
473/93, B[X.]HSt 39, 353, 368). Die Rechtsprechung hat daher auch bei Opfern, die aufgrund von bestehenden Konfliktsituationen oder frühe-ren Bedrohungen dauerhaft Angst um ihr Leben haben, einen Wegfall der [X.] erst dann in Betracht gezogen, wenn für sie ein akuter Anlass für die Annahme bestand, dass der ständig befürchtete schwerwiegende Angriff auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit nun unmittelbar bevorsteht (vgl. 12
-
10
-
B[X.]H, Urteil vom 9.
September 2003

5
StR
126/03, [X.], 14, 15; Urteil vom 10.
Februar 2010

2
StR
503/09, NStZ 2010,
450, 451).
b)
Nach den Feststellungen hatte die Nebenklägerin

[X.].

den in seinem Pkw wartenden Angeklagten bis wenige Sekunden vor der Tat nicht i-rangegangenen, zum Teil mehrere Monate zurückliegen-den Todesdrohungen und dem Wissen um Nachstellungen des Angeklagten im Umfeld ihrer Wohnung. Umstände, die zu einer auf die [X.] bezogenen Aktualisierung und Konkretisierung dieser Befürchtung geführt haben, lassen sich den Feststellungen nicht entnehmen. Die Tatsache,
dass die Nebenkläge-rin von dem auf ihr Leben gerichteten Angriff getroffen wurde, als sie mit ihrem gefüllten Einkaufswagen das belebte [X.]elände eines Supermarktes verließ, legt die Annahme nahe, dass sie sich jedenfalls in diesem Moment keines konkre-ten Angriffs von Seiten des Angeklagten versah und in einer hilflosen Situation überrascht wurde. Nach dem mit [X.] geführten überraschenden Angriff mit dem Pkw war der Nebenklägerin zwar noch eine kurze Flucht mög-lich, doch vermochte sie sich aufgrund der Kürze der ihr verbleibenden Reak-tionszeit dem mit Tötungsvorsatz nachsetzenden Angeklagten nicht mehr zu entziehen oder wirkungsvolle [X.]egenmaßnahmen zu ergreifen.
2.
Das Vorliegen niedriger Beweggründe hat das [X.] mit der Be-gründung abgelehnt, dass der Angeklagte zwar vornehmlich aus Wut über das Verlassenwerden gehandelt habe, doch lasse sich nicht feststellen, dass die Tat aus schlechthin unverständlichen und verachtenswerten Motiven heraus begangen worden sei
(UA
30
f.). Diese Ausführungen lassen eine sachlich-rechtliche Überprüfung nicht zu und geben Anlass zu der Besorgnis, dass
wich-tige Umstände der Tat und zur Motivation des Angeklagten nicht berücksichtigt worden sind.
13
14
-
11
-
a)
Aus niedrigen Beweggründen tötet, wer sich maßgeblich von einem oder mehreren Handlungsantrieben leiten lässt, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb verwerflich sind ([X.]
Rspr.;
vgl. B[X.]H, Urteil vom
25.
Juli 1952

1
StR
272/52, B[X.]HSt 3, 132; Urteil vom 24.
Mai 2012

4
StR
62/12, Rn.
17). Ob dies der Fall ist, muss im Einzelfall auf der [X.]rundlage einer [X.]esamtwürdigung aller äußeren und inneren Faktoren be-urteilt werden, die für die Motivbildung von Bedeutung waren ([X.]
Rspr.;
vgl. B[X.]H, Urteil vom 24.
Mai 2012

4
StR
62/12, Rn.
17; Urteil vom 16.
Februar 2012

3
StR
346/11, Rn.
10; Urteil vom 14. Dezember 2000

4
StR
375/00, [X.], 228, 229). Beruht die Tötung auf [X.]efühlsregungen wie Wut, Zorn oder Verärgerung, denen jedermann mehr oder weniger stark erliegen kann, kommt es für die Beurteilung auf die zugrunde liegende [X.]esinnung des [X.] an ([X.]
Rspr.;
vgl. B[X.]H, Beschluss vom 10.
Januar 2006

5
StR
341/05, [X.], 1008, 1011; Urteil vom 14.
Oktober 1987

3
StR
145/87, B[X.]HR §
211 Abs.
2 niedrige Beweggründe
8; MüKo-St[X.]B/[X.] §
211 Rn.
71).
b)
Das [X.] hat sich mit der [X.]rundhaltung des Angeklagten, die seiner Wut über das Verlassenwerden zugrunde lag, nicht erkennbar aus-einandergesetzt. Auch im Übrigen fehlt es an der erforderlichen [X.]esamtwürdi-gung. Nach den Feststellungen ging der Angeklagte davon aus, dass die
Nebenklägerin zu ihm gehöre und

wie auch die gemeinsamen Kinder

zu tun habe, was er wünsche. Ihren Trennungswunsch ignorierte er ebenso, wie ein polizeiliches Rückkehrverbot und die Entscheidung des seinem Kulturkreis an-gehörenden Ältestenrates, den er zuvor selbst als Autorität angerufen hatte. [X.] darauf hin, dass es dem Angeklagten vornehmlich darum ging, seine Wut in einer Bestrafung der Nebenklägerin abzureagieren. Bei dieser Sachlage hätte erörtert werden müssen, ob die tatauslösende [X.]efühlsregung des Angeklagten auf einer [X.]rundhaltung beruhte, die durch eine ungehemmte Eigensucht,
15
16
-
12
-
exklusive Besitzansprüche und eine unduldsame Selbstgerechtigkeit gekenn-zeichnet i[X.] Eine solche [X.]rundhaltung steht nach allgemeiner sittlicher Bewer-tung auf tiefster Stufe (vgl. B[X.]H, Urteil vom 25.
Juli 1952

1
StR
272/52, B[X.]HSt 3, 132, 133; Beschluss vom 20.
August 1996

4
StR
361/96, B[X.]HSt 42, 226, 227; Urteil vom
16.
Februar 2012

3 StR
346/11, Rn.
11).
III.
Zur Revision des [X.]

[X.]

1.
Die Revision des [X.]

[X.]

hat Erfolg, weil das [X.] bei der Prüfung einer versuchten Tötung aus niedrigen Beweg-gründen im Sinne von §
211 Abs.
2 St[X.]B ein nach den Feststellungen [X.] als niedrig zu bewertendes Tatmotiv nicht erörtert hat.
a)
Ein niedriger Beweggrund kann auch gegeben sein, wenn sich der [X.] zur Tötung eines Menschen entschließt, um sich einer berechtigten Fest-nahme zu entziehen und ungehindert entkommen zu können. Dieser Tatantrieb muss in aller Regel ebenso
beurteilt werden, wie die in §
211 Abs.
2 St[X.]B aus-drücklich hervorgehobene Verdeckungsabsicht, weil es dem Täter in beiden Fällen darum geht, sich seiner Verantwortung für begangenes Unrecht unter Inkaufnahme des Todes eines Menschen zu entziehen (B[X.]H,
Urteil vom 14.
Juli 1970

1
StR
68/70, [X.] 1971, 722 bei [X.]; Urteil vom 14.
Okto-ber 1987

3
StR
145/87, B[X.]HR §
211 Abs.
2 niedrige Beweggründe
8; vgl. auch B[X.]H, Urteil vom 23.
Dezember 1998

3
StR
319/98, [X.], 74, 75; Urteil vom 14.
Juli 1988

4
StR
210/88,
B[X.]HR §
211 Abs.
2 niedrige Beweg-gründe
11; MüKo-St[X.]B/[X.],
§
211 Rn.
78; LK-St[X.]B/Jähnke, 11.
Aufl., §
211 Rn.
25).
b)
Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte nach dem Schuss auf die Nebenklägerin

[X.].

durch den Nebenkläger

[X.]

daran 17
18
19
20
-
13
-
gehindert, unverzüglich mit seinem Auto zu fliehen. Als er sich aus dieser Lage mit dem Schuss in das [X.]esicht des [X.] befreit hatte, verließ er

wie von vorneherein geplant

fluchtartig den [X.]. Danach hätte sich das Land-gericht mit der
Frage befassen müssen, ob sich der Angeklagte den Fluchtweg mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz freigeschossen und deshalb bei der Abgabe des zweiten Schusses aus einem niedrigen Beweggrund gehandelt hat.
2.
Einen versuchten [X.] hat das [X.] im Ergebnis [X.] verneint. Der Nebenkläger

[X.]

war nach den Feststellungen im [X.]punkt der Schussabgabe auf ihn weder arg-
noch wehrlos. Der anfäng-liche Überraschungseffekt wirkte nicht mehr fort.
IV.
Zur Revision des Angeklagten
Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§
250 Satz
1 StPO) geltend macht, bleibt erfolglos. Dabei kann es dahinstehen, ob der von dem Beschwerdeführer behauptete Verfahrensfehler vorliegt, weil ein Beruhenszusammenhang (§
337 Abs.
1 StPO) ausgeschlossen werden kann. Das [X.] hat die Angaben des Ersthelfers

[X.]ö.

, die in dem nach §
256 Abs.
1 Nr.
5 StPO verlesenen polizeilichen Vermerk vom 2.
April 2011 festgehalten worden sind, zur Stützung des Schuld-
oder Strafausspruchs nicht herangezogen. Da sich diese Angaben lediglich auf ein Ereignis nach der Tat (Anfertigung von drei Lichtbildern des Pkw des flüchtenden Angeklagten) beziehen, handelte es sich bei

[X.]ö.

auch nicht um einen , auf die sich die von dem [X.] zur Begründung eines Beruhenszusammenhanges ins Feld geführte allgemeine Formulierung in den Urteilsgründen bezieht. Die [X.], mit denen das [X.] einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklag-21
22
23
-
14
-
ten verneint hat, haben keinen Bezug zu den von

[X.]ö.

gefertigten Lichtbildern.
Die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge erfolgte Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Jedoch war der Schuldspruch zu berichtigen, weil der Angeklagte durch den von ihm herbeigeführten Zusammenstoß beide Nebenkläger verletzt und sich dadurch der gefährlichen Körperverletzung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
2 St[X.]B in zwei tat-einheitlichen Fällen schuldig gemacht hat. §
358 Abs.
2 Satz
1 StPO
steht dem nicht entgegen (B[X.]H, Urteil vom 14.
Oktober 1959

2
StR
291/59, B[X.]HSt 14, 5, 7). Auch kann ausgeschlossen werden, dass es dem Angeklagten möglich gewesen wäre, sich anders als geschehen zu verteidigen.
V.
Die Aufhebung der Verurteilungen wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen entzieht dem [X.]e-samtstrafenausspruch die [X.]rundlage. Die [X.] kann dagegen bestehen bleiben, weil sie allein an die Verurteilung wegen gefährlichen Ein-griffs in den Straßenverkehr gemäß §
315b Abs.
1 Nr.
3 St[X.]B anknüpft.
24
25
-
15
-
Soweit das Urteil auf die Revisionen der Nebenkläger aufgehoben [X.] ist, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben.
Mutzbauer
Roggenbuck
Schmitt

Quentin
Reiter
26

Meta

4 StR 84/12

30.08.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.08.2012, Az. 4 StR 84/12 (REWIS RS 2012, 3518)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3518

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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