Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.12.2010, Az. 5 C 17/09

5. Senat | REWIS RS 2010, 580

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Gegenstand

Erstattung von Jugendhilfeleistungen; örtliche Zuständigkeit; zum Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 SGB 8 und des § 86 Abs. 3 SGB 8


Leitsatz

1. Die Zuständigkeitsregelung des § 86 Abs. 5 SGB VIII ist auch in den Fällen anwendbar, in denen die Eltern bereits vor bzw. bei Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben und solche während des Leistungsbezuges beibehalten (Ergänzung des Urteils vom 30. September 2009 - BVerwG 5 C 18.08 - BVerwGE 135, 58).

2. Die Zuständigkeitsregelung des § 86 Abs. 3 SGB VIII erfasst nur die Fälle, in denen die Eltern vor bzw. bei Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben und keinem Elternteil die Personensorge zusteht.

3. Eine Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit und gegebenenfalls ein Wechsel der diesbezüglichen Rechtsgrundlage ist im Rahmen des § 86 Abs. 5 SGB VIII auch bei einer alleinigen Änderung des Personensorgerechts ohne zeitgleiche Änderung des (zuständigkeitsrelevanten) Aufenthalts veranlasst.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten in Höhe von 25 387,40 €, die er vom 1. Dezember 2003 bis zum 30. September 2007 für die Vollzeitpflege einer [X.] in einer in seinem Kreisgebiet lebenden Pflegefamilie aufgewandt hat.

2

Die am 23. Juni 1989 geborene [X.] wohnte bis zum 14. Oktober 1999 bei ihrer nicht sorgeberechtigten Mutter in [X.]. Der allein [X.] Vater lebte zu diesem Zeitpunkt im Gebiet der Beklagten. Am 15. Oktober 1999 zog die [X.] aufgrund einer Vereinbarung zwischen ihrem Vater und dessen Halbschwester zu ihrer Tante und ihrem Onkel in die im Gebiet des [X.] gelegene Stadt N.

3

Auf Antrag des Vaters der [X.] gewährte die Beklagte ab dem 5. November 1999 Hilfe zur Erziehung in Form eines monatlichen [X.]geldes und ab dem 19. Juni 2000 Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege.

4

Mit Beschluss vom 5. April 2002 entzog das [X.] dem Vater die elterliche Sorge für die [X.] und übertrug sie auf deren Tante und Onkel. Ab dem 1. Dezember 2003 übernahm der Kläger den Jugendhilfefall in seine Zuständigkeit. Am 1. Oktober 2003 war der Vater der [X.] nach der im [X.] gelegenen Stadt M. verzogen und ab 1. Januar 2006 wohnte er in der im Gebiet M. gelegenen Stadt B.

5

Eine gegen die Stadt [X.] gerichtete Klage des [X.] auf Erstattung der von ihm seit der Übernahme des [X.] in die eigene Zuständigkeit aufgewandten Kosten wurde vom Verwaltungsgericht [X.] mit Urteil vom 4. Februar 2008 - 7 E 741/07 - rechtskräftig abgewiesen. Die Stadt [X.] sei nicht die zuvor zuständige Trägerin der örtlichen Jugendhilfe im Sinne des § 89a Abs. 1 [X.]. Bei Beginn der Leistung - unabhängig davon, ob dieser auf den 5. November 1999 oder den 19. Juni 2000 zu datieren sei - sei die Beklagte gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] örtlich zuständig gewesen. Diese Zuständigkeit sei auch in der Folgezeit bestehen geblieben. Eine nach § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] begründete Zuständigkeit müsse sich nur dann verändern, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des [X.]n Elternteils wechsle oder die Personensorge auf den anderen Elternteil übergehe. Werde hingegen - wie hier - die Personensorge dem allein sorgeberechtigten Elternteil entzogen, berühre dies die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht. Auch die anschließenden Veränderungen des gewöhnlichen Aufenthalts des Vaters der [X.] habe die Zuständigkeit der Beklagten nicht entfallen lassen. Eine räumliche Nähe zu dessen Aufenthaltsort sei entbehrlich, da infolge fehlenden Personensorgerechts kein Bedarf an einer engen Zusammenarbeit des Jugendamtes mit dem Vater bestehe.

6

Unter Hinweis auf dieses Urteil begehrte der Kläger von der Beklagten die Erstattung der von ihm für die Vollzeitpflege der [X.] aufgewandten Kosten. Die Beklagte lehnte eine Erstattung ab. Ihrer Ansicht nach sei die örtliche Zuständigkeit des [X.] nach § 86 Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 4 [X.] begründet. Es sei nicht erforderlich, dass die Personensorge bereits vor Beginn der Leistung, d.h. der Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege, keinem Elternteil zugestanden habe. Denn § 86 Abs. 3 [X.] sehe lediglich eine entsprechende Anwendung des § 86 Abs. 2 Satz 4 [X.] vor.

7

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und sich der Rechtsauffassung des [X.] [X.] angeschlossen, dass § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] in der vorliegenden Konstellation als statische Vorschrift aufzufassen sei. Zusätzlich hat es sich auf § 86 Abs. 5 Satz 2 [X.] gestützt, der ebenfalls für einen Verbleib der Zuständigkeit beim Beklagten spreche.

8

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des [X.] geändert und die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei nicht die zuvor zuständige Trägerin der örtlichen Jugendhilfe im Sinne des § 89a Abs. 1 [X.]. Die ursprünglich nach § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] begründete Zuständigkeit der Beklagten sei mit dem Entzug des Sorgerechts und seiner Übertragung auf die Tante und den Onkel der [X.] nachträglich entfallen. Denn für die örtliche Zuständigkeit gelte nunmehr § 86 Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 2 und 4 [X.] entsprechend. Danach werde jedenfalls eine Zuständigkeit der Beklagten nicht begründet. Werde für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit auf den Beginn der Vollzeitpflege abgestellt, sei die Klägerin originär zuständig gewesen, weil die [X.] während der letzten sechs Monate vor der Vollzeitpflege ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht bei einem Elternteil, sondern bei ihrer Tante und ihrem Onkel gehabt habe, die im Gebiet des [X.] wohnten. Werde der Beginn der [X.] 1999 zugrunde gelegt, sei eine Zuständigkeit der Stadt [X.] gegeben, da sich die [X.] vor der Bewilligung der [X.] zuletzt bei ihrer Mutter aufgehalten habe. Der von § 89a [X.] bezweckte Schutz der Pflegestellenorte werde damit nicht unterlaufen. Dass der Kläger die Stadt [X.] aufgrund des rechtskräftigen Urteils des dortigen [X.] tatsächlich nicht mehr in Anspruch nehmen könne, ändere daran nichts.

9

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Kostenerstattung weiter. Er rügt eine Verletzung der §§ 86 und 89a [X.].

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Das Urteil des [X.] verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil es zu Unrecht die Erstattungspflicht der [X.]n nach § 89a Abs. 1 Satz 1 [X.] als der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage verneint hat, und ist daher unter Zurückweisung der Berufung aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

1. Nach § 89a Abs. 1 Satz 1 [X.] sind Kosten, die ein örtlicher Träger aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 [X.] aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Grund für diese Erstattungsregelung ist, dass der Gesetzgeber mit § 86 Abs. 6 [X.] aus Gründen der Praktikabilität die örtliche Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson binden wollte, dass aber, wie § 89a [X.] zeigt, letztlich ein anderer als der nach § 86 Abs. 6 [X.] zuständige Träger verpflichtet sein sollte, die Kosten zu tragen (Urteil vom 30. September 2009 - [X.] 5 C 18.08 - [X.]E 135, 58 = [X.] 436.511 § 86 [X.]/[X.] Nr. 9 jeweils Rn. 31 m.w.N.). Dementsprechend ist der Anwendungsbereich des § 89a Abs. 1 Satz 1 [X.] ab dem Zeitpunkt eröffnet, zu dem die örtliche Zuständigkeit eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe nach § 86 Abs. 6 [X.] begründet wird (vgl. [X.], Urteil vom 17. Dezember 2004 - 12 A 11228/04 - [X.] 56, 420; [X.], [X.], 3. Aufl. 2006, § 89a Rn. 3; [X.], in: LPK-[X.], 3. Aufl. 2006, § 89a Rn. 2; s.a. [X.], Urteil vom 19. August 2010 - [X.] 5 C 14.09 - juris Rn. 13 m.w.N.). Die [X.] bleibt gemäß § 89a Abs. 1 Satz 2 [X.] auch bestehen, wenn die Leistung über die Volljährigkeit hinaus nach § 41 [X.] fortgesetzt wird.

Wie mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert, gehen diese zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die örtliche Zuständigkeit des [X.] am 15. Oktober 2001 nach § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] begründet wurde und der Kläger dementsprechend die Kosten für die Vollzeitpflege der Hilfeempfängerin in dem streitbefangenen Zeitraum vom 1. Dezember 2003 bis zum 30. September 2007 im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 [X.] "aufgrund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 aufgewendet hat". Des Weiteren steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit, dass die [X.] im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 [X.] "zuvor" nach § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] zuständig war, weil der bei Leistungsbeginn (siehe dazu 2.1) allein [X.] Vater der Hilfeempfängerin bis zum [X.] nach § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] seinen gewöhnlichen Aufenthalt in deren Gebiet hatte. Ebenso ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass sich der Eintritt der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin am 23. Juni 2007 auf die [X.] nicht auswirkt. Auch die Höhe des geltend gemachten Erstattungsanspruchs ist nicht umstritten. Zu entscheiden ist allein, ob die [X.] der [X.]n nach § 89a Abs. 3 [X.] durch den Entzug des Sorgerechts des [X.] der Hilfeempfängerin oder dessen nachfolgende [X.] entfallen ist. Dies ist nicht der Fall.

2. Nach § 89a Abs. 3 [X.] wird, wenn sich während der Gewährung der Leistung nach Absatz 1 der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 [X.] maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt ändert, der örtliche Träger kostenerstattungspflichtig, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 [X.] örtlich zuständig geworden wäre. Die Leistung, auf deren Gewährung nach § 89a Abs. 3 i.V.m. § 89a Abs. 1 [X.] abzustellen ist, ist die ab dem 5. November 1999 bis zum 30. September 2007 als einheitliche Leistung erbrachte Jugendhilfe zunächst in Form des [X.]es, dann in Form der Vollzeitpflege und zuletzt in Form der Hilfe für junge Volljährige (2.1). Es kann hier offenbleiben, ob § 89a Abs. 3 [X.] den Wechsel der [X.] auf die Fälle beschränkt, in denen sich während der Gewährung dieser Leistung der nach § 86 Abs. 1 bis 5 [X.] maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt ändert oder ob § 89a Abs. 3 [X.] auch Anwendung findet, wenn sich andere für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 [X.] maßgebliche Umstände ändern. Denn in beiden Fällen ist die [X.] der [X.]n nicht entfallen (2.2).

2.1 Die Leistung im Sinne des § 89a Abs. 3 i.V.m. § 89a Abs. 1 [X.] bestimmt sich nach dem zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff des Kinder- und Jugendhilferechts. Danach sind alle zur Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlichen Maßnahmen und Hilfen eine einheitliche Leistung, zumal wenn sie im Einzelfall nahtlos aneinander anschließen, also ohne beachtliche (vgl. § 86a Abs. 4 Satz 2 und 3 [X.]) zeitliche Unterbrechung gewährt werden. Dies gilt auch dann, wenn bei dem vielfach auf einen längeren Zeitraum angelegten Hilfeprozess sich die Schwerpunkte innerhalb des Hilfebedarfes verschieben und für die Ausgestaltung der Hilfe Modifikationen, Änderungen oder Ergänzungen bis hin zu einem Wechsel der [X.] erforderlich werden, die Hilfegewährung im Verlauf des ununterbrochenen [X.] also einer anderen Nummer des § 2 Abs. 2 [X.] zuzuordnen oder innerhalb des [X.] Achtes Buch nach einer anderen Rechtsgrundlage zu gewähren ist (stRspr, grundlegend Urteil vom 29. Januar 2004 - [X.] 5 C 9.03 - [X.]E 120, 116 <119> = [X.] 436.511 § 86 [X.]/[X.] Nr. 2 ; vgl. zuletzt Urteil vom 25. März 2010 - [X.] 5 C 12.09 - juris Rn. 22).

In Anwendung dieses Begriffes sind das ab dem 5. November 1999 gewährte [X.] (§ 23 [X.]), die im [X.] daran ohne zeitliche Unterbrechung ab dem 19. Juni 2000 gewährte Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege (§§ 27, 33 [X.]), die über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus bis zum 30. September 2007 der Sache nach als Hilfe für junge Volljährige (§ 41 [X.]) fortgesetzt wird, als einheitliche Leistung zu werten. Denn sie beruhen - wie die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt haben - auf einem qualitativ unveränderten jugendhilferechtlichen Bedarf.

2.2 Der Entzug des Sorgerechts des bis dahin allein [X.]n [X.] und die Begründung neuer gewöhnlicher Aufenthalte durch ihn außerhalb des Gebietes der [X.]n in der Folgezeit führen nicht dazu, dass die [X.] gemäß § 89a Abs. 3 [X.] auf einen anderen örtlichen Träger übergangen ist.

a) Ist § 89a Abs. 3 [X.] seinem Wortlaut entsprechend dahingehend auszulegen, dass ausschließlich eine Änderung des nach § 86 Abs. 1 bis 5 [X.] maßgeblichen gewöhnlichen Aufenthalts zu einem Wechsel der [X.] führt (vgl. z.B. [X.], Urteil vom 24. März 2005 - W 6 K 05.173 - juris Rn. 13 f.; etwa auch [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 3. Aufl. 2007, § 89a Rn. 9; [X.], a.a.[X.] § 89a Rn. 10 und [X.], a.a.[X.] § 89a Rn. 7), wäre die Erstattungspflicht der [X.]n mit dem Entzug des Sorgerechts des [X.] durch den Beschluss des [X.] vom 5. April 2002 mangels Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 89a Abs. 3 [X.] nicht entfallen. Denn der Vater der Hilfeempfängerin hat zu diesem Zeitpunkt nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt geändert. Er hat diesen vielmehr zunächst im Gebiet der [X.]n aufrechterhalten.

Die [X.] der [X.]n würde bei dieser engen Auslegung auch nicht dadurch enden, dass der Vater der Hilfeempfängerin am 1. Oktober 2003 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in die im [X.] gelegene [X.] M. verlegt und am 1. Januar 2006 in der im Gebiet M. gelegenen [X.] B. einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat. Durch den vorherigen Entzug des Sorgerechts ist der gewöhnliche Aufenthalt des [X.] der Hilfeempfängerin in der Folgezeit für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nicht (mehr) maßgeblich gewesen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn der Vater der Hilfeempfängerin (erneut) einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 86 Abs. 1 Satz 1 [X.] mit der Mutter der Hilfeempfängerin begründet hätte, was hier nicht der Fall ist.

b) Im Ergebnis gilt nichts Anderes, wenn § 89a Abs. 3 [X.] dahingehend auszulegen ist, dass die Verweisung auf § 86 Abs. 1 bis 5 [X.] - der generellen Zielsetzung der Kostenerstattungsregelungen folgend, eine gleichmäßige Kostenverteilung zwischen den einzelnen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe zu gewährleisten - als allgemeine und umfassende Verweisung in diese Zuständigkeitsregelungen zu verstehen und demzufolge jede Änderung der für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 [X.] maßgeblichen Umstände im Rahmen des § 89a Abs. 3 [X.] zu berücksichtigen ist. Bei einem derartigen Normverständnis würde der Entzug des Sorgerechts des [X.] am 5. April 2002 keinen Wechsel des erstattungspflichtigen Trägers nach § 89a Abs. 3 [X.] herbeiführen, da die Änderung des Personensorgerechts - wie im Folgenden zu zeigen ist - gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2 [X.] gerade bewirkt, dass die bisherige Zuständigkeit der [X.]n nach § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestehen geblieben ist.

Der Fall, dass die Elternteile - wie hier - vor und nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besitzen und dem allein [X.]n Elternteil nach Beginn der Leistung das Sorgerecht entzogen wird, sodass keinem Elternteil (mehr) die Personensorge zusteht, fällt nach der Rechtsprechung des Senats in den Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 [X.]. Die Zuständigkeitsregelung des § 86 Abs. 3 [X.] ist insoweit nicht anwendbar. Der Senat hat in seinem dem Oberverwaltungsgericht im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung noch nicht bekannten Urteil vom 30. September 2009 entschieden, dass § 86 Abs. 5 [X.] alle Fallgestaltungen erfasst, in denen die Eltern nach Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besitzen. Satz 1 ist dabei anwendbar, wenn die elterliche Sorge einem Elternteil zusteht, Satz 2 regelt die Fälle gemeinsamer oder - wie hier - fehlender Personensorge. Die zeitliche Abfolge der zuständigkeitsrelevanten Kriterien ("Begründung verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte" oder "gemeinsame oder fehlende Personensorge beider Elternteile") hat auf die Bestimmung der Zuständigkeit nach § 86 Abs. 5 Satz 2 [X.] keinen Einfluss. Mit der "bisherigen Zuständigkeit" im Sinne des § 86 Abs. 5 Satz 2 [X.] ist die Zuständigkeit gemeint, die vor dem Zeitpunkt, zu dem eine Prüfung und gegebenenfalls Neubestimmung der örtlichen Zuständigkeit veranlasst ist, zuletzt bestanden hat (Urteil vom 30. September 2009 a.a.[X.] jeweils Rn. 22 ff.). Daran hält der Senat fest.

Der Anwendungsbereich des § 86 Abs. 5 [X.] ist nicht auf die in jener Entscheidung ausdrücklich erwähnten Fallgestaltungen beschränkt, in denen die Eltern erstmals nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründen und gegebenenfalls im [X.] daran ihren Aufenthalt unter Aufrechterhaltung verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte erneut verändern (Urteil vom 30. September 2009 a.a.[X.] jeweils Rn. 22). Vielmehr greift die Vorschrift entsprechend ihrem Charakter als umfassende Regelung für verschiedene gewöhnliche Aufenthalte der Eltern nach Leistungsbeginn auch ein, wenn die Eltern - wie hier - bereits vor bzw. bei Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben und solche während des Leistungsbezugs beibehalten. § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] greift nur so lange, als sich weder an dem gewöhnlichen Aufenthalt des allein [X.]n Elternteils noch an der Zuordnung/Übertragung der Personensorge etwas ändert. Die Anwendbarkeit des § 86 Abs. 5 [X.] endet erst mit der Einstellung der Leistung bzw. der Gewährung einer (zuständigkeitsrechtlich) neuen Leistung oder der (erneuten) Begründung eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 86 Abs. 1 Satz 1 [X.] (s. insoweit auch Urteil vom 30. September 2009 a.a.[X.] jeweils Rn. 24). Daraus ergibt sich zugleich, dass § 86 Abs. 3 [X.] nur die Fälle erfasst, in denen die Eltern vor bzw. bei Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben und schon in diesem Zeitpunkt keinem Elternteil die Personensorge zusteht.

Aufgrund der zuständigkeitsbestimmenden Wirkung des Personensorgerechts im Falle verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte der Eltern während eines Leistungsbezugs im Sinne des § 86 Abs. 5 [X.] ist eine Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit und gegebenenfalls ein Wechsel der diesbezüglichen Rechtsgrundlage auch bei einer alleinigen Änderung des Personensorgerechts ohne zeitgleiche Änderung des (zuständigkeitsrelevanten) Aufenthalts veranlasst (offengelassen im Urteil vom 30. September 2009 a.a.[X.] jeweils Rn. 28).

Nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen liegt hier ein Fall des § 86 Abs. 5 Satz 2 [X.] vor, weil nach dem Entzug des Sorgerechts des [X.] kein Elternteil mehr personensorgeberechtigt war. Dies hat zur Folge, dass die bisherige Zuständigkeit der [X.]n nach § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestehen geblieben ist.

Auch die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts des [X.] der Hilfeempfängerin am 1. Oktober 2003 in der [X.] M. bzw. am 1. Januar 2006 in der [X.] B. würde die Erstattungspflicht der [X.]n nicht nach § 89a Abs. 3 [X.] entfallen lassen. Als Folge der Festschreibung der bisherigen Zuständigkeit der [X.]n nach § 86 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] zum 5. April 2002 wären die zeitlich nachfolgenden [X.] des [X.] der Hilfeempfängerin zuständigkeits- und damit auch kostenerstattungsrechtlich unbeachtlich.

Meta

5 C 17/09

09.12.2010

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 13. August 2009, Az: 7 A 10443/09, Urteil

§ 86 Abs 3 SGB 8, § 86 Abs 5 SGB 8, § 86 Abs 2 SGB 8, § 86 Abs 6 SGB 8, § 89a Abs 1 SGB 8, § 89a Abs 3 SGB 8

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.12.2010, Az. 5 C 17/09 (REWIS RS 2010, 580)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 580

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3 A 398/15 (Verwaltungsgericht Hannover)


Referenzen
Wird zitiert von

3 A 398/15

Au 3 K 17.1675

W 3 K 16.332

L 7 SO 1832/18

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