Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2012, Az. XII ZB 462/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9394

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 462/11

vom

8. Februar 2012

in der
Familiensache

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 8.
Februar 2012 durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Hahne
und die Richter Dose, Dr.
Klinkhammer, Dr.
Günter
und Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Be-schluss des
12.
Senats für Familiensachen des [X.] vom 22.
Juli
2011
aufgehoben.
Dem Antragsgegner wird gegen die Versäumung der Frist zur [X.] des [X.] vom 7.
April 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Streitwert:

Gründe:
I.
Der Antragsgegner ist
mit Beschluss des Amtsgerichts vom 7.
April 2011 zur Zahlung von Kindesunterhalt an den Antragsteller verurteilt
worden. Gegen den ihm am 8.
April 2011 zugestellten Beschluss hat
der Antragsgegner am 15.
April 2011 Beschwerde eingelegt
und zugleich Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seiner
erstinstanzlichen Verfah-rensbevollmächtigten
beantragt. Mit Schriftsatz vom 9.
Mai 2011 (Montag) hat
die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Erklärung über die per-sönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners nebst Anlagen beim [X.] eingereicht. Am 22.
Juni 2011 hat
die [X.]
-
3
-
vollmächtigte des Antragsgegners
telefonisch vom
[X.] den Hin-weis
erhalten,
dass die [X.] abgelaufen sei. Noch am selben Tag hat
der Antragsgegner per
Fax
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte [X.] beantragt und zu-gleich die Beschwerde in der Sache
begründet.
Das [X.], das
über den [X.] des Antragsgegners bislang nicht entschieden hat, hat
das Wiedereinsetzungsge-such zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

II.
[X.] hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des [X.] Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Beschwerdebegründung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
Dem Antragsgegner
wurde
zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde
versagt.
1. [X.] ist zulässig. Sie ist gemäß §
117 Abs.
1
und 2
FamFG, §§
238 Abs.
2 Satz
1, 522 Abs.
1 Satz
4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig

574 Abs.
2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung erfordert eine
Entscheidung des [X.]. Das [X.] hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Antragsgegners
auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art.
2 Abs.
1 GG [X.].
dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbie-tet, den [X.]en den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise zu 2
3
4
-
4
-
erschweren (Senatsbeschlüsse
vom 23.
März 2011 -
XII
ZB 51/11
-
FamRZ 2011, 881 Rn.
7 und vom 2.
April 2008 -
XII
ZB
189/07
-
FamRZ 2008, 1338 Rn.
8 mwN).
2. [X.] ist auch begründet. Dem Antragsgegner ist vom [X.] zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ver-sagt worden. Entgegen dessen Auffassung trifft weder den Antragsgegner selbst noch seine Verfahrensbevollmächtigte (§
113
Abs.
1 Satz
2 FamFG [X.]. §
85 Abs.
2 ZPO) ein Verschulden an der Versäumung der Beschwer-debegründungsfrist.
a) Ohne zuvor über den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe zu [X.], hat das [X.] den Wiedereinsetzungsantrag des [X.] mit der Begründung zurückgewiesen, es ließe sich nicht feststellen, dass der Antragsgegner die Frist zur Beschwerdebegründung schuldlos versäumt habe. Aus dem im Wiedereinsetzungsantrag geschilderten Verfahrensablauf sei nicht ersichtlich, dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Fristennotierung bei der Vorlage der Handakten ausreichend kontrolliert habe. Dieses Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten müsse sich der [X.] gemäß §
85 Abs.
2 ZPO zurechnen lassen.
b)
Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Beden-ken.

(1) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von [X.] beantragt hat, so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer Frist wahrenden Handlung -
wie hier der
Be-schwerdebegründung
-
verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Um-ständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags rechnen 5
6
7
8
-
5
-
musste, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§
76 Abs.
1 FamFG [X.]. 114
ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Verfahrenskostenhilfegesuch entschieden werden konnte. Deshalb kann eine unbemittelte [X.], für die ein Anwalt zwar formularmäßig Beschwerde
eingelegt hat, ohne sie zu begründen, die aber keinen Verfahrensbevollmäch-tigten hat, der gewillt ist, für sie weiter tätig zu werden, selbst am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist noch ein Verfahrenskostenhilfegesuch einrei-chen. Die Beschwerde
darf dann nicht mit dem Argument verworfen werden, dass innerhalb der Begründungsfrist noch keine Beschwerdebegründung einge-reicht worden sei ([X.] Beschlüsse vom 27.
September 2004 -
II
ZB
17/03
-
FamRZ 2005, 105 mwN und vom 3.
Dezember 2003 -
VIII
ZB
80/03
-
FamRZ 2004, 699).
(2) Allerdings kommt nach der Rechtsprechung des [X.] eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur in Betracht, wenn die Mittello-sigkeit der betroffenen [X.] für die Fristversäumung kausal geworden ist (vgl. [X.] Urteil vom 27. Oktober 1965 -
IV
ZR 229/64
-
NJW 1966, 203; Beschlüsse vom 24.
Juni 1999 -
V
ZB 19/99
-
NJW 1999, 3271 und vom 6.

Mai 2008 -
VI
ZB 16/07
-
NJW 2008, 2855 Rn.
4). Denn [X.] werden nur dann schuldlos im Sinne von §
233 ZPO versäumt, wenn eine [X.] sich we-gen ihrer Mittellosigkeit außerstande sieht,
einen Rechtsanwalt mit der [X.] oder
Begründung eines Rechtsmittels zu beauftragen (vgl. [X.] Be-schluss vom 24.
Juni 1999 -
V
ZB 19/99
-
NJW 1999, 3271 mwN). [X.] für die Ursächlichkeit der Mittellosigkeit einer [X.] für die Versäumung einer
Rechtsmittelfrist oder der Frist zu ihrer Begründung ist, ob der [X.] bereit war, das Rechtsmittel
auch ohne Bewilligung von [X.] einzulegen und/oder zu begründen (vgl. [X.] Beschluss vom 6.
Mai 2008 -
VI
ZB 16/07
-
NJW 2008, 2855 Rn.
4).
Holt die [X.] die Verfahrenshandlung
9
-
6
-
nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist, aber vor der Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch nach, so ist, solange sich nichts Gegenteiliges ergibt, davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit für die zunächst unterlassene Verfahrenshandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist, wobei es einer Darlegung der Gründe, weshalb das Rechtsmittel nicht schon vor Ablauf der Frist unabhängig von der Entscheidung über die [X.] begründet werden konnte, nicht bedarf
(vgl. [X.] Beschluss vom 6.
Mai 2008 -
VI
ZB 16/07
-
NJW 2008, 2855 Rn.
5 mwN).
(3) Diese
Grundsätze hat das [X.] verkannt.
Das
[X.] hat nicht ausreichend beachtet, dass ein eventu-elles
Verschulden der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners für die Versäumung der [X.] nicht ursächlich geworden ist. Der Antragsgegner
hat innerhalb der maßgeblichen Frist des §
117 Abs.
1 Satz
3 FamFG einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe und auf Beiordnung [X.] erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten gestellt
und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den erforderli-chen Belegen
beim [X.] eingereicht. Der Antragsgegner durfte auch darauf vertrauen, dass er die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erfüllt. Ihm war bereits für das Verfahren vor dem Amtsgericht Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden und seine persönli-chen und wirtschaftlichen Verhältnisse hatten sich zwischenzeitlich nicht ver-bessert.

Deshalb hätte das [X.]
zunächst über den [X.]antrag entscheiden und dem Antragsgegner
damit gegebenenfalls die Möglichkeit einräumen müssen, das Beschwerdeverfahren auf eigene Kosten 10
11
12
-
7
-
durch Begründung der Beschwerde
durch einen Rechtsanwalt fortzuführen und einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen.
Dass die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners im [X.] Ausführungen zur Fristenüberwachung in ihrer Kanzlei gemacht hat, um das Wiedereinsetzungsgesuch zu begründen, lässt nicht den Schluss zu, dass das wirtschaftliche Unvermögen des Antragsgegners für die Fristver-säumung nicht ursächlich war. Denn die Verfahrensbevollmächtigte des [X.] hat die versäumte Verfahrenshandlung (Begründung der Be-schwerde) erst nach dem telefonischen Hinweis des [X.]s und damit nach Ablauf der [X.] nachgeholt. In einem sol-chen Fall ist, solange sich nichts Gegenteiliges ergibt, davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit der [X.] für die zunächst unterlassenen Verfahrenshandlung und sodann für ihre Verspätung ursächlich geworden ist. Da es nach der Rechtsprechung des [X.] einer Darlegung der Gründe, weshalb das Rechtsmittel nicht schon vor Ablauf der Frist begründet werden konnte, nicht bedarf
(vgl. [X.] Beschlüsse vom 24.
Juni 1999 -
V
ZB 19/99
-
NJW 1999, 3271 mwN und vom 6.
Mai 2008 -
VI
ZB 16/07
-
NJW 2008, 2855 Rn.
4 jeweils mwN), ist es unschädlich, dass die Verfahrensbevollmächtigte im Wiedereinset-zungsantrag Ausführungen zur Organisation der Fristenkontrolle in ihrer Kanzlei gemacht hat, die möglicherweise den von der Rechtsprechung hierzu [X.] Anforderungen nicht genügt.
(4) Der Antragsgegner
war daher aufgrund seines wirtschaftlichen Un-vermögens schuldlos daran gehindert, seine fristgerecht eingelegte Beschwer-de gegen die
erstinstanzliche Entscheidung
rechtzeitig zu
begründen.
3.
Dem Antragsgegner ist
damit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.] zu gewähren, weil 13
14
15
-
8
-
auch die weiteren Voraussetzungen hierfür vorliegen. Das [X.] ist beim [X.] innerhalb der Frist des §
113 Abs.
1 Satz
2 FamFG [X.]. §
234 Abs.
1 Satz
2, Abs.
2 ZPO eingereicht worden. Die Verfah-rensbevollmächtigte des Antragsgegners hat noch vor der Entscheidung über den [X.]
beim [X.] Wiedereinsetzung beantragt. Damit ist die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist eingehalten.
Indem der Antragsgegner
in diesem
Schriftsatz die Beschwerde in der Sache begründet hat, hat er auch die versäumten Prozesshandlungen inner-halb der Antragsfrist nachgeholt (§
113 Abs.
1 Satz
2 FamFG [X.]. §
236 Abs.
2 Satz
2 ZPO).

Hahne

Dose

Klinkhammer

Günter

Nedden-Boeger

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 07.04.2011 -
7 F 313/10 -

OLG Hamm, Entscheidung vom 22.07.2011 -
II-12 UF 110/11 -

16

Meta

XII ZB 462/11

08.02.2012

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2012, Az. XII ZB 462/11 (REWIS RS 2012, 9394)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9394

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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