Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.09.2014, Az. III R 61/12

3. Senat | REWIS RS 2014, 2619

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Gegenstand

Progressionsvorbehalt und Arbeitnehmer-Pauschbetrag


Leitsatz

Zur Berechnung des Progressionsvorbehalts sind steuerfreie Leistungen nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. j EStG --hier: Elterngeld-- nicht um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag zu vermindern, wenn bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit den Pauschbetrag übersteigende Werbungskosten abgezogen wurden.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten, erzielten im [X.] (Streitjahr) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger hatte daneben Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Aufgrund des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit vom 5. Dezember 2006 ([X.], 2748) hatte der Kläger im Streitjahr Elterngeld in Höhe von 1.359 € und die Klägerin in Höhe von 761 € bezogen.

2

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) legte dem Einkommensteuerbescheid erklärungsgemäß Einnahmen des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 35.970 € und Werbungskosten von insgesamt 1.142 € zugrunde. Von den Einnahmen der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 3.012 € zog das [X.] statt der erklärten Werbungskosten in Höhe von 329 € den [X.] (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes --EStG-- in der für das Streitjahr geltenden Fassung) in Höhe von 920 € ab. Für die Ermittlung des besonderen Steuersatzes erfasste das [X.] gemäß § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG das gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. j EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegende Elterngeld beider Kläger jeweils in voller Höhe.

3

Mit dem vom [X.] als unbegründet zurückgewiesenen Einspruch machten die Kläger geltend, das dem Progressionsvorbehalt unterliegende Elterngeld des [X.] sei um 920 € zu mindern, weil sein [X.] --anders als der der [X.] bei der Einkünfteermittlung noch nicht verbraucht worden sei. Deshalb sei das von ihm bezogene Elterngeld im Hinblick auf den Progressionsvorbehalt statt mit 1.359 € lediglich in Höhe von 439 € zu berücksichtigen.

4

Die Klage hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1153).

5

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

6

Das [X.] beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des [X.] und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat das vom Kläger bezogene Elterngeld zu Unrecht um den [X.] gemindert.

9

1. Da der Kläger im Streitjahr gemäß § 3 Nr. 67 EStG [X.] bezogen hat, ist auf sein zu versteuerndes Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden (Progressionsvorbehalt, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. j EStG; vgl. dazu Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 21. September 2009 VI B 31/09, [X.], 329, [X.], 382). Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 16/1889, S. 28):

"Progressionsvorbehalt bedeutet, dass das Elterngeld nach wie vor steuerfrei bleibt, aber für das zu versteuernde Einkommen, etwa den im Kalenderjahr des Leistungsbezugs erzielten Arbeitslohn, ein besonderer Steuersatz berechnet wird. Zu diesem Zweck wird das Elterngeld dem tatsächlich zu versteuernden Einkommen, das sich aus dem gegebenenfalls erzielten Arbeitslohn und etwaigen weiteren Einkünften ergibt, hinzugerechnet. Für das so erhöhte Einkommen werden die Einkommensteuer und dann der auf das Einkommen durchschnittlich entfallende Steuersatz ermittelt. Der ermittelte Steuersatz wird dann auf das tatsächlich zu versteuernde Einkommen (ohne Elterngeld) angewandt.

Durch den Progressionsvorbehalt wird erreicht, dass der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der in der progressiven Gestaltung des [X.] zum Ausdruck kommt, nicht durch die Steuerfreiheit bestimmter Bezüge beeinträchtigt wird. Mit dem Steuersatz soll die gesamte Steuerkraft erfasst werden, und zwar auch insoweit, als sie auf Bezügen beruht, die die steuerliche Bemessungsgrundlage nicht erhöhen."

2. Zur Ermittlung dieses besonderen Steuersatzes ist das zu versteuernde Einkommen um die Summe des Elterngeldes nach Abzug des [X.] (§ 9a Satz 1 Nr. 1 EStG) zu erhöhen, soweit der Pauschbetrag nicht bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar ist (§ 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG).

Der Gesetzeswortlaut spricht weder für noch gegen die Auffassung des [X.]. Die vom [X.] vertretene Auslegung verfehlt aber den Zweck der Regelung des § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG. Das Elterngeld ist daher zur Berechnung des [X.] nicht um den [X.] zu vermindern, wenn bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) den Pauschbetrag übersteigende Werbungskosten abgezogen wurden.

a) Der Gesetzgeber hat die Verminderung der in § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG aufgeführten steuerfreien Leistungen um den [X.] vorgesehen, weil diese typischerweise und in den praktisch meisten Fällen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ersetzen (BTDrucks 11/2157, S. 150).

Der [X.] wird von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen, wenn nicht höhere Werbungskosten nachgewiesen werden. Ein Arbeitnehmer kann daher nicht von den Einnahmen aus seinem ersten Arbeitsverhältnis die tatsächlichen Werbungskosten und von den Einnahmen aus seinem zweiten Arbeitsverhältnis den Pauschbetrag abziehen. Das spricht dagegen, bei einem Steuerpflichtigen die den Pauschbetrag übersteigenden tatsächlichen Werbungskosten von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit und sodann den Pauschbetrag von den steuerfreien Leistungen abzuziehen.

b) Der mit der [X.]regelung des § 9a EStG verfolgte [X.] ([X.]-Urteil vom 29. Oktober 1998 XI R 63/97, [X.], 143, [X.] 1999, 588) kann nicht mehr erreicht werden, wenn die Werbungskosten bereits konkret ermittelt wurden. Die vom [X.] vertretene Begünstigungskumulation durch den Ansatz der den Pauschbetrag übersteigenden tatsächlichen Werbungskosten bei der Einkünfteermittlung und den Abzug des [X.] bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes lässt sich deshalb nicht mit dem [X.] des § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG rechtfertigen.

c) Wurden bei der Ermittlung der Einkünfte den [X.] übersteigende Werbungskosten abgezogen, dann würde die vom [X.] befürwortete Verminderung der steuerfreien Leistungen um den [X.] Arbeitnehmer mit Werbungskosten oberhalb des [X.] gegenüber Arbeitnehmern mit Werbungskosten unterhalb des [X.] begünstigen. Das wäre wegen des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) sowie des Grundsatzes der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bedenklich. Denn bei einem nichtselbständig tätigen Steuerpflichtigen, dem z.B. Werbungskosten in Höhe von 919 € entstanden sind, würde der [X.] in Höhe von 920 € vom Arbeitslohn abgezogen; dadurch wäre zugleich der Pauschbetrag für die Ermittlung des [X.] "verbraucht". Bei einem Steuerpflichtigen mit Werbungskosten von 921 € wäre dagegen dieser Betrag bei der Einkünfteermittlung abzuziehen, und zugleich stünde der [X.] in Höhe von 920 € "unverbraucht" für die Verminderung des [X.] zur Verfügung. Geringfügig höhere Werbungskosten würden dann eine unverhältnismäßig große Steuerentlastung bewirken, ohne dass die Veranlagung durch den Pauschbetrag vereinfacht worden wäre.

d) Das [X.]-Urteil führt zutreffend aus, dass infolge des "Verbrauchs" des [X.] durch den Abzug höherer Werbungskosten diejenigen Steuerpflichtigen, die (auch) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen, ungünstiger behandelt werden als die Bezieher anderer Einkunftsarten, weil letztere sowohl ihren konkret angefallenen [X.] im Rahmen der Einkünfteermittlung als auch den vollen [X.] bei der Berechnung des besonderen Steuersatzes abziehen können.

Der vom [X.] zwecks Gleichbehandlung von Arbeitnehmern mit selbständig Tätigen vorgenommenen verfassungskonformen Auslegung des § 32b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG bedarf es gleichwohl nicht. Denn der Gesetzgeber hat diese --in der Praxis wohl eher seltene-- Bevorzugung von Steuerpflichtigen, deren in den Progressionsvorbehalt einzubeziehende Leistungen bei unterstellter Steuerpflicht zu anderen Einkunftsarten als nichtselbständiger Arbeit gehören würden, aus Vereinfachungsgründen bewusst in Kauf genommen (BTDrucks 11/2157, S. 150; [X.]/[X.], § 32b EStG Rz 54, a.E.). Steuerliche Pauschbeträge begünstigen zudem zwangsläufig Steuerpflichtige, die keine oder nur geringe Aufwendungen haben, die durch den Pauschbetrag abgegolten werden.

e) Der [X.] hat auch bereits im Urteil vom 17. Dezember 2003 I R 32/03 ([X.]/NV 2004, 773), das zu § 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG 1997 ergangen ist, ausgeführt, dass bei der Berechnung des besonderen Steuersatzes nach § 32b Abs. 2 EStG 1997 einem Steuerpflichtigen (mit ausschließlich inländischen Einkünften) der [X.] gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG nicht gewährt wird, wenn die tatsächlichen [X.] --wie im [X.] diesen übersteigen (unter II.2.).

f) Die Auffassung des Senats entspricht zudem der herrschenden Ansicht in der Literatur (z.B. [X.], [X.], 1662; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.], EStG § 32b Rz 181; [X.] in [X.], EStG, [X.] 2011, § 32b Rz 76; [X.]/[X.], § 32b EStG Rz 54); a.[X.]/ [X.], EStG, 33. Aufl., § 32b Rz 25).

3. Das [X.] hat demnach bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes zu Recht das gesamte vom Kläger bezogene und gemäß § 3 Nr. 67 EStG steuerfreie Elterngeld in Höhe von 1.359 € berücksichtigt. Die Klage ist daher abzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O).

Meta

III R 61/12

25.09.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 14. Februar 2012, Az: 12 K 6/11, Urteil

§ 3 Nr 67 EStG 2009, § 9a S 1 Nr 1 Buchst a EStG 2009, § 32b Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst j EStG 2009, § 32b Abs 2 S 1 Nr 1 EStG 2009, EStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.09.2014, Az. III R 61/12 (REWIS RS 2014, 2619)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2619

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