Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.02.2024, Az. VII ZR 795/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1646

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des 33. Zivilsenats des [X.] vom 23. Juni 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des [X.] im Verhältnis zur Beklagten zu 2 entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 40.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2

Er erwarb im Oktober 2014 bei einem Autohändler ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug [X.], 3.0 l, [X.] als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 19.907 zu einem Kaufpreis von [X.]. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor 897 oder 896 2Gen verbaut. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem [X.] mittels eines sogenannten Thermofensters. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückrufbescheid des [X.] ([X.]) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen.

3

Der Kläger hat behauptet, der Motor seines Fahrzeugs enthalte eine Prüfstandserkennung in Gestalt einer sogenannten Lenkwinkelerkennung. Das Getriebe erkenne den [X.], der mit dem Prüfstand einhergehe, und passe die Schaltstrategie entsprechend so an, dass auf dem Prüfstand niedrigere [X.] emittiert würden. Im realen Fahrbetrieb hingegen würden die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten.

4

Der Kläger hat die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und abzüglich einer nicht bezifferten Nutzungsentschädigung verlangt.

5

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

6

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision ist begründet und führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

8

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

9

Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte zu. In Bezug auf das in seinem Fahrzeug eingebaute [X.] habe er die für eine Haftung der [X.] nach § 826 BGB erforderliche besondere Verwerflichkeit nicht dargelegt. Es fehle zudem an einem hinreichend substantiierten Vortrag des [X.], dass neben dem [X.] weitere unzulässige Abschalteinrichtungen in seinem Fahrzeugmodell vorhanden seien. Für das Fahrzeug des [X.] liege kein verpflichtender Rückruf vor. Nach dem eigenen Vortrag des [X.] betreffe der Rückruf 23x6 des [X.] vom Dezember 2019 nicht seinen Fahrzeugtyp. Die Beklagte habe bereits erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass es bei [X.] [X.] unterschiedliche Motortypen gebe, so dass die Sachverhalte nicht übertragbar seien. Selbst wenn der Motor seines Fahrzeugs baugleich mit den Motoren der im Rückruf benannten Fahrzeugtypen wäre, habe der Kläger keine plausible Erklärung vorgetragen, warum das [X.] seinen Fahrzeugtyp- trotz angeblich bestehender unzulässiger Abschalteinrichtungen - vom Rückruf ausgenommen habe. Dies lasse nur den Schluss zu, dass es bei seinem Fahrzeugtyp keine ausreichenden Anhaltspunkte für unzulässige Abschalteinrichtungen gegeben habe. Der mit Schriftsatz vom 4. Juni 2021 gehaltene Vortrag zur Liste betroffener Fahrzeugvarianten sei zudem verspätet.

Das auf freiwilliger Basis angebotene Software-Update der [X.] biete ebenfalls keinen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Auf das von dem [X.] zu einem Pkw [X.] 3.0 [X.] kW Euro 5 eingeholte Sachverständigengutachten könne sich der Kläger nicht stützen, weil es sich um neuen Vortrag handele, der gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen werden könne. Selbst bei Berücksichtigung des Vortrags ergäben sich daraus keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil der Sachverständige in seinem Gutachten lediglich das Vorhandensein eines [X.]s bei dem Fahrzeugtyp festgestellt habe.

Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 4. Juni 2021 zur Manipulation am Getriebe vorgetragen habe, sei der Vortrag ebenfalls neu und nicht mehr gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Dies gelte insbesondere für den Vortrag zum achtstufigen Tiptronic und zum Automatikgetriebe [X.] 551 und dessen Verwendung im Fahrzeug des [X.] sowie zur konkreten Funktionsweise der Lenkwinkelerkennung, des [X.] und des Dynamischen Schaltprogramms sowie zur diesbezüglichen Kenntnis der Verantwortlichen der [X.] und zur unterbliebenen Offenlegung gegenüber dem [X.]. Der Kläger habe auch hier ohne greifbare Anhaltspunkte ins Blaue hinein vorgetragen, weil sich sein Vortrag und die vorgelegten Anlagen auf andere Fahrzeugtypen bezögen.

II.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des [X.] ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung [X.], Urteil vom 25. November 2021 - [X.] Rn. 32 m.w.N., [X.], 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 14. März 2022 - [X.] Rn. 21, juris) übergangen hätte.

a) Entgegen der Annahme der Revision hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiierung des Klägervortrags nicht überspannt. Der Vortrag des [X.] erschöpft sich in der pauschalen Behauptung, dass in seinem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer "Lenkwinkelerkennung" verbaut sei, welche die Wirksamkeit des [X.] unzulässig reduziere. Der Kläger hat keine greifbaren Umstände angeführt, die den Verdacht begründen, dass sein Fahrzeug mit einer Software der behaupteten Art ausgestattet ist. Grundlage für den Vortrag des [X.] ist ein am2. Dezember 2019 veröffentlichter amtlicher Rückruf wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen für Fahrzeuge der [X.], der nach den nicht angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts nicht den Fahrzeugtyp des [X.] betrifft. Das Berufungsgericht hat sich zudem mit dem vom [X.] eingeholten Gutachten des [X.]auseinandergesetzt und zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ausführungen des Sachverständigten nur das Vorhandensein eines [X.]s bestätigten. Das Gutachten ist zudem hinsichtlich eines [X.], also eines anderen Fahrzeugtyps, erstattet worden.

b) Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO hinsichtlich der Behauptung des [X.] bejaht, sein Fahrzeug enthalte eine prüfstandsbezogene Getriebemanipulation in Form einer Warmlaufstrategie, kommt es darauf schon deswegen nicht an, weil das Berufungsgericht den Vortrag berücksichtigt und ihn als unsubstantiiert zurückgewiesen hat. Die Würdigung des Berufungsgerichts, der Vortrag des [X.] habe sich auf Fahrzeuge der Typen [X.], [X.], [X.] bezogen und lasse sich nicht auf seinen Fahrzeugtyp übertragen, ist nicht zu beanstanden, zumal nach dem Vortrag der [X.] das klägerische Fahrzeug über die - als unzulässig eingestufte - Warmlaufstrategie nicht verfügt.

c) Auch im Übrigen erachtet der Senat die von der Revision erhobenen [X.] von [X.] nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).

d) Fehlt es damit an einem begründeten Angriff auf die Feststellung des Berufungsgerichts, eine Prüfstandsbezogenheit der behaupteten Abschalteinrichtung sei nicht substantiiert vorgetragen, zeigt die Revision auch keine anderen Umstände auf, die über die bloße Verwendung eines [X.]s hinaus die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der [X.] indizieren würden und die vom Berufungsgericht übergangen worden wären.

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22 Rn. 24 ff., [X.], 503; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.], 1421).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der [X.] habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 (Az. [X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der [X.] habe das auf der Überein-stimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.], 1421; ebenso Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.], 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom26. Oktober 2023 - [X.] und [X.], juris).

Das Berufungsgericht hätte die Berufung des [X.] bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des [X.] zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des [X.] angepassten, unbeschränkten [X.] ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im [X.] an die [X.] bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 45, [X.], 1421).

III.

Danach hat der angefochtene Beschluss keinen Bestand. Er ist im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

Kartzke     

      

Sacher

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 795/21

01.02.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 23. Juni 2021, Az: 33 U 631/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.02.2024, Az. VII ZR 795/21 (REWIS RS 2024, 1646)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1646

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