Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2011, Az. VI R 24/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 7461

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Gegenstand

Beiträge für eine Gruppenkrankenversicherung als Arbeitslohn


Leitsatz

1. Die Beiträge des Arbeitgebers zu einer privaten Gruppenkrankenversicherung sind Arbeitslohn des Arbeitnehmers, wenn dieser einen eigenen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen den Versicherer erlangt (Anschluss an BFH-Urteil vom 16. April 1999 VI R 66/97, BFHE 188, 338, BStBl II 2000, 408) .

2. Die Gewährung von Krankenversicherungsschutz ist in Höhe der geleisteten Beiträge Sachlohn, wenn der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrags von seinem Arbeitgeber ausschließlich Versicherungsschutz und nicht auch eine Geldzahlung verlangen kann (Anschluss an BFH-Urteil vom 11. November 2010 VI R 27/09, BFHE 232, 56, BStBl II 2011, 386) .

3. Beiträge für eine Krankenversicherung der Arbeitnehmer können steuerfrei sein, wenn der Arbeitgeber nach einer zwischenstaatlichen Verwaltungsvereinbarung, die ihrerseits auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruht, zur Leistung verpflichtet ist (§ 3 Nr. 62 Satz 1 Alt. 3 EStG) .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Beiträge des Arbeitgebers für eine private Krankenversicherung seiner [X.] Saisonarbeitskräfte steuerbarer und steuerpflichtiger Bar- oder Sachlohn sind.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) unterhielt in den Streitjahren 2001 bis 2003 einen landwirtschaftlichen Betrieb. Sie beschäftigte dort Saisonarbeitskräfte aus [X.], für die sie eine private Gruppenkrankenversicherung abschloss und die Beiträge bezahlte.

3

Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung war der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) der Auffassung, dass die Beiträge zu der Krankenversicherung der [X.] Arbeitnehmer Arbeitslohn seien, für welchen die Klägerin bisher keine Lohnsteuer einbehalten und abgeführt habe. Das [X.] erließ daraufhin einen Nachforderungsbescheid. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.

4

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage ab. Es verwies zur Begründung auf sein Urteil vom 29. August 2006  6 K 2726/04 (juris). Das [X.] war der Auffassung, dass die Beiträge der Klägerin zur Krankenversicherung der Arbeitnehmer als steuerpflichtiger [X.] zu behandeln seien. Denn zum einen sei zwar das eigenbetriebliche Interesse der Klägerin an der Beitragserbringung wegen des faktischen Zwangs der Klägerin zum Abschluss der [X.] hoch, überwiege aber nicht den Vorteil des Arbeitnehmers am Krankenversicherungsschutz. Zum anderen handele es sich um [X.], weil der Arbeitnehmer Versicherungsnehmer sei und die Klägerin nur dessen Verbindlichkeit tilge.

5

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

6

Sie beantragt,

das Urteil des [X.] Rheinland-Pfalz vom 1. September 2009  6 K 1661/08 sowie den Nachforderungsbescheid vom 18. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2008 aufzuheben.

7

Das [X.] beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

9

1. Die Nachforderung von Lohnsteuer beim Arbeitgeber durch Steuerbescheid kommt in Betracht, wenn die Lohnsteuer vorschriftswidrig nicht angemeldet worden ist und es sich um eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers handelt. Eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers liegt auch vor, wenn die Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40a Abs. 3 i.V.m. § 40a Abs. 5, § 40 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegeben sind. Dies setzt voraus, dass den Arbeitnehmern der Klägerin durch die Krankenversicherungsbeiträge steuerbarer und steuerpflichtiger Arbeitslohn zugeflossen ist.

a) Arbeitslohn ist jeder gewährte Vorteil, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist. Zum Arbeitslohn können auch Ausgaben gehören, die ein Arbeitgeber leistet, um einen Arbeitnehmer oder diesem nahestehende Personen für den Fall der Krankheit, des Unfalls, der Invalidität, des Alters oder des Todes abzusichern --Zukunftssicherung-- (z.B. Urteil des [X.] --BFH-- vom 11. Dezember 2008 [X.], [X.], 70, [X.], 385). Erlangt der Arbeitnehmer durch die Beitragsleistungen seines Arbeitgebers einen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen den Versicherer bzw. die Versorgungseinrichtung, fließt ihm mit der Beitragsleistung Arbeitslohn zu ([X.]surteil vom 7. Mai 2009 VI R 8/07, [X.], 68, [X.], 194).

b) Zum steuerbaren Arbeitslohn gehören auch Sachbezüge i.S. des § 8 Abs. 2 EStG. [X.], ob Bar- oder [X.] vorliegt, ist im Hinblick auf die Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG erheblich. Denn nach dieser Vorschrift bleiben Sachbezüge außer Ansatz, wenn die sich nach Anrechnung der vom Steuerpflichtigen gezahlten Entgelte ergebenden Vorteile insgesamt 50 DM (2001) bzw. 50 € (2002, 2003) im Kalendermonat nicht übersteigen. Nach der neuesten [X.]srechtsprechung ist für die Abgrenzung von Bar- und [X.] der Rechtsgrund des Zuflusses entscheidend (grundlegend [X.]surteil vom 11. November 2010 [X.]/10, [X.], 62, [X.], 389). Auf Grundlage der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen ist zu ermitteln, welche Leistung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber beanspruchen kann. Ein Sachbezug unterscheidet sich von [X.] durch die Art des arbeitgeberseitig zugesagten und daher arbeitnehmerseitig zu beanspruchenden Vorteils selbst und nicht durch die Art und Weise der Erfüllung dieses Anspruchs. Kann der Arbeitnehmer lediglich die Sache selbst beanspruchen, liegen daher Sachbezüge i.S. des § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG vor, die unter den weiteren Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG außer Ansatz bleiben. Unerheblich ist dann, ob der Arbeitnehmer die Sache unmittelbar vom Arbeitgeber erhält oder ob der Arbeitnehmer die Sache von einem [X.] auf Kosten des Arbeitgebers bezieht. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer selbst Vertragspartner des [X.] geworden ist oder der Arbeitgeber die Sachleistung beim [X.] bezieht ([X.]surteil vom 11. November 2010 [X.], [X.], 56, [X.], 386). Hat der Arbeitnehmer dagegen auch einen Anspruch darauf, dass sein Arbeitgeber ihm anstelle der Sache den [X.] in Höhe des Werts der Sachbezüge ausbezahlt, liegen auch dann keine Sachbezüge, sondern [X.] vor, wenn der Arbeitgeber die Sache zuwendet.

c) Steuerfrei nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG sind Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers, soweit der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist. Leistungen, die aufgrund einer freiwillig begründeten Rechtspflicht erbracht werden, sind dagegen nicht steuerbefreit (vgl. [X.]surteile vom 18. Mai 2004 [X.], [X.], 158, [X.], 1014; vom 22. Juli 2008 [X.], [X.], 442, [X.], 894).

2. Nach diesen Grundsätzen tragen die vom [X.] getroffenen Feststellungen in mehrfacher Hinsicht nicht die ausgesprochene Rechtsfolge, dass die von der Klägerin geleisteten Krankenversicherungsbeiträge für ihre Arbeitnehmer steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellten und damit der Nachforderungsbescheid des [X.] rechtmäßig sei. Die Sache ist indes nicht spruchreif. Der [X.] kann mangels Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob der Nachforderungsbescheid rechtmäßig ist.

a) Bereits eine Entscheidung darüber, ob die Beiträge der Klägerin zu der Krankenversicherung überhaupt steuerbarer Arbeitslohn sind, ist dem [X.] nicht möglich. Insbesondere ist nicht erkennbar, ob die Arbeitnehmer einen eigenen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen den Versicherer hatten (BFH-Urteil in [X.], 68, [X.], 194). Denn es fehlen sämtliche Feststellungen zum Versicherungsvertrag. Aufgrund dessen kann der [X.] offenlassen, ob er sich der Würdigung des [X.] im Hinblick auf das nicht überwiegende eigenbetriebliche Interesse der Klägerin anschließen könnte.

b) Der [X.] kann auch nicht entscheiden, ob es sich bei den Krankenversicherungsbeiträgen um Bar- oder [X.] handelt. Denn das [X.] hat nicht festgestellt, ob die Arbeitnehmer nach den arbeitsvertraglichen Regelungen von der Klägerin lediglich den Krankenversicherungsschutz als solchen verlangen konnten oder ob sie stattdessen auch [X.] in Höhe der Beiträge hätten fordern können. Auch ist nicht erkennbar, ob --sofern [X.] anzunehmen wäre-- die Freigrenze des § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG bei sämtlichen Arbeitnehmern in allen Jahren unterschritten wurde. Denn es fehlen Feststellungen zur Höhe der jeweiligen Beiträge für die einzelnen Arbeitnehmer. Zudem ist nicht ersichtlich, ob die Arbeitnehmer weitere [X.] Sachbezüge, wie z.B. Unterkunft, von der Klägerin erhalten haben.

c) Auch im Hinblick auf eine mögliche Steuerfreiheit der Beitragszahlungen nach § 3 Nr. 62 EStG reichen die Feststellungen des [X.] für eine abschließende Entscheidung des [X.]s nicht aus. Denn es bleibt offen, woraus sich konkret der vom [X.] festgestellte "faktische Zwang" der Klägerin zum Abschluss der [X.] ergibt. Es ist insbesondere nicht auszuschließen, dass die Klägerin nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet war, die [X.] für ihre Arbeitnehmer abzuschließen (§ 3 Nr. 62 Satz 1 Alt. 3 EStG). Denn auch eine --von der Klägerin behauptete-- zwischenstaatliche Vereinbarung zwischen der [X.] ([X.], in den Streitjahren [X.]) und dem [X.] kann eine Bestimmung sein, aus der sich eine Verpflichtung zur Erbringung von Zukunftssicherungsleistungen ergibt. Voraussetzung wäre dann zum einen, dass diese Vereinbarung selbst auf einer gesetzlichen Ermächtigung i.S. des § 3 Nr. 62 Satz 1 Alt. 3 EStG beruht. Zum anderen müsste die Vereinbarung die Arbeitgeber inhaltlich zum Abschluss einer Krankenversicherung verpflichten. Als gesetzliche Ermächtigung könnte § 4 Abs. 1 der Anwerbestoppausnahmeverordnung --in der jeweiligen Fassung der [X.] heranzuziehen sein. Nach dieser Vorschrift kann eine Arbeitserlaubnis für Ausländer u.a. dann erteilt werden, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Absprache zwischen der [X.] und der Arbeitsverwaltung des Herkunftslandes über das Verfahren, die Auswahl und die Vermittlung vermittelt wurde. Das [X.] hat indessen weder Feststellungen zu einer zwischenstaatlichen Vereinbarung noch zu dem von der Klägerin durchlaufenen Verfahren zur Vermittlung von Erntehelfern getroffen. Angesichts dessen ist es nicht auszuschließen, dass die Vermittlung der Arbeitnehmer durch die [X.] nach einem in der zwischenstaatlichen Vereinbarung geregelten Verfahren erfolgte. Dazu könnte auch die Verpflichtung zur Verwendung eines bestimmten Einheitsarbeitsvertrages gehören, der den Arbeitgeber zum Abschluss der Krankenversicherung verpflichtet.

Meta

VI R 24/10

14.04.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 1. September 2009, Az: 6 K 1661/08, Urteil

§ 40a Abs 3 EStG 1997, § 40a Abs 5 EStG 1997, § 40 Abs 3 EStG 1997, § 8 Abs 2 EStG 1997, § 3 Nr 62 EStG 1997, § 4 Abs 1 ASAV, § 3 Nr 62 EStG 2002, § 40a Abs 3 EStG 2002, § 40a Abs 5 EStG 2002, § 40 Abs 3 EStG 2002, § 8 Abs 2 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2011, Az. VI R 24/10 (REWIS RS 2011, 7461)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7461

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 K 215/16

B 10 EG 9/17 R

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