Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.05.2015, Az. XI ZR 27/14

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 10965

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
XI ZR 27/14
Verkündet am:

19.
Mai 2015

Weber,

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
Brüssel I-VO ([X.] aF) Art. 24
Satz 1
Die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte gemäß Art.
24 Satz
1
[X.] aF wird durch eine rügelose [X.]assung in der Klageerwiderung begründet (Fortführung von [X.], Urteil vom 31.
Mai 2011

VI
ZR 154/10, [X.]Z
190, 28 Rn.
35).
[X.], Urteil vom 19. Mai 2015 -
XI ZR 27/14 -
OLG [X.]

LG [X.] I

-
2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 19.
Mai 2015
durch [X.]
Ellenberger, [X.]
Joeres
und
Dr.
Matthias
sowie die Richterinnen Dr.
Menges und Dr.
Dauber
für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 5.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts [X.] vom 17.
Dezember 2013 aufgeho-ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger nimmt die [X.]n im Zusammenhang mit dem Erwerb [X.] Beteiligung an einem Filmfonds auf Schadensersatz in Anspruch.
Am 5.
Dezember 2001 zeichnete der damals im Bezirk des [X.]s [X.]
II wohnende Kläger auf Empfehlung eines Mitarbeiters der [X.]n zu
1), der [X.], eine Kommanditeinlage in Höhe von 160.000

dem Filmfonds "S.

"

[X.].

. Die Beteili-1
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-
3
-
gung wurde in Höhe von 41,4% über die [X.] zu 2), eine in [X.] ansässi-ge [X.], finanziert.
Der Kläger ist der Auffassung, die [X.] zu 2) sei ihm aufgrund Pros-pekthaftung im weiteren Sinne, aus vorvertraglicher Aufklärungspflichtverlet-zung bei der Anbahnung der Anteilsfinanzierung und gemäß §
823 Abs.
2 BGB i.V.m. §§
263, 264a StGB neben der [X.]n zu 1) schadensersatzpflichtig. Er hat am 19.
Dezember 2010 einen Güteantrag an einen Mediator gerichtet, der am 5.
Mai 2011 das Scheitern des [X.] festgestellt hat. Nach Verlegung seines Wohnsitzes in die [X.] hat der Kläger am 28.
Juni 2012 Klage gegen beide [X.]n beim [X.] [X.]
I eingereicht.
Das [X.] hat die auf Zahlung und Feststellung gerichtete Klage gegen die [X.] zu 2) durch Teilurteil als unzulässig abgewiesen. Die Beru-fung des [X.] ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zuge-lassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet.

I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Das [X.] habe die Klage zu Recht wegen fehlender internationa-ler Zuständigkeit der [X.] Gerichte als unzulässig abgewiesen. Da die 3
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4
-
[X.]
zu 2)
eine eigenständige juristische Person mit Sitz in [X.] sei, sei der Anwendungsbereich der
Verordnung ([X.]) Nr.
44/2001 des Rates vom 22.
Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen in der bis zum 9.
Januar 2015 geltenden Fassung (im Folgenden:
[X.]
aF)
eröffnet, deren Gerichtsstände denen des nationalen Rechts vorgingen.
Eine internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte nach der
[X.] aF sei nicht gegeben.
Im Zeitpunkt der Zeichnung der Fondsbeteiligung habe zwar ein [X.] gemäß Art.
15 Nr.
1 Buchst.
c, Art.
16 [X.] aF bestanden. [X.] fielen nicht nur vertragliche
Ansprüche, sondern alle Klagen, die zu ei-nem Verbrauchervertrag eine so enge Bindung aufwiesen, dass sie von ihm nicht getrennt werden könnten. Dazu gehörten auch konkurrierende nichtver-tragliche, insbesondere deliktische Anspruchsgrundlagen. Der [X.] zwischen den Parteien sei ein Verbrauchergeschäft im Sinne des Art.
15 [X.]
aF. Die [X.] zu 2) habe ihre gewerbliche Tätigkeit auf [X.] als damaligen Wohnsitzstaat des [X.] als Verbraucher ausge-richtet; im Rahmen dieser Tätigkeit sei der konkrete [X.]. Der Gerichtsstand in [X.] gemäß Art.
15, 16 [X.] aF sei aber durch den Umzug des [X.] in die [X.] vor Einreichung der Klage [X.]. Maßgeblich sei der Wohnsitz des Verbrauchers im Zeitpunkt der [X.]. Der Antrag des [X.] auf Durchführung eines [X.] bei einem Anwaltsmediator rechtfertige keine andere Beurteilung, weil dieses Verfahren weder Rechtsprechungscharakter habe noch Voraussetzung für die Durchführung eines streitigen Gerichtsverfahrens sei.

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5
-
Die Zuständigkeit [X.] Gerichte ergebe sich auch nicht aufgrund rügeloser [X.]assung der [X.]n zu 2) gemäß Art.
24 [X.]
aF. Die [X.] zu 2) habe die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zwar nicht in der Klageerwiderung, aber noch rechtzeitig im Nachgang hierzu vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung und in der mündlichen Verhandlung selbst gerügt.
Art.
5 und 6 [X.]
aF
begründeten keinen Gerichtsstand in [X.], weil sie hinter der abschließenden Regelung der Zuständigkeit für Ver-brauchersachen in den Art.
15, 16 [X.]
aF
zurückträten.
Aus den Vorschriften des
am 30.
Oktober 2007 in
[X.]
geschlossenen Übereinkommens
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen (im Folgenden: LugÜ
II)
ergebe sich ebenfalls keine Zuständigkeit der [X.] Gerichte. Die Voraussetzungen des Art.
15 Nr.
1 Buchst.
c LugÜ
II
lägen nicht vor, weil der Vertragsschluss zwischen den Parteien nicht die Folge einer Ausrichtung der Tätigkeit der [X.]n zu 2) auf die [X.] als jetzigen Wohnsitzstaat des Verbrauchers, sondern das Ergebnis ihres Tätigwerdens in [X.] sei. Zudem würde Art.
15 LugÜ
II
nur eine Zuständigkeit der Gerichte in der [X.] begründen, da dort der Wohnsitz des [X.] sei. Art.
5 Nr.
3, Art.
6 LugÜ
II
seien nicht anwendbar, da es sich um eine Art.
15, 16 [X.]
aF
un-terfallende [X.] handele. Der Umzug des [X.] in die [X.] rechtfertige nicht die Anwendbarkeit der Art.
5
ff. [X.]
aF/LugÜ
II, die hinter die Spezialregelungen
der Art.
15
ff. [X.]
aF
zurückzutreten hätten. Dem Verbraucherschutz werde ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass der Verbraucher in seinem neuen, von ihm selbst gewählten Wohnsitzstaat klagen könne.

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12
-
6
-
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in
einem
wesentli-chen Punkt nicht stand.
1. Gegen die von Amts wegen zu prüfende ([X.], Urteil vom 11.
Mai 2011

VIII
ZR 42/10, [X.]Z 189, 356 Rn.
19
ff.) Zulässigkeit des erstinstanzli-chen Teilurteils bestehen allerdings keine Bedenken. Ein Streitgenosse, bezüg-lich dessen die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit unzulässig ist, kann durch Teilurteil aus dem Prozess entlassen werden ([X.], Urteil
vom 24.
Februar 2015
VI
ZR 279/14, juris
Rn.
6
ff.).
2. Ob die Auffassung des Berufungsgerichts, die internationale Zustän-digkeit [X.] Gerichte ergebe sich weder aus Art.
15, 16 [X.] aF noch aus Art.
6 Nr.
1 [X.] aF, rechtlicher Überprüfung standhält, bedarf keiner Entscheidung. Die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte ist jedenfalls, anders als das Berufungsgericht meint, kraft rügeloser [X.]assung der [X.] zu 2) vor dem [X.] [X.]
I begründet.
a) Die Zuständigkeit kraft rügeloser [X.]assung ist, da die [X.] zu
2) ihren Sitz in [X.] und damit in einem Mitgliedstaat der [X.] hat, nach Art.
24 Satz
1 [X.] aF, nicht nach Art.
24 Satz
1 LugÜ
II zu beurteilen (Art.
64 Nr.
1 LugÜ
II; vgl. [X.]/von
Hein, [X.] Zivilprozessrecht, 9.
Aufl., [X.], [X.]. Rn.
101).
b) Nach Art.
24 Satz
1 [X.] aF
wird ein Gericht eines Mitgliedstaats, sofern es nicht bereits nach anderen Vorschriften der
Verordnung
zuständig ist, zuständig, wenn sich der [X.] vor diesem Gericht auf das Verfahren ein-lässt, ohne den Mangel der Zuständigkeit zu [X.], und keine anderweitige ausschließliche Zuständigkeit begründet ist. Von einer [X.]assung auf das Ver-13
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-
7
-
fahren ist auszugehen, wenn der [X.] die Zuständigkeitsrüge nicht spätes-tens in der Stellungnahme erhebt, die nach dem innerstaatlichen Prozessrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht anzusehen ist (vgl. zur inhaltsgleichen Vorschrift des Übereinkommens über die gerichtli-che Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen, geschlossen in [X.] am 16.
September 1988 [LugÜ
I] [X.], Urteil vom 31.
Mai 2011
VI
ZR 154/10, [X.]Z 190, 28 Rn.
35 mwN; vgl. zu der inhaltsgleichen Vorschrift des Art.
18
des Übereinkommens über die gerichtli-che Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen vom 27.
September 1968 [im Folgenden: EuGVÜ]:
EuGH, Slg. 1981, 671 Rn.
15
f., [X.] 2014, 64 Rn.
37, ZIP
2014, 1142 Rn.
36; [X.], Beschluss
vom 18.
September 2001
IX
ZB 75/99, [X.], 2121, 2123). Vor den [X.] Zivilgerichten ist danach im Gegensatz zu §
39 ZPO keine [X.]assung zur Hauptsache erforderlich; zuständigkeitsbegründend ist bereits eine rügelose [X.]assung in der Klageerwiderung ([X.], Urteil vom 31.
Mai 2011
VI
ZR 154/10, [X.]Z
190, 28 Rn.
35). Nach diesen Grundsätzen sind die [X.] Gerichte mit Eingang der Klageerwiderung der [X.]n zu
2) zuständig geworden. In dieser hat die [X.] zu 2) umfassende und ausführliche Einwendungen in der Sache erhoben, ohne die internationale [X.] des angerufenen Gerichts zu beanstanden. Eine anderweitige aus-schließliche Zuständigkeit gemäß Art.
22 [X.] aF
besteht nicht. Die [X.] im Schriftsatz vom 6.
Dezember 2012 erhobene Rüge vermochte die be-reits begründete Zuständigkeit nicht zu beseitigen.
c) Diesem Ergebnis steht das vom Berufungsgericht angeführte Urteil des [X.] vom 21.
November 1996 (IX
ZR 264/95, [X.]Z 134, 127
ff.) nicht entgegen. Dort wird zwar ausgeführt, dass eine rügelose [X.]as-sung nicht vorliegt, wenn der [X.] bei seiner [X.]assung in der mündlichen Verhandlung, zumindest gleichzeitig mit der Bezugnahme auf die [X.]
-
8
-
den Schriftsätze, die internationale Unzuständigkeit
rügt und zwar unabhängig davon, ob er diese Rüge bereits in der Klageerwiderung erhoben hat ([X.], aaO, S.
136). Diese Entscheidung betrifft jedoch ausdrücklich die Auslegung des §
39 ZPO bzw. dessen Verhältnis zu den §
282 Abs.
3, §
296 Abs.
3 ZPO und damit ausschließlich nationale Rechtsnormen. Die einschlägigen Vorschrif-ten der [X.]
aF bzw. des EuGVÜ
fanden im damals zu entscheidenden Fall keine Anwendung, da der [X.] seinen Wohnsitz nicht in einem Mit-gliedstaat hatte ([X.], aaO, S.
136).
d) Auch die Rechtsprechung des [X.] ([X.], [X.] 2008, 726, 728), nach der erst ein rügeloses [X.]assen im Kammertermin die internationale Zuständigkeit nach Art.
24 [X.]
aF
begründet, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das [X.] begründet seine Auffas-sung ausdrücklich mit den Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, das im Vergleich zur Zivilprozessordnung wesentlich stärker vom Grundsatz der Mündlichkeit und vom [X.] geprägt sei. Das Gericht bezieht
seine Auffassung ausschließlich auf arbeitsgerichtliche Verfahren und nicht auf Zivilverfahren im Allgemeinen.

19
-
9
-
III.
Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§
562 Abs.
1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
563 Abs.
1 Satz
1 ZPO).

Ellenberger

Joeres

Matthias

Menges

Dauber
Vorinstanzen:
LG [X.] I, Entscheidung vom 06.05.2013 -
34 O 13014/12 -

OLG [X.], Entscheidung vom 17.12.2013 -
5 U 2301/13 -

20

Meta

XI ZR 27/14

19.05.2015

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.05.2015, Az. XI ZR 27/14 (REWIS RS 2015, 10965)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 10965

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XI ZR 27/14

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