Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.02.2022, Az. 3 StR 6/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2022, 4384

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Gegenstand

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Konkurrenzverhältnis bei Kommissionsgeschäften; Erforderlichkeit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Oktober 2021

a) in den [X.] dahin geändert, dass schuldig sind

aa) der Angeklagte [X.]des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln in vier Fällen und der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in neun Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln,

bb) der Angeklagte N.    des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis,

cc) die Mitangeklagte O.    der Beihilfe zum Handeltreiben in nicht geringer Menge in zwei Fällen;

b) aufgehoben,

aa) soweit es die Angeklagten und die Mitangeklagte betrifft, in den jeweiligen Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen [X.] und [X.]; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten;

bb) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit von der Unterbringung der Angeklagten [X.]und N.    in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist;

c) in den Aussprüchen über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin ergänzt, dass die beiden Angeklagten jeweils in Höhe von 500 € als Gesamtschuldner haften.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten und die Mitangeklagte wie folgt verurteilt:

2

den Angeklagten S.    wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln in vier Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln, und wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in neun Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren,

3

den Angeklagten [X.]    wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten sowie

4

die Mitangeklagte [X.]    wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

5

Ferner hat die [X.] Werte von Taterträgen eingezogen.

6

Die von den Angeklagten auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen haben - partiell gemäß § 357 StPO auch zugunsten der Mitangeklagten - den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Im Einzelnen:

7

1. Soweit die [X.] den Angeklagten S.    in Fall II.4 der Urteilsgründe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt hat, hat der Besitz zu entfallen. Nach den getroffenen Feststellungen erhielt der Angeklagte [X.] und Marihuana von unbekannten Personen, das [X.] gratis, das Marihuana, von dem er ein Fünftel selbst konsumieren und den Rest veräußern wollte, zu einem bestimmten Kaufpreis. Damit erlangte er beide Betäubungsmittel im einverständlichen Zusammenwirken mit den jeweiligen Vorbesitzern. In dem hierdurch verwirklichten Erwerb der Drogen - auf die Entgeltlichkeit kommt es insoweit nicht an ([X.]/[X.]/[X.], BtMG, § 29 Rn. 890) - geht der als Auffangtatbestand ausgestaltete anschließende Besitz auf (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschluss vom 5. Februar 2020 - 3 StR 536/19, juris Rn. 13).

8

2. a) In den Fällen [X.] und [X.] tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht die Annahme von Tatmehrheit. Hiernach bezogen die Angeklagten zweifach größere Volumina Amphetaminbase "auf [X.]" von ihrem Lieferanten, um sie gewinnbringend zu veräußern. Den gestundeten Kaufpreis für die erste Menge entrichtete der Angeklagte [X.]    anlässlich des Erwerbs der zweiten. Die [X.] hat dieses Tatgeschehen als zweifaches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 25 Abs. 2, § 53 Abs. 1 StGB gewertet, für den Angeklagten [X.]    im zweiten Fall in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis. Dabei ist dem [X.] aus dem Blick geraten, dass sich bei derartigen [X.]sgeschäften die tatbestandlichen Ausführungshandlungen der jeweiligen Ankäufe überschneiden. Es liegt dann gleichartige Tateinheit gemäß § 52 Abs. 1 StGB vor (st. Rspr.; [X.], Beschlüsse vom 10. Juli 2017 - [X.], [X.]St 63, 1 Rn. 13 ff. [X.]; vom 14. Mai 2019 - 3 StR 65/19, juris Rn. 9 [X.]).

9

b) Dies alles betrifft die Mitangeklagte in gleicher Weise (§ 357 Satz 1 StPO). Nach den getroffenen Feststellungen leistete sie in den Fällen [X.] und [X.]. Wegen der Akzessorietät der Teilnahme gilt, dass mehrere (natürliche und an sich selbständige) Beihilfehandlungen zu einer einheitlichen Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden, wenn dies bei den Taten des [X.] ist, zu denen der Gehilfe Beiträge erbrachte ([X.], Beschlüsse vom 14. Januar 2015 - 4 StR 440/14, [X.], 113; vom 14. Mai 2019 - 3 StR 65/19, juris Rn. 13).

c) Analog § 354 Abs. 1 StPO sind die Schuldsprüche entsprechend zu ändern. Der Senat hat aus Gründen der Übersichtlichkeit davon abgesehen, die zweifache tateinheitliche Verwirklichung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 BtMG in der [X.] zum Ausdruck zu bringen (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 54/16, [X.], 274, 275). § 265 StPO steht der Änderung nicht entgegen, da sich die geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

Dies bedingt die Aufhebung der in den Fällen [X.] und [X.] gegen die Angeklagten sowie die Mitangeklagte verhängten Einzelstrafen und bringt auch die Gesamtfreiheitsstrafen zu Fall. Die der Strafzumessung zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

3. Die Entscheidung des [X.]s, von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält sachlichrechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.

Die [X.] hat einen Hang der Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, angenommen, jeweils den symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und den abgeurteilten Taten bejaht und die Prognose gestellt, dass sie unbehandelt wahrscheinlich fortan vergleichbare Delikte begehen werden. Sie hat jedoch für beide die Erfolgsaussicht einer Unterbringung verneint, weil sie eine Therapiemotivation jeweils nur für eine Entwöhnungsbehandlung nach § 35 BtMG erkennen könne. Eine solche Maßnahme hat sie überdies für "ausreichend" und diejenige nach § 64 StGB für "nicht erforderlich" erachtet.

Diese Erwägungen tragen das Absehen von der Unterbringung nicht. Die Maßregel nach § 64 StGB geht der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG vor (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschlüsse vom 11. Juli 2013 - 3 [X.], juris Rn. 5 [X.]; vom 5. April 2016 - 3 StR 554/15, [X.], 209, 210). Die Beurteilung der konkreten Erfolgsaussicht bedarf einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände. Das Tatgericht hat insbesondere zu prüfen, ob die Chance besteht, die Bereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung während der Therapie nach § 64 StGB zu wecken (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschluss vom 25. April 2013 - 5 [X.], [X.], 239, 240 [X.]). Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht.

Über die Frage der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist deshalb unter erneuter Hinzuziehung eines - gegebenenfalls anderen - Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) neu zu verhandeln und zu entscheiden. Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht. Die Beschwerdeführer haben die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen ([X.], Beschluss vom 29. September 2020 - 3 [X.], juris Rn. 5 f. [X.]).

4. Schließlich bedarf die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB der Ergänzung. Denn in Fall [X.] der Urteilsgründe ist festgestellt, dass der Angeklagte S.    durch den Betäubungsmittelverkauf die bei ihm als Wertersatz eingezogenen 3.000 € Gewinn erzielte und daraus dem Angeklagten [X.]    die bei jenem als Wertersatz eingezogenen 500 € auszahlte. Damit verfügten beide über die nämlichen 500 € und haften insoweit als Gesamtschuldner. Das ist in der Entscheidungsformel zu kennzeichnen, um eine doppelte Inanspruchnahme zu vermeiden (s. [X.], Beschluss vom 13. Oktober 2020 - 3 [X.], juris Rn. 5).

Berg     

      

Paul     

      

Erbguth

      

Kreicker     

      

Voigt     

      

Meta

3 StR 6/22

22.02.2022

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Trier, 13. Oktober 2021, Az: 8032 Js 6162/21 - 5 KLs

§ 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 35 BtMG, § 52 Abs 1 StGB, § 64 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.02.2022, Az. 3 StR 6/22 (REWIS RS 2022, 4384)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4384

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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