Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2023, Az. VII ZR 113/22

7. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6889

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde: Gehörsverletzung bei Nichtbeachtung von Parteivortag wegen fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift


Tenor

Der Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 25. April 2022 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Zahlung von 44.886,81 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 44.886,81 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt den [X.]n, einen Tierarzt, nach einer als fehlerhaft beanstandeten [X.] auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Mit [X.] erwarb die Klägerin den damals vierjährigen [X.]zu einem Preis von 22.000 €. Vor Abschluss des Vertrags beauftragte die Klägerin den [X.]n, eine [X.] des Pferdes durchzuführen. Bestandteil dieser Untersuchung waren unter anderem Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule und des [X.], die die Klägerin erbat, weil sie zuvor Probleme mit einem Pferd aufgrund von Befunden in diesem Bereich gehabt hatte. Nach der Untersuchung teilte der [X.] der Klägerin mündlich mit, es hätten sich keine erheblichen Befunde ergeben.

3

Nachdem sich ab [X.] 2017 aus Sicht der Klägerin [X.] bei dem Pferd zeigten und es deshalb aus ihrer Sicht als Sportpferd nicht uneingeschränkt nutzbar war, verklagte sie im Juli 2018 [X.]        auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und Schadensersatz. Dieser verteidigte sich gegen die Klage und verkündete dem [X.]n den Streit, der auf Seiten von [X.]          dem Rechtsstreit beitrat und vortrug, dass aus tiermedizinischer Sicht im Untersuchungszeitpunkt keine Befunde vorgelegen hätten, die einer reitsportlichen Nutzung des Pferdes entgegenstehen würden.

4

Das für den Rechtsstreit der Klägerin gegen [X.]     zuständige [X.]     erhob über das Vorliegen einer Gangbildstörung des Pferdes Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige erstellte im August 2019 sein Gutachten und kam zu dem Ergebnis, dass sporadisch zu beanstandende Unsicherheiten im Bewegungsablauf des Pferdes eine Folge insuffizienter reiterlicher Ausbildung gewesen seien. In diesem Gutachten nahm der Sachverständige auch zu der röntgenologischen Untersuchung beim Kauf Stellung.

5

Die Feststellungen des Sachverständigen zu der röntgenologischen Untersuchung beim Kauf nahm die Klägerin zum Anlass, im April 2020 die Klage über [X.]        hinaus auf den [X.]n zu erweitern. Unter Bezugnahme auf die Röntgenaufnahmen trug die Klägerin vor, der [X.] sei verpflichtet gewesen, sie über die von dem [X.] neu benannten Befunde aufzuklären. In diesem Fall hätte sie den Vertrag mit [X.]         nicht geschlossen. Das begründe eine Schadensersatzverpflichtung des [X.]n. Der [X.] erhob die Rüge der örtlichen Zuständigkeit. Das [X.]   trennte daraufhin das Verfahren gegen den [X.]n von dem Verfahren gegen [X.]         ab, erklärte sich für unzuständig und verwies das Verfahren gegen den [X.]n an das [X.]    . Die Klage gegen [X.]        wies das [X.]   ab. Rechtsmittel gegen diese Entscheidung wurden nicht eingelegt.

6

Das [X.]     hat, nachdem die [X.]en auf Anfrage des Gerichts mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden gewesen sind, mit Beschluss eine Erklärungsfrist bis zum 18. Dezember 2020 gesetzt. Hinweise hat das [X.]     nicht erteilt. Der Prozessbevollmächtigte des [X.]n hat im Rahmen der Erklärungsfrist auf sein gesamtes Verteidigungsvorbringen als Streithelfer vor dem [X.]   Bezug genommen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat im Rahmen der Erklärungsfrist darauf verwiesen, dass eine Klageerwiderung nicht vorliege.

7

Das [X.]    hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei unbegründet. Der Klägerin stünde kein Schadensersatzanspruch zu. Auf der Grundlage ihres Vortrags sei schon kein Schaden feststellbar. Nach der gutachterlichen Einschätzung des Sachverständigen gehe dieser nicht davon aus, dass die wenig deutlich ausgeprägte Symptomatik die Eignung des Pferdes als Dressurpferd beeinträchtige. Deshalb sei nicht festzustellen, dass die Klägerin einen für sie nachteiligen Vertrag geschlossen habe. Es spreche alles dafür, dass das Pferd nicht richtig ausgebildet worden sei, wofür der [X.] nicht verantwortlich gemacht werden könne. Darüber hinaus sei weder ersichtlich noch von der Klägerin hinreichend vorgetragen, dass die Ergebnisse der [X.] in irgendeiner Weise mangelhaft gewesen sein könnten. Soweit sie die Befundung des [X.] aufgreife, trage sie nicht schlüssig vor, dass der Gerichtsgutachter eine mangelhafte Eigenschaft des Pferdes festgestellt haben könnte.

8

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat unter Abweisung der Klage im Übrigen den [X.]n verurteilt, an die Klägerin 44.886,81 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der [X.] mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er seinen Klageabweisungsantrag voll umfänglich weiterverfolgt.

II.

9

Die Beschwerde des [X.]n gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht führt, soweit für das [X.] von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes aus:

Bei einer [X.] eines Pferdes sei der Tierarzt nicht nur verpflichtet, die Untersuchung ordnungsgemäß durchzuführen, sondern er habe seinem Auftraggeber auch deren Ergebnis, insbesondere Auffälligkeiten des Tieres, mitzuteilen. Den so skizzierten Verhaltensanforderungen sei der [X.] in Bezug auf den Röntgenbefund in mehrfacher Weise nicht gerecht geworden.

Die betreffenden Pflichtverletzungen seien für die Kaufentscheidung der Klägerin ursächlich gewesen. Die Klägerin habe schon in ihrem Klageerweiterungsschriftsatz dargetan, dass sie den Vertrag mit [X.]         nicht geschlossen hätte, wenn sie um die vom Sachverständigen festgestellten Befunde gewusst hätte. Dem sei der [X.] erstinstanzlich nicht entgegengetreten, sondern habe die Kausalität erst in der Berufungserwiderung in Abrede gestellt. Er sei deshalb mit seinem Vortrag präkludiert. Ein Zulassungsgrund nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO sei weder dargetan noch ersichtlich. Der [X.] hätte die Kausalität nur einfach bestreiten müssen, was ihm auch im Rahmen des Verfahrens vor dem [X.]     ohne weiteres möglich gewesen wäre.

2. Die Verurteilung des [X.]n ist, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, unter Verstoß gegen den Anspruch des [X.]n auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erfolgt.

a) Bleibt ein Angriffsmittel einer [X.] deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie derjenigen des § 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der [X.] (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt ([X.], Beschluss vom 20. März 2019 - [X.] Rn. 15 m.w.N., [X.] 2019, 1207 = NZBau 2019, 365).

b) Ein derartiger Fall liegt vor. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht in offenkundig fehlerhafter Anwendung von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO das Vorbringen des [X.]n zur Kausalität zwischen einer Pflichtverletzung im Rahmen der [X.] und dem Kauf des Pferdes in der Berufungserwiderung mit der Folge nicht berücksichtigt, dass es das Vorbringen der Klägerin zur Kausalität als unstreitig angesehen hat.

aa) Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten [X.] erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. Nach der Rechtsprechung des [X.] findet diese Vorschrift aber nur unter der ungeschriebenen Voraussetzung Anwendung, dass die Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag der [X.] beeinflusst hat und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre, ([X.] dafür geworden ist, dass sich [X.]vorbringen in das Berufungsverfahren verlagert hat ([X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 - [X.] Rn. 19, [X.], 487; Beschluss vom 22. Februar 2007 - [X.] Rn. 7, [X.], 971). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die [X.] durch seine Prozessleitung oder seine erkennbare rechtliche Beurteilung des Streitverhältnisses davon abgehalten hat, zu bestimmten Gesichtspunkten vorzutragen. So kann das Gericht eine [X.] etwa durch die Erteilung von Hinweisen veranlassen, in erster Instanz von weiterem Vorbringen abzusehen. Das erstinstanzliche Gericht kann aber auch durch das Unterlassen von Hinweisen den Eindruck erwecken, der bisherige [X.]vortrag sei ausreichend ([X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 - [X.] Rn. 20, [X.], 487).

bb) Für das [X.]     war allein entscheidungserheblich, ob das Pferd über Mängel verfügte, die seine Eignung als Dressurpferd beeinträchtigten. Damit hat es ersichtlich auf Umstände abgestellt, die für auf dem Kaufvertrag zwischen der Klägerin und [X.]         beruhende Mängelansprüche von Bedeutung waren. Demgegenüber war es für das [X.] irrelevant, ob der [X.] jenseits von kaufvertraglich relevanten Mängeln eine Pflicht aus der [X.] verletzt hat und diese Pflichtverletzung für den Vertragsschluss der Klägerin mit [X.]         kausal geworden ist. Der in der Berufungsinstanz gehaltene Vortrag des [X.]n zur Kausalität betraf deshalb einen Gesichtspunkt, der für das [X.]     unerheblich war.

Darüber hinaus hat das [X.]     durch seine Prozessleitung den Eindruck erweckt, der bisherige [X.]vortrag des [X.]n sei ausreichend. Nach Verweisung des Rechtsstreits hat das [X.]     keine Frist zur Klageerwiderung gesetzt, sondern unmittelbar das Einverständnis der [X.]en zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren eingeholt. Nachdem die [X.]en ihr Einverständnis erklärt hatten, hat das [X.]     - ohne Hinweise zu erteilen - nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO den Zeitpunkt bestimmt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten. Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zum Nichtvorliegen einer Klageerwiderung haben das [X.]     nicht veranlasst, prozessleitende Maßnahmen zu ergreifen. In diesem Gesamtverhalten des [X.]s V.     kommt zum Ausdruck, dass es den Rechtsstreit für ausgeschrieben angesehen hat, insbesondere einen weitergehenden Vortrag des [X.]n für nicht erforderlich hielt. In Anbetracht dieses [X.] musste der [X.] nicht davon ausgehen, zu einer Kausalität einer möglichen Pflichtverletzung im Hinblick auf den Abschluss des Kaufvertrages vortragen zu müssen. Er durfte vielmehr darauf vertrauen, dass das Verfahren zu seinen Gunsten ausgeschrieben war und die Klage abgewiesen werden würde - wie es auch tatsächlich geschehen ist.

c) Das Berufungsurteil beruht, soweit es den [X.]n zur Zahlung von 44.886,81 € nebst Zinsen verurteilt hat, auf der Verletzung des Anspruchs des [X.]n auf rechtliches Gehör. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vortrags des [X.]n die Klage insgesamt abgewiesen hätte.

3. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, sich mit den weiteren [X.] der Beschwerde auseinanderzusetzen.

[X.]     

      

[X.]     

      

Jurgeleit

      

Graßnack     

      

Brenneisen     

      

Meta

VII ZR 113/22

27.09.2023

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Celle, 25. April 2022, Az: 20 U 5/21

Art 103 Abs 1 GG, § 128 Abs 2 ZPO, § 531 Abs 2 S 1 Nr 1 ZPO, § 544 Abs 9 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2023, Az. VII ZR 113/22 (REWIS RS 2023, 6889)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6889

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VIII ZR 166/11

VII ZR 182/18

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