Bundessozialgericht, Urteil vom 22.08.2012, Az. B 14 AS 197/11 R

14. Senat | REWIS RS 2012, 3774

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Studenten - abstrakte Förderungsfähigkeit des Studiums nach BAföG - Urlaubssemester


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 15. April 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Zwischen den [X.]eteiligten ist die Gewährung von [X.]eistungen zur Sicherung des [X.]ebensunterhalts nach dem [X.] ([X.]) für die [X.] vom 11.8.2009 bis zum [X.] streitig.

2

Die im Jahre 1979 geborene Klägerin studierte seit dem Wintersemester 1999/2000 zunächst an der [X.] Seit dem Wintersemester 2003/2004 ist sie an der [X.] im Studiengang Medienkunst eingeschrieben.

3

Am 11.8.2009 beantragte sie beim [X.]eklagten [X.]eistungen zur Sicherung des [X.]ebensunterhalts nach dem [X.]. Zur [X.]egründung gab sie unter Vorlage entsprechender Immatrikulationsbescheinigungen der [X.] an, ihr sei in Absprache mit ihrem Professor das Sommersemester 2009 und das Wintersemester 2009/2010 als Urlaubssemester genehmigt worden, um studienbegleitend ein Praktikum zu absolvieren. Sie werde das Studium im Sommersemester 2010 weiterführen und voraussichtlich im Wintersemester 2010/2011 beenden. Vom 13.8.2009 bis zum 30.10.2009 und vom 15.11.2009 bis zum [X.] absolviere sie ein Praktikum in [X.] Den Antrag lehnte der [X.]eklagte ab ([X.]escheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.11.2009).

4

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht ([X.]) [X.]eipzig hatte die Klägerin Erfolg. Das [X.] hat den [X.]eklagten unter Aufhebung der angefochtenen [X.]escheide verurteilt, der Klägerin für den [X.]raum vom 11.8.2009 bis zum [X.] [X.]eistungen in Höhe von 454,62 Euro monatlich zu gewähren. Es bestehe gewöhnlicher Aufenthalt in [X.] und nicht am Ort des Praktikums. Die Klägerin werde nicht vom [X.]eistungsausschluss des § 7 Abs 5 [X.] erfasst. Sie habe seit ihrer [X.]eurlaubung keine Ausbildung betrieben, die nach dem [X.]undesausbildungsförderungsgesetz ([X.]AföG) dem Grunde nach förderfähig sei, was das [X.] unter [X.]ezugnahme auf die Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts ([X.]VerwG) zu § 26 [X.]undessozialhilfegesetz ([X.]SHG) im Einzelnen ausgeführt hat (Urteil vom 15.7.2010).

5

Auf die hiergegen gerichtete [X.]erufung des [X.]eklagten hat das Sächsische [X.]andessozialgericht ([X.][X.]) das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15.4.2011). Zwar habe die Klägerin gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] gehabt, im Übrigen könne der [X.]egründung des [X.] jedoch nicht gefolgt werden. Dem Grunde nach förderungsfähig iS des § 7 Abs 5 Satz 1 [X.] sei eine Hochschulausbildung auch dann, wenn ein an einer [X.] (an einer [X.]) ein Urlaubssemester - aus welchen Gründen auch immer - absolviere. Es komme allein auf den Status der Einschreibung an.

6

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin. Sie rügt eine Verletzung von § 7 Abs 5 [X.]. Während des Urlaubssemesters sei die dem Grunde nach förderfähige Ausbildung unterbrochen. Dabei komme es gerade nicht allein auf die Immatrikulation an. Dies habe das [X.]undessozialgericht ([X.][X.]) bereits in seinen bisherigen Entscheidungen ausgeführt. Entscheidend sei danach nicht der Status als Auszubildender in einer Schule oder Hochschule (im Sinne der Immatrikulation), sondern ob die jeweilige Ausbildung förderungsfähig nach dem [X.]AföG sei. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]AföG werde Ausbildungsförderung für den [X.]esuch von Hochschulen geleistet. Ausschlaggebend sei mithin der [X.]esuch der Hochschule und also die organisatorische Zugehörigkeit zur jeweiligen Ausbildungsstätte. Diese Zugehörigkeit entfalle bei Unterbrechung eines Studiums durch ein Urlaubssemester.

7

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen [X.]andessozialgerichts vom 15. April 2011 aufzuheben und die [X.]erufung des [X.]eklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.]eipzig vom 15. Juli 2010 zurückzuweisen.

8

Der [X.]eklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils unter der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>) begründet. Der [X.] konnte nicht abschließend beurteilen, ob der Klägerin der geltend gemachte Anspruch zusteht. Es mangelt an Feststellungen des [X.] sowohl zu den Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 [X.]B II als auch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 5 Satz 1 [X.]B II. Dabei kann dahinstehen, ob die entsprechenden Feststellungen im Urteil des [X.] ausreichend waren. Das [X.] hat es - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - ausdrücklich dahinstehen lassen, inwieweit die Klägerin im streitigen [X.]raum das Studium tatsächlich betrieben hat. Eine Bezugnahme auf die entsprechenden Feststellungen des [X.] ist nicht erfolgt.

1. Streitgegenstand ist der von der Klägerin geltend gemachte, von dem Beklagten mit dem Bescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] abgelehnte Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II für die [X.] vom 11.8.2009 bis zum [X.] in Höhe von 454,62 Euro monatlich. Das Begehren der Klägerin ist durch die entsprechende Tenorierung im Urteil des [X.], gegen das sich die Klägerin nicht gewandt hat, eingegrenzt.

2. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung hat es das [X.] unterlassen, Feststellungen zu den Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 [X.]B II zu treffen. Dies wäre im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen, wenn die weiteren notwendigen Ermittlungen des [X.] ergeben sollten, dass die Klägerin die [X.] während ihres [X.] nicht iS des § 2 Abs 1 Satz 1 [X.] besucht hat. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand kann dahinstehen, ob eine Ortsabwesenheit der Klägerin iS des § 7 Abs 4a [X.]B II vorlag und sich der Beklagte - wie er meint - für diesen Fall im Nachhinein darauf berufen könnte, obwohl die Klägerin die entsprechenden Mitteilungen bereits mit ihrem Antrag gemacht hat und der Beklagte dies nicht als relevant für die Gewährung von Leistungen angesehen hat.

3. Nach § 7 Abs 5 Satz 1 [X.]B II (idF des [X.] am Arbeitsmarkt vom [X.], [X.], 2999) haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des [X.] oder nach den §§ 60 bis 62 [X.] ([X.]B III) dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das von der Klägerin absolvierte Studium ist bis zum Beginn des [X.] unstreitig nach dem [X.] dem Grunde nach förderungsfähig gewesen. Die Klägerin war daher bis zu diesem [X.]punkt von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II ausgeschlossen. Der Ausschlussregelung des § 7 Abs 5 Satz 1 [X.]B II liegt die Erwägung zugrunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem [X.] oder eine Förderung gemäß §§ 60 bis 62 [X.]B III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem [X.]B II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung im [X.]B II soll die nachrangige Grundsicherung (vgl § 3 Abs 3 [X.]B II) mithin davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf [X.] zu ermöglichen.

Wie beide für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen [X.]e des B[X.] bereits entschieden haben und wovon auch die Vorinstanzen und die Beteiligten ausgehen, zieht allein die [X.] der Ausbildung dem Grunde nach die Rechtsfolge des § 7 Abs 5 Satz 1 [X.]B II nach sich. Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten sind, bleiben demgegenüber außer Betracht (stRspr seit B[X.]E 99, 67 = [X.]-4200 § 7 [X.], RdNr 16 mwN).

Dabei ist die Frage, wann eine Ausbildung dem Grunde nach förderfähig ist, auch im Anwendungsbereich des § 7 Abs 5 Satz 1 [X.]B II nach § 2 [X.] zu bestimmen. Diese Vorschrift regelt - von den Besonderheiten des Fernunterrichts (vgl § 3 [X.]) und der Ausbildungen im Ausland (§§ 5, 6 [X.]) abgesehen - den Begriff der "förderfähigen Ausbildung" dem Grunde nach für den gesamten Bereich des [X.] einheitlich. Die entsprechenden Grundsätze sind auch für das [X.]B II maßgeblich - und zwar unter Heranziehung der Rechtsprechung des [X.] (vgl bereits Urteil des [X.]s vom [X.] AS 24/09 R - [X.]-4200 § 7 [X.] RdNr 16 unter Hinweis auf [X.]/[X.]/[X.], [X.], 4. Aufl 2005, § 2 RdNr 1; B[X.] Urteil vom 27.9.2011 - B 4 [X.]/10 R - [X.]-4200 § 7 [X.]).

Nach den für den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] hat die Klägerin im hier streitigen [X.]raum zwei genehmigte Urlaubssemester eingelegt. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig dazu führen, dass nicht mehr von der [X.] der Ausbildung dem Grunde nach gemäß § 2 [X.] ausgegangen werden kann.

Voraussetzung für die [X.] einer Ausbildung dem Grunde nach ist zunächst der "Besuch" einer Ausbildungsstätte (im Sinne der organisatorischen Zugehörigkeit zu dieser Ausbildungsstätte, vgl dazu im Einzelnen [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 2 RdNr 98 f), die sich den in § 2 Abs 1 [X.] genannten Schulgattungen zuordnen lässt. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] besucht ein Auszubildender eine Ausbildungsstätte, solange er dieser organisationsrechtlich angehört und die Ausbildung an der Ausbildungsstätte tatsächlich betreibt (vgl [X.]E 49, 275; 55, 288; 57, 21). Bei einer Hochschulausbildung begründet der Auszubildende seine Zugehörigkeit zu der [X.] durch die Immatrikulation, die ihrerseits die Einschreibung in eine bestimmte Fachrichtung notwendig macht ([X.] Urteil vom 28.11.1985 - 5 C 64/82 - FamRZ 1986, 397). Es kommt mithin bei einem Urlaubssemester für die Förderfähigkeit dem Grunde nach sowohl auf die organisationsrechtliche Zugehörigkeit des Studierenden zu der Ausbildungsstätte an, die mit einer bestimmten Fachrichtung verknüpft sein muss, als auch auf ein tatsächliches Betreiben des Studiums.

Damit ist ein Studierender während eines [X.] dann nicht von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.]B II ausgeschlossen, wenn er in dieser [X.] aus organisationsrechtlichen Gründen der [X.] nicht mehr angehört oder die organisationsrechtliche Zugehörigkeit zwar weiterhin vorliegt, er sein Studium jedoch tatsächlich nicht betreibt (vgl bereits B[X.] Urteil vom [X.] - B 4 AS 102/11 R - [X.]-4200 § 7 [X.] mit zustimmender Anmerkung [X.] jurisPR-[X.] 12/2012 Anm 2).

Es kommt damit neben der vom [X.] allein geprüften Einschreibung/Immatrikulation wegen der organisatorischen Zugehörigkeit zu einer [X.] darauf an, ob es nach [X.] Hochschulrecht dem Studierenden ermöglicht ist, während der Phase der Beurlaubung gleichwohl an Veranstaltungen teilzunehmen sowie Prüfungen abzulegen. Dies wird das [X.] nach Wiedereröffnung des Berufungsverfahrens zu überprüfen haben (dazu im Einzelnen B[X.] Urteil vom [X.] - B 4 AS 102/11 R - [X.]-4200 § 7 [X.] RdNr 19).

Die Beurlaubung führt aber auch dann zum Wegfall der Förderfähigkeit dem Grunde nach, wenn - was hier näher liegt - die Klägerin sich tatsächlich nicht entsprechend betätigt hat (dazu B[X.] aaO, Rd[X.] mwN zur Rechtsprechung des [X.]). Gehört der Studierende der [X.] organisationsrechtlich auch im Urlaubssemester an, greift der Ausschluss von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs 5 Satz 1 [X.]B II immer dann, wenn er die Ausbildung auch tatsächlich betreibt. Ist dies nicht der Fall, entfällt auch der Ausschlussgedanke des § 7 Abs 5 [X.]B II, mit Leistungen nach dem [X.]B II das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung nicht zu ermöglichen. Hilfebedürftigkeit hat der Leistungsberechtigte dann ggf durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit (vgl § 10 [X.]B II) abzuwenden. Auch die Frage, ob etwa ein Praktikum zugunsten einer Arbeitsaufnahme abgebrochen werden muss, entscheidet sich nach den hier aufgeführten Kriterien.

Die Klägerin hat insoweit vorgetragen, das Praktikum sei zwar studienbegleitend gewesen, habe aber nicht der unmittelbaren Vorbereitung des Abschlusses (insbesondere durch häusliche Prüfungsvorbereitungen) gedient. Sie habe deshalb das Studium während des [X.] tatsächlich nicht mehr betrieben. Das [X.] ist dem gefolgt. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das [X.] diesen Vortrag auf die Berufung des Beklagten hin zu überprüfen haben.

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 14 AS 197/11 R

22.08.2012

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Leipzig, 15. Juli 2010, Az: S 18 AS 4100/09, Urteil

§ 7 Abs 5 S 1 SGB 2, § 2 Abs 1 S 1 Nr 6 BAföG, § 20 Abs 3 HSchulG SN 2008

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 22.08.2012, Az. B 14 AS 197/11 R (REWIS RS 2012, 3774)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3774

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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