Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 1 ABN 36/18

1. Senat | REWIS RS 2018, 2591

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Grundsatzbeschwerde - geklärte Rechtsfrage


Tenor

Die Beschwerde der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des [X.] vom 10. April 2018 - 7 [X.] - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten haben über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts bei der Verwendung von [X.] zur Erfassung von Anwesenheitszeiten der Mitarbeiter, welche zuvor händisch erfasst worden ist, gestritten. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats, die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, ohne Zustimmung des Betriebsrats oder diese ersetzenden Spruch der Einigungsstelle in einer näher bezeichneten [X.] Tabelle näher bezeichneter Einträge mit näher bezeichneten Kürzeln vorzunehmen, (im Wesentlichen) stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin hat das [X.] (im Wesentlichen) zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer auf die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage und auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.

2

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

3

1. Die Grundsatzbeschwerde ist unbegründet.

4

a) Nach § 92a Satz 1 iVm. § 92 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Dazu muss der Beschwerdeführer nach § 92a Satz 2, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG dartun, dass die anzufechtende Entscheidung von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und deren Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (vgl. [X.] 14. April 2005 - 1 [X.] 840/04 - zu 2 c aa der Gründe mwN, [X.]E 114, 200). [X.] ist eine Rechtsfrage, wenn sie in der [X.] nach Maßgabe des Verfahrensrechts beantwortet werden kann. [X.] ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich noch nicht entschieden und ihre Beantwortung nicht offenkundig ist ([X.] 14. April 2005 - 1 [X.] 840/04 - aaO).

5

b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Bei der von der Arbeitgeberin formulierten Fragestellung

        

„Ist § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dahingehend auszulegen, dass selbst bei der Verwendung alltäglicher Standardsoftware, wie etwa dem Programm [X.], bereits die bloße Erleichterung schlichter Additionsvorgänge oder die bloße Möglichkeit der Verwendung von Funktionen, die allenfalls eine ebenso händisch mögliche Auswertung erleichtern, für die Annahme ausreicht, dass diese Standardsoftware zur Überwachung bestimmt ist, ohne dass hier zumindest eine gewisse Geringfügigkeitsschwelle überschritten werden muss?“

kann zwar trotz ihrer Interpretationsbedürftigkeit hinsichtlich einzelner Begrifflichkeiten („alltägliche Standardsoftware“; „gewisse Geringfügigkeitsschwelle“) von einer hinreichend konkret verfassten Rechtsfrage im nichtzulassungsbeschwerderechtlichen Sinn ausgegangen werden. Diese ist aber nicht klärungsbedürftig. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat ua. mitzubestimmen bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Ein datenverarbeitendes System ist zur Überwachung von Verhalten oder Leistung der Arbeitnehmer bestimmt, wenn es individualisierte oder individualisierbare Verhaltens- oder Leistungsdaten selbst erhebt und aufzeichnet, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die erfassten und festgehaltenen Verhaltens- oder Leistungsdaten auch auswerten oder zu Reaktionen auf festgestellte Verhaltens- oder Leistungsweisen verwenden will. Überwachung in diesem Sinn ist sowohl das Sammeln von Informationen als auch das Auswerten bereits vorliegender Informationen ([X.] 25. September 2012 - 1 [X.] - Rn. 21). In diesem Zusammenhang ist geklärt, dass etwa die Nutzung und der Einsatz des [X.] [X.] zur Personalverwaltung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegt ([X.] 25. September 2012 - 1 [X.] -). Es ist offenkundig, dass für andere softwarebasierte Personalverwaltungssysteme nichts Abweichendes gilt, mag diesen auch „alltägliche Standardsoftware“ (hier das Tabellenkalkulationsprogramm [X.] als Bestandteil des [X.]) zugrunde liegen (zumal es sich bei einem [X.] ebenso um ein Standardsoftwareprodukt handelt). Desgleichen liegt auf der Hand, dass es für die „Bestimmung zur Überwachung“ iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht auf eine - wie auch immer im Einzelnen verfasste - „Geringfügigkeitsschwelle“ ankommt. Das Mitbestimmungsrecht ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schutzwerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind. Die auf technischem Wege erfolgende Ermittlung und Aufzeichnung von Informationen über Arbeitnehmer bei der Erbringung ihrer Arbeitsleistung bergen die Gefahr in sich, dass sie zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht werden, die anonym personen- oder leistungsbezogene Informationen erhebt, speichert, verknüpft und sichtbar macht. Den davon ausgehenden Gefährdungen des Persönlichkeitsrechts von Arbeitnehmern soll das Mitbestimmungsrecht entgegenwirken ([X.] 13. Dezember 2016 - 1 [X.] - Rn. 21, [X.]E 157, 220). Nach diesem höchstrichterlich geklärten Zweck des Mitbestimmungsrechts scheidet die Annahme des Überschreitens einer „Erheblichkeits- oder Üblichkeitsschwelle“ als Voraussetzung für die Mitbestimmung des Betriebsrats bei § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG von vornherein aus, zumal offenkundig ist, dass im Zusammenhang mit digitaler Personalverwaltung erfasste Daten - unabhängig von der konkret genutzten Software - für Verarbeitungsvorgänge zur Verfügung stehen, die für eine Überwachung genutzt werden können.

6

II. Die weiter angebrachte Divergenzbeschwerde genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an ihre Begründung.

7

1. Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde eine Divergenz iSv. § 92a Satz 1 iVm. § 92 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung nach § 92a Satz 2, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ArbGG die Entscheidung bezeichnen, von der die anzufechtende Entscheidung abweicht. Eine Abweichung iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ArbGG setzt voraus, dass die Entscheidung des [X.]s zu einer Rechtsfrage einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem abstrakten Rechtssatz abweicht, den eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG abschließend genannten Gerichte zu der gleichen Rechtsfrage aufgestellt hat. Der abstrakte Rechtssatz muss vom [X.] nicht ausdrücklich formuliert worden sein, sondern kann sich als „verdeckter Rechtssatz“ auch aus fallbezogenen Ausführungen ergeben ([X.] 18. Mai 2004 - 9 [X.] 653/03 - zu II 2 b aa der Gründe mwN, [X.]E 110, 352). Das ist aber als erforderlicher Deduktionsvorgang aufzuzeigen.

8

2. Soweit die Arbeitgeberin vorliegend den auf die Würdigung des Einzelfalls bezogenen Ausführungen im anzufechtenden Beschluss (vgl. S. 11 der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung) die beiden von ihr behaupteten abstrakten Rechtssätze (vgl. S. 10 der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung) entnimmt, welche ihrerseits von Rechtssätzen der angezogenen Senatsentscheidung vom 10. Dezember 2013 (- 1 [X.] -) abweichen sollen, legt sie die erforderliche Ableitung nicht dar. Es genügt für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht, wenn ein von einer herangezogenen Entscheidung abweichender Rechtssatz der anzufechtenden Entscheidung mittels der Erwägung entnommen wird, das Gericht müsse angesichts seiner Argumente von eben diesem Rechtssatz ausgegangen sein.

        

    Schmidt    

        

    Treber    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Fasbender    

        

    O. Deinert    

                 

Meta

1 ABN 36/18

23.10.2018

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABN

vorgehend ArbG Detmold, 14. Oktober 2016, Az: 3 BV 22/16, Beschluss

§ 92a S 1 ArbGG, § 92 Abs 1 S 2 ArbGG, § 72 Abs 2 Nr 1 ArbGG, § 87 Abs 1 Nr 6 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 1 ABN 36/18 (REWIS RS 2018, 2591)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2591

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 ABN 27/12 (Bundesarbeitsgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage und einer entscheidungserheblichen Divergenz - absoluter …


7 ABN 79/19 (Bundesarbeitsgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Beteiligung am Verfahren - Betriebsratswahl - Wahlanfechtung - Ablehnung eines Richters - Befangenheit …


7 ABN 78/19 (Bundesarbeitsgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Beteiligung am Verfahren - Delegiertenwahl - Aufsichtsrat - Wahlanfechtung - Betriebsbegriff - Divergenz


9 AZN 979/09 (Bundesarbeitsgericht)

Kostenentscheidung bei teilweiser Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde


7 TaBV 113/16 (Landesarbeitsgericht Hamm)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.