Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.09.2017, Az. IX ZR 261/15

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 5342

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2017:140917UIXZR261.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL

IX ZR 261/15

Verkündet am:

14. September 2017

Kluckow

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
[X.] § 103; BGB §§ 649, 651
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers stellt für sich genommen keinen wichtigen, die Vergütungsansprüche des Unternehmers aus-schließenden Grund für die Kündigung eines nach dem Eröffnungsantrag geschlossenen Werklieferungsvertrages dar.

[X.], Urteil vom 14. September 2017 -
IX ZR 261/15 -
OLG [X.]

LG [X.] I

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. September 2017
durch [X.] [X.], die Richterin [X.], [X.] [X.], [X.] und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:

Die Revision
der [X.] gegen
das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts [X.]
vom 21. Oktober 2015 wird auf Kos-ten der [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem am 1.
April 2013 eröffneten
Insolvenzver-fahren über das Vermögen der M.

GmbH (fortan: [X.]). In einem Rahmenvertrag vom 28.
Juli 2008
hatte sich die Schuldnerin
ge-genüber der [X.] zur Lieferung näher bezeichneter Metallgussteile
an nä-her bezeichnete bezugsberechtigte
Werke
verpflichtet.
Im Oktober 2012 bean-tragte sie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen.
Mit [X.] vom 22.
Oktober 2012 wurde der Kläger zum vorläufigen Verwalter über das Vermögen der Schuldnerin bestellt und angeordnet, dass Verfügun-gen
der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam waren.
Der Kläger machte eine Fortsetzung der Lieferungen von einem Preis-aufschlag von 30 v.H. abhängig.
Unter dem 1./4.
März 2013 schlossen die [X.] eine Vereinbarung,
nach welcher
die Beklagte weiter beliefert wurde, aber 1
-
3
-
einen Aufschlag von 30 v.[X.] zu zahlen hatte. Die Vereinba-rung sollte mit Ablauf des 31.
März 2013 enden, wenn keine Verlängerung zu-stande kommen würde.

Am 26.
März 2013 wurde der Kläger zum starken vorläufigen Verwalter bestellt.
Am 27.
März 2013 übersandte der Kläger der [X.] den Entwurf einer neuen Vereinbarung, in welcher auf die Bestellung zum vorläufigen star-ken Insolvenzverwalter und auf die in Aussicht genommene Eröffnung des [X.] am 1.
April 2013 Bezug genommen wurde. Für Lieferungen der Schuldnerin ab dem 1.
April
2013 sollte die Beklagte
einen Aufschlag von 38
v.H. auf den bis zur Vereinbarung vom 1./4. März 2013 geltenden Nettopreis zahlen. In Abschnitt d)
des Entwurfs heißt es:

"Wahlreicht nach § 103 [X.] nicht aus. Die Weiterbelieferung -
auch nach Eröff-nung des Insolvenzverfahrens
-
ist für die [X.]en keine konkludente Erfül-lungswahl hinsibereits vor Antragstellung abgeschlossener Verträge im Sinne von § 103 [X.]."

Die Beklagte antwortete unter dem 28.
März 2013,
sie wolle sich nicht weiter unter Druck setzen lassen und sehe
keine Grundlage für eine weitere Geschäftsbeziehung.
Dieses Schreiben ging am 2.
April 2013 beim Kläger ein.
Der Kläger antwortete am 2.
April 2013 unter Bezugnahme auf ein Telefonat vom selben Tage, er werde die Produktion für die Beklagte einstellen.
Die [X.] erwiderte am 3.
April 2013, ihrer Ansicht nach liege in den seit dem 1.
April 2013 ausbleibenden Lieferungen eine implizite Wahl der Nichterfüllung, so dass keine Einwände gegen den Produktionsstopp bestünden.
Am 11.
April 2013 schrieb
ein der Kanzlei des [X.] angehörender Rechtsanwalt auf dem 2
3
4
-
4
-
Briefpapier der Anwaltskanzlei ohne Hinweis darauf, dass er für den Kläger als Verwalter handeln wolle,
an die Beklagte, nicht der
Kläger, sondern die [X.] habe die Geschäftsbeziehung beendet. Wenn die Beklagte an einer einver-nehmlichen Regelung interessiert sei, sei der Kläger

bereit, die von der [X.]n abgerufenen Teile zu den Preisen und Bedingungen der Vereinbarung vom 1./4.
März 2013 zu liefern.

Der Kläger meint, die Beklagte habe mit dem
Schreiben vom 28.
März 2013 den zwischen ihr und der Schuldnerin geschlossenen [X.] wirksam gekündigt. Er verlangt, soweit jetzt noch von Interesse,
den in der Fortführungsvereinbarung vereinbarten Werklohn
abzüglich ersparter Aufwen-dungen
für die bestellten, aber
nicht abgenommenen Metallgussteile
in Höhe von 1.106.000,61

Ersatz sämtlicher durch die Nichtabnahme entstandener gegenwärtiger und künftiger Schäden
verpflichtet sei. Das [X.] hat die Beklagte insoweit antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der [X.] ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision will die Beklagte weiterhin die [X.]e Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

5
6
-
5
-
I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der zwischen der Schuldnerin und der [X.] bestehende Rahmenvertrag sei durch die Fortführungsvereinba-rung Anfang März 2013 modifiziert worden, habe aber fortbestanden. Die [X.] Abrufe hätten jeweils zu [X.]n geführt. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die angeforderten Leistungen abzunehmen und nach Maßgabe der Fortführungsvereinbarung zu bezahlen. Die [X.] seien nicht durch eine Nichterfüllungswahl gemäß §
103 [X.] obsolet ge-worden. Das Wahlrecht entstehe erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfah-rens; Rechtshandlungen vor dem 1.
April 2013 seien insoweit unbeachtlich. Das Schreiben der [X.] vom 28.
März 2013 stelle eine
Kündigung gemäß §
649 BGB dar. Ein Rücktrittsgrund nach anderen Vorschriften des BGB habe
nicht bestanden. Insbesondere habe das Schreiben vom 26.
März 2013 keinen solchen Grund geboten. Der Kläger habe sich allerdings vertragswidrig verhal-ten. Von einer zum Rücktritt berechtigenden endgültigen und ernsthaften [X.] könne jedoch nicht ausgegangen werden. Die Beklagte müsse daher die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen zahlen.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung
im Ergebnis stand.

1.
Zwischen der [X.] und der Schuldnerin sind Werklieferungsver-träge zustande gekommen, indem die Beklagte nach Maßgabe des Rahmen-7
8
9
-
6
-
vertrages vom 28.
Juli 2008 und der [X.] vom 1./4.
März 2013 Leistungen der Schuldnerin abgerufen hat.
Die Schuldnerin hatte [X.] nicht vertretbare Sachen nach Maßgabe der jeweils aktuellen Anlage zum Rahmenvertrag herzustellen.
Für die Verträge gelten damit die in §
651 Satz 3 BGB genannten Bestimmungen, insbesondere diejenige des §
649 BGB.

2. Mit ihrem dem Kläger am 2.
April 2013 zugegangenen Schreiben vom 28.
März 2013 hat die Beklagte diese Verträge
wirksam
gekündigt.

a) Die Auslegung des Schreibens vom 28.
März 2013 als Kündigungser-klärung
durch das Berufungsgericht kann revisionsrechtlich nur daraufhin über-prüft werden, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungs-stoff außer [X.] gelassen wurde ([X.], Urteil vom 7.
Februar 2002 -
I
ZR 304/99, [X.]Z 150, 32, 37; vom 12.
April 2016 -
XI
ZR 305/14, [X.]Z 210, 30
Rn.
49). Solche Auslegungsfehler liegen hier nicht vor.

b) Die [X.] konnten nach der Eröffnung des [X.] nach
§ 649 BGB gekündigt werden.

(1) Die Bestellungen aus der [X.] vor der Eröffnung des Insolvenzverfah-rens, aus welchen der Kläger seinen Anspruch herleitet, stellten gegenseitige Verträge gemäß §
103 [X.] dar, die im [X.]punkt der Eröffnung weder von der Schuldnerin noch von der [X.] vollständig erfüllt worden waren. Die Eröff-nung des Insolvenzverfahrens hatte auf den Bestand und den Inhalt dieser Ver-träge keinen Einfluss. Sie blieben vielmehr in der Lage bestehen, in welcher sie sich bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens befanden (vgl. [X.], Urteil vom 25.
April 2002 -
IX
ZR 313/99, [X.]Z 150, 353, 359; vom 7.
Februar 2013
10
11
12
13
-
7
-
-
IX
ZR 218/11, [X.]Z 196, 160 Rn. 8; MünchKomm-[X.]/[X.], 3.
Aufl., §
103 Rn. 15). Als Folge der Eröffnung verloren die Ansprüche der [X.] auf die bestellten Metallgussteile und diejenigen der Schuldnerin auf den entsprechen-den Werklohn allerdings ihre Durchsetzbarkeit ([X.], Urteil vom 25.
April 2002, aaO; vom 19.
November 2015 -
IX
ZR 198/14, [X.], 90 Rn. 18). Die [X.]
konnte ihre Ansprüche auf Lieferung der bestellten Teile nicht mehr durchsetzen; der Kläger als Verwalter konnte, solange er nicht die Erfüllung der Verträge wählte, weder die Abnahme der Teile noch die Zahlung von Werklohn verlangen. Die Verträge
mussten
grundsätzlich insolvenzrechtlich abgewickelt werden.

(2)
Das in §
649 BGB geregelte Kündigungsrecht des Bestellers besteht auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des [X.] fort.

Die [X.] enthält keine Vorschrift, welche das Kündigungs-recht des Bestellers in der Insolvenz des Unternehmers ausschließt. Der Schutz der Masse verlangt keine derartige Einschränkung des Kündigungsrechts. Die Vorschrift des §
649 Satz 1 BGB gestattet es dem Besteller, den Werkvertrag jederzeit zu kündigen. Die Zubilligung dieses freien
Kündigungsrechts beruht auf der gesetzgeberischen Überlegung, dass vorzugsweise der Besteller an der Ausführung der Werkleistungen interessiert ist und er deshalb die Möglichkeit einer Lösung vom [X.] erhalten soll, dass dieses Interesse ent-fällt. Dem in erster Linie auf die Vergütung gerichteten Interesse des [X.] trägt §
649 Satz 2 BGB
dadurch Rechnung, dass ihm der Anspruch auf die Gegenleistung im Ausgangspunkt auch für diejenigen Leistungen ver-bleibt, die er wegen der Kündigung des Vertrages nicht mehr erbringen muss 14
15
-
8
-
([X.], Urteil vom 27.
Januar 2011 -
VII
ZR 133/10, [X.]Z 188, 149 Rn. 11). Nichts anderes gilt für [X.] über unvertretbare Leistungen.

Der [X.] hat die Frage
der Zulässigkeit
einer Kündigung nach §
649 BGB in der Insolvenz des Unternehmers noch nicht entschieden.
In früheren Entscheidungen
ist er jedoch vom Fortbestand eines vertraglich ver-einbarten Kündigungsrechts nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens [X.] ([X.], Urteil vom 27.
Mai 2003 -
IX
ZR 51/02, [X.]Z 155, 87, 90).
Eine
Kündigung nach §
8 Abs.
2 Nr. 1 Fall 2, §
8 Abs.
2 Nr. 2 VOB/B (2009)
in der Insolvenz des Unternehmers
wurde insbesondere deshalb für zulässig gehal-ten, weil diese Bestimmung nicht wesentlich vom gesetzlichen Leitbild des §
649 BGB abweiche
([X.], Urteil vom 7. April 2016 -
[X.], [X.]Z 210, 1 Rn.
25
f). Das Kündigungsrecht gemäß §
649 BGB wird damit stillschweigend vorausgesetzt.
Schließlich ist auch der Gesetzgeber der [X.] von einem jederzeitigen Kündigungsrecht des Bestellers in der Insolvenz des [X.] ausgegangen (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S.
153 zu §
137 [X.]-E).

c) Die Kündigung war
schließlich
nicht im Hinblick auf eine im Schreiben des [X.] vom 27.
März 2013 enthaltene
Erfüllungsablehnung unwirksam.

(1) Gemäß §
103 [X.] kann der Verwalter die Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahren geschlossen, beidseits nicht vollständig [X.] verlangen oder die Erfüllung des Vertrages ablehnen. Er ist nicht berechtigt, den Vertrag inhaltlich zu ändern. Es gibt grundsätzlich keine den ursprünglichen Vertrag modifizierende oder nur einzelne Ansprüche oder Rechte betreffende Erfüllungswahl ([X.], Urteil vom 10.
August 2006
-
IX
ZR 28/05, [X.]Z 169, 43 Rn. 14). Ein Erfüllungsverlangen unter Vorbehal-16
17
18
-
9
-
ten wird deshalb häufig als Ablehnung der Erfüllung anzusehen
sein
([X.], Ur-teil vom 11.
Februar 1988 -
IX
ZR 36/87, [X.]Z 103, 250, 253 zu §
17 KO).

(2) Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß §
103 [X.] entsteht jedoch erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Wortlaut der Vor-schrift ist eindeutig. Das Wahlrecht steht dem Insolvenzverwalter zu, nicht dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Es setzt zudem einen gegenseitigen Vertrag zwischen dem Insolvenzschuldner und dem anderen Teil voraus, welcher zur [X.] der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von keiner Vertragspartei [X.] erfüllt war. Vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann diese Voraus-setzung nicht erfüllt sein. Die Vorschrift des §
103 [X.] steht
im Zweiten Ab-schnitt des Dritten Teils der [X.], welcher sich mit den Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens befasst. Sinn und Zweck der Vorschrift ist schließlich der Schutz der Insolvenzmasse. §
103 [X.] ermöglicht dem [X.], einen von keiner Seite bereits vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag zum Vorteil der Masse und damit der Gläubigergesamtheit auszuführen und damit zugleich dem Vertragspartner den durch das funktionelle [X.] vermittelten Schutz zu erhalten (vgl. [X.], Urteil vom 7.
März 2002 -
IX
ZR 457/99, [X.]Z 150, 138, 148
mwN).
Ob das Festhalten am [X.] nützt, kann typischerweise erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entschieden werden. Die Vorschrift des §
22 [X.], welche die Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters regelt, verweist schließlich nicht auf §
103 [X.]. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] und allgemeiner Meinung
in der Fachliteratur ist §
103 [X.] daher auf den vorläufigen Insol-venzverwalter nicht anwendbar (vgl. etwa [X.], Urteil
vom 30.
Januar 1986 -
IX
ZR 79/85, [X.]Z 97, 87, 90 (zu §
17 KO);
vom 8.
November 2007 -
IX
ZR 53/04, [X.], 2331 Rn. 9; vom 26.
Juni 2008 -
IX
ZR 47/05, [X.], 1442 19
-
10
-
Rn. 30; MünchKomm-[X.]/[X.], 3.
Aufl., §
103 Rn.
150; HK-[X.]/[X.], 8. Aufl., §
103 Rn. 117 f; [X.]/Ringstmeier, [X.], 19.
Aufl., §
103 Rn. 21).

(3)
Die Revision verweist demgegenüber auf die Senatsrechtsprechung zur Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Verfügungsbefugnis ([X.], Urteil vom 9.
Dezember 2004 -
IX
ZR 108/04, [X.]Z 161, 315; vom 10. Januar 2013 -
IX
ZR 161/11, [X.], 510 Rn. 18; vom 7.
April 2016 -
VII
ZR 56/15, [X.]Z 210, 1 Rn. 52). Der Vertragspartner des späteren Insolvenzschuldners, der mit Zustimmung des vorläufigen [X.]s einen Vertrag geschlossen oder Leistungen des Schuldners entgegen ge-nommen
hat, kann unter bestimmten Voraussetzungen darauf vertrauen, dass die Rechtshandlung Bestand hat, also vom Verwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr angefochten wird. Ebenso müsse der Verwalter unter den genannten Umständen an Verträge gebunden sein, deren Erfüllung der vorläufige Verwalter ohne Verfügungsbefugnis verlangt habe. Gleiches müsse in dem hier gegebenen Fall gelten, dass der vorläufige Verwalter der Sache nach erklärt habe, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht an
den
bestehenden Verträgen festhalten zu wollen. Der Verwalter müsse
an die Erklärungen des vorläufigen Verwalters gebunden sein.

Eine Übertragung des Rechtsgedankens der Rechtsprechung zur Ein-schränkung der Anfechtung von Rechtshandlungen, denen der vorläufige [X.] zugestimmt hatte, auf das Schreiben des [X.] vom 27.
März 2013 kommt hier schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Die von der [X.] in Bezug genommene Senatsrechtsprechung beruht auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes. Der Gläubiger darf regelmäßig davon ausgehen, die Leistungen des Schuldners behalten zu dürfen, wenn der vorläufige Verwalter vorbehaltlos zugestimmt hat (vgl. [X.], Urteil vom 10.
Januar 2013, aaO). Das 20
21
-
11
-
Angebot vom 27.
März 2013 stammte vom Kläger als dem damaligen vorläufi-gen starken Verwalter.
Hätte die Beklagte das Angebot angenommen, wäre ein
den Kläger als endgültigen Verwalter bindender Vertrag zustande gekommen (§
55 Abs.
2 Satz 1 [X.]). Die Beklagte hat das Angebot jedoch nicht ange-nommen; dazu war sie auch nicht verpflichtet. Wie der Kläger sich
nunmehr
nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verhalten würde, war damit offen. Gemäß §
103 [X.] konnte er die Erfüllung der bis zu diesem [X.]punkt ge-schlossenen, von keiner Seite vollständig erfüllten
[X.]
nach Maßgabe der Vereinbarung vom 1./4.
März 2013
wählen oder aber deren Erfül-lung ablehnen.
Im Schreiben vom 27.
März 2013 heißt es dazu nur, Lieferungen vor Abschluss der neuen Vereinbarung stellten keine Erfüllungswahl im Sinne von §
103 [X.] dar.
Es war also nicht von vornherein
ausgeschlossen, dass die bestellten Metallgussteile nach der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens
noch geliefert werden würden, auch wenn die Beklagte den Entwurf nicht unterzeich-nete.
Ob unter
ganz
besonderen Umständen der Verwalter an Erklärungen des vorläufigen Verwalters, nach der Eröffnung einen Vertrag erfüllen oder nicht erfüllen zu wollen, gebunden sein kann

242 BGB), bedarf damit keiner Ent-scheidung.
Ebenso bleibt offen, welche Rechte die Beklagte bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus diesem Schreiben hätte herleiten können.

3.
Die Voraussetzungen einer Kündigung aus wichtigem Grund waren nicht erfüllt.

a) Die Vorschrift des §
314 BGB greift nicht ein. Gemäß
§
314
Abs. 1
Satz
2
BGB ist ein wichtiger Grund, der zur Kündigung eines [X.] berechtigt, dann gegeben, wenn dem kündigenden Teil unter Be-rücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beider-seitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbar-22
23
-
12
-
ten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Der Rahmenvertrag aus dem [X.] stellte ein Dauerschuld-verhältnis dar. Eine Kündigung dieses Vertrages ist jedoch nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Auch der Feststellungsantrag betrifft nur die Schäden, die aus der Nichterfüllung der einzelnen [X.] entstanden sind und noch entstehen werden.

b) Eine Kündigung aus wichtigem Grund sieht §
649 BGB in seiner der-zeit noch geltenden Fassung nicht vor. Nach ständiger
Rechtsprechung des [X.] ist der Auftraggeber eines Werkvertrages jedoch berech-tigt, den Vertrag zu kündigen, wenn durch ein schuldhaftes Verhalten des [X.] der Vertragszweck so gefährdet ist, dass der vertragstreuen [X.] die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann ([X.], Urteil vom 23.
Mai 1996 -
VII
ZR 140/95, [X.], 2023, 2024 mwN; vom 7.
April 2016 -
VII
ZR 56/15, [X.]Z 210, 1 Rn. 40). Kündigt der Besteller aus wichtigem Grund, entfällt der Vergütungsanspruch des Auftragnehmers
aus §
649 Satz 2 BGB
für noch nicht erbrachte Leistungen
([X.], Urteil vom 7.
April 2016,
aaO Rn.
40,
52 mwN).

(1) Im Bauvertragsrecht ist ein wichtiger Grund unter anderem dann an-zunehmen, wenn der Auftragnehmer das für den Bauvertrag als eines auf Ko-operation der Vertragspartner angelegten Langzeitvertrags vorauszusetzende Vertrauensverhältnis durch sein schuldhaftes Verhalten derart empfindlich stört, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet und dem Auftraggeber die Vertragsfortsetzung nicht mehr zumutbar ist ([X.], Urteil vom 7.
April 2016, aaO). Die Vorschrift des §
648a Abs.
1 Satz 2 BGB in der Fassung des Geset-zes zur
Reform des Bauvertragsrechts
(u.a.)
vom 28.
April 2017
(BGBl. I 969), die am 1.
Januar 2018
in [X.] treten wird, erlaubt eine fristlose Kündigung aus 24
25
-
13
-
wichtigem Grund, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann; allerdings entfällt der Vergütungsanspruch des Unternehmers im Fall einer berechtigten Kündigung aus wichtigem Grund nicht insgesamt (vgl. §
648a Abs. 5 [X.]).

(2)
In der bereits zitierten Entscheidung vom 7.
April 2016 ([X.], [X.]Z 210, 1 Rn. 53 ff, 61) hat der für das Werkvertragsrecht zuständige VII.
Zivilsenat des [X.] einen wichtigen Grund für die Kündigung eines Bauvertrages bereits im Eigenantrag
des Unternehmers
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gesehen. Der Auftraggeber eines Bauvertrages habe regelmäßig ein schwerwiegendes, die Interessen der Insolvenzgläubiger an einer Fortführung des Bauvertrages erheblich überwiegendes Interesse daran, sich im Falle eines Eigeninsolvenzantrages des Auftragnehmers frühzeitig vom Vertrag lösen zu können und den ihm durch die anderweitige Vergabe der Restarbeiten etwa entstehenden Schaden geltend zu machen, ohne gemäß §
649 Satz 2 BGB gegenüber dem Insolvenzverwalter zur Zahlung einer Vergü-tung für nicht erbrachte Leistungen verpflichtet zu sein. Wegen der dem [X.] eingeräumten angemessenen Überlegungszeit sei dem Auftraggeber nicht zuzumuten, dessen Entschließung über die Fortführung des Bauvertrages nach §
103 [X.] abzuwarten. Zudem habe der Auftragnehmer mit seinem Eigenan-trag zum Ausdruck gebracht, dass ihm die finanziellen Mittel zur vertragsgemä-ßen Erfüllung des Bauvertrages fehlten
und er keine Gewähr mehr für die [X.] Vertragserfüllung geben könne. Der Verwalter, welcher mit der Eröffnung an die Stelle des Schuldners trete, könne das für die Erfüllung des [X.] nicht in gleicher Weise für sich in [X.] nehmen wie der Schuldner vor dem Eröffnungsantrag.
Seine fehlende 26
-
14
-
Liquidität habe der Schuldner gemäß §
276 Abs.
1 Satz 1 BGB auch dann zu vertreten, wenn er gemäß §
15a [X.] zur Antragstellung verpflichtet gewesen sei.

Auf den hier vorliegenden Fall der Kündigung einzelner [X.] lässt sich diese Rechtsprechung nicht übertragen. Die Beklagte hat ihre Kündigung nicht auf den Eigenantrag der Schuldnerin vom Oktober 2012 gestützt. Die Kündigung betraf vielmehr Verträge, die erst nach dem Insol-venzantrag und in dessen Kenntnis geschlossen worden waren.

(3) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welche die Beklagte zum [X.] ihrer Kündigung genommen hat und die ebenfalls auf den von der Schuld-nerin zu vertretenden Mangel an Zahlungsmitteln zurückzuführen ist, stellt kei-nen wichtigen Grund für die Kündigung der zuvor geschlossenen [X.] dar.

aa) Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin hatte die Beklagte zwar keine Sicherheit mehr darüber, ob der Verwalter die Verträge erfüllen würde oder nicht. Sie hatte nur noch die Mög-lichkeit
den Verwalter gemäß
§
103
Abs.
2 Satz 2 [X.]
zur Ausübung des Wahlrechts aufzufordern. Der Verwalter hat unverzüglich, also ohne schuldhaf-tes Zögern (§
121 Abs.
1 Satz 1 BGB) seine Entscheidung mitzuteilen. Welche Überlegungsfrist angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des [X.] (vgl. BT-Drucks. 12/2443, [X.] zu §
117 [X.]-E). Mit einer Ent-scheidung innerhalb weniger Tage hätte die Beklagte nicht ohne weiteres [X.] können, auch wenn die Interessen des Bestellers, der sich gegebenenfalls anderweitig eindecken muss, zu berücksichtigen sind (vgl. [X.]/[X.],
[X.], 2014, §
103 Rn. 211 f). Überdies bestand das im Insolvenzverfahren typi-27
28
29
-
15
-
scherweise höhere Risiko des Scheiterns der Betriebsfortführung. Selbst wenn der Kläger also die Erfüllung der [X.] gewählt hätte, wäre aus Sicht der [X.] möglicherweise zu befürchten gewesen, dass die Leis-tungen nicht ordnungsgemäß erbracht werden würden.

bb) Sowohl das Risiko der verzögerten Entscheidung über die Erfüllung der Verträge als auch dasjenige der Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren hat der Vertragspartner des Insolvenzschuldners nach der Eröffnung des [X.] jedoch hinzunehmen; eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen sie nicht. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters aus §
103 [X.] kann durch eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht unterlaufen werden. Das gilt sowohl in zeitlicher als auch in persönlicher Hinsicht. Die [X.] räumt dem Verwalter die Möglichkeit ein, sich unverzüglich -
also innerhalb an-gemessener, den Interessen beider Vertragsparteien Rechnung tragender Frist
-
für oder gegen eine Erfüllung vor der Eröffnung geschlossener und beid-seitig nicht vollständig erfüllter Verträge zu entscheiden. Entscheidet er sich für die Erfüllung eines Vertrages, ist der Vertrag wie vereinbart durchzuführen. [X.] Rechte des Verwalters hält die [X.] für so bedeutend, dass sie im Voraus nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden dürfen (§
119
[X.]). Dann können sie
aber auch
nicht
nach der Eröffnung des Insolvenzver-fahrens
zur Begründung einer Kündigung aus wichtigem Grund wegen einer typischerweise mit ihnen verbundenen Gefährdung des Vertragszwecks heran-gezogen werden.

(4) Auf das Schreiben des [X.] vom 27.
März 2013 konnte die Kündi-gung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr gestützt werden. Der Kläger hat in diesem Schreiben -
folgt man zugunsten der [X.] der Auslegung des Berufungsgerichts
-
zwar angekündigt, dass er sich nach der 30
31
-
16
-
Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr an die Vereinbarung vom 1./4.
März 2013 gebunden sehen würde. Die fehlende Bindung an Verträge, die vor der Eröffnung geschlossen wurden und im [X.]punkt der Eröffnung von [X.] Seite vollständig erfüllt waren, ist in §
103 [X.] jedoch vorgesehen. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund vor der Eröffnung möglich gewesen wäre, bedarf keiner Entscheidung.

4. Der Anspruch aus §
649 Satz 2 BGB setzt keine Erfüllungswahl des Verwalters voraus. Zwar kann der Verwalter grundsätzlich nur aus solchen Ver-trägen vertragliche Ansprüche herleiten, deren Erfüllung er gewählt hat (vgl. [X.], Urteil vom 19.
November 2015 -
IX
ZR 198/14, [X.], 90). Nachdem die Beklagte die [X.] jedoch wirksam gekündigt hatte, war eine Erfüllung der Herstellungs-
und Lieferungsansprüche der [X.] aus Rechtsgründen ausgeschlossen.

5. Gemäß §
649 Satz 2 BGB kann der Kläger Zahlung der vereinbarten Vergütung verlangen. Er muss sich dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung der Verträge an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige

32
33
-
17
-
Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Einwendungen gegen die Berechnung des
Anspruchs erhebt die Revision nicht.

Kayser
[X.]
Pape

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
LG [X.] I, Entscheidung vom 27.11.2014 -
12 [X.] 4346/14 -

OLG [X.], Entscheidung vom 21.10.2015 -
7 U 4916/14 -

Meta

IX ZR 261/15

14.09.2017

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.09.2017, Az. IX ZR 261/15 (REWIS RS 2017, 5342)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5342

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 261/15 (Bundesgerichtshof)

Abschluss eines Werklieferungsvertrages nach Insolvenzantrag des Unternehmers: Bestellerkündigung nach Insolvenzverfahrenseröffnung


VII ZR 56/15 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 213/21 (Bundesgerichtshof)

(Wirksamkeit einer insolvenzabhängigen Kündigungsklausel in einem Schülerbeförderungsvertrag)


IX ZR 198/14 (Bundesgerichtshof)


VII ZR 56/15 (Bundesgerichtshof)

Bauvertrag: Einbeziehung einer insolvenzabhängigen Lösungsklausel; Vereinbarung einer vom Auftragnehmer zu stellenden Vertragserfüllungsbürgschaft über 10 % …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZR 261/15

VII ZR 56/15

7 U 4916/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.