Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2018, Az. 1 StR 438/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 3010

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Revisionsgerichtliche Prüfung der Beweiswürdigung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 14. Mai 2018 – soweit es ihn betrifft – mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten und den nicht revidierenden Mitangeklagten [X.]    jeweils wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Den Angeklagten hat es deswegen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen seine Verurteilung mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 [X.]).

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s übernahmen die Angeklagten aufgrund eines ihnen von dritter Seite erteilten Auftrags am 9. oder 10. Juli 2017 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken von einer namentlich nicht bekannten Person in D.      496,14 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 52,8 % (mindestens 261,9 g [X.]) zum weiteren Transport über [X.] nach [X.], wobei sie wussten, dass dieses zuvor über die [X.] ins [X.] verbracht worden war. Am 11. Juli 2017 fuhren sie in Ausführung des gemeinsam gefassten Tatentschlusses mit dem vakuumiert in einer Schachtel verpackten und im Koffer des Mitangeklagten verstauten Heroin in einem Flixbus von D.      in Richtung der [X.], um das Rauschgift auftragsgemäß über [X.] nach [X.] zu verbringen, wo es – wie beide wussten – weiterveräußert werden sollte. Um 13 Uhr desselben Tages wurden die Angeklagten in dem Bus auf der [X.] bei [X.]    einer polizeilichen Kontrolle unterzogen, bei der das Rauschgift in dem im Gepäckraum des Busses verstauten Koffer aufgefunden wurde. Für den Transport sollten die Angeklagten neben dem an den Mitangeklagten übergebenen Spesenbetrag in Höhe von 1.500 € ein Entgelt von insgesamt 3.000 € erhalten.

II.

3

1. Der den Angeklagten betreffende Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die diesem zugrunde liegenden Feststellungen nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung beruhen.

4

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen ([X.], Urteil vom 28. März 2018 – 2 [X.], juris Rn. 9; Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, [X.], 367, 368). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind ([X.], Urteile vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18, StraFo 2018, 399, 400 und vom 28. März 2018 – 2 [X.], aaO; Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf die Frage beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18, aaO; vom 28. März 2018 – 2 [X.], aaO und vom 6. November 1998 – 2 [X.], [X.]R [X.] § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei [X.]/[X.], [X.], 61. Aufl., § 261 Rn. 38).

5

b) Ein solcher Rechtsfehler liegt hier vor, weil die Beweiswürdigung, aufgrund deren sich das [X.] davon überzeugt hat, dass der Angeklagte das für den Verkauf durch einen [X.] vorgesehene Rauschgift gemeinsam mit dem Mitangeklagten auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses übernommen und in Richtung der [X.] verbracht hat, lückenhaft ist.

6

aa) Bei Fallkonstellationen, in denen das Gericht der Aussage des einzigen Belastungszeugen oder der belastenden Einlassung des Mitangeklagten – wie hier – nur teilweise folgt und es in anderen Teilen Zweifel an dessen Darstellung hat oder diese sogar für widerlegt hält, kann den belastenden Angaben dieses einzigen Zeugen oder Mitangeklagten nur dann gefolgt werden, wenn das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat ([X.], Urteil vom 12. Dezember 2012 – 5 [X.], [X.], 119 mwN; Beschlüsse vom 22. Januar 2002 – 5 [X.], [X.], 146 und vom 16. Februar 2000 – 3 StR 28/00, [X.], 599 f.); regelmäßig ist dabei zudem zu verlangen, dass es außerhalb der Aussage oder Einlassung Gründe von erheblichem Gewicht gibt, die für die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben sprechen. Diese sind in den Urteilsgründen darzulegen ([X.], Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 [X.], [X.]St 44, 153, 159; Beschluss vom 27. November 2017 – 5 [X.], [X.], 116).

7

bb) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des [X.]s nicht gerecht. Zwar liegt hier nicht hinsichtlich des gesamten Tatgeschehens eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor. Vielmehr stützt das [X.] seine Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, insbesondere zum Reiseverlauf, auf weitgehend übereinstimmende Angaben der Angeklagten und weitere Beweismittel. Zudem hat der Angeklagte selbst eingeräumt, dass ihm klar geworden sei, „dass es sich tatsächlich um ein Drogengeschäft handelte“ ([X.]). Die vorliegende Fallkonstellation zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass hinsichtlich der zentralen Frage, ob die Angeklagten das Rauschmittel auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses übernommen und in Richtung der [X.] transportiert haben, Aussage gegen Aussage steht, und das [X.] insoweit den Angaben des Mitangeklagten folgt, obwohl dessen Angaben im Übrigen „nicht uneingeschränkt plausibel“ ([X.]) und daher in Teilen nicht glaubhaft waren.

8

Es liegt damit eine Beweislage vor, bei der die Urteilsgründe erkennen lassen müssen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in die gebotene Gesamtwürdigung der Indizien einbezogen hat. Zudem ist anhand außerhalb der belastenden Aussage liegender Umstände nachvollziehbar zu begründen, warum der Darstellung des Mitangeklagten zur Tatbeteiligung des Angeklagten gefolgt werden kann, obwohl dessen Einlassung vom Gericht in Teilen als nicht glaubhaft angesehen wurde.

9

Daran fehlt es hier. Das [X.] hat keine ausreichenden, außerhalb der Einlassung des Mitangeklagten liegenden Umstände benannt, die geeignet sind zu begründen, warum der den Angeklagten belastenden Darstellung des Mitangeklagten zu folgen ist. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das Urteil hierauf beruht.

cc) Ergänzend bemerkt der [X.]:

Ausgehend davon, dass der Angeklagte bestritten hat, den Auftrag zum Transport von Heroin nach [X.] gemeinsam mit dem Mitangeklagten übernommen und (in Teilen) ausgeführt zu haben, hätte das [X.] im Rahmen der Beweiswürdigung hinsichtlich des in den Urteilsgründen im Wortlaut wiedergegebenen [X.]s vom 8. Juli 2017 ([X.] f.) jedenfalls auch erörtern müssen, dass dieser neben den im Plural („wir“) verfassten Nachrichten mehrere ausgehende Nachrichten enthält, die nicht im Plural abgefasst sind, sondern im Singular (z.B. „…dann schicke ich die Adresse“, „Ok ich warte“, „Ich will ihn sehen...", „[X.] in 15 Minuten da“). Gleiches gilt für die vom Mobiltelefon des Mitangeklagten am 8. Juli 2017 ab 22.34 Uhr versandten – durchgehend im Singular gefassten – Textnachrichten ([X.]), mittels derer die Ergebnisse der durchgeführten Tests mit der dem Mitangeklagten in [X.]     überlassenen [X.] übermittelt wurden. Nachdem der Angeklagte bestritten hat, den Auftrag zum Transport des Heroins nach [X.] gemeinsam mit dem Mitangeklagten übernommen und (in Teilen) ausgeführt zu haben, stellt der vorgenannte [X.] ein gewichtiges Indiz für die Frage der Tatbeteiligung des Angeklagten dar, das in die Gesamtwürdigung hätte einbezogen werden müssen.

2. Der Rechtsfehler in der Beweiswürdigung führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen, soweit es den Angeklagten betrifft. Von der Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sieht der [X.] ab, um dem neuen Tatrichter auf der Grundlage einer neuen Beweisaufnahme insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (vgl. § 353 Abs. 2 [X.]).

Für die neue Hauptverhandlung weist der [X.] darauf hin, dass bereits nach der eigenen Einlassung des Angeklagten seine Tatbeteiligung zumindest als Gehilfe des Mitangeklagten in Betracht kommt.

Jäger     

      

Cirener     

      

Fischer

      

Bär     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 438/18

10.10.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Passau, 14. Mai 2018, Az: 14 Js 7654/17 - 2 KLs

§ 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2018, Az. 1 StR 438/18 (REWIS RS 2018, 3010)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 945 REWIS RS 2018, 3010

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 352/18 (Bundesgerichtshof)

Strafurteil wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung: Anforderungen an die Darlegung der Ergebnisse von molekulargenetischen Vergleichsuntersuchungen und …


3 StR 285/21 (Bundesgerichtshof)

Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln: Mitfahrt als Beifahrer in einem Kurierfahrzeug


1 StR 218/19 (Bundesgerichtshof)

Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Vorsätzliches Handeln des Drogenkuriers hinsichtlich …


2 StR 21/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln: Voraussetzungen der Mittäterschaft; Darlegung einer verfahrensbeendenden Absprache mit einem …


5 StR 423/12 (Bundesgerichtshof)

Revision im Strafverfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln: Verfahrensrechtliche Beanstandung mangelnder Berücksichtigung einem Mitangeklagten erteilter …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.