Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.09.2015, Az. 4 StR 371/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 4977

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[X.]:[X.]:[X.]:2015:230915B4STR371.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 371/15

vom
23. September
2015
in der Strafsache
gegen

wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 23.
September
2015
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2.
April 2015 mit den Feststellungen auf-gehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und eine nicht näher ausgeführte Verfahrensrüge erhebt, hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatri-schen Krankenhaus (§
63 StGB) begegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifen-den rechtlichen Bedenken.

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2
-
3
-
1.
Eine Anordnung gemäß §
63 StGB kommt nur in Betracht, wenn [X.] eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten positiv festgestellt werden kann und wenn der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§
20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist. Die Voraussetzungen des §
20 oder zumindest die des §
21 StGB zum Zeitpunkt der [X.] danach zweifelsfrei festgestellt sein (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 14.
Dezember 1994

3
StR
475/94, [X.]R StGB §
63 Tat
4; Urteil vom 25.
Februar 2010

4
StR
596/09; Beschluss vom 2.
Februar 2010

4
StR 9/10). Daran fehlt es
im vorliegenden Fall.
a)
Das [X.] hat

darin der psychiatrischen Sachverständigen folgend

angenommen, der Angeklagte habe sich zum Zeitpunkt der ihm vor-geworfenen Taten nicht ausschließbar im Zustand [X.] Schuldfähig-keit im Sinne von §
20 StGB befunden. Er habe an einer krankhaften seelischen Störung in Form einer schizoaffektiven Psychose gelitten, begleitet von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit in der Ausprägung als depressive Episode mit psychotischem Erleben, ferner an einer leichten Minderbegabung nicht ausschließbar zu einer mindestens nicht ausschließbaren Aufhebung der Steuerungsfähigkeit geführt. Daher sei der Angeklagte, bei einer der [X.] verstärkt durch vorherigen
Alkoholkonsum, nicht mehr in der Lage gewesen, bei noch vorhandener Unrechtseinsicht danach zu handeln und seine starken aggressiven Impulse zu steuern.
b)
Mit diesen widersprüchlichen Ausführungen ist der für den Maßregel-ausspruch erforderliche positive Nachweis eines andauernden Defekts vom Schweregrad des §
21 StGB nicht erbracht. Er lässt sich auch dem Gesamtzu-3
4
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-
4
-
sammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen. Dass die [X.] nicht ausschließbar von [X.] Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist, recht-fertigt keine andere Beurteilung. Die Anwendung des [X.] steht der für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzten positiven Feststellung eines dauerhaften Zustandes entgegen ([X.], Beschluss vom 2.
Februar 2010

4
StR
9/10 für §
21 StGB).
2.
Die Voraussetzungen der Maßregel nach §
63 StGB sind auch in
einem weiteren Punkt nicht hinreichend belegt.
a)
Die Unterbringung darf nur angeordnet werden, wenn eine Wahr-scheinlichkeit höheren Grades besteht,
dass der Täter infolge seines fortdau-ernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Seine Gefährlichkeit muss sich dabei aus demjenigen Zustand ergeben, der die Einschränkung seiner Schuldfähigkeit bei der [X.] begründet. Es
bedarf danach eines symptomatischen Zusammenhangs dergestalt, dass die Tatbe-gehung durch die (nicht nur vorübergehende) psychische Störung zumindest mitausgelöst worden ist und dass sich auch die für die Zukunft zu erwartenden Taten als Folgewirkung dieses Zustandes darstellen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 28.
März 2012

2
StR
614/11 mwN).
b)
Nach den Feststellungen des [X.] sind die [X.]en auf m-plexen psychiscn-den Abhängigkeitserkrankung beruht. Erneuter Drogen-
und Alkoholkonsum, mit dem beim Angeklagten zu rechnen sei, lasse befürchten, dass es zu einer Verschlimmerung der psychotischen Symptomatik kommen könnte und der [X.] in seinem Verhalten noch unberechenbarer werde, so dass jederzeit mit erneuten Gewalthandlungen zu rechnen sei.
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5
-
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die psychische Störung beim Angeklagten nicht allein, sondern nur im Zusammenwirken mit der [X.] Alkoholisierung zu Straftaten im Zustand zumindest erheblich vermin-derter Steuerungsfähigkeit führen wird. In einem solchen Fall
kann ein die Un-terbringung rechtfertigender Zustand im Sinne des §
63 StGB aber nur ange-nommen werden, wenn der Angeklagte an einer krankhaften Alkoholsucht lei-det, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder an einer länger an-dauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer [X.] oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 1.
April 2014

2
StR
602/13, [X.], 207 mwN). Schon mit Blick darauf, dass der Tatrichter die positive Feststellung zumindest der Vor-aussetzungen des §
21 StGB nicht getroffen hat, lassen die Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht erkennen, dass dieser rechtliche Maßstab hinrei-chend bedacht worden ist. Entsprechende Feststellungen in der neuen [X.] erscheinen allerdings möglich.
II.
1.
Der Senat weist darauf hin, dass er den Gründen des angefochtenen Urteils eine ausdrückliche Erörterung der Verhältnismäßigkeit der Unterbrin-gung (§
62 StGB) ebenfalls nicht entnehmen kann. Auch aus dem [X.] ergibt sich nicht, dass diese Frage geprüft und (konkludent) bejaht wurde. Deren Nichterörterung begründet aber im Rahmen der Prüfung einer Maßregel nach §
63 StGB schon für sich genommen regel-mäßig einen durchgreifenden Erörterungsmangel.
2.
Sollte der neue Tatrichter, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen, erneut zu dem Ergebnis kommen, dass der Ange-9
10
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6
-
klagte unter einer schizoaffektiven Störung leidet, wird er mit Blick auf das Er-fordernis der Dauerhaftigkeit des psychischen Defekts als Voraussetzung einer Unterbringung nach §
63 StGB insbesondere bedenken müssen, dass schizoaf-fektive Störungen phasenhaft verlaufen, wobei es auch zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann (vgl. Senatsbeschluss vom 28.
Januar 2015

4
StR 514/14, [X.], 169, 170; [X.], Beschluss vom 2.
September 2015

2
StR
239/15). Sollte die neue Verhandlung ergeben, dass die Voraussetzun-gen einer Unterbringung nach §
63 StGB nicht vorliegen, wird §
358 Abs.
2 Satz
2 StPO zu beachten sein, da
der Freispruch ebenfalls der Aufhebung un-terliegt und das Verbot der Schlechterstellung der Verhängung einer Strafe nicht entgegensteht ([X.], Beschluss vom 5.
August 2014

3
StR 271/14 mwN). Mit Blick auf die festgestellte Polytoxikomanie des Angeklagten wird auch eine
Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§
64 StGB) zu prüfen sein.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke

Bender
Quentin

Meta

4 StR 371/15

23.09.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.09.2015, Az. 4 StR 371/15 (REWIS RS 2015, 4977)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4977

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4 StR 371/15

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