Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.01.2022, Az. 2 ARs 223/21

2. Strafsenat | REWIS RS 2022, 9057

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Gegenstand

Gerichtsstandsbestimmung in Strafvollzugssachen: Anordnung der Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt


Tenor

Für die Entscheidung über den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen die Anordnung seiner Verlegung in die [X.] ist die Strafvollstreckungskammer des [X.] zuständig.

Gründe

I.

1

Der wegen Mordes und anderer Delikte zu lebenslanger Freiheitsstrafe sowie mehreren zeitigen Freiheitsstrafen verurteilte Antragsteller befand sich seit dem [X.] ununterbrochen in Strafhaft in verschiedenen Justizvollzugsanstalten des [X.]. Am 14. Dezember 2020 wurde er gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 [X.] aus Sicherheitsgründen von der [X.] nach [X.] in die [X.] verlegt. Dabei bestand zwischen den an dieser Entscheidung beteiligten [X.] beider Bundesländer Einigkeit darüber, dass er nur vorübergehend dort verbleiben sollte. Ein konkreter Zeitrahmen, innerhalb dessen eine Rück- oder Weiterverlegung erfolgen sollte, wurde nicht festgelegt. Im Mai 2021 erkundigte sich die stellvertretende Leiterin der [X.] beim [X.] [X.], wie es mit dem Antragsteller „weitergehen“ solle und ob eine Rückverlegung in den [X.] Justizvollzug beabsichtigt sei. Das [X.] [X.] teilte der [X.] zunächst mit, dass ihre Anfrage an das hessische [X.] weitergeleitet worden sei, und unterrichtete sie sodann Ende Juni 2021 dahingehend, dass man in [X.] für den Antragsteller einen Platz in [X.] in der [X.] organisiert habe, und sie gebeten werde, ihm dies zu eröffnen. Die stellvertretende Leiterin der [X.] suchte den Antragsteller daraufhin am 28. Juni 2021 zu einem Gespräch auf und teilte ihm mündlich mit, „dass das [X.] beschlossen habe, dass er in die [X.] verlegt werde“. Seine Nachfrage zu den „Hintergründen der Verlegung“ vermochte sie nicht zu beantworten, da es „sich um eine Entscheidung aus [X.]“ handele.

2

Am 30. Juni 2021 beantragte der Verteidiger des Antragstellers bei der Strafvollstreckungskammer des [X.], die seinem Mandanten „am 28. Juni 2021 seitens der [X.] mündlich eröffnete Verfügung über seine Verlegung in die [X.] aufzuheben“ und die Vollziehung dieser Maßnahme einstweilen auszusetzen. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, die Voraussetzungen für eine Verlegung lägen nicht vor; jedenfalls aber sei die getroffene Verlegungsverfügung ermessensfehlerhaft, weil die Belange des Antragsstellers nicht in gebotener Weise Berücksichtigung gefunden hätten.

3

Mit Beschluss vom 7. Juli 2021 gab das [X.] das Verfahren zur Entscheidung über die Anträge des Antragstellers „gemäß § 83 VwGO i.V.m. den §§ 17, 17a [X.]“ an die Strafvollstreckungskammer des [X.] ab. Zur Begründung führte es aus, die [X.] habe keine eigene Maßnahme auf dem Gebiet des Strafvollzugs getroffen, sondern dem Antragsteller lediglich die Entscheidung des [X.] [X.]s mitgeteilt, weshalb nicht das [X.], sondern das [X.] zuständig sei.

4

Am 8. Juli 2021 wurde der Antragsteller per Einzeltransport in die [X.] überführt.

5

Mit Beschluss vom 13. Juli 2021 erklärte sich die Strafvollstreckungskammer des [X.] für örtlich unzuständig und legte die Sache dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Es vertritt die Auffassung, die Verlegung sei im Außenverhältnis zum Antragsteller eine Entscheidung der [X.] gewesen, auch wenn damit lediglich eine „ministerielle Vorgabe“ umgesetzt worden sei. Gemäß § 110 [X.] sei daher das [X.] örtlich zuständig.

II.

6

Der [X.] ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des [X.] ([X.]) und des [X.] ([X.]) gemäß § 14 StPO zur Entscheidung des [X.] berufen.

III.

7

Zuständig für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist die Strafvollstreckungskammer des [X.].

8

Nach der Verlegung des Strafgefangenen in die [X.] ist der nach § 114 Abs. 2 [X.] gestellte Aussetzungsantrag gegenstandslos geworden, so dass nur noch über den gegen die Verlegungsanordnung gerichteten Anfechtungsantrag entschieden werden muss.

9

1. Die Anordnung der Verlegung eines bereits in den Strafvollzug eingewiesenen Strafgefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt ist eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzugs und kann daher mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 Abs. 1 [X.] angefochten werden (vgl. Senat, Beschluss vom 4. September 2018 – 2 [X.], NStZ-RR 2018, 392 mwN). Über den Antrag entscheidet nach § 110 [X.] die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde, die die angefochtene Maßnahme erlassen hat (§ 111 Abs. 1 Nr. 2 [X.]), ihren Sitz hat.

2. Die angefochtene Maßnahme ist von der [X.] getroffen worden. Soweit diese der Ansicht ist – und ihr folgend die Strafvollstreckungskammer des [X.] –, sie habe keine eigene Entscheidung getroffen, sondern dem Verurteilten nur eine Entscheidung des [X.] [X.]s mitgeteilt, geht dies fehl.

a) Der Antragsteller wurde am 14. Dezember 2020 aus der [X.] in die [X.] verlegt. Auch wenn zwischen den beteiligten [X.] Einigkeit darüber bestand, dass er nur vorübergehend dort verbleiben sollte, handelte es sich nicht lediglich um eine zeitlich begrenzte Überstellung, sondern eine Verlegung, denn der Antragsteller sollte auf unbestimmte Zeit in die [X.] aufgenommen werden. Dies hatte zur Folge, dass die Zuständigkeit auf die [X.] überging (vgl. hierzu [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., § 8 Rn. 2). Über seine Weiterverlegung in die [X.] war somit nach [X.] Landesrecht zu entscheiden (§ 6 Abs. 1 [X.] III).

b) Das für diese Justizvollzugsanstalt maßgebliche Landesrecht findet insbesondere auch dann Anwendung, wenn der Strafgefangene zuvor aus einem anderen Bundesland dorthin verlegt wurde. Dem Landesrecht kommt nur eine räumlich auf das Staatsgebiet des jeweiligen Bundeslandes begrenzte Geltung zu und es erfasst grundsätzlich alle Personen, die sich innerhalb des Staatsgebietes befinden (vgl. [X.] 11, 6, 19; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 95. Ergänzungslieferung, Art. 83 Rn. 67; a.A. [X.], NStZ-RR 1996, 188, 189).

c) Was die Verlegung eines Gefangenen in die Vollzugsanstalt eines anderen Bundeslandes betrifft, bedarf eine solche länderübergreifende Verlegung zwar gemäß § 26 Abs. 2 Satz 3 StrVollstrO einer Einigung der obersten Vollzugsbehörden beider Länder. Die erforderliche Einigung regelt die Verlegung aber nur im Verhältnis der beteiligten Länder zueinander. Sie ist selbst noch keine Verlegungsanordnung, sondern bildet lediglich eine bundesstaatlich notwendige und lediglich verwaltungsinterne Voraussetzung für die Anordnung der (einseitig nicht umsetzbaren) länderübergreifenden Verlegung, die im Außenverhältnis zum Strafgefangenen weiterhin nur nach Maßgabe des einschlägigen Landesrechts durch die danach zuständige Behörde angeordnet werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 4. September 2018 – 2 [X.], NStZ-RR 2018, 392).

d) In vorliegender Sache hat die stellvertretene Leiterin der [X.] die Verlegung (mündlich) angeordnet, indem sie dem Antragsteller in dem Gespräch am 28. Juni 2021 der Sache nach eröffnete, dass er in die [X.] verlegt werde. In dieser Erklärung liegt die Verlegungsentscheidung der zuständigen Behörde und nicht lediglich die Bekanntgabe einer von einer anderen Behörde getroffenen Verlegungsanordnung.

Auch wenn die stellvertretende Anstaltsleiterin dem Antragsteller mitteilte, das Land [X.] habe beschlossen, ihn in die [X.] zu verlegen, ändert dies nichts daran, dass sie letztlich in Umsetzung dieser Vorgabe die Verlegungsanordnung selbst gegenüber dem Antragsteller getroffen hat. Das entspricht der Regelung im [X.] [X.]s unter Ziff. 4.5.1., wonach der Leiter der abgebenden Justizvollzugsanstalt auch über landesübergreifende Verlegungen entscheidet.

3. Örtlich zuständig ist damit nach § 110 [X.] die Strafvollstreckungskammer am Sitz der [X.], mithin die Strafvollstreckungskammer des [X.], die auch nach der zwischenzeitlichen Durchführung der Verlegung bestehen bleibt (vgl. Senat, Beschluss vom 4. September 2018 – 2 [X.], NStZ-RR 2018, 392).

4. Die damit begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des [X.] ist auch nicht nachträglich durch den Verweisungsbeschluss vom 7. Juli 2021 entfallen. Eine örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des [X.] ist hierdurch nicht begründet worden. Zwar ist ein Beschluss, durch den das Verfahren an eine andere Strafvollstreckungskammer verwiesen wird, entsprechend § 83 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit grundsätzlich bindend. Eine Bindungswirkung tritt jedoch nicht ein, wenn die Verweisungsentscheidung willkürlich erscheint, namentlich, wenn eine örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, an welche die Sache verwiesen worden ist, unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt oder die Verweisung sonst inhaltlich grob und offensichtlich fehlerhaft ist (Senat, Beschluss vom 4. September 2018 – 2 [X.], NStZ-RR 2018, 392).

So liegt es hier. An der verfahrensgegenständlichen Verlegung des Antragstellers waren die [X.], die [X.] und die [X.] der Länder [X.] und [X.] sowie des Freistaats [X.] beteiligt. Keine dieser Behörden hat ihren Sitz im Bezirk der Strafvollstreckungskammer des [X.]. Allein der Umstand, dass der Antragsteller früher in der [X.] inhaftiert und von dort aus Ende 2020 in die [X.] verlegt worden war, ist offensichtlich nicht geeignet, die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des [X.] für die verfahrensgegenständliche Weiterverlegung in die [X.] zu begründen.

[X.]     

      

Appl     

      

Krehl 

      

Meyberg     

      

Grube     

      

Meta

2 ARs 223/21

18.01.2022

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 109 Abs 1 StVollzG, § 110 StVollzG, § 111 Abs 1 Nr 2 StVollzG, § 83 S 1 VwGO, § 17a Abs 2 S 3 GVG, § 14 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.01.2022, Az. 2 ARs 223/21 (REWIS RS 2022, 9057)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9057

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