Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.07.2011, Az. IV ZR 148/10

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4620

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
IV ZR 148/10

Verkündet am:

20. Juli 2011

Heinekamp

[X.]

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

[X.]Z: nein

[X.]R: ja

[X.] § 15 Nr. 4 Satz 1

Der Versicherungsnehmer einer Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert kann die [X.] auch dann verlangen, wenn die tatsächlichen Aufwendun-gen für die Wiederherstellung des versicherten Gebäudes günstiger als der Neuwert waren.

[X.], Urteil vom 20. Juli 2011 -
IV ZR 148/10 -
OLG [X.]

LG Flensburg

-
2
-

Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richterin [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juli 2011

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zi-vilsenats des [X.] in [X.] vom 26.
November 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten aus einer Wohngebäude-versicherung mit gleitender Neuwertklausel den so genannten [X.].

Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen der Beklagten ([X.]) zugrunde. Zur [X.] bestimmt §
15 Nr.
4 Satz
1 [X.] Folgendes:

"Der Versicherungsnehmer erwirbt den Anspruch auf [X.] des Teils der Entschädigung, der den [X.] 1
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übersteigt, nur, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren
nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um versi-cherte Sachen in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen oder wiederzubeschaf-fen."

Am 17.
Oktober 2003 wurde das versicherte Gebäude durch einen Brand zerstört. Der von dem Beklagten beauftragte Sachverständige veranschlagte den [X.] mit 232.931,97

t-schaden mit 360.295,03

Der Beklagte ersetzte der Klägerin 232.111,95

128.183,08

Die Klägerin baute das Haus wieder auf und erbrachte nach ihrem Vorbringen wesentliche Bauleistungen selbst sowie mit Hilfe von [X.] und Nachbarn. Im Erdgeschoss des Gebäudes ist wie vor dem Brand eine Gaststätte eingerichtet; im Obergeschoss befinden sich auf nahezu gleicher Fläche statt der früheren drei [X.] zwei [X.]. Nach Fertigstellung des Bauvorhabens ermittelte der
Gutachter des
Beklagten Baukosten von 161.816,67

o-wie Aufräum-
und Abbruchkosten von 17.097,11

178.913,78

Der
Beklagte lehnt die Zahlung der [X.] mit der [X.] ab, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die [X.]skosten den Zeitwert überstiegen. Im Übrigen
bleibe der Wiederauf-bau nach Art, Qualität und Umfang hinter dem ursprünglichen Gebäude zurück.

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4
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Die Klägerin hat den von ihr geltend gemachten Anspruch auf [X.] der [X.] größtenteils an verschiedene Gläubiger abgetre-ten und klagt die [X.] mit Einverständnis der Zessionare im eigenen Namen
ein. Sie
trägt vor, der Neubau
entspreche nach Art und Zweckbestimmung dem abgebrannten Gebäude. Daher stehe ihr die [X.] zu, ohne dass sie ihre Aufwendungen belegen müsse.

Das [X.] hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von insgesamt 128.183,08

verurteilt.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revi-sion begehrt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Ur-teils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur [X.] an das Berufungsgericht.

I. Dieses
hat eine Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung des
Neuwertanteils
verneint, weil die Klägerin nicht dargelegt und bewiesen habe, dass ihr für den Wiederaufbau Kosten in Höhe des [X.] entstanden seien. Zwar dürfe der [X.] durchaus niedriger sein als die im Voraus abstrakt berechnete Neuwer-tentschädigung. Der Versicherungsnehmer könne die [X.] aber 6
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nur verlangen, wenn die Aufwendungen für die Wiederherstellung
annä-hernd
dem [X.] entsprächen.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Der Versicherungsnehmer einer Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert unter Einbeziehung der [X.] kann die Neuwer-tentschädigung
unabhängig davon beanspruchen, ob der tatsächliche [X.] den
abstrakt berechneten [X.] zumindest beinahe erreicht.

a) §
15 Nr.
4 [X.] enthält eine so
genannte strenge Wiederher-stellungsklausel, nach der -
gemäß den Anforderungen des §
97 [X.] a.F.
-
die Sicherstellung der Verwendung der Entschädigung zur Wieder-herstellung oder Wiederbeschaffung Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs auf Ersatz des Schadens ist, der über den Zeitwertscha-den hinausgeht. Ohne diese Verwendungssicherstellung oder die [X.] selbst ist der Anspruch auf den Ersatz des [X.] beschränkt (Senatsurteile
vom 18.
Februar 2004 -
IV ZR 94/03, [X.], 512 unter [X.] a; vom 13.
Dezember 2000 -
IV ZR 280/99, [X.], 326 unter I 2 a und b
m.w.N.).

Die Sicherstellung im Streitfall nach den gegebenen Umständen festzustellen, ist Sache des Tatrichters. Sie erfordert eine Prognose in dem Sinne, dass bei [X.] Betrachtungsweise eine bestimmungsgemäße Verwendung der Entschädigung hinreichend sicher angenommen werden
kann. Das ist beispielsweise anzunehmen nach verbindlichem Abschluss eines Bauvertrages oder eines Fertighauskauf-10
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vertrages mit einem leistungsfähigen Unternehmer (Senatsurteil vom 18.
Februar 2004 aaO unter II
1 b
m.w.N.).
Wurde
das zerstörte [X.] bereits in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederhergestellt, so ist grundsätzlich von einer Verwendung der [X.] zur Wiederherstellung auszugehen.

b) §
15 Nr.
4 Satz
1 [X.] ist aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers so auszulegen, dass der Versicherer die [X.]
hinsichtlich der wiederbeschafften und wiederhergestellten Sachen auch dann zu zahlen
hat, wenn die tatsächlichen Aufwendungen günstiger waren als der Neuwert oder sogar den Zeitwert unterschritten (so auch [X.] r+s 1994, 146, 147; [X.] in MünchKomm-[X.] §
93
Rn.
17; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 28.
Aufl. §
93 Rn.
21; [X.] in [X.]/[X.], [X.] 27.
Aufl. §
97 Rn.
10; Langheid in [X.]/Langheid, [X.] 2.
Aufl. §
97 Rn.
18; [X.], Sachversicherungsrecht 3.
Aufl. R IV Rn.
56
ff.; jeweils m.w.N.).

aa) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer geht vom Wortlaut der Klausel aus. Danach entsteht der Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den [X.] übersteigt, nur, soweit und sobald der Versicherungsnehmer innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um versicherte Sachen in
gleicher Art und Zweckbe-stimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen. Die "[X.]" versteht er so, dass der Wille zur Wiederherstellung ernsthaft -
etwa durch Vergabe von Bauleistungen
-
zum Ausdruck kommen muss und daher mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine bestimmungsgemä-ße Verwendung der Entschädigung erwartet werden kann (vgl. Senatsur-14
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teil vom 18.
Februar 2004 aaO). Ob und in welcher Höhe der Anspruch auf Zahlung des den [X.] übersteigenden Teils der [X.] fällig wird, wenn die zerstörte Sache innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles bereits wiederhergestellt worden ist, kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht dem Wortlaut des §
15 Nr.
4 Satz
1 [X.] entnehmen.
Dort wird nur die [X.]
der Verwendung der Entschädigung, nicht aber die [X.] erwähnt.

bb) Allerdings wird ein verständiger Versicherungsnehmer anneh-men, dass er die [X.] auch dann erhält, wenn er in-nerhalb der Dreijahresfrist die versicherte Sache in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederhergestellt hat. Dabei orientiert er sich an dem ihm erkennbaren Zweck der Neuwertversiche-rung.
Mit ihr soll der etwaige Schaden ausgeglichen werden, der dem Versicherungsnehmer dadurch entsteht, dass er einen höheren Betrag als den Zeitwert aufwenden muss, wenn er das zerstörte Gebäude [X.]. Auf diesen tatsächlichen Schaden ist der Umfang des [X.] beschränkt. Die Neuwertversicherung soll grundsätzlich nicht auch solche Aufwendungen abdecken, die durch wesentliche Ver-besserungen des Gebäudes bei seiner Wiedererrichtung verursacht [X.]. Eine derartige Bereicherung des Versicherungsnehmers aus Anlass des [X.] ist zu vermeiden, auch um das Interesse am Abbren-nen des versicherten Gebäudes nicht zu fördern. Schon darin, dass der Versicherungsnehmer nach der Wiederherstellung ein neues Gebäude hat, liegt eine Bereicherung, die aber gerechtfertigt ist und deshalb hin-genommen werden kann. Zweck der [X.] ist es le-diglich, die Bereicherung durch die [X.] auf den Teil zu beschränken, der das Bedürfnis für die Neuwertversicherung [X.]
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det, also auf die ungeplanten, dem Versicherungsnehmer erst durch den Versicherungsfall aufgezwungenen Ausgaben (Senatsurteil vom 21.
Februar 1990 -
IV ZR 298/88, [X.], 488 unter 2 m.w.N. zu §
7
Nr.
3
a [X.]; vgl. Senatsurteil vom 8.
Juni 1988 -
IVa ZR 100/87, [X.], 925 unter [X.]; jeweils
m.w.N.).
Für den Versicherungsneh-mer ersichtlich
zielt die Bestimmung auf die Begrenzung des subjektiven Risikos des Versicherers, der davor geschützt werden soll, dass der Ver-sicherungsnehmer
-
wie bei freier Verwendbarkeit der Versicherungsleis-tung
-
in Versuchung geraten könnte, sich durch Vortäuschen eines Ver-sicherungsfalles Vermögensvorteile zu verschaffen (Senatsurteil vom 18.
Februar 2004 aaO unter [X.] c m.w.N.; [X.] aaO Rn.
8).
Diese Gefahr besteht nicht mehr, wenn der Versicherungsnehmer die zerstörte Sache wiederherstellt und damit den Sachwert erhalten hat, der ihm durch die [X.] vergütet werden soll. Allein die Erbrin-gung von Eigenleistungen, die die Baukosten reduzieren, rechtfertigt es aus der Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht, ihm
die [X.] zu versagen, weil der Zweck der strengen [X.], präventiv Missbrauch zu verhindern und die
Versicherungsleistung an den Sachwert zu binden, bereits erreicht ist.

2. Die Sache ist noch nicht zur Entscheidung reif. Das Berufungs-gericht hat -
von seinem Standpunkt aus folgerichtig
-
nicht festgestellt, ob das von der Klägerin wieder aufgebaute Gebäude nach Art und Zweckbestimmung dem abgebrannten Haus entspricht. Diese Feststel-lung wird es nachzuholen haben. Dabei wird es zu beachten haben, dass eine Wiederherstellung nur dann angenommen werden kann, wenn das neu errichtete Gebäude etwa dieselbe Größe aufweist wie das zerstörte und gleichartigen Zwecken dient, was allerdings eine modernere [X.]
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9
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weise nicht ausschließt
(vgl. Senatsurteile vom 21.
Februar 1990 aaO; vom 6.
Juni 1984 -
IVa [X.], [X.], 843 unter III m.w.N.).

Dr. [X.][X.] Dr.
Karczewski

[X.] [X.]
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom [X.] -
8 O 40/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 26.11.2009 -
16 U 34/09 -

Meta

IV ZR 148/10

20.07.2011

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.07.2011, Az. IV ZR 148/10 (REWIS RS 2011, 4620)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4620

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IV ZR 148/10

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