Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.04.2015, Az. 1 AZR 223/14

1. Senat | REWIS RS 2015, 12788

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Gegenstand

Beratung über einen nicht nachgelassenen Schriftsatz im Wege der Telefonkonferenz - Betriebsänderung - Nachteilsausgleich


Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 27. November 2013 - 8 [X.] 381/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revision noch über einen Nachteilsausgleich.

2

Die Beklagte ist eine zum Konzern [X.] gehörende Zeitungsvertriebsgesellschaft. Ihr Unternehmensgegenstand bestand darin, im Gebiet der Landeshauptstadt München für die Verlage [X.] und [X.] deren Zeitungen auszutragen und vergleichbare Dienstleistungen auszuführen. Sie beschäftigte etwa 40 Arbeitnehmer, ua. den als schwerbehinderten Menschen anerkannten Kläger als Zeitungszusteller gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 750,00 Euro.

3

Einziger Auftraggeber der Beklagten war die [X.] Logistik GmbH ([X.] GmbH), eine 100%ige Tochter der [X.] GmbH. Nachdem diese den Dienstleistungsauftrag zum 29. Februar 2012 gekündigt hatte, beschlossen die Gesellschafterinnen der Beklagten - die [X.] und die [X.] GmbH - am 12. Januar 2012, den Geschäftsbetrieb zum Ablauf des 29. Februar 2012 einzustellen und den Betrieb stillzulegen. Ab dem 1. März 2012 wurden die Zusteller nicht mehr beschäftigt. Seit diesem Zeitpunkt führt die [X.] die Zustellungen aus.

4

Der Vorsitzende einer von der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Betriebsrat errichteten Einigungsstelle zu den Themen „Interessenausgleich und Sozialplan“ stellte in der Sitzung am 27. April 2012 das Scheitern des Versuchs fest, sich auf einen Interessenausgleich zu einigen. Am 28. April 2012 kündigte die Beklagte die Arbeitsverhältnisse sämtlicher bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer mit Ausnahme des [X.]. Gegenüber diesem sprach sie die Kündigung nach erteilter Zustimmung des [X.] am 23. Mai 2012 zum 31. Dezember 2012 aus.

5

Der Kläger hat sich mit seiner Klage gegen die Kündigung gewandt und eine Stilllegung des Betriebs in Abrede gestellt; dieser sei vielmehr auf die [X.] übergegangen. Nach Abweisung der Kündigungsschutzklage durch das Arbeitsgericht hat er mit seiner Berufung hilfsweise einen [X.] geltend gemacht.

6

Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, ihm einen Nachteilsausgleich iSd. § 113 [X.] in Höhe von 13.500,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

7

Die Beklagte hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

8

Das [X.] hat die Berufung des [X.] mit einem am 27. November 2013 verkündeten Urteil zurückgewiesen. Mit seiner auf die Abweisung des Antrags auf Nachteilsausgleich beschränkten Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Der von ihm geltend gemachte absolute Revisionsgrund liegt nicht vor. Das [X.] hat auch in der Sache zu Recht erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich hat.

I. Entgegen der Auffassung der Revision unterliegt das Berufungsurteil nicht bereits deshalb der Aufhebung nach § 562 ZPO, weil die erkennende Berufungskammer im Hinblick auf den vom Kläger nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor Verkündung des Urteils eingereichten Schriftsatz vom 7. November 2013 über diesen und über die Frage einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Wege einer Telefonkonferenz beraten und entschieden hat. Hierin liegt weder der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG) noch ein Verstoß gegen § 193 Abs. 1, § 194 [X.].

1. Ein absoluter Revisionsgrund iSv. § 547 Nr. 1 ZPO ist gegeben, wenn das [X.] nicht unter Mitwirkung derjenigen [X.], die an der letzten mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, geprüft hat, ob nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangene Schriftsätze der Parteien gemäß § 156 ZPO Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gaben. Selbst wenn ein solcher nachgereichter Schriftsatz bei der Entscheidung über das Urteil keine Beachtung mehr finden kann, weil das Urteil nach abschließender Beratung und Abstimmung bereits gefällt (§ 309 ZPO) war, hat das Gericht bis zur Urteilsverkündung eingehende Schriftsätze zur Kenntnis zu nehmen und eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu prüfen. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren haben im Fall eines nachgereichten Schriftsatzes die ehrenamtlichen [X.] an der Entscheidung über eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung mitzuwirken (vgl. [X.] 25. Januar 2012 - 4 [X.] - Rn. 14 ff.; 18. Dezember 2008 - 6 [X.] - Rn. 4 ff., [X.]E 129, 89). Ist dies nicht der Fall, wird der Prozesspartei, die den Schriftsatz verfasst hat, der gesetzliche [X.] entzogen (vgl. [X.] 18. Dezember 2008 - 6 [X.] - Rn. 7, [X.]E 129, 89). Bei einem hierin liegenden Verfahrensmangel iSd. § 547 Nr. 1 ZPO wird unwiderleglich vermutet, dass er entscheidungserheblich ist.

2. Aus § 193 Abs. 1 [X.] ergibt sich, dass die Entscheidung eines Kollegialgerichts auf einer Beratung und Abstimmung der zur Entscheidung berufenen [X.] beruhen muss. § 194 [X.] bestimmt die bei der Beratung und Abstimmung einzuhaltende Verfahrensweise. Die mündliche Beratung im Beisein sämtlicher beteiligter [X.] ist dabei die Regel (vgl. [X.] 18. Januar 2012 - 7 [X.] - Rn. 63; [X.] 20. April 2012 - [X.] 5/11 - Rn. 8). In geeigneten Fällen kann eine Nachberatung im Wege einer Telefonkonferenz zulässig sein, bei welcher unter der Leitung des Vorsitzenden jeder Teilnehmer von seinem Telefonapparat zeitgleich mit jedem anderen Teilnehmer kommunizieren kann und alle Teilnehmer die gesamte Kommunikation mithören. Voraussetzung ist, dass alle beteiligten [X.] mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind und sichergestellt ist, dass jederzeit in eine mündliche Beratung im Beisein aller [X.] eingetreten werden kann, falls ein [X.] dies wünscht oder ein neuer Gesichtspunkt es erfordert ([X.] 26. März 2015 - 2 [X.] - Rn. 12 mwN; [X.] 29. November 2013 - [X.] - Rn. 33). Die Telefonkonferenz vermag die mündliche Beratung bei gleichzeitiger Anwesenheit aller beteiligten [X.] allerdings nicht zu ersetzen. Sie kann nur neben diese treten, wie etwa bei der Beratung über einen nachträglich eingegangenen Schriftsatz. Die erstmalige Beratung als einzige Grundlage für die Entscheidung in der Hauptsache muss zwingend im Beisein sämtlicher beteiligter [X.] stattfinden (vgl. [X.] 26. März 2015 - 2 [X.] - aaO; [X.] 29. November 2013 - [X.] - aaO).

3. Eine Rechtsverletzung iSv. § 73 ArbGG, § 547 Nr. 1 ZPO ist vom Revisionsgericht wegen § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO nur zu beachten, wenn die Revision (auch) auf sie gestützt wird ([X.] 24. Oktober 2013 - 2 [X.] 1057/12 - Rn. 13, [X.]E 146, 257). Der [X.] muss darlegen, dass der gerügte absolute Revisionsgrund tatsächlich vorliegt. Das setzt die Angabe von Tatsachen voraus, aus denen sich der behauptete Verfahrensmangel ergeben soll. Handelt es sich dabei um gerichtsinterne Vorgänge, muss der [X.] zumindest aufzeigen, dass er eine zweckentsprechende Aufklärung versucht hat (vgl. [X.] 18. Januar 2012 - 7 [X.] - Rn. 58). Auch bei der Beanstandung, ein Urteil sei entgegen § 193 Abs. 1, § 194 [X.] nicht aufgrund geheimer Beratung und Abstimmung der zur Entscheidung berufenen [X.] ergangen, muss die hierin liegende Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO die Bezeichnung der Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben, auf den sich die Revision stützen will.

4. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Art und Weise, in welcher das Berufungsgericht über den nach der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz des [X.] beraten hat, rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Ausweislich des handschriftlichen Vermerks des Vorsitzenden des Berufungsgerichts vom 25. November 2013 hat die Kammer in der Besetzung der mündlichen Verhandlung vom 30. Oktober 2013 „per Telefonkonferenz“ am 25. November 2013 über den zuvor den ehrenamtlichen [X.]n zugeleiteten Schriftsatz des [X.] vom 7. November 2013 beraten und beschlossen, „daß die Wiedereröffnung nicht veranlaßt, sondern die niedergelegte Entscheidung zu verkünden ist“.

b) Die Beratung über den nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz im Wege der am 25. November 2013 abgehaltenen Telefonkonferenz des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen [X.], die an der letzten mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, war zulässig. Es handelte sich um eine bloße Nachberatung. Sie hat die mündliche Beratung der [X.] nicht ersetzt, sondern ist - im Hinblick auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz des [X.] - nur neben sie getreten. Das Fehlen einer mündlichen Beratung über die auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2013 gefällte, am 27. November 2013 verkündete Entscheidung rügt die Revision nicht. Hiervon ist angesichts der in der Akte dokumentierten und unter der Zeile „[X.], den 30.10.2013“ vom Vorsitzenden und den ehrenamtlichen [X.]n unterzeichneten Urteilsformel auch nicht auszugehen.

c) Ohne Erfolg beanstandet die Revision, es sei vom Berufungsgericht weder angegeben, wie die Telefonkonferenz stattgefunden habe, noch ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt gewesen sind. Ein darauf gerichteter Verfahrensmangel ist schon nicht hinreichend dargelegt. Zudem ist in dem Aktenvermerk des Vorsitzenden der Berufungskammer die Art und Weise der Beratung als „Telefonkonferenz“ dokumentiert. Das drückt eine Beratung aus, bei welcher unter der Leitung des Vorsitzenden jeder Teilnehmer von seinem Telefonapparat zeitgleich mit jedem anderen Teilnehmer kommunizieren kann und alle Teilnehmer die gesamte Kommunikation mithören. Auch das Einverständnis sämtlicher beteiligter [X.] mit dieser Art und Weise der Beratung über den nachgereichten Schriftsatz und die Möglichkeit, in eine mündliche Beratung im Beisein aller [X.] einzutreten, kommen in einem so gefassten Aktenvermerk zum Ausdruck (vgl. [X.] 29. November 2013 - [X.] - Rn. 35).

II. Das [X.] hat den vom Kläger mit seiner Berufung angebrachten Antrag auf Nachteilsausgleich zu Recht abgewiesen.

1. Nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 [X.] kann ein Arbeitnehmer vom Unternehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 [X.] durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Der Anspruch aus § 113 Abs. 3 [X.] dient vornehmlich der Sicherung des sich aus § 111 Satz 1 [X.] ergebenden Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats und schützt dabei mittelbar die Interessen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer. Er entsteht, sobald der Unternehmer mit der Durchführung der Betriebsänderung begonnen hat, ohne bis dahin einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben ([X.] 16. August 2011 - 1 [X.] 44/10 - Rn. 9 mwN). Nach § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] gilt als Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 [X.] ua. die Stilllegung des ganzen Betriebs. Dagegen ist nach der Rechtsprechung des [X.] ein Betriebsübergang als solcher keine Betriebsänderung iSd. § 111 [X.]. Er kann eine sein, wenn er sich nicht allein in dem Wechsel des Betriebsinhabers erschöpft, sondern gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden, welche eines oder mehrere der Tatbestandsmerkmale des § 111 [X.] erfüllen (vgl. [X.] 11. November 2010 - 8 [X.] 169/09 - Rn. 33 mwN; 25. Januar 2000 - 1 [X.] - zu [X.] der Gründe).

2. Der Kläger hat sich - im Zusammenhang mit seiner Kündigungsschutzklage - zwar nur auf einen Betriebsübergang berufen. Zu seinen Gunsten kann aber unterstellt werden, dass die Beklagte ihren Betrieb eines Unternehmens mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern stillgelegt und damit eine Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1 [X.] durchgeführt hat sowie der Kläger infolge der Stilllegung entlassen worden ist. Jedenfalls hat die Beklagte mit dem Betriebsrat vor der Durchführung der Betriebsänderung einen Interessenausgleich versucht iSv. § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 [X.].

a) Der Unternehmer beginnt mit der Durchführung einer Betriebsänderung, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Eine Betriebsänderung in Form der Stilllegung besteht in der Aufgabe des [X.] unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für unbestimmte, nicht nur vorübergehende [X.]. Ihre Umsetzung erfolgt, sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift ([X.] 30. Mai 2006 - 1 [X.] 25/05 - Rn. 17, [X.]E 118, 222). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt (vgl. [X.] 23. September 2003 - 1 [X.] 576/02 - zu II 1 c der Gründe mwN, [X.]E 107, 347).

b) Die Beklagte hat vor dem am 27. April 2012 durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle als gescheitert festgestellten Versuch eines Interessenausgleichs keine unumkehrbaren Maßnahmen zur Durchführung der Betriebsänderung ergriffen.

aa) Mit dem von ihren Gesellschafterinnen am 12. Januar 2012 gefassten Beschluss hat die Beklagte die Durchführung der Betriebsstilllegung nicht begonnen. Dem Arbeitgeber ist es nicht verwehrt, ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats Entschlüsse zu einer Betriebsänderung zu fassen. Er darf nur ohne Wahrung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nicht mit deren Durchführung beginnen. § 113 Abs. 3 [X.] sichert kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats an der unternehmerischen Entscheidung, sondern nur bei deren Umsetzung. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 111 [X.] setzen sogar voraus, dass der Arbeitgeber konkrete Planungen hinsichtlich einer Betriebsänderung hat, die den Gegenstand der zwischen den Betriebsparteien zu führenden Verhandlungen vorgeben (vgl. [X.] 30. Mai 2006 - 1 [X.] 25/05 - Rn. 19, [X.]E 118, 222). Daher spricht auch die von der Revision vorgebrachte Kenntnis der [X.] spätestens am 29. Februar 2012 davon, dass die Arbeitsplätze der Mitarbeiter entfallen würden, nicht für das Vorliegen einer unumkehrbaren Maßnahme zur Durchführung der Betriebsänderung.

bb) In der tatsächlichen Einstellung der betrieblichen Tätigkeit am 1. März 2012 liegt gleichfalls keine unumkehrbare Maßnahme. Die bloße Einstellung einer Geschäftstätigkeit kann grundsätzlich rückgängig gemacht werden. Anders ist dies ggf. dann zu sehen, wenn ein Arbeitgeber - etwa durch die Veräußerung von Betriebsmitteln - bereits mit der Auflösung der betrieblichen Organisation beginnt (vgl. [X.] 30. Mai 2006 - 1 [X.] 25/05 - Rn. 20, [X.]E 118, 222). Dafür ist hier nichts ersichtlich.

cc) Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Beklagte die Zusteller ab dem 1. März 2012 nicht mehr beschäftigt hat. In der bloßen Nichtbeschäftigung von Arbeitnehmern liegt keine Auflösung der Betriebsorganisation. Auch eine Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht stellt regelmäßig noch keine Durchführung der Betriebsstilllegung dar. Dies gilt jedenfalls, wenn die Freistellung jederzeit widerruflich ist (vgl. [X.] 30. Mai 2006 - 1 [X.] 25/05 - Rn. 21, [X.]E 118, 222). Eine unwiderrufliche Freistellung sämtlicher - oder auch nur eines Großteils der - Arbeitnehmer vor dem Ausspruch der Kündigungen hat der Kläger weder konkret behauptet noch ist sie sonst ersichtlich.

dd) Die ab dem 1. März 2012 erfolgte Übernahme des vormals der [X.] erteilten [X.]ungsvertriebsauftrags durch die [X.] lässt nicht auf die Durchführung der Betriebsstilllegung vor dem Versuch eines Interessenausgleichs schließen. Sie ist der Neuvergabe des Auftrags geschuldet.

ee) Nichts anderes folgt aus dem - erstmals in der Revision gehaltenen - Vortrag des [X.], die Beklagte habe bei einem Antrag auf Zustimmung zu einer beabsichtigten (erneuten) Kündigung eines anderen Arbeitnehmers nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in einem entsprechenden Formular des Integrationsamtes als Betriebsstilllegungszeitpunkt den 29. Februar 2012 angegeben. Zu diesem [X.]punkt stellte die Beklagte ihre betriebliche Tätigkeit ein. Für einen über diesen Erklärungswert hinausgehenden Schluss auf tatsächliche Umstände gibt das Formular nichts her.

ff) Das Vorbringen des [X.], die Beklagte sei „kein selbständiger Betrieb, sondern Betriebsteil“ der [X.] GmbH, lässt nicht auf eine Durchführung der Betriebsänderung vor dem Versuch eines Interessenausgleichs schließen. Die Stilllegung eines einem Unternehmen zuzuordnenden Betriebs„teils“ kann - bezogen auf einen mit einem anderen Unternehmen geführten Gemeinschaftsbetrieb - grundsätzlich die Voraussetzungen einer mitbestimmungspflichtigen Änderung nach § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] erfüllen (vgl. hierzu [X.] 11. November 1997 - 1 [X.] - zu II der Gründe). Von dem Vorliegen einer interessenausgleichspflichtigen Maßnahme gehen die Parteien aber übereinstimmend aus. Streitig ist allein, ob mit ihrer Durchführung vor dem Interessenausgleichsversuch begonnen worden ist.

gg) Zu Recht hat das [X.] schließlich angenommen, dass der Beginn der Durchführung der Betriebsänderung nicht in der Kündigung des [X.] durch die [X.] GmbH zum 29. Februar 2012 liegt. Die Beklagte muss sich diese Kündigung bei dem hier vorliegenden Konzernsachverhalt nicht als „eigene“ Maßnahme zurechnen lassen (vgl. hierzu die Urteile des Senats vom 14. April 2015 in den Parallelverfahren - 1 [X.] 794/13 - und - 1 [X.] 795/13 -). Die Revision rügt deshalb ohne Erfolg, das [X.] habe seine Aufklärungs- und Hinweispflicht nach § 139 ZPO verletzt und hätte die mündliche Verhandlung nach § 156 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO wieder eröffnen müssen, weil es den Kläger nicht auf das Fehlen von Vortrag zur Konzernstruktur und dessen Bedeutung in dem vorliegenden Fall hingewiesen hat.

c) Danach hat der Kläger keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich. Die Beklagte hat den Abschluss eines Interessenausgleichs ausreichend versucht. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Betriebsparteien über den Abschluss eines Interessenausgleichs verhandelt haben und der Vorsitzende einer hierzu gebildeten Einigungsstelle am 27. April 2012 das Scheitern eines Versuchs des Interessenausgleichs festgestellt hat. Die Kündigungen der Arbeitsverhältnisse, in denen der Beginn der Durchführung der Betriebsstilllegung liegt, sind erst am 28. April 2012 erfolgt.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Dr. Klebe    

        

    Klosterkemper    

                 

Meta

1 AZR 223/14

14.04.2015

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG München, 18. Januar 2013, Az: 33 Ca 6310/12, Urteil

§ 193 GVG, § 194 GVG, § 111 BetrVG, § 113 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.04.2015, Az. 1 AZR 223/14 (REWIS RS 2015, 12788)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 3738 REWIS RS 2015, 12788

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

4 B 23/17

B 1 KR 59/19 B

1 Sa 648/21

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