Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.06.2016, Az. 1 StR 99/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 8997

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Gegenstand

Steuerhinterziehung: Voraussetzungen eines besonders schweren Falles nach altem Recht; Zeitpunkt der Vollendung und Beendigung der Tat


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. Juli 2015 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Drei Monate hat es wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt und die Anrechnung in [X.] erlittener Untersuchungshaft im Maßstab 1:1 ausgesprochen. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Verfahrensrügen erweisen sich aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] als erfolglos. Ergänzend bemerkt der Senat:

3

a) Soweit die Revision die Ablehnung der Beweisanträge, die in [X.] ansässigen Zeugen [X.]und S.     im Wege der Rechtshilfe mittels Videokonferenz zu vernehmen, als fehlerhaft rügt, zeigt sie damit keinen Rechtsfehler auf.

4

Ein Rechtsfehler ist bereits deswegen auszuschließen, weil beide Zeugen eine audiovisuelle Vernehmung abgelehnt haben. Der Zeuge [X.]hat ausdrücklich erklärt, an einer audiovisuellen Vernehmung nicht teilzunehmen.

5

Hinsichtlich des Zeugen S.     kommt das [X.] rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis, dass dieser für eine audiovisuelle Vernehmung durch ein [X.] Gericht nicht zur Verfügung stand; er hatte nämlich erklärt, allenfalls einer Vernehmung durch ein kasachisches Gericht zuzustimmen. Der Zeuge S.     hat mit Schreiben vom 19. Juni 2015 mitgeteilt, dass er "ausschließlich" vor einem entsprechenden Gericht der Republik [X.] unter Anwesenheit seines Rechtsanwaltes bereit sei, als Zeuge auszusagen. Das [X.] durfte aus dieser Erklärung ohne weiteres schließen, dass jede andere Form der Vernehmung für den Zeugen nicht in Betracht kam.

6

b) Auch die Rüge, der Beweisantrag auf Vernehmung der Dolmetscherin Sa.      als Zeugin über den Inhalt ihrer Telefonate mit dem Zeugen [X.]sei fehlerhaft abgelehnt worden, bleibt ohne Erfolg.

7

Es lag bereits kein ordnungsgemäßer Beweisantrag vor. Vielmehr handelt es sich bei dem Antrag vom 21. Mai 2015 um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung hier nur mit einer zulässigen Aufklärungsrüge beanstandet werden kann.

8

Zutreffend hat der [X.] ausgeführt, dass ein Beweisantrag hätte darlegen müssen, welche tatsächlichen Umstände die Kammer zur Prüfung drängen mussten, dass das Telefonat zwischen der Dolmetscherin und dem Zeugen [X.]vom 14. April 2015 einen völlig anderen Inhalt hatte als schriftlich niedergelegt. Dies gilt umso mehr, als die vereidigte Dolmetscherin in ihrer dienstlichen Stellungnahme die Behauptungen des Angeklagten, die Gespräche zwischen ihr und dem Zeugen [X.]hätten einen anderen Inhalt gehabt, als "frei erfunden" bezeichnet hatte.

9

2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

Das [X.] hat für beide Fälle der Steuerhinterziehung in den [X.] 2003 und 2004 den Strafrahmen für besonders schwere Fälle angenommen und dies mit dem "großen Ausmaß" des verursachten Steuerschadens von mehr als 150.000 Euro für den Veranlagungszeitraum 2003 und von mehr als 660.000 Euro für den Veranlagungszeitraum 2004 begründet.

Die Strafkammer hat dabei aber übersehen, dass sich § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert hatte (Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/[X.], [X.] I 2007, 3198). Für vor dem 1. Januar 2008 begangene Taten bedarf es zusätzlich zum "großen Ausmaß" noch eines Handelns aus "grobem Eigennutz".

Angesichts der Abgabe der Einkommensteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2003 und 2004 am 2. Mai 2006 bei dem zuständigen Finanzamt, kommt die Anwendbarkeit von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] aF in Betracht, falls die Taten bis zum 31. Dezember 2007 beendet wurden (§ 2 Abs. 1, 2 StGB). Ob dies der Fall war, kann nicht beurteilt werden, da das [X.] keine Feststellungen zum Zeitpunkt der Beendigung der Steuerstraftaten getroffen hat.

a) Bei [X.] – wie hier der Einkommensteuer – ist der durch die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung verursachte Erfolg der Steuerverkürzung eingetreten und die Straftat damit vollendet, wenn auf Grund der unrichtigen Erklärung die Steuer zu niedrig festgesetzt und dies dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben worden ist. In diesem Zeitpunkt ist die Tat zugleich beendet ([X.], Beschlüsse vom 25. April 2001 – 5 [X.], [X.], 309, 310 und vom 7. Februar 1984 – 3 StR 413/83, [X.], 142; [X.] in [X.]/[X.], Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 376 Rz. 26).

b) Sollte die Tat vor dem 1. Januar 2008 beendet worden sein, wird das Gericht zu prüfen haben, ob der Angeklagte grob eigennützig gehandelt hat. Dies ist der Fall, wenn der Täter sein Verhalten von dem Streben nach Vorteil in besonders anstößigem Maße hat leiten lassen. Dabei muss das Gewinnstreben des [X.] das bei jedem Steuerstraftäter vorhandene Gewinnstreben deutlich übersteigen (vgl. [X.], Urteile vom 1. August 1984 – 2 StR 220/84, [X.]St 33, 35 [nicht abgedruckt]; vom 20. November 1990 – 1 StR 548/90, wistra 1991, 106; vom 23. Januar 1991 – 3 [X.], [X.]R [X.] § 370 Abs. 3 Nr. 1 Eigennutz 4 und vom 24. Juli 1985 – 3 [X.], wistra 1985, 228). Erforderlich ist eine vom Tatgericht vorzunehmende Gesamtbetrachtung sämtlicher Tatumstände, namentlich der vom Täter gezogenen Vorteile, der Art, Häufigkeit und Intensität der Tatbegehung und des Verwendungszwecks der erlangten Vorteile. Diese Umstände müssen im Zusammenhang gesehen und daraufhin überprüft werden, ob sie den Schluss auf groben Eigennutz des [X.] rechtfertigen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. Juni 1990 – 3 StR 471/89, [X.]R [X.] § 370 Abs. 3 Nr. 1 Eigennutz 3 und vom 13. Juni 2013 – 1 [X.], [X.]R [X.] § 370 Abs. 3 Nr. 1 Eigennutz 5).

c) Sollte die Strafkammer groben Eigennutz im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] aF nicht feststellen können, kann ein unbenannter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung in Betracht kommen (vgl. [X.], Urteil vom 21. August 2012 – 1 [X.], [X.], 28, 30; Beschluss vom 22. September 2008 – 1 [X.], [X.], 159; [X.] in [X.], [X.], 13. Aufl., § 370 Rn. 277).

d) Die Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Sie dürfen um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht entgegenstehen.

3. Die Aufhebung des Urteils durch das Revisionsgericht im Strafausspruch lässt die angeordnete Kompensation für die eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung unberührt ([X.], Urteil vom 27. August 2009 – 3 [X.], [X.]St 54, 135; Beschlüsse vom 16. März 2016 – 1 [X.] und vom 22. Januar 2013 – 1 [X.], [X.]St 58, 115). Etwaige weitere Verzögerungen wird das neue Tatgericht gegebenenfalls ergänzend zu berücksichtigen haben.

Raum                          Cirener                    Mosbacher

                Fischer                          Bär

Meta

1 StR 99/16

30.06.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hildesheim, 17. Juli 2015, Az: 21 KLs 5433 Js 85761/06

§ 370 Abs 3 S 2 Nr 1 AO vom 01.10.2002, § 2 Abs 1 StGB, § 2 Abs 2 StGB, § 46 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.06.2016, Az. 1 StR 99/16 (REWIS RS 2016, 8997)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8997

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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