Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2004, Az. VI ZR 199/03

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2004, 2879

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES [X.]/03 Verkündet am: 8. Juni 2004 [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: ja

[X.]R: ja

BGB § 823 Aa, I; ZPO (2002) §§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 Nr. 3
a) Auch nach der Reform der Zivilprozeßordnung dürfen beim Vortrag zu medizini-schen Fragen im Arzthaftungsprozeß an den Vortrag zu Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten ebenso wie an den klagebegründenden Sachvortrag nur maßvolle Anforderungen gestellt werden.
b) [X.] und sein Prozeßbevollmächtigter sind nicht verpflichtet, sich zur ord-nungsgemäßen Prozeßführung medizinisches Fachwissen anzueignen.
c) Läßt das Berufungsgericht fehlerhaft Vorbringen nicht zu, weil es zu Unrecht die-ses für neu hält oder Nachlässigkeit bejaht (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), so kann es - 2 - sich nicht auf die Bindung an die erstinstanzlich festgestellten Tatsachen berufen, wenn die Berücksichtigung des Vorbringens zu Zweifeln im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hätte führen müssen.
[X.], Urteil vom 8. Juni 2004 - [X.]/03 - OLG Köln
LG Aachen

- 3 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. [X.] und [X.] [X.], [X.], Pauge und [X.] für Recht erkannt: Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 11. Juni 2003 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand: Die Klägerin macht gegen die Beklagte als Trägerin des [X.] geltend. Im Dezember 1998 stürzte die Klägerin und zog sich einen Speichen-bruch mit Abriß des Griffelfortsatzes der Elle zu. Der erlittene Trümmerbruch mit einer hauptsächlich streckseitig gelegenen [X.] wurde im Kranken-haus der Beklagten operativ eingerichtet. Anschließend wurde die Reponierung mit zwei durch die Haut eingebrachten [X.] und einer Gipsschie-ne stabilisiert. Nach Entfernung der Drähte Anfang Februar 1999 klagte die Klägerin über Beschwerden im Bereich des rechten Handgelenks und über ein - 4 - Taubheitsgefühl der Streckseite des rechten Daumens. Bei einer Untersuchung in der unfallchirurgischen Klinik R. wurde eine in Fehlstellung verheilte [X.] sowie eine Defektläsion des Daumenastes des Nervus radialis superfi-cialis diagnostiziert. Die Klägerin hat vor dem [X.] behauptet, die Ärzte des [X.] hätten den Bruch fehlerhaft behandelt. Die unzureichende Stabilisie-rung habe zu einer Verheilung in Fehlstellung geführt. Auf ihre starken postope-rativen Schmerzen sei nicht in angemessener Weise durch die Verordnung von Schmerzmitteln reagiert worden. Dies sei zur Prophylaxe eines Morbus [X.] erforderlich gewesen. Bei Entfernung der [X.] sei es behandlungs-fehlerhaft zu einer Durchtrennung des sensiblen Astes des Nervus radialis su-perficialis gekommen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter. Entscheidungsgründe: [X.] Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Urteil in [X.], 517 veröffentlicht ist, ist der Klage auf der Grundlage der in erster Instanz fest-gestellten Tatsachen der Erfolg zu versagen. Konkrete Anhaltspunkte, die Zwei-fel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Fest-stellungen begründeten und deshalb eine neue Feststellung gebieten würden, lägen nicht vor (§ 529 Abs. 1 ZPO). - 5 - Soweit die Klägerin weiterhin Behandlungsfehler bei der Durchführung der Spickdrahtosteosynthese rüge, bestehe keine Veranlassung zu einer weite-ren Sachaufklärung. Der Sachverständige habe ausdrücklich hervorgehoben, die Einbringung der Drähte sei fehlerfrei erfolgt in Anwendung eines Verfah-rens, welches dem [X.] entspreche und auch [X.] worden sei. Die abweichende Auffassung der Klägerin, daß die [X.] nicht korrekt angebracht worden seien, so daß eine ausreichende Stabi-lität nicht habe erzielt werden können, begründe keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen. Keine im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erheblichen Zweifel [X.] auch, soweit die Klägerin es als [X.] ansehe, daß die Enden der Drähte unter der Haut versenkt worden seien. Auch hierzu habe der Sachverständige festgestellt, die Einbringung der beiden [X.] sei [X.] erfolgt. Es stehe auch nicht fest, daß die Nervverletzung vermeidbar fehlerhaft von den behandelnden Ärzten verursacht worden sei. Der Sachver-ständige habe dargelegt, trotz größtmöglicher Sorgfalt habe es zu einer Durch-trennung bzw. Quetschung von kleinen Hautnerven kommen können. Mit ihrem erstmals in zweiter Instanz erfolgten Vorbringen, die Spick-drahtosteosynthese sei nicht die Methode der Wahl gewesen, könne die Kläge-rin ebensowenig durchdringen wie mit der gleichfalls neuen Behauptung, der Morbus [X.] sei nicht adäquat bzw. überhaupt nicht behandelt worden. Auch bei der dargelegten Behandlungsalternative mit einem Fixateur externe handele es sich um eine Tatsachenbehauptung und nicht - wie die Klägerin meine - um die Darlegung eines von Amts wegen zu berücksichtigenden medizinischen Erfahrungssatzes. Beide Tatsachenbehauptungen fielen unter die Bestimmun-gen der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO. Sie stellten neue Angriffsmittel im Sinne von § 531 ZPO dar und seien nicht zuzulassen, weil die [X.] - gen der hier nur in Betracht kommenden Bestimmungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO nicht dargetan seien. Dem [X.] sei kein Ver-fahrensfehler im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO unterlaufen. Es sei auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vorbringens zu einer weiteren Sach-aufklärung nicht gehalten gewesen. Die schriftliche Begutachtung sei eindeutig gewesen; die von der Klägerin erstinstanzlich für klärungsbedürftig gehaltenen Fragen habe der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung beantwor-tet. Sei das Vorbringen somit als neuer Sachvortrag nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, scheide eine weitere Sachaufklärung nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aus. Der neue Sachvortrag könne aus Rechtsgründen auch nicht geeignet sein, Zweifel an der Richtigkeit der bisherigen Feststellungen des [X.] im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu begründen; anderenfalls würden die [X.] und das Reformziel, den Rechtsstreit möglichst im ersten Rechtszug umfassend aufzuklären, unterlaufen. Die Klägerin habe nicht dargetan, daß sie den neuen Vortrag ohne Nach-lässigkeit nicht bereits im ersten Rechtszug hätte in den Rechtsstreit einführen können (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Sie sei gehalten gewesen, jede in [X.] kommende Möglichkeit zu nutzen, Einwendungen gegen die in erster In-stanz vorgelegte Begutachtung ausfindig zu machen. Sie habe auch nicht vor-getragen, daß sie bzw. ihr Prozeßbevollmächtigter sich nicht in gleicher Weise hätten informieren können wie der Prozeßbevollmächtigte in der zweiten In-stanz. Fehl gehe auch der Vorwurf, der entstandene Morbus [X.] sei nicht adäquat behandelt worden. Eine unzureichende [X.]-Prophylaxe sei nicht erwiesen. - 7 - I[X.] Das angefochtene Urteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. a) Nicht zu beanstanden ist das Berufungsurteil allerdings, soweit es keine Notwendigkeit für eine weitere Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich eines Behandlungsfehlers bei der Durchführung der Spickdrahtosteosynthese und bei der Prophylaxe für einen Morbus [X.] sieht und diesbezüglich Behandlungs-fehler auf der Grundlage der erstinstanzlichen Feststellungen verneint. Die Re-vision macht hierzu nur geltend, das Berufungsgericht sei dem Einwand der Klägerin nicht nachgegangen, die Schädigung des Nervs bei Entfernung der [X.] wäre vermieden worden, wenn deren Enden nicht zuvor unter die Haut versenkt worden wären. [X.] hält die Auffassung des Berufungs-gerichts, aus dem Vorbringen der Klägerin ergäben sich keine Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die eine neue Tatsachenfeststellung erforderten, in diesem Punkt revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten [X.] festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des [X.] an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2004 - [X.] ZR 230/03 - und [X.], Urteil vom 12. März 2004 - [X.], 845, 846, jeweils vorgesehen zur Veröffentlichung in [X.]; Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, [X.]. - 8 - 14/4722, [X.]; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; [X.], NJW 2003, 169, 171). Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht [X.] überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß im Fall der [X.] die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - [X.] ZR 361/02 - NJW 2003, 3480, 3481; Begründung des Rechtsausschusses, [X.]. 14/6036 S. 124). Dies gilt grundsätzlich auch für Tatsachenfeststellun-gen, die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen [X.] sind. In diesem Fall kann unter anderem die - hier von der [X.] gerügte - Unvollständigkeit des Gutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen wecken (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - [X.] ZR 361/02 - aaO; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rdn. 18; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 24. Aufl., § 529 Rdn. 9). [X.]) Gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es die Notwendigkeit einer neuen Tatsachenfeststellung insoweit verneint, sind keine durchgreifenden Revisionsrügen vorgebracht. Das Berufungsgericht hat im Hinblick darauf, daß der Sachverständige ausführlich dazu Stellung genommen hat, ob bei Durchführung der hier angewandten Spickdrahtosteosynthese [X.]sfehler vorlagen, und er dies verneint hat, ausgeführt, daß es keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellun-gen hat, die hinsichtlich dieses Komplexes eine erneute Feststellung geböten. Hiergegen ist von Seiten des [X.] nichts zu erinnern. b) Das Berufungsurteil hält auch dem Angriff der Revision stand, soweit das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin zu einer unterlassenen [X.] des Morbus [X.] als neues Vorbringen nicht zugelassen hat. - 9 - Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin wurde zutreffend als neu im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO angesehen. Entgegen der Auffassung der Revision schließt nämlich der erstinstanzliche Sachvortrag der Klägerin nicht die Frage ein, ob ein Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der [X.] des entstandenen Morbus [X.] vorliegt. Der von ihr in Bezug ge-nommene und aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ersichtliche erst-instanzliche Vortrag der Klägerin befaßte sich nämlich allein mit dessen [X.] und nicht mit einer angeblich unterlassenen Behandlung. Die Behauptun-gen, den Ausbruch einer Krankheit nicht verhindert und eine ausgebrochene Krankheit nicht behandelt zu haben, betreffen indes zwei unterschiedliche zeitli-che Abschnitte des Behandlungsverlaufs. Mit dem zweitinstanzlich erhobenen Vorwurf wird die Behauptung fehlerhafter Prophylaxe demgemäß nicht lediglich konkretisiert, sondern der Angriff der Klägerin geändert. Das Berufungsgericht hat dieses neue Vorbringen auch zu Recht nicht zugelassen, weil nicht dargetan ist, daß die Klägerin es nicht bereits im ersten Rechtzug hätte in den Rechtsstreit einführen können. Anders als bei einer vor-zugswürdigen Behandlungsalternative (vgl. dazu unter 2.) geht es hier nämlich zunächst nicht um eine medizinische Frage, sondern darum, auch diesen Ab-schnitt des gesamten Behandlungsverlaufs zur Überprüfung durch das Gericht zu stellen. Dazu waren keine medizinischen Fachkenntnisse erforderlich. Die Klägerin wußte vielmehr aus eigenem Erleben, ob eine Behandlung des Morbus [X.] erfolgt war, und konnte die von ihr jetzt behauptete Unterlassung der Behandlung deshalb zum Gegenstand der gerichtlichen und sachverständigen Überprüfung machen, ohne auf vertiefte medizinische Kenntnisse angewiesen zu sein. Indem sie dies im ersten Rechtszug nicht getan hat, hat sie gegen die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen. - 10 - 2. Das Berufungsurteil hält jedoch den Angriffen der Revision nicht stand, soweit das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin zu einer Behand-lungsalternative als neues Vorbringen nicht zugelassen hat (§ 531 Abs. 2 ZPO) und deshalb nicht zu Zweifeln im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gelangt ist. a) Das Vorbringen der Klägerin zu einer Behandlungsalternative ist ent-gegen der Auffassung des Berufungsgerichts bereits nicht als neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO zu werten. aa) Die Revision macht geltend, der Vortrag fehlerhafter Behandlung, insbesondere auch durch Erzielung einer unzureichenden Stabilität und Dreh-stabilität, schließe den Vorwurf mit ein, im Hinblick auf die ausgedehnte [X.] sei seitens der Ärzte mit der Spickdrahtosteosynthese eine Behand-lungsmethode gewählt worden, die wesentlich weniger geeignet gewesen sei als eine Behandlung mittels eines Fixateur externe. Der gerichtliche Sachver-ständige hätte sich deshalb bereits in erster Instanz mit der Frage einer besser geeigneten Methode und damit einer Behandlungsalternative befassen müssen. Dem ist unter den Umständen des Streitfalls zuzustimmen. [X.]) Der Begriff der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ist nach dem bisherigen Recht auszulegen ([X.] in [X.]/[X.], [X.], 2002, § 531 Rdn. 8). Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbrin-gen neu ist, hängt also davon ab, wie allgemein es in erster Instanz gehalten war. Wenn es einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz kon-kretisiert oder erstmals substantiiert, ist es neu, nicht aber dann, wenn ein be-reits schlüssiges Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachen-behauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (vgl. [X.], Urteile vom 5. Juni 1991 - [X.]II ZR 129/90 - NJW-RR 1991, 1214, 1215 und vom 26. Juni 2003 - [X.]I ZR 281/02 - NJW-RR 2003, 1321, 1322; [X.] 11 - bach/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 62. Aufl., § 531 Rdn. 12; Drossart, Bauprozessrecht 2004, 4, 6). Zwar enthielt der erstinstanzliche Vortrag der Klägerin nicht ausdrücklich den Vortrag einer besseren Behandlungsalternative durch einen Fixateur exter-ne. Bei der Beurteilung, ob ein neuer Vortrag vorliegt, ist aber zu [X.], daß an die Substantiierungspflicht der [X.] im Arzthaftungsprozeß nur maßvolle Anforderungen gestellt werden dürfen, weil vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann. Die [X.] darf sich auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes auf Grund der Folgen für den Patien-ten gestattet (vgl. Senatsurteile vom 19. Mai 1981 - [X.] ZR 220/79 - VersR 1981, 752; vom 10. November 1981 - [X.] ZR 92/80 - [X.], 168, 169 und vom 15. Juli 2003 - [X.] ZR 203/02 - VersR 2003, 1541, 1542; Geiß/[X.], [X.], 4. Aufl., [X.]. 2). Der Vortrag, es habe eine bessere Behand-lungsmethode, also eine echte und indizierte Behandlungsalternative gegeben, stellt im Streitfall unter Berücksichtigung dieser Darlegungserleichterungen im Arzthaftungsprozeß lediglich eine weitere Verdeutlichung des schlüssigen [X.] einer fehlerhaften Behandlung des Bruchs dar, der nicht ausreichend stabilisiert worden sei. b) Im übrigen hätte das Berufungsgericht das Vorbringen zur Behand-lungsalternative selbst dann berücksichtigen müssen, wenn es - entgegen den obigen Darlegungen - neu gewesen wäre. Bei der Beurteilung, ob der Klägerin Nachlässigkeit im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO vorzuwerfen ist, hat das Berufungsgericht zu hohe Anforderungen an die Informations- und Sub-stantiierungspflicht der [X.] im Arzthaftungsprozeß gestellt. - 12 - Das Berufungsgericht hat das von ihm als neu angesehene Vorbringen nicht zugelassen, weil die Klägerin nicht dargetan habe, daß sie den neuen Vor-trag ohne Nachlässigkeit nicht bereits im ersten Rechtszug hätte in den [X.] einführen können. Das rügt die Revision mit Erfolg. Die in der [X.] zulässige Prüfung, ob § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO richtig angewen-det worden ist (vgl. [X.] in [X.]/[X.], aaO, § 531 Rdn. 26; MünchKomm/ZPO/[X.], § 531 Rdn. 35 und § 530 Rdn. 34; Musielak/Ball, aaO, § 531 Rdn. 22 ff.; [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 531 Rdn. 37), führt zu dem Ergebnis, daß die unterlassene Geltendma-chung im ersten Rechtszug nicht auf einer Nachlässigkeit der Klägerin beruhte. Jede [X.] ist zwar grundsätzlich gehalten, schon im ersten Rechtszug die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt ist oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande ist. [X.] ist dabei die einfache Fahrlässigkeit (vgl. [X.], NJW-RR 2003, 139, 140 und [X.], 2003, 249, 250; KG, [X.] 2003, 471, 472; MünchKomm/ZPO/[X.], § 531 Rdn. 28; Musielak/Ball, aaO, § 531 Rdn. 19; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1904; [X.], [X.] 2003, 421, 428; [X.]. 14/4722 S. 101 f.). Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze überspannt das [X.] indes die Anforderungen an die Informations- und Substantiie-rungspflicht einer klagenden [X.] im Arzthaftungsprozeß. Der oben dargelegte Grundsatz, daß in einem Arzthaftungsprozeß an die Substantiierungspflicht des [X.] nur maßvolle Anforderungen gestellt wer-den dürfen, gilt nämlich auch für Einwendungen gegen ein gerichtliches [X.]. Die [X.] ist nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz ihre [X.] - gen gegen das Gerichtsgutachten auf die Beifügung eines Privatgutachtens oder auf sachverständigen Rat zu stützen oder - wie das Berufungsgericht meint - selbst oder durch Dritte in medizinischen Bibliotheken Recherchen an-zustellen, um Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutach-ten zu formulieren. Sie ist durchaus berechtigt, ihre Einwendungen zunächst ohne solche Hilfe vorzubringen (vgl. Senatsurteile vom 19. Mai 1981 - [X.] ZR 220/79 - VersR 1981, 752 und vom 10. November 1981 - [X.] ZR 92/80 - [X.], 168; [X.], Urteil vom 19. Februar 2003 - [X.] - [X.], 83, 84). Das [X.] hat an diesen Grundsätzen nichts geändert, weil der dafür maßgebende Gesichtspunkt, die Waffengleichheit zwischen Arzt und Patienten zu gewährleisten, weiter gilt. Die Klägerin hat in erster Instanz das gerichtliche Gutachten nicht hinge-nommen, sondern mit substantiierten Ausführungen in Frage gestellt. Bei dieser Sachlage kann es nicht als Nachlässigkeit angesehen werden, wenn sie in zweiter Instanz ihren Angriff konkretisiert hat, nachdem ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter durch eigene medizinische Recherchen zusätzliche Informationen über die Behandlung eines Trümmerbruchs erlangte. Daß sich die Klägerin bereits erstinstanzlich durch zwei Fachärzte hat beraten lassen und hierbei möglicherweise nicht vollständig informiert wurde, geht nicht zu ihren Lasten. [X.] und sein Prozeßbevollmächtigter sind nämlich nicht ver-pflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozeßführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Im konkreten Fall hätte überdies auch für das erstinstanzliche [X.] Veranlassung bestanden, den Sachverständigen nach einer Behandlungs-alternative zu befragen, nachdem dieser ausgeführt hatte, nach Angaben in der Fachliteratur komme es erfahrungsgemäß bei dem angewandten Spickdraht-osteosyntheseverfahren bei einem Bruch wie dem vorliegenden in etwa 20 % der Fälle zu einem Korrekturverlust. Unter diesen Umständen war mit dem - 14 - Sachverständigen zu erörtern, wie die Praxis dieses beträchtliche Risiko zu vermeiden oder zu verringern suchte. c) Bei der mithin gebotenen Berücksichtigung des Vorbringens der Klä-gerin zur Behandlungsalternative mußten sich für das Berufungsgericht [X.] Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entschei-dungserheblichen Feststellungen ergeben, die eine erneute [X.] geboten. Hier hat die Klägerin nämlich nach den von ihrem zweitinstanzli-chen Prozeßbevollmächtigten durchgeführten Recherchen in der [X.] ausführlich und substantiiert vorgetragen und durch Nachweise aus der medizinischen Fachliteratur belegt, daß ihrer Ansicht nach eine vorzugs-würdige Behandlungsmethode hätte angewendet werden müssen. II[X.] Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Berücksichtigung des übergangenen Vortrags zum Bestehen einer Behandlungsalternative auf - 15 - die Beurteilung des Rechtsstreits ausgewirkt hätte. Deshalb war das angefoch-tene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur Nachholung der gebotenen Feststellungen zurückzuverweisen. [X.][X.] [X.]

Pauge [X.]

Meta

VI ZR 199/03

08.06.2004

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.06.2004, Az. VI ZR 199/03 (REWIS RS 2004, 2879)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 2879

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