Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.04.2012, Az. 3 StR 108/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2012, 7387

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Gegenstand

Beweisaufnahme im Strafverfahren: Verwertung eines richterlichen Vernehmungsprotokolls als ergänzendes Beweismittel nach Zeugnisverweigerung des vernommenen Zeugen


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. November 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten, die das Verfahren beanstandet und die Sachrüge erhebt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Auf die Sachrüge kommt es daher nicht an.

2

1. Die Beanstandung der Revision, die - unverändert zugelassene - Anklageschrift sei nicht ausreichend konkretisiert, so dass es an einer Verfahrensvoraussetzung fehle, ist allerdings aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet.

3

2. Hingegen ist die Rüge der Verletzung von § 252 StPO zulässig und begründet. Insoweit hat der [X.] im Wesentlichen ausgeführt:

"1. [X.] , Tochter des Angeklagten, hat in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 StPO Gebrauch gemacht. Die Kammer hat in der Folge zunächst Frau [X.] S. , die die Geschädigte richterlich vernommen hatte, als Zeugin gehört. Nach deren Entlassung wurde sodann die von der Zeugin Sch. aufgenommene Niederschrift über die richterliche Vernehmung verlesen ([X.] f.; [X.]. [X.]). Der Wortlaut der verlesenen Vernehmungsniederschrift wird im Urteil umfassend wiedergegeben ([X.] bis 29). Im Rahmen der Beweiswürdigung führt die [X.] aus, dass die Angaben der Geschädigten bei ihrer richterlichen Vernehmung durch die Zeugenvernehmung der Richterin 'und durch ergänzende Verlesung des Vernehmungsprotokolls' eingeführt und von der Kammer zur Grundlage ihrer Würdigung gemacht worden sind ([X.] f.).

2. Mit der Verlesung und Verwertung der Vernehmungsniederschrift hat die [X.] gegen § 252 StPO verstoßen. Gemäß dieser Vorschrift darf die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, nicht verlesen werden. Nach ständiger Rechtsprechung lässt § 252 StPO zwar die Vernehmung der richterlichen [X.] als Zeuge zu. Im Rahmen dieser Beweisaufnahme darf das richterliche Vernehmungsprotokoll als Vorhalt genutzt werden. Zulässiges Beweismittel ist aber immer nur die auf die Erinnerung gegründete Aussage des richterlichen Zeugen, nicht dagegen das Protokoll (vgl. [X.]St 10, 77; [X.] StV 1996, 522; NJW 2008, 1010). Vorliegend wird der Gesetzesverstoß sowohl durch den Gang der Hauptverhandlung, in der die Niederschrift erst nach der Entlassung der richterlichen Zeugin verlesen wurde, wie durch die umfangreiche wörtliche Wiedergabe im Urteil wie auch durch die Benennung als 'ergänzendes' Beweismittel im Rahmen der Beweiswürdigung belegt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Die Angaben der Zeugin [X.] bei der richterlichen Vernehmung waren die einzige Erkenntnisquelle für die Feststellung des konkreten Verlaufs der abgeurteilten Taten. Bei der Beweiswürdigung hat die [X.] sich ausdrücklich auf die 'möglichst wortgetreue Wiedergabe der Formulierungen der Geschädigten' in der von der Zeugin Sch. aufgenommenen Vernehmungsniederschrift gestützt ([X.]), um die Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten zu bewerten (vgl. [X.] ff.). Soweit die Zeugin [X.] sich außerhalb des Ermittlungsverfahrens gegenüber anderen Personen zu den Missbrauchsvorwürfen geäußert hat, geschah dies immer nur in pauschaler Weise ([X.] bis 12, 47, 50 f.), so dass sich hieraus die im Urteil festgestellten detaillierten Tatumstände nicht ergeben konnten. Der Geltendmachung der Rüge steht nicht entgegen, dass die Verteidigung in der Hauptverhandlung der Verlesung nicht widersprochen oder einen Beschluss gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt hat (vgl. [X.] in [X.] § 252 Rdnr. 32 m.w.N.)."

4

Dem schließt sich der Senat an.

5

Ergänzend weist er darauf hin, dass die schriftlichen Urteilsgründe nicht dazu dienen, den Inhalt der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu dokumentieren. Sie sollen (lediglich) das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergeben und die rechtliche Nachprüfung der getroffenen Entscheidung ermöglichen (st. Rspr.; vgl. schon [X.], Beschluss vom 4. September 1997 - 1 StR 487/97, [X.], 51).

Schäfer                                     von [X.]                                     Hubert

                        Mayer                                             [X.]

Meta

3 StR 108/12

11.04.2012

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Wuppertal, 14. November 2011, Az: 24 KLs 64/10

§ 52 StPO, § 238 Abs 2 StPO, § 252 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.04.2012, Az. 3 StR 108/12 (REWIS RS 2012, 7387)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7387

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 108/12

3 Ss OWi 156/17

3 Ss OWi 1164/16

3 StR 156/21

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