Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2014, Az. VI ZR 118/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 2945

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR
118/13

vom

16. September 2014

in dem Rechtsstreit

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
16. September
2014
durch den Vorsitzenden [X.], [X.], [X.], [X.] und die Richterin Dr. Oehler
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 6.
März 2013 aufge-hoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das [X.] zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 100.000

Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten zu
1, einen niedergelassenen Gynä-kologen, und dessen Gemeinschaftspraxis wegen unterlassener Aufklärung über die mit der Durchführung einer HPV-Impfung mit dem Impfstoff [X.] verbundenen Risiken auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in [X.]. Die Impfungen erfolgten kurz nach dem 18.
Geburtstag der Klägerin am 31.
Januar 2007
(laut Dokumentation), am 18.
April 2007 und am 17.
Dezember 1
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3
-

2007. Die Klägerin behauptet, ein Aufklärungsgespräch über die Impfung sei nicht geführt worden. 14 Tage nach der letzten Impfung habe sie gesundheitli-che Störungen in Gestalt von Schwindel, Kopfschmerz, Sehstörungen, Schweißausbrüchen,
Muskelkrämpfen in den Armen und Beinen, permanenter Müdigkeit, Lähmungen in der [X.] (ein gefühltes Zusammenziehen der [X.]n), Lichtempfindlichkeit, Sehen von Blitzen und schwarzen Punkten, Bauchkrämpfen und Übelkeit erlitten. Diese Beschwerden dauerten bis heute an und stellten dauerhafte Folgeschäden dar. Es liege ein Impfschaden vor, nämlich ein schwerer
neurologischer Dauerschaden durch eine Schädigung des zentralen Nervensystems. Das [X.] hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und nach Anhörung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 10.
August 2011 abgewiesen. Die hiergegen ge-richtete Berufung der Klägerin hat das [X.] zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Ge-hör aus Art.
103 Abs.
1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es erheblichen Sachvortrag der Klägerin und das zugehörige Beweisangebot nicht berücksichtigt hat und zudem der Sachverständigen
nicht gemäß §
407a
Abs.
4 ZPO aufgegeben hat, die ihrem Gutachten zugrunde gelegten weiteren Gutachten des Neurologen Prof. Dr.
G.

und der Fachärztin für medizi-2
3
-
4
-

nische Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, Prof.
Dr.
Gä.

, herauszugeben, so dass die Klägerin sich dazu äußern konnte.
1. Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben. In diesem Sinne gebietet Art.
103 Abs.
1 GG i.V.m. den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Be-weisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstößt gegen Art.
103 Abs.
1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze [X.] (vgl. Senat, Beschluss vom 12.
Mai 2009 -
VI
ZR 275/08, [X.], 2604
ff. mwN).
So verhält es sich im Streitfall. Das Berufungsgericht ist auf der [X.] vom 25.
Februar 2011 davon ausgegan-gen, dass es an einer kausal auf die Impfung zurückzuführenden [X.] fehle. Für diese Feststellung war auch maßgeblich, dass die Sachverständige aufgrund der Zeitabstände zwischen den dokumentierten [X.] Konsultationen bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs ange-nommen hat, dass bestimmte, von der Klägerin behauptete [X.] erst acht Monate nach der letzten Impfung aufgetreten seien. Die Klägerin hat jedoch unter Beweisantritt (Zeugnis

K.

und Dr.

S.

) vorgetragen, dass ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen bereits 14 Tage nach der letzten Impfung zu beobachten gewesen seien und auch noch fortdauerten. Diesem Beweisantritt ist das Gericht nicht nachgegangen.
Er war erheblich. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beweis-4
5
-
5
-

aufnahme Feststellungen ergeben hätte, die zu anderen sachverständigen Schlussfolgerungen führen könnten.
2. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs erfordert auch, dass einer [X.] Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweise zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten ([X.] 55, 95
ff.; [X.] 84, 188
ff.; [X.], [X.], 580
f.). Wenn der vom Gericht ernannte Sachverständige die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen seines Gutachtens nicht offen legt,
kann nicht nur das Gericht seiner Pflicht aus §
286 ZPO, Gutachten gerichtlicher Sachverständiger sorgfältig und kritisch zu würdi-gen, nicht nachkommen, sondern verletzt die Verwertung dieses Gutachtens auch das Recht der [X.] auf rechtliches Gehör ([X.], Urteil vom 12.
November 1991 -
KZR
18/90,
[X.]Z 116, 47, 58), da es einer Verhinderung des Vortrags zu entscheidungserheblichen Punkten gleich kommt, wenn der [X.] nicht die Gelegenheit gegeben wird, sich mit allen
Grundlagen des Gut-achtens kritisch auseinanderzusetzen. Im Hinblick darauf konnte das [X.] nicht davon absehen, die beiden zusätzlichen Gutachten und ins-besondere die dort beschriebenen Untersuchungsergebnisse der neurologi-schen Untersuchungen der Klägerin von der Sachverständigen anzufordern, um sie auch den [X.]en zugänglich zu machen, zumal die Klägerin diese Unterla-gen nachgefragt und wegen ihres Fehlens der Verwertung des Gutachtens der Sachverständigen widersprochen hat.
Auch diese
Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach der gebotenen er-neuten Würdigung des Gutachtens unter Berücksichtigung der zugrunde geleg-ten weiteren Gutachten und der Stellungnahmen der [X.]en zu einer anderen Beurteilung gelangt
wäre.

6
7
-
6
-

III.
Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit ha-ben, der Gerichtssachverständigen gemäß §
407a Abs.
4 ZPO aufzugeben, die weiteren Gutachten herauszugeben,
und gemäß §
404 Abs.
1 Satz 1 ZPO die genannten
Gutachter oder andere Sachverständige für diese Fachbereiche zu Sachverständigen zu ernennen. Es wird auch zu beachten haben, dass sich die Klägerin auf das Gutachten des Prof.
Dr.
Ke.

vom 29.
Juni 2010 aus dem Verfahren nach dem [X.] beim Landesamt für
Soziales, Ge-sundheit und [X.] ([X.].: A
6
4/09 [X.]) gestützt hat, mit dem
sich weder das Gericht noch
die Sachverständige bisher ausein-andergesetzt haben. Die in diesem Gutachten dargestellten mündlichen Anga-ben der Klägerin anlässlich ihrer Vorstellung bei Prof.
Dr.
Ke.

können dem Gericht auch erste Anhaltspunkte
bei einer
Anhörung der Klägerin und Ver-
8
-
7
-

nehmung der in der Klageschrift benannten Zeugen für die behaupteten ge-sundheitlichen Störungen nach der letzten Impfung geben.
Galke
[X.]
[X.]

[X.]
Oehler

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 31.08.2011 -
16 O 46/10 -

O[X.], Entscheidung vom 06.03.2013 -
1 [X.]-110-
-

Meta

VI ZR 118/13

16.09.2014

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2014, Az. VI ZR 118/13 (REWIS RS 2014, 2945)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2945

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