Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.08.2017, Az. 4 StR 221/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5930

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:310817B4STR221.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 221/17

vom
31. August
2017
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 31.
August
2017
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 31.
Januar 2017 mit den [X.] aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.
2.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3.
Im Umfang der Aufhebung
wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Straf-kammer des
[X.]s zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus angeordnet. Die allgemein auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teil-erfolg; im Übrigen ist
sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
1
-
3
-
1.
Nach den Feststellungen war der Angeklagte seit dem [X.] an einer schizoaffektiven Störung erkrankt. Während er bis 2005 eine Phase hoher Krankheitsaktivität mit wiederholten manischen und depressiven Phasen [X.], war er seither bei fortgesetzter ambulanter medizinischer Betreuung psy-chisch stabil. Seit 2009 ging er einer Beschäftigung in den L.

Werkstät-
ten nach. Seine ab dem [X.] zunehmenden beruflichen Kontakte mit der dort als Abteilungsleiterin tätigen Nebenklägerin interpretierte der Angeklagte dahin, dass die Nebenklägerin an ihm als [X.] interessiert sei. Am 9.
Mai 2015, einem Sonnabend, suchte er sie in der Hoffnung, mit ihr sexuell verkeh-ren zu können, mehrfach an ihrer Wohnanschrift auf, ohne dass die Nebenklä-gerin ihm Einlass gewährte. Als er
gegen 22
Uhr erneut bei ihr klingelte, war sie über das nochmalige Erscheinen des Angeklagten ungehalten und erklärte ihm mit bestimmten Worten, dass sie genug von ihm habe und er gehen solle. [X.] fühlte sich der Angeklagte gekränkt und als Liebhaber zurückgewiesen, woraufhin er in [X.] geriet und den Entschluss fasste, sie zu töten. Er würgte sie mit beiden Händen am Hals und schlug ihren Kopf mehrfach auf den ge-pflasterten Boden, konnte jedoch schließlich durch ihren Lebensgefährten über-wältigt werden.
Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Angeklagten und der Einschätzung der Gefährlich-keitsprognose hat sich das [X.] der angehörten psychiatrischen Sach-verständigen angeschlossen. Danach habe sich der Angeklagte zur Tatzeit in einer akuten manischen Phase seiner schizoaffektiven Störung befunden, wodurch seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei. Ohne ärztliche Behandlung im Rahmen des [X.] gehe von ihm die [X.] aus, durch ähnliche Handlungen wie die verfahrensgegenständliche Tat für die Allgemeinheit gefährlich zu werden.
2
3
-
4
-
2.
Die auf die Sachrüge durchgeführte umfassende Überprüfung des
Urteils hat zum Schuld-
und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3.
Hingegen hält die Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiat-rischen Krankenhaus nach §
63 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a)
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen
Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 8.
April 2003

3
StR
79/03, [X.], 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein ([X.], Urteile vom 9.
Mai 2017

1
StR 658/16, [X.], 272
f.; vom 17.
Juni 2015

2
StR
358/14, [X.]R StGB §
63
Zustand
44; vom 6.
März 1986

4
StR
40/86, [X.]St 34, 22, 27; [X.] vom 21.
Juni 2016

4
StR
161/16, [X.], 588
f.; vom 29.
August 2012

4
StR
205/12, [X.], 367). Eine Unterbringung nach §
63 StGB kommt zudem nur in Betracht, wenn
eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des §
63 Satz
1 StGB nF begehen wird (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13.
Juni 2017

2
StR
174/17, Rn.
11; vom 25.
April 2017

5
StR
78/17, [X.], 239), wobei die erforderliche Prognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.](en) zu entwickeln ist (vgl. [X.], Urteil vom 17.
November 1999

2
StR 453/99, [X.]R StGB §
63 Gefähr-lichkeit
27; Beschlüsse vom 28.
Januar 2015

4
StR
514/14, [X.], 169
f.; vom 26.
September 2012

4
StR 348/12, Rn.
10).
4
5
6
-
5
-
b)
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Durch die bisherigen Feststellungen ist jedenfalls die Gefährlichkeits-prognose des [X.]s nicht belegt, so dass schon aus diesem Grund die Anordnung der Maßregel keinen Bestand hat. Auf die vorliegend ebenfalls zwei-felhafte,
vom [X.] nicht näher
erörterte Frage, ob es sich bei der psychi-schen Verfasstheit des Angeklagten
um einen
dauerhaften Zustand im Sinne des §
63 StGB handelte, kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an.
aa)
[X.] rechtlichen Bedenken begegnet es bereits, dass das [X.] bei seiner Gefährlichkeitsprognose die bisherige Unbestraftheit des seit 1994 in [X.] lebenden und jedenfalls seit dem [X.] an einer
schizoaffektiven Störung leidenden Angeklagten unberücksichtigt gelas-sen hat. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die bislang fehlende Begehung von Straftaten bei Personen, die bereits über Jahre hinweg an einem psychi-schen Defekt leiden, ein gewichtiges, gegen erhebliche zukünftige Gefährlich-keit sprechendes Indiz dar (vgl.
[X.], Urteile vom 8.
Oktober 2015

4
StR
86/15, Rn.
7; vom 10.
Dezember 2014

2
StR
170/14, [X.], 72
f.; Beschlüsse vom 23.
Mai 2017

1
StR
164/17, Rn.
8; vom 7.
Juni 2016

4
StR 79/16, [X.], 306
f.). Hiermit hätte sich das [X.] bei seiner An-nahme, in Freiheit drohe die Begehung von Tötungs-
oder Körperverletzungs-delikten durch den Angeklagten (UA
28), auseinander setzen müssen.
bb)
Ein ähnlich gelagerter Mangel der Gefährlichkeitsprognose
liegt darin begründet, dass
sich das [X.] nicht mit den
Angaben der psychiatri-schen Sachverständigen befasst

e-

22). Da dieser Umstand

ebenso wie seine bisheri-ge Unbestraftheit

ein gewichtiges Indiz gegen eine vom Angeklagten ausge-7
8
9
10
-
6
-
hende Gefahr der Begehung von Körperverletzungs-
oder Tötungsdelikten dar-stellt, wäre das Schwurgericht gehalten gewesen, auch diesen Gesichtspunkt erkennbar in seine Prognoseentscheidung einzubeziehen.
cc)
Ferner ist zu besorgen, dass das [X.] bei seiner [X.] jedenfalls zum Teil von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist. Denn soweit es bei der Begründung der [X.] ausgeführt hat, entgegen, dass der Angeklagte in den letzten etwa fünf Jahren vor der Tat eine psychis

29), steht dies in Widerspruch sowohl zu den Feststellungen zur Person (UA
5) als auch der Beweiswürdigung des
Urteils (UA
19 f.), wo jeweils mitgeteilt wird, dass sich der Angeklagte bereits seit dem [X.]

und damit über einen signifikant längeren Zeitraum vor
Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat im Mai 2015

im Zustand psy-chischer Stabilität befunden habe.
dd)
Schließlich hat das [X.] bei seiner Prognoseentscheidung nicht in den Blick genommen, dass sich die [X.] vor dem Hintergrund einer (vermeintlichen) Liebessituation ereignete, aus der nicht ohne Weiteres Rück-schlüsse auf eine allgemeine Gefährlichkeit des Angeklagten gezogen
werden dürfen. Denn wenn sich Straftaten, aufgrund derer die Unterbringung angeord-net wird, nur gegen eine bestimmte Person richten oder in der Beziehung zu dieser Person ihre alleinige Ursache haben, bedarf die Annahme, dass der [X.] für die Allgemeinheit gefährlich ist, genauer Prüfung und Darlegung auf-grund konkreter tatsächlicher Feststellungen (vgl. [X.], Urteile vom 22.
April 2015

2
StR
393/14, [X.], 306
f.; vom 9.
November 1989

4
StR 342/89, [X.], 77; Beschluss vom 4.
Oktober 2006

2
StR
349/06, [X.], 29); an denen fehlt es hier.
11
12
-
7
-
Die Sache bedarf daher zum [X.] neuer Verhandlung und Entscheidung.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke

Quentin
Feilcke
13

Meta

4 StR 221/17

31.08.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.08.2017, Az. 4 StR 221/17 (REWIS RS 2017, 5930)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5930

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