Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2017, Az. 1 StR 637/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 16602

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:260117B1STR637.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 637/16

vom
26. Januar 2017
in der Strafsache
gegen

wegen
gefährlicher Körperverletzung u.a.

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und des Generalbundesanwalts
am 26. Januar 2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. September 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

1.
Nach den Feststellungen des [X.] beging der Angeklagte im Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§
21 StGB), nicht ausschließbar der Schuldunfähigkeit (§
20 StGB), zwei Beleidigungen in jeweils zwei tateinheitlichen Fällen, einen Diebstahl geringwertiger Sachen und eine gefährliche Körperverletzung. Letztere bestand darin, dass der Angeklagte während eines stationären Aufenthalts im [X.] N.

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e-tränkebehälter mit einem Durchmesser von 30 cm und einem Leergewicht von 5 kg ergriff und ihn mit Wucht in Richtung des Kopfes und des Oberkörpers einer Mitpatientin warf, die dort auf einem Stuhl saß und telefonierte. Sie wurde im Bereich der [X.] und der Nasenwurzel sowie am rechten Oberarm getroffen und erlitt Hämatome und Prellungen.

2. Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf die-sem Zustand beruht. Der [X.] muss, um die notwendige Gefährlich-keitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. [X.] muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infol-ge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden ange-richtet wird (§
63 Satz
1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsan-ordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entschei-dung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 21.
Dezem-ber 2016

1 StR 594/16, Rn.
3; vom 12.
Oktober 2016

4 [X.], Rn.
9; vom 15.
Januar 2015

4 StR 419/14, [X.], 394, 395 und vom 10. No-vember 2015

1 [X.], [X.], 76 f. mwN).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
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aa) Die Voraussetzungen einer zumindest erheblich eingeschränkten (§
21
StGB), nicht sicher ausschließbar vollständig aufgehobenen (§
20 StGB) Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der [X.]en wird nicht in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise dargestellt und [X.] belegt. Erforderlich ist auf [X.] der [X.] stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der jeweiligen
Tat auf die Handlungsmög-lichkeiten des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 21.
Dezember 2016

1 StR 594/16, Rn.
5; vom 12.
Oktober 2016

4 [X.], Rn.
11; vom 17.
Juni 2014

4 [X.], [X.], 305, 306 und vom 23.
August 2012

1 [X.], [X.], 98). Daran fehlt es hier.

bb) Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte an einer gemischt schizoaffektiven Störung, einem schizophrenen Residuum und einer multiplen Substanzabhängigkeit. Dem Sachverständigen folgend geht das [X.] davon aus, dass bei dem Angeklagten zu den jeweiligen [X.] ausge-prägte psychotische Symptome im Rahmen einer schizoaffektiven Störung vor-lagen. Der Angeklagte sei zwar jeweils in der Lage gewesen, das Unrecht sei-nes Tuns einzusehen. Aufgrund der schweren psychotischen Symptome sei jedoch davon auszugehen, dass die Impulskontrolle bei dem Angeklagten [X.] eingeschränkt gewesen sei, dass seine Fähigkeit zu [X.] Verhalten zumindest in hohem Maße vermindert, wenn nicht gar vollständig aufgehoben gewesen sei ([X.]).
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cc) Soweit das [X.] im Anschluss an den Sachverständigen da-von ausgeht, dass der Angeklagte an einer schizoaffektiven Störung leide, wer-den die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs-
und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. [X.], Beschlüsse vom 28.
Januar 2015

4 [X.], Rn.
7, [X.], 169;
vom 16.
Januar 2013

4 StR 520/12, [X.], 141, 142; vom 26. September 2012

4 StR 348/12, Rn.
8; vom 29. Mai 2012

2 [X.], [X.], 306, 307 und vom 14. September 2010

5 [X.], Rn.
8; Urteil vom 21. Januar 1997

1 StR 622/96,
[X.]R StGB §
63 Zustand
20).

Insbesondere wird in dem angefochtenen Urteil nicht näher ausgeführt, wie sich die schizoaffektive Störung konkret auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den [X.]en ausgewirkt haben soll. Die Einschätzung des Sachverständigen, dem das [X.] folgt, erschöpft sich im Wesentlichen in der Aussage, dass der Übergriff mit dem Getränkebehälter das Auftreten eines schweren manischen Syndroms in diesem Zeitraum belege, das eine starke Krankheitsdynamik aufweise und zu den [X.] die Impulskon-trolle des Angeklagten erheblich eingeschränkt habe. Dies lässt eine ausrei-chende Darstellung der auf den Angeklagten bezogenen konkreten Auswirkun-gen seiner psychischen Erkrankung zu den [X.] vermissen. Zwar hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass es nach Verlegung des Angeklag-ten auf eine offen geführte Station im [X.] N.

und trotz adäquater mulitmodaler und polypharmazeutischer Behandlung zu einer erneuten Verschlechterung des [X.] mit unberechenbarem Verhal-ten und psychotischen Symptomen wie [X.] und einer ver-stärkten Anspannung und Reizbarkeit gekommen sei. Auch habe der raptusar-tige Angriff auf die ihm unbekannte Mitpatientin ohne vorherigen Kontakt und ohne normalpsychologisch nachvollziehbare Erklärungen das Auftreten psycho-8
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tisch bedingter Affekt-
und Antriebsstörungen belegt. Schließlich habe sich der Angeklagte, der nach dieser Tat über mehrere Tage hinweg fixiert worden sei, in hohem Maße angespannt und wahnhaft gezeigt und habe psychotische Ängste und [X.] geäußert. Die Gabe dringend notwendiger Medikamente habe er mit der Begründung abgelehnt, er solle hiermit vergiftet werden (UA S.
18). Welche Wahnvorstellungen der Angeklagte gehabt habe, wird im Urteil jedoch ebenso wenig dargestellt wie, welche psychotischen Ängs-te und [X.] der Angeklagte geäußert habe. Im Ergebnis bleibt damit offen, wie sich die psychische Erkrankung des Angeklagten in der konkreten Tatsituation auf seine Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Es ist daher dem Senat nicht möglich, die Wertung des Sachverständigen und ihm folgend des [X.] nachzuvollziehen, bei erhaltener Einsichtsfä-higkeit sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu den [X.] zu-mindest im Sinne des §
21 StGB erheblich eingeschränkt gewesen.

c) Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt den [X.] nicht entfallen.

Zwar hat das [X.] die Krankheitssymptome geschildert, die [X.] seinen mehrfachen Aufenthalten zur psychiatrischen Behandlung im Zeit-raum vom Dezember 2003 bis zum September 2014 festgestellt wurden. Auch insoweit beschränkt sich das [X.] aber auf allgemeine Feststellungen oder Wertungen, wiu-g-ten näher zu beschreiben (UA S.
4). Die in den Urteilsgründen wiedergegebe-nen Aussagen des Sachverständigen zum Krankheitsverlauf beim Angeklagten beschränken sich auf allgemeine Wertungen und lassen nicht erkennen, wie sich die psychische Störung des Angeklagten konkret auf seine Steuerungsfä-10
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higkeit ausgewirkt hat. So wird lediglich darauf hingewiesen, dass das [X.] Störungsbild beim Angeklagten

durch Drogen ausgelöst

zunächst zu klassischen schizophren-psychotischen Störungen mit Halluzinationen und Ich-Störungen und später zu gereizt-manischen Krankheitsphasen geführt habe, die bei Fehlen schizophrener Symptome ebenfalls durch [X.] gekenn-zeichnet gewesen seien ([X.]). Welche Halluzinationen, Ich-Störungen und [X.] aufgetreten sind und wie sich diese auf die Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgewirkt haben, teilt das Urteil nicht mit. Hierfür hätte aber Anlass bestanden, weil der Angeklagte die [X.] während einer geschlossenen Unterbringung begangen hat und deshalb die dort gegebenen Bedingungen (insbesondere die Medikation dort) Berücksichti-gung hätten finden müssen.

d) Auf dem aufgezeigten Darlegungsmangel beruht das angefochtene Urteil. Es ist nach den sonstigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass nähere Darlegungen zu den Auswirkungen der diagnostizierten Störung bei den Taten zu einer Verneinung der zumindest sicher erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit, eine Voraussetzung des § 63 StGB, geführt hätten.

II.

1. Umgekehrt kann aber dementsprechend auch das Vorliegen einer schuldhaften Begehung der [X.]en nicht ausgeschlossen werden. Neben der Unterbringung hat deshalb auch der Freispruch keinen Bestand (vgl. §
358 Abs.
2 Satz
2 StPO).

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2. Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen insgesamt auf (§
353 Abs.
2 StPO), um dem neuen Tatgericht sowohl zu den für die Beurteilung der Schuldfähigkeit
des Angeklagten bei Begehung der [X.]en bedeutsamen Umstände als auch zu sämtlichen prognoserelevanten Aspekten umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Wegen der unzu-reichenden Feststellungen zur Schuldfähigkeit und zu
den Anordnungsvoraus-setzungen des §
63 StGB kann das Tatgericht die Feststellungen auf der Grundlage eines rechtsfehlerhaften Maßstabs getroffen haben.

3. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, einen weiteren Sach-verständigen zur psychischen Störung des Angeklagten beizuziehen und näher auf deren Schwere und ihren bisherigen Verlauf einzugehen. Denn [X.] Störungen verlaufen phasenhaft, wobei es zu Zeiten vollständiger Remissi-on kommen kann, in denen keine psychischen Beeinträchtigungen
zu beobach-ten sind (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Januar 2015

4 [X.], [X.], 169 Rn.
10 mwN). Damit kommt der Frage, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit beim Angeklagten zu Krankheitsphasen gekommen ist, für die gegebenenfalls wieder vorzunehmende Gefährlichkeitsprognose erhebliche 15
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Bedeutung zu. Der Zeitraum nach der Entlassung des Angeklagten aus der geschlossenen Unterbringung im Januar 2015 dürfte besonders in den Blick zu nehmen sein.
Raum

Graf Jäger

Radtke Fischer

Meta

1 StR 637/16

26.01.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2017, Az. 1 StR 637/16 (REWIS RS 2017, 16602)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16602

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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