Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.06.2013, Az. 4 B 37/12

4. Senat | REWIS RS 2013, 4660

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Gegenstand

Anforderung an die grundsätzliche Bedeutung bei Übergangsregelungen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Stichtagsregelung des § 5 Abs. 1 UmwRG; Aufhebung einer Genehmigungsentscheidung ohne Umweltverträglichkeitsprüfung


Gründe

1

Die auf den [X.] nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte [X.]eschwerde, über die der Senat ohne Einbeziehung der neuerlichen Stellungnahme des [X.] vom 25. Juni 2013 entschieden hat, bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die [X.]eschwerde beimisst.

2

a) Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hält die [X.]eschwerde die Fragen,

ob ein Verfahren im Sinne des § 5 UmwRG auch dann nach dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden ist, wenn zwar nach diesem Zeitpunkt ein [X.] gestellt worden ist, dieser jedoch Folge einer Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 [X.]ImSchG war, die auf eine vor diesem Zeitpunkt gestellte Anzeige eines Änderungsvorhabens hin ergangen ist,

und ggf., ob die Regelung des § 5 UmwRG mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/[X.] vom 26. Mai 2003 vereinbar ist.

3

Diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.

4

aa) Die Frage, ob hinsichtlich der Stichtagsregelung im Sinne des § 5 Abs. 1 UmwRG auf eine Anzeige nach § 15 [X.]ImSchG abzustellen ist, ist nicht rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig.

5

Rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf ist schon nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt. Übergangsregelungen kommt regelmäßig keine grundsätzliche [X.]edeutung zu ([X.]eschlüsse vom 10. Juli 1986 - [X.]VerwG 5 [X.] - [X.] 436.36 § 66a [X.] Nr. 1 und vom 9. Juni 2000 - [X.]VerwG 4 [X.] 19.00 - juris m.w.[X.]). Gründe für eine Ausnahme von dieser Regel hat die [X.]eschwerde nicht dargetan. Dass noch Fälle abzuwickeln sind, in denen die Übergangsvorschrift des § 5 Abs. 1 UmwRG noch von [X.]edeutung ist, reicht hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die aufgeworfene Rechtsfrage für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiter stellen kann ([X.]eschluss vom 8. März 2000 - [X.]VerwG 2 [X.] 64.99 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 21). Das Vorliegen einer solchen Sachlage muss die [X.]eschwerde genau und im Einzelnen darlegen. Daran fehlt es hier. Die [X.]eschwerde hat zwar behauptet, dass die Frage nicht nur wenige auslaufende Fälle betrifft. Sie hat es ferner als ein gängiges Geschehen bezeichnet, dass je nach dem Ergebnis der nach § 15 [X.]ImSchG vorzunehmenden Prüfung ein an sich [X.] Vorhaben entweder zum Gegenstand eines [X.]augenehmigungsverfahrens oder eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß § 16 [X.]ImSchG gemacht werde. Ausführungen dazu, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage für einen nicht überschaubaren Personenkreis auch heute noch relevant sein könnte, obwohl der in § 5 Abs. 1 UmwRG genannte Stichtag bereits mehr als acht Jahre zurückliegt, fehlen indes gänzlich. Es ist nicht Aufgabe des [X.], von Amts wegen aufzuklären, in welchem Umfang eine Revisionsentscheidung insoweit noch grundsätzlich klärend wirken könnte (vgl. [X.]eschluss vom 13. August 1993 - [X.]VerwG 11 [X.] 65.93 - [X.] 1994, 319). Der unter [X.]ezugnahme auf das Urteil des [X.] vom "8. Dezember 2011" - 8 [X.]/08.AK - (juris Rn. 93 ) gegebene Hinweis auf das [X.] nach § 2a der 9. [X.]ImSchV ist insoweit unbehelflich, weil das Oberverwaltungsgericht gerade offen gelassen hat, ob die Unterrichtung der Genehmigungsbehörde mit dem Ziel der Durchführung eines [X.]s eine Einleitung des Verfahrens im Sinne des § 5 Abs. 1 UmwRG darstellt.

6

Im Übrigen lässt sich die aufgeworfene Rechtsfrage mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auch ohne Weiteres beantworten (vgl. z.[X.]. [X.]eschluss vom 28. Mai 1997 - [X.]VerwG 4 [X.] 91.97 - NVwZ 1998, 172). Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig: Die Stichtagsregelung des § 5 Abs. 1 UmwRG gilt für "Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1", mithin für Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 des [X.] über die Zulässigkeit von Vorhaben (§ 2 Abs. 1 Satz 1 [X.]), für die eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 3 Nr. 1 [X.] sind "Entscheidungen" - neben den vorliegend nicht relevanten Linienbestimmungen und Entscheidungen im vorgelagerten Verfahren nach den §§ 15 und 16 Abs. 1 bis 3 [X.] (Nr. 2) sowie [X.] über [X.]ebauungspläne (Nr. 3) - "[X.]ewilligung, Erlaubnis, Genehmigung, Planfeststellungsbeschluss und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden, mit Ausnahme von Anzeigeverfahren". Ein Anzeigeverfahren nach § 15 [X.]ImSchG, das nicht auf eine behördliche Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens, sondern auf eine Entscheidung über dessen immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit gerichtet ist, fällt damit bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht hierunter. Anzeigeverfahren und [X.]augenehmigungsverfahren sind auch nicht Teile eines einheitlichen verfahrensrechtlichen Geschehensablaufs, wie etwa der Umstand, dass die Freistellungserklärung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 [X.]ImSchG etwaige nach anderen Fachgesetzen bestehende Genehmigungserfordernisse, wie z.[X.]. die Notwendigkeit einer [X.]augenehmigung, unberührt lässt (Urteil vom 7. August 2012 - [X.]VerwG 7 C 7.11 - juris Rn. 19), und das selbständige Antragserfordernis für das [X.]augenehmigungsverfahren belegen. Es unterliegt deshalb keinen Zweifeln, dass es hinsichtlich der Stichtagsregelung des § 5 Abs. 1 UmwRG allein auf den Zeitpunkt der [X.]auantragstellung und nicht auf die Anzeige nach § 15 [X.]ImSchG ankommt.

7

bb) Die weitere von der [X.]eschwerde aufgeworfene Frage, ob § 5 UmwRG mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/[X.] vom 26. Mai 2003 vereinbar ist, ist ausdrücklich nur unter der - soeben verneinten - Prämisse formuliert, dass bereits in der [X.] nach § 15 [X.]ImSchG eine Einleitung des Verfahrens im Sinne des § 5 Abs. 1 UmwRG zu sehen wäre.

8

b) Rechtsgrundsätzliche [X.]edeutung misst die [X.]eschwerde ferner der Frage bei,

ob eine Genehmigungsentscheidung, die ohne Durchführung einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung erteilt worden ist, auf die Klage eines [X.] hin nach § 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 UmwRG allein deswegen aufzuheben ist oder nur dann, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre, und wenn durch den Verfahrensfehler zudem zugleich eine dem Kläger zustehende materielle Rechtsposition betroffen ist.

9

Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie lässt sich ebenfalls mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten und ist in der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts (Urteile vom 20. Dezember 2011 - [X.]VerwG 9 A 30.10 - [X.] 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 33 Rn. 21 f. und - [X.]VerwG 9 A 31.10 - [X.]VerwGE 141, 282 Rn. 34) überdies bereits beantwortet worden:

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verlangt werden, wenn eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder [X.]-Vorprüfung nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden ist. Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolge einer Aufhebung der Zulassungsentscheidung ist mithin eine fehlerhaft unterbliebene [X.] oder [X.]-Vorprüfung. Diese Fehler sind erheblich, ohne dass es darauf ankommt, ob die verletzten Verfahrensvorschriften der Gewährleistung eines materiellen subjektiven Rechts dienen und ob die Fehler die Sachentscheidung beeinflusst haben können, wie es § 46 VwVfG sonst voraussetzt. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber (vgl. [X.]egründung des Gesetzesentwurfs, [X.]TDrucks 16/2495 S. 14) der Rechtsprechung des [X.] (Urteil vom 7. Januar 2004 - Rs. [X.], [X.] - Slg. 2004, [X.] Rn. 54 ff.) Rechnung tragen, der das fehlerhafte Unterbleiben einer [X.] vor Genehmigungserteilung als wesentlichen Verfahrensfehler behandelt hat, auf den sich der von der Genehmigung [X.]etroffene ohne Weiteres berufen kann. Die Fehlerfolgenregelung des § 4 Abs. 1 UmwRG gilt in erster Linie für die umweltrechtliche Verbandsklage, ist aber gemäß § 4 Abs. 3 UmwRG auf Rechtsbehelfe von [X.]eteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO entsprechend anwendbar mit der Folge, dass die genannten Verfahrensfehler auch insoweit unabhängig von den sonst geltenden einschränkenden Maßgaben (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zur [X.]egründetheit der Klage führen. Darin erschöpft sich allerdings der Regelungsgehalt der [X.]ezugnahme. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Stellung der Vorschrift im Gesetz deuten darauf hin, dass die [X.]erufung auf die in Rede stehenden Verfahrensfehler weitergehend auch solchen Personen eröffnet werden sollte, die nicht schon aufgrund einer möglichen [X.]etroffenheit in einem materiellen Recht klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO sind. Die von der [X.]eschwerde aufgeworfene Frage lässt sich daher ohne Weiteres dahingehend beantworten, dass eine Genehmigungsentscheidung, die ohne [X.] erteilt worden ist, auf die Klage eines klagebefugten [X.] nach § 4 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 UmwRG allein wegen dieses Fehlers aufzuheben ist.

Entgegen der [X.]ehauptung der [X.]eschwerde hat der 7. Senat des [X.]undesverwaltungsgerichts in seinem Vorabentscheidungsersuchen vom 10. Januar 2012 - [X.]VerwG 7 C 20.11 - (NVwZ 2012, 448) diese Frage weder offen gelassen noch sich gar der zitierten Rechtsprechung des 9. Senats widersetzt. Der 7. Senat hat die [X.]estimmung des § 4 Abs. 1 UmwRG vielmehr ebenfalls als eindeutig angesehen und ausdrücklich bestätigt, dass im Fall einer nicht durchgeführten [X.] oder [X.]-Vorprüfung ohne Weiteres ein Aufhebungsanspruch besteht ([X.]eschluss vom 10. Januar 2012 a.a.[X.] Rn. 31). Soweit die [X.]eschwerde Gegenteiliges aus Rn. 39 des [X.] herzuleiten sucht, verkennt sie, dass sich die dort niedergelegten Ausführungen auf den Fall einer zwar durchgeführten, aber fehlerhaften [X.] beziehen. Ausschließlich für diesen Fall hat der 7. Senat den [X.] im Wege der Vorabentscheidung um Klärung der Frage gebeten, ob Unionsrecht die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Rechtsfolgenregelung des § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG hierauf zu erstrecken ([X.]eschluss vom 10. Januar 2012 a.a.[X.] Vorlagefrage 2). Nur auf diesen - hier nicht streitgegenständlichen - Fall einer fehlerhaft durchgeführten [X.] bezieht sich die Formulierung des 7. Senats ([X.]eschluss vom 10. Januar 2012 a.a.[X.] Rn. 39 m.w.[X.]), dass nach der bisherigen Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts eine Rechtsverletzung nur vorliegen kann, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angefochtene Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre. Von unterschiedlichen Aussagen zweier Senate des [X.]undesverwaltungsgerichts zu derselben Norm aufgrund gleicher Sachverhalte kann deshalb keine Rede sein.

Meta

4 B 37/12

27.06.2013

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 25. April 2012, Az: 2 L 192/09, Urteil

§ 4 Abs 1 S 1 UmwRG, § 5 Abs 1 UmwRG, § 4 Abs 3 UmwRG, § 15 BImSchG, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.06.2013, Az. 4 B 37/12 (REWIS RS 2013, 4660)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4660

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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