Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2012, Az. IV ZB 3/12

4. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 3273

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Gegenstand

Kostenfestsetzungsverfahren: Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten bei notwendigem Anwaltswechsel nach Zulassungsrückgabe durch den Prozessbevollmächtigten


Leitsatz

1. Die Mehrkosten für einen zweiten Rechtsanwalt sind erstattungsfähig, wenn der erste Prozessbevollmächtigte seine Zulassung zur Anwaltschaft aus achtenswerten Gründen zurückgegeben hat und dies bei Übernahme des Mandats noch nicht absehbar war.

2. Dies ist im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 19. Januar 2012 aufgehoben.

Der Kostenfestsetzungsbeschluss des [X.] vom 12. Juli 2011 wird geändert. Die Beklagte hat dem Kläger aufgrund des Urteils des [X.] vom 8. April 2010 an Kosten weitere 2.263,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juni 2010 zu erstatten.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

[X.]: 2.263,85 €

Gründe

1

I. Im Ausgangsrechtsstreit ist die Beklagte durch rechtskräftiges Urteil des [X.] verurteilt worden, dem Kläger Leistungen aus einer [X.] zu erbringen und die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Gegenstand des jetzigen [X.] ist die Erstattungsfähigkeit der dem Kläger durch einen [X.] während des Rechtsstreits entstandenen Mehrkosten. Zu diesem [X.] war es gekommen, nachdem der zunächst beauftragte Prozessbevollmächtigte des [X.] seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurückgegeben hatte, um anstelle seines verstorbenen [X.] die Pflege seiner demenzkranken Mutter zu übernehmen.

2

Der Rechtspfleger des [X.] hat die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf insgesamt 4.454,98 € nebst Zinsen festgesetzt und hierbei die Kosten für einen zweiten Prozessbevollmächtigten für nicht erstattungsfähig gehalten. Das [X.] hat die dagegen eingelegte Beschwerde des [X.] zurückgewiesen.

3

Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger den Anspruch auf Festsetzung der ihm insgesamt entstandenen Anwaltskosten weiter.

4

II. Die aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Festsetzung der bislang nicht berücksichtigten Anwaltskosten gegen die Beklagte.

5

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass es für die Frage, ob ein Wechsel in der Person des Rechtsanwalts eintreten musste (§ 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO), allein darauf ankomme, ob die [X.] oder den Rechtsanwalt ein Verschulden an der Mandatsbeendigung treffe oder nicht. Gebe der erste Prozessbevollmächtigte - wie hier - aus freien Stücken die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zurück, so liege die Notwendigkeit der Bestellung eines weiteren Prozessbevollmächtigten allein in seinem Verantwortungsbereich und sei erstattungsrechtlich seinem Mandanten zuzurechnen.

6

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

Nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind die durch einen [X.] entstandenen Kosten für einen zweiten Prozessbevollmächtigten insoweit zu erstatten, als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Das setzt voraus, dass weder die [X.] noch den ersten Rechtsanwalt ein Verschulden an der Notwendigkeit des [X.]s trifft ([X.]/[X.], ZPO 29. Aufl. § 91 Rn. 13 Stichwort „[X.]“; MünchKomm-ZPO/Giebel, 3. Aufl. § 91 Rn. 70; Musielak/[X.], ZPO 9. Aufl. § 91 Rn. 22).

8

a) Es ist umstritten, wie unter diesem Gesichtspunkt die Aufgabe der Zulassung durch den zunächst beauftragten Rechtsanwalt zu beurteilen ist.

9

aa) Nach überwiegender Auffassung ist ein Verschulden zu verneinen, wenn der Anwalt seine Zulassung aus achtenswerten Gründen aufgibt, es sei denn, dass dieser Umstand bereits bei der [X.] absehbar war, weil der erste Anwalt, der seinen Mandanten hierüber nicht informiere, einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt sei, der auch der Erstattungsfähigkeit der Gebühren entgegenstehe (so [X.], 376; [X.] 2006, 543; [X.] NJW-RR 1996, 1343; MünchKomm-ZPO/Giebel aaO Rn. 73; Musielak/[X.] aaO).

Teilweise wird allerdings vertreten, dass es zwar auf die Gründe der Zulassungsaufgabe ankommen soll, eine freiwillige Aufgabe der Zulassung aber grundsätzlich nicht notwendig sei (so [X.]/[X.] aaO).

bb) Nach anderer Ansicht soll es für die Erstattungsfähigkeit genügen, dass der erste Anwalt seine Zulassung aufgegeben hat und die [X.] deshalb einen zweiten Rechtsanwalt beauftragen musste. Darauf, ob die [X.] dem ersten Anwalt etwa unter Heranziehung von § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB oder § 326 BGB nichts zahlen müsse, komme es nicht an, weil materiell-rechtliche Fragen im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu prüfen seien (so [X.] [X.] 2007, 596 unter Aufgabe der entgegengesetzten früheren Rechtsprechung in NJW-RR 2002, 353).

cc) Dagegen vertritt das [X.] nicht nur den Standpunkt, dass die Wertung des § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB auch für die Erstattungsfähigkeit der entstandenen Gebühren gelte, sondern ist weiter der Meinung, dass der Anwalt seinen Gebührenanspruch verliere, soweit seine Leistungen für die [X.] wegen Rückgabe der Zulassung wertlos seien, ohne dass es darauf ankomme, ob achtenswerte Gründe für diese Rückgabe vorliegen ([X.] 2005, 438, 439).

b) Zutreffend ist die zuerst genannte Auffassung.

aa) Im Ausgangspunkt richtig ist die Ansicht des [X.]s München, dass im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen ist, ob die erstattungsberechtigte [X.] ihrem Prozessbevollmächtigten die geltend gemachten Gebühren tatsächlich schuldet. Die Prüfung hat vielmehr unter rein prozessualen und gebührenrechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. [X.] Fragen und Einwände sind in diesem Verfahren regelmäßig nicht zu klären und zu berücksichtigen (Senatsbeschluss vom 22. November 2006 - [X.], NJW-RR 2007, 422 Rn. 8 und 11); das betrifft im Allgemeinen auch die Frage, ob dem Gebührenanspruch des Prozessbevollmächtigten gegen seine [X.] die Regelungen in § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB oder § 326 BGB entgegenstehen.

Dieser Grundsatz erfährt jedoch eine Einschränkung durch § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Nach dieser die Kostenerstattung regelnden Bestimmung ist im Kostenfestsetzungsverfahren zu klären, ob ein Wechsel in der Person des Anwalts eintreten musste, was nach dem Rechtsgedanken des § 85 Abs. 2 ZPO auch dann zu verneinen ist, wenn den zunächst beauftragten Prozessbevollmächtigten hieran ein Verschulden trifft. Die für die Beurteilung dieser Frage maßgeblichen Tatsachen sind somit auch dann zu prüfen, wenn und soweit sie zugleich eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den Gebührenanspruch des Anwalts tragen können.

bb) Es kommt daher für die Erstattungsfähigkeit auch im Falle einer Rückgabe der Anwaltszulassung darauf an, ob dieser Umstand ein Verschulden begründet.

War die spätere Rückgabe der Zulassung bei der Erteilung des Mandats an den Anwalt noch nicht absehbar, so scheidet ein Verschulden der [X.] selbst von vornherein aus. Das gilt ebenso, wenn die Rückgabe zwar für den Anwalt absehbar war, er aber die [X.] hierüber nicht informierte.

Dagegen kommt ein Verschulden des Anwalts in Betracht, wenn er in einem solchen Fall die gebotene Information der [X.] unterließ oder wenn er die Zulassung später aus nicht achtenswerten Gründen aufgegeben hat und deshalb das übernommene Mandat nicht zu Ende führen konnte. Liegen dagegen achtenswerte Gründe für die Rückgabe der Zulassung vor, so kann dieser Umstand dem Anwalt nicht als vorwerfbares Verschulden angelastet werden.

So liegt der Fall hier. Die Übernahme der Pflege der eigenen Mutter wegen Ausfalls der bisherigen Pflegeperson (hier Tod des [X.]) stellt - auch wenn sie "aus freien Stücken" geschieht - einen anerkennenswerten Grund für die Aufgabe der Anwaltstätigkeit dar, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass übernommene Mandate nicht zu Ende geführt werden können. Hierdurch entstehende Mehrkosten eines Prozesses sind von den Betroffenen hinzunehmen.

cc) Der Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten für einen zweiten Anwalt steht schließlich nicht entgegen, dass die freiwillige Aufgabe der Zulassung des Rechtsanwalts stets in den Risikobereich der von ihm vertretenen [X.] fiele. Vielmehr ist dieses Risiko für den Fall eines nicht verschuldeten [X.]s durch die ausdrückliche Regelung in § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO der im Prozess unterlegenen [X.] zugewiesen.

[X.]                                      [X.]                                      Dr. Karczewski

                     [X.] Brockmöller

Meta

IV ZB 3/12

12.09.2012

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 19. Januar 2012, Az: 6 W 102/11

§ 85 Abs 2 ZPO, § 91 Abs 2 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2012, Az. IV ZB 3/12 (REWIS RS 2012, 3273)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3273

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