Bundesfinanzhof, Urteil vom 26.07.2012, Az. VI R 98/10

6. Senat | REWIS RS 2012, 4226

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Gegenstand

Kindergeld: Meldung als Arbeitsuchender


Leitsatz

Wird ein Kind nach Ende der Berufsausbildung arbeitslos und teilt es dies im Rahmen des Antrags auf Bezug von Leistungen nach dem SGB II der dafür zuständigen Stelle mit, ist gleichzeitig eine Meldung als Arbeitsuchender i.S. des § 122 SGB III anzunehmen (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 22. September 2011 III R 78/08, BFH/NV 2012, 204) .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog für ihre im März 1988 geborene Tochter [X.] bis [X.]uli 2006. [X.] absolvierte von August 2004 bis [X.]uli 2006 eine Ausbildung zur staatlich geprüften Kosmetikerin ohne Ausbildungsvergütung. Im Februar 2006 bewilligte die [X.] ([X.]) [X.] Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] --Grundsicherung für [X.] in der im Streitzeitraum geltenden Fassung ([X.]), und zwar befristet bis zum 31. August 2006. Wegen Wegfalls der bis zum 31. [X.]uli 2006 ebenfalls gewährten Leistungen nach dem [X.] bewilligte die [X.] mit Bescheid vom 13. [X.]uni 2006 bzw. 24. August 2006 erhöhte Leistungen für die [X.] ab 1. August 2006 bzw. 1. September 2006 bis 31. August 2006 bzw. 30. November 2006.

2

Am 4. September bzw. 6. November 2006 beantragte die Klägerin die Festsetzung von Kindergeld für [X.] ab August 2006. Dies lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) am 28. November 2006 ab, nachdem die [X.] mitgeteilt hatte, dass [X.] dort nicht arbeitsuchend gemeldet sei.

3

Der dagegen gerichtete Einspruch war insofern erfolgreich, als die Familienkasse Kindergeld ab November 2006 festsetzte. Hinsichtlich des [X.]raums August bis Oktober 2006 blieb es dagegen bei der Ablehnung.

4

Das Finanzgericht (FG) gab der gegen die Einspruchsentscheidung gerichteten Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1326).

5

Mit der Revision rügt die Familienkasse die fehlerhafte Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

6

Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin für den Streitzeitraum (August bis Oktober 2006) ein Kindergeldanspruch für [X.] zusteht.

9

Gemäß § 62Abs. 1, § 63Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer [X.] im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist.

a) Seit der Neufassung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG durch Art. 8 Nr. 5 des [X.] am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 ([X.], 4621, [X.], 3) genügt die Meldung als Arbeitsuchender bei einer [X.] (s. § 118 Abs. 1 i.V.m. § 122, § 119 Abs. 1 des [X.] --Arbeitsförderung-- in der für 2006 geltenden Fassung --[X.]--); die übrigen Merkmale der Arbeitslosigkeit i.S. des § 119 Abs. 1[X.], wie [X.] und Verfügbarkeit, müssen nicht mehr nachgewiesen werden (Urteil des [X.] --BFH-- vom 19. [X.]uni 2008 III R 68/05, [X.], 349, [X.], 1008). Vielmehr unterstellt das Gesetz typisierend, dass die Voraussetzungen der §§ 118 ff. [X.] vorliegen. Die Meldung als Arbeitsuchender kann allerdings nicht nur bei einer [X.] im Inland, sondern auch bei einer nach dem [X.] für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Stelle --wie im Streitfall der [X.]-- erfolgen (BFH-Urteil vom 22. September 2011 III R 78/08, [X.], 204). Dabei kommt der Registrierung des [X.] Kindes bzw. der daran anknüpfenden Bescheinigung keine (echte) [X.] für den Kindergeldanspruch zu. Entscheidend ist vielmehr, ob sich das Kind im konkreten Fall tatsächlich bei der Arbeitsvermittlung als Arbeitsuchender gemeldet bzw. diese Meldung alle drei Monate erneuert hat (BFH-Urteil vom 25. September 2008 III R 91/07, [X.], 354, BStBl II 2010, 47).

Neben der Bescheinigung der Meldung als Arbeitsuchender durch die [X.] dient auch der Nachweis der Arbeitslosigkeit oder des Bezugs von Arbeitslosengeld nach dem [X.] als Nachweis der Meldung als Arbeitsuchender (BFH-Urteil in [X.], 204).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] den Kindergeldanspruch der Klägerin für den streitigen Zeitraum zu Recht bejaht.

[X.] regelt die Grundsicherung für "Arbeitsuchende". Für einen erwerbsfähigen Hilfeempfänger besteht nach § 2 SGB II grundsätzlich eine Pflicht zur Arbeitsuche. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind Antragsteller, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unverzüglich in eine Arbeit, eine Ausbildung oder eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln. Zwar werden Leistungen nach dem [X.] nur auf Antrag erbracht. Auch ist für den Bezug dieser Leistungen keine ausdrückliche Arbeitsmeldung i.S. des § 122 Abs. 1 [X.] erforderlich. Vielmehr muss mit dem Antrag nur zum Ausdruck gebracht werden, dass Leistungen vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende begehrt werden. Dennoch kann sich angesichts der Aufgabe und des Ziels des [X.] zumindest aus den Umständen des Einzelfalls ergeben, dass der erwähnte Antrag die Meldung als Arbeitsuchender einschließt. Als Arbeitsuchender gemeldet ist nämlich, wer gegenüber der zuständigen [X.] oder [X.] persönlich die Tatsache einer künftigen oder gegenwärtigen Arbeitslosigkeit anzeigt (Grönke-Reimann in [X.]/ [X.]/[X.], § 32 EStG Rz 90). Davon ist im Streitfall auszugehen.

Nach den Feststellungen des [X.] hat [X.] im Zusammenhang mit der Antragstellung (§ 37 SGB II) im Mai 2006 die [X.] über ihre [X.] nach Ausbildungsende "persönlich" in Kenntnis gesetzt und hat sich damit als arbeitsuchend gemeldet. Die [X.] war ab diesem Zeitpunkt in der Lage, ihrer Verpflichtung gemäß § 3 Abs. 2 SGB II nachzukommen, also Vermittlungsbemühungen zu starten, um die Arbeitslosigkeit möglichst rasch zu beseitigen. Die Mitteilung erfüllte, wie das [X.] zu Recht ausführt, die Voraussetzungen des § 122 [X.]. Entgegen der Auffassung der Familienkasse verlangt § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht zusätzlich eine "ausdrückliche" Meldung als Arbeitsuchende. Es war Aufgabe der [X.], die Anzeige der Arbeitslosigkeit der Familienkasse mitzuteilen. Dass dies unterblieb, kann nicht der Klägerin angelastet werden.

c) Die Auffassung des Senats steht nicht im Widerspruch zum BFH-Urteil in [X.], 204. Diese Entscheidung war maßgeblich durch die Besonderheit des Einzelfalls geprägt. Diese bestand darin, dass dem Kind aufgrund seiner familiären Situation die Ausübung einer Tätigkeit nicht ohne weiteres zumutbar war (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II). In einem solchen Fall ist die kommentarlose Stellung eines Antrags gemäß § 37 SGB II keine Meldung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Im Streitfall liegt aber weder ein Fall des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II vor, noch hat [X.] "kommentarlos" einen Antrag gestellt.

Meta

VI R 98/10

26.07.2012

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 24. März 2009, Az: 5 K 2355/06 (Kg), Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 62 Abs 1 EStG 2002, § 63 Abs 1 S 2 EStG 2002, § 2 SGB 2, § 3 Abs 2 S 1 SGB 2, § 10 Abs 1 Nr 3 SGB 2, § 37 SGB 2, § 118 SGB 3, § 119 Abs 1 SGB 3, § 122 Abs 1 SGB 3

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 26.07.2012, Az. VI R 98/10 (REWIS RS 2012, 4226)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4226

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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