Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.02.2024, Az. VII ZR 599/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1266

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 1. Zivilsenats des [X.] vom 7. Juni 2021 aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 29.200 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2

Er erwarb im Mai 2017 bei einem Autohändler einen von der Beklagten hergestellten [X.] als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 60.308 zu einem Kaufpreis von 29.200 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der [X.] hergestellten Dieselmotor des [X.] 3.0 l TDI EA 896 G2 oder 897 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse 5 erteilt. Das Klägerfahrzeug ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf seitens des [X.] ([X.]) betroffen.

3

Der Kläger hat in den Vorinstanzen die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs (abzüglich einer nicht bezifferten Nutzungsentschädigung) und die Feststellung verlangt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befinde sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemacht.

4

Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg.

5

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ([X.]. 1 U 104/19, veröffentlicht in juris), soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

8

Die Beklagte hafte nicht unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB. Der Kläger habe keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Ausstattung seines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung dargelegt. Sein Sachvortrag erschöpfe sich in wesentlichen Teilen in Textbausteinen, die sich auf den [X.] oder den V6-Dieselmotor der Schadstoffklasse Euro 6 bezögen und damit keinen konkreten Bezug zu seinem Fahrzeug aufwiesen. Die unterschiedliche Bezeichnung verschiedener Motorversionen, Motortypen und [X.] deute gerade auf Unterschiede der technischen Ausgestaltungen hin, die ohne weiteres auch in der Ausgestaltung der Regelung der Abgasrückführung und des Schadstoffverhaltens liegen könnten.

9

Zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Form einer sogenannten "Aufheizstrategie" habe der Kläger in der Klageschrift nur zu Fahrzeugen der Marke [X.] mit 3.0-TDI-Motoren der Schadstoffklasse Euro 6 vorgetragen. Dies könne auf Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 5 und damit auf das vom Kläger erworbene Fahrzeug [X.] nicht übertragen werden. Soweit der Kläger dabei auf den am 14. Oktober 2019 erfolgten Rückruf des [X.] von Fahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 5 verwiesen habe, habe er nicht dargelegt, welche konkreten Fahrzeuge hiervon betroffen gewesen seien. Auf den Einwand der [X.], dass sich der Rückruf auf andere Fahrzeugtypen bezogen habe, sei eine Ergänzung und Konkretisierung des Sachvortrags des [X.] nicht erfolgt. Deshalb sei weder die Einholung einer Auskunft des [X.] noch eine Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten.

Auf den Vortrag des [X.] hinsichtlich eines am 2. Dezember 2019 erfolgten Rückrufs von Fahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 5 habe die Beklagte vorgebracht, dass das [X.] die Eintragung in die [X.] zwischenzeitlich korrigiert habe und nicht mehr von einer unzulässigen Abschalteinrichtung, sondern nur noch einer Konformitätsabweichung der [X.] ausgehe. Dem sei der Kläger nicht entgegengetreten, weshalb auch dieser Rückruf des [X.] kein taugliches Anzeichen für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei. Gleiches gelte für das Anhörungsschreiben des [X.] vom 29. November 2019 zum Emissionsverhalten von Fahrzeugen des Typs [X.] 3,0 l EU 5. Die Beklagte habe dazu unstreitig vorgetragen, dass dieses Anhörungsverfahren nicht zu einem verpflichtenden Rückrufbescheid des [X.] wegen des [X.] des betroffenen Fahrzeugtyps geführt habe. Selbst ein das Fahrzeug des [X.] betreffender Rückruf hätte jedenfalls nicht ohne weiteres den weitergehenden Schluss auf das Vorliegen eines zumindest bedingten Schädigungsvorsatzes der [X.] zugelassen.

Weiter seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das Fahrzeug des [X.] mit einer "Lenkwinkelerkennung" versehen sei, die bei einem Erkennen des Prüfstandsbetriebs einen - niedrigere Schadstoffwerte herbeiführenden - Betriebsmodus des Fahrzeugs einschalte. Da der Vortrag des [X.] zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung ohne greifbare konkrete Anhaltspunkte und damit letztlich ins Blaue hinein erfolgt sei, fehle es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage für die Annahme eines - objektiv - sittenwidrigen Verhaltens der [X.].

Aus den vorgenannten Gründen habe der Kläger keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB, weil es für die Annahme einer Täuschung des [X.] durch die Beklagte gleichfalls an einer tragfähigen Tatsachengrundlage fehle.

Für Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 [X.]-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/[X.] sei ebenfalls kein Raum, da diese Vorschriften nach ihrem Schutzzweck nicht für die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs auf Erstattung des Kaufpreises herangezogen werden könnten.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des [X.] ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung [X.], Urteil vom 25. November 2021 - [X.] Rn. 32 m.w.N., [X.], 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 14. März 2022 - [X.] Rn. 21, juris) übergangen hätte.

a) Entgegen der Annahme der Revision hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiierung des Klägervortrags nicht überspannt.

Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger keine tragfähigen Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug und dessen Betroffenheit von einem Rückruf des [X.] dargelegt hat. Die von der Revision gegen diese Feststellungen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet, § 564 Satz 1 ZPO.

Im Übrigen würde der Umstand, dass die Beklagte rechtswidrig manipulierte Motoren in ihre Fahrzeuge eingebaut hat, die von ihrer Tochtergesellschaft entwickelt und hergestellt worden sind, allein nicht genügen, um eine objektiv sittenwidrige Handlung annehmen zu können ([X.], Urteil vom 17. November 2022 - [X.] Rn. 16, [X.] 2023, 291). Die Revision zeigt keine Anhaltspunkte für eine Kenntnis der [X.] und der für sie handelnden Personen auf, dass die von ihrer Tochtergesellschaft gelieferten Motoren mit einer auf arglistige Täuschung des [X.] abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet worden sind, und die von der [X.] hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versehen in den Verkehr gebracht wurden (vgl. [X.], Urteil vom 17. November 2022 - [X.] Rn. 17, [X.] 2023, 291, Urteil vom 8. März 2021 - [X.] Rn. 21, [X.], 799).

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22 Rn. 24 ff., [X.], 503; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.], 1421).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der [X.] habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 ([X.]. [X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der [X.] habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.], 1421; ebenso Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.], 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2023 - [X.] und [X.], juris).

Das Berufungsgericht hätte die Berufung des [X.] bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des [X.] zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des [X.] angepassten, unbeschränkten [X.] ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im [X.] an die [X.] bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 45, [X.], 1421).

III.

Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

Jurgeleit     

      

Graßnack

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 599/21

01.02.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 7. Juni 2021, Az: 1 U 104/19, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.02.2024, Az. VII ZR 599/21 (REWIS RS 2024, 1266)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1266

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VII ZR 619/21

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