Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2010, Az. 4 StR 660/09

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 9551

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Gegenstand

Strafverfahren: Vernehmung des Richters über die Aussagen eines das Zeugnis verweigernden Zeugen im Ermittlungsverfahren


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Oktober 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2

1. Die Jugendschutzkammer hat den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs seiner Tochter [X.] insbesondere aufgrund deren für glaubhaft erachteter Aussage als überführt angesehen. Dabei hat das [X.] - im Ansatz zu Recht - auch der Aussageentstehung eine besondere Bedeutung zuerkannt und in diesem Zusammenhang festgestellt, [X.] habe bereits 1997 ihrer Halbschwester [X.] erzählt, ihr Vater habe an ihr "herumgegrabscht" und versucht, in ihr Geschlechtsteil einzudringen; dabei habe sie, [X.], geweint und gefragt, ob [X.] und [X.] nicht hörten, wie sie nachts "Aua, aua, [X.], hör auf!" rufe, was beide bis dahin jedoch nicht gehört hatten. Weiter hat das [X.] in diesem Zusammenhang festgestellt, einige [X.] später habe [X.] nachts bei ihrer Rückkehr in ihre Wohnung [X.] in der darüber liegenden Wohnung rufen hören "[X.] auf, es tut weh, lass das!" und auch das Wort "[X.]" vernommen ([X.]). Bei diesen Feststellungen konnte sich das [X.] nicht auf die Aussage der [X.] stützen, die in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert hat. Deshalb hat das [X.] hierzu den [X.] am [X.] gehört, der [X.] im Ermittlungsverfahren vernommen hatte. Zum Inhalt seiner Aussage heißt es in dem angefochtenen Urteil: "Zwar konnte sich der Zeuge B. so gut wie nicht mehr an die Sache erinnern, er wusste jedoch noch, dass er - wie stets - die Antworten der damaligen Zeugin selbst zusammengefasst und ins Diktiergerät gesprochen habe. Auf Vorhalt der betreffenden Passage der Vernehmung bestätigte der Zeuge B., es müsse damals so gewesen sein“ (UA 22).

3

2. Wie die Revision zu Recht rügt, hat das [X.] hiermit gegen § 252 [X.]. § 261 StPO verstoßen. Zwar ist es nach ständiger Rechtsprechung des [X.] zulässig, einen [X.] als Zeugen über die von der das Zeugnis in der Hauptverhandlung verweigernden Person gemachten Aussagen zu vernehmen, sofern er an einer richterlichen Vernehmung dieser [X.] beteiligt war (vgl. [X.] 52. Aufl. § 252 Rdn. 14 m. Nachw.). Auch dürfen dem [X.], der die Vernehmung durchgeführt hat, die Vernehmungsprotokolle - notfalls durch Vorlesen - als Vernehmungsbehelf vorgehalten werden (vgl. [X.], 1580). Grundlage der Feststellung des Sachverhalts kann jedoch nur das in der Hauptverhandlung erstattete Zeugnis des [X.]s über den Inhalt der früheren Aussage des jetzt die Aussage verweigernden Zeugen sein, nicht aber der Inhalt der [X.] selbst. Deshalb genügt nicht, wenn der [X.] lediglich erklärt, er habe die Aussage richtig aufgenommen; verwertbar ist nur das, was - ggf. auf den Vorhalt hin - in die Erinnerung des [X.]s zurückkehrt ([X.], [X.]. vom 4. April 2001 - 5 [X.], [X.], 386; [X.] aaO Rdn. 15).

4

Hier ergibt sich aus den allein maßgebenden Urteilsgründen, dass [X.] am [X.] als Zeuge keine genügende Erinnerung mehr an den Inhalt der Aussage der [X.] hatte. Es ist deshalb nahe liegend, dass das [X.] bei den Feststellungen zu den Beobachtungen der [X.] nicht auf die Aussage des [X.]s B., sondern auf das Protokoll ihrer richterlichen Vernehmung zurückgegriffen hat. Das war nicht zulässig.

5

Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils. Denn das [X.] hat ausdrücklich für die Annahme der Glaubhaftigkeit der Angaben von [X.] auch auf deren erste [X.] gegenüber ihrer Halbschwester und darauf abgestellt, dass [X.] "aufgrund deren nächtlichen verzweifelten [X.] von einem Missbrauch [X.]'s durch (den Angeklagten) erfahren“ habe ([X.] und 22). Das Urteil lässt auch nicht erkennen, dass das [X.] etwa auf andere Weise über die nächtliche Wahrnehmung der [X.] Beweis erhoben hat. Der [X.] kann danach letztlich nicht ausschließen, dass das [X.] ohne die Verwertung der früheren Angaben der [X.] zu einer anderen Beweiswürdigung gelangt wäre.

6

3. Über die Sache ist deshalb insgesamt neu zu entscheiden. Für das weitere Verfahren weist der [X.] mit Blick auf [X.] vorsorglich darauf hin, dass die im [X.] getilgte frühere Verurteilung des Angeklagten gemäß § 51 Abs. 1 BZRG auch nicht bei der Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten verwendet werden darf.

Tepperwien                                          Maatz                                      Athing

                             Solin-Stojanović                            [X.]

Meta

4 StR 660/09

09.02.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Halle (Saale), 7. Oktober 2009, Az: 5 KLs 2/09 - 550 Js 208076/07, Urteil

§ 252 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2010, Az. 4 StR 660/09 (REWIS RS 2010, 9551)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9551

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Referenzen
Wird zitiert von

4 ARs 21/14

4 StR 660/09

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