Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.03.2010, Az. VIII B 15/09

8. Senat | REWIS RS 2010, 8722

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Gegenstand

Keine Anlaufhemmung bei verspäteter Wahl der getrennten Veranlagung


Leitsatz

1. NV: Nach Ablauf der Festsetzungsfrist besteht kein Recht mehr auf Wahl der getrennten Veranlagung (§ 25 Abs. 3 Satz 3 EStG) .

2. NV: Eine erst nach Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist abgegebene Erklärung der Wahl der getrennten Veranlagung kann keine (rückwirkende) Anlaufhemmung und kein Ablaufhemmung mehr bewirken .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und seine verstorbene Ehefrau begehren die Durchführung getrennter Einkommensteuerveranlagungen mit dem Ziel der Anrechnung einbehaltener Kapitalertragsteuer ([X.]).

Entscheidungsgründe

2

II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

3

Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) liegen nicht vor.

4

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O). Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage, ob die Einschränkungen des § 56 der [X.] (EStDV) die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) beeinflussen, ist nicht klärungsbedürftig. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a. dann, wenn die betreffende Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht ([X.]) getan hat, die Rechtslage also --wie hier-- eindeutig ist (s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28, m.w.N.).

5

a) Zutreffend geht das angefochtene Urteil davon aus, dass ein Recht zur Wahl der getrennten Veranlagung nach § 25 Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr besteht, wenn wegen eingetretener Festsetzungsverjährung eine Steuerfestsetzung ausscheidet. Die vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.]) beginnt gemäß § 170 Abs. 1 [X.] mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Der Anlauf der Festsetzungsfrist war im Streitfall nicht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] gehemmt, weil keine Steuererklärung einzureichen war. Wegen der unstreitig geringen Höhe der Einkünfte traf den Kläger und seine verstorbene Ehefrau keine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung zwecks einer Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG, weil insoweit die Beschränkung der Steuererklärungspflicht gemäß § 56 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStDV aufgrund der Ermächtigung in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG eingriff. Innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist ab Entstehung der Steuer haben der Kläger und seine verstorbene Ehefrau keine Wahl der getrennten Veranlagung getroffen, sodass in diesem Zeitraum keine Erklärungspflicht wegen getrennter Veranlagung bestand. Der Kläger und seine verstorbene Ehefrau sind auch nicht gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 [X.] zur [X.] aufgefordert worden (vgl. dazu Beschluss des [X.] --BFH-- vom 14. Februar 2008 [X.]/07, [X.], 1353), sodass eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] ebenfalls ausscheidet.

6

Da es somit an einem Grund für eine Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] --wie auch für eine Ablaufhemmung nach § 171 [X.]-- fehlte, trat mit Ablauf der vom [X.] für alle Streitjahre jeweils zutreffend berechneten Frist Festsetzungsverjährung ein.

7

Der erst danach gestellte Antrag, getrennte Veranlagungen durchzuführen, konnte keine anlaufhemmende Wirkung mehr entfalten, weil sich aus § 169 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 [X.] eine zeitliche Grenze für Erklärungen ergibt, die den Beginn der Festsetzungsfrist beeinflussen (vgl. zur verspäteten Aufforderung zur [X.] BFH-Urteil vom 18. Oktober 2000 II R 50/98, [X.], 48, [X.] 2001, 14, m.w.N.).

8

Erst recht gilt dies für die nachträgliche, freiwillige Abgabe von Steuererklärungen (vgl. [X.] Hamburg, Urteil vom 14. Oktober 2003 I 42/02, juris).

9

b) Auf die Ausführungen des [X.] im angefochtenen Urteil dazu, ob unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse des [X.] und seiner verstorbenen Ehefrau aus der Wahl der getrennten Veranlagung eine Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen folgte, kam es deshalb nicht mehr entscheidungserheblich an. Einwendungen der Kläger zu diesem Teil der Urteilsgründe können daher nicht zur Zulassung der Revision führen.

2. Soweit die Kläger im Übrigen Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend machen, folgt daraus kein Zulassungsgrund (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.] vom 28. April 2003 VIII B 260/02, [X.] 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 [X.], [X.] 2003, 1289).

Ein schwer wiegender Rechtsanwendungsfehler im Sinne einer willkürlichen Entscheidung, der ausnahmsweise die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative [X.]O rechtfertigt, haftet dem angefochtenen Urteil ersichtlich nicht an.

3. Eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative [X.]O) ist nicht geboten. Soweit die Kläger eine Divergenz zwischen dem angefochtenen Urteil und dem Urteil des [X.] Düsseldorf vom 24. April 2008  12 K 4730/04 E (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1088) geltend machen, waren die von den Klägern in Bezug genommenen --nicht durch Verweise auf Rechtsprechung oder Literatur abgesicherten-- Ausführungen des [X.] Düsseldorf zur Berechnung der Festsetzungsfrist letztlich nicht entscheidungserheblich (vgl. das BFH-Urteil vom 15. Januar 2009 [X.], [X.] 2009, 755). Im Übrigen war der der Entscheidung des [X.] Düsseldorf zu Grunde liegende Sachverhalt nicht mit dem des Streitfalls vergleichbar.

4. Der geltend gemachte Verfahrensfehler des nicht gewährten rechtlichen Gehörs ist nicht festzustellen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) umfasst das Recht der Beteiligten, sich zur Sache zu äußern und für das Gericht die Pflicht, entscheidungserhebliches Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dass das vorinstanzliche Verfahren diesen Anforderungen nicht genügt hätte, ist nicht zu ersehen. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen des Urteils mit jedem Vorbringen (hier: zur Entstehungsgeschichte der §§ 25 Abs. 3 Satz 3 EStG und 56 EStDV) ausdrücklich zu befassen und insbesondere nicht, sich den Rechtsansichten eines Beteiligten anzuschließen (vgl. [X.] vom 8. Dezember 2000 [X.]/00, [X.] 2001, 631; vom 29. Mai 2007 [X.]/06, [X.] 2007, 1634).

Das rechtliche Gehör ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer von den Klägern gerügten Überraschungsentscheidung verletzt. Es ist nicht ersichtlich, dass das Urteil des [X.] sich in einer die Entscheidung tragenden Weise auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem [X.] nicht rechnen konnte (vgl. [X.] vom 19. Juli 2005 [X.], [X.] 2005, 1861). Nach den Ausführungen dieses Beschlusses unter 1. kam es auf die --von den Klägern als fehlerhaft gerügte-- Auslegung des § 56 Satz 1 Nr. 2 EStDV nicht entscheidungserheblich an. Im Übrigen wäre das [X.] nicht gehalten, das Ergebnis einer Normauslegung und die Gründe hierfür im Einzelnen bereits im Verfahren darzulegen. Dass die gerichtliche Gesetzesauslegung im konkreten Einzelfall nicht den Erwartungen oder Hoffnungen eines Beteiligten entspricht, begründet noch keinen Verfahrensfehler.

Meta

VIII B 15/09

08.03.2010

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 26. November 2008, Az: 2 K 2118/08, Urteil

§ 149 Abs 1 S 2 AO, § 169 Abs 2 S 1 Nr 2 AO, § 170 Abs 1 AO, § 170 Abs 2 S 1 Nr 1 AO, § 171 AO, § 25 Abs 3 S 3 EStG 1997, § 26 Abs 2 S 1 EStG 1997, § 26 Abs 2 S 2 EStG 1997, § 51 Abs 1 Nr 1 Buchst a EStG 1997, § 56 S 1 Nr 1 EStDV 2000, § 56 S 1 Nr 2 EStDV 2000, § 25 Abs 3 S 3 EStG 2002, § 26 Abs 2 S 1 EStG 2002, § 26 Abs 2 S 2 EStG 2002, § 51 Abs 1 Nr 1 Buchst a EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.03.2010, Az. VIII B 15/09 (REWIS RS 2010, 8722)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8722

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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