Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.07.2023, Az. 5 StR 17/23

5. Strafsenat | REWIS RS 2023, 4216

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Gegenstand

Betäubungsmitteldelikt: Besitz von Drogen in nicht geringer Menge bei Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben


Tenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 18. Juli 2022 aufgehoben, soweit es die Angeklagten [X.], [X.]     und M.     betrifft; ausgenommen hiervon sind die Feststellungen, die bestehen bleiben.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten ([X.]         ), zwei Jahren und vier Monaten ([X.]  ) sowie – unter Strafaussetzung zur Bewährung – von einem Jahr und sechs Monaten ([X.]) verurteilt und [X.] getroffen. Die mit der Sachrüge geführten Revisionen der Staatsanwaltschaft beanstanden, dass die Angeklagten nicht tateinheitlich auch wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen worden sind und bemängeln die Strafzumessung. Sie haben ganz überwiegend Erfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s hatte eine polizeiliche Vertrauensperson ([X.]) mit dem Decknamen „[X.] Kontakt zu der gesondert Verfolgten       [X.]   , die er während einer Drogenentwöhnungstherapie kennengelernt hatte. Sie benannte dem „[X.] gegenüber einen „   [X.] “ als Kontaktperson für die Lieferung von Betäubungsmitteln im [X.] und gab ihm dessen Telefonnummer. „[X.] und eine Person, die sich als „[X.]“ ausgab, trafen sich im Oktober 2020 in [X.]     . „[X.] “ erklärte, er könne ein Kilogramm [X.] für 30.000 Euro beschaffen. Die [X.] „[X.] zeigte Interesse an dem Geschäft und erklärte, sie werde sich wieder bei „[X.]“ melden. Sie hatte die Absicht, die Betäubungsmittel sicherstellen zu lassen und den Täter der Strafverfolgung zuzuführen. Deshalb informierte sie über das Gespräch ihren [X.] bei der Polizei.

3

Die [X.] und „[X.] “ verabredeten sich für den 1. Dezember 2020. Am Treffpunkt traf die [X.] indes nicht auf diesen, sondern auf den Mitangeklagten [X.]  , der erklärte, das Geschäft laufe nun über ihn. In einer als Drogendepot und Handelsplatz genutzten Wohnung einigten sich die [X.] und [X.]   über den Kauf von einem Kilogramm [X.] zum Preis von 38.000 Euro. Die Übergabe sollte am nächsten Tag stattfinden. Bereits einen Tag zuvor hatte [X.]   mit dem in dieser Sache bereits rechtskräftig Verurteilten [X.].     Kontakt aufgenommen und ihn mit der Vermittlung einer [X.]-Lieferung in [X.]    beauftragt. Am 2. Dezember 2020 einigten sich die [X.] und [X.]   schließlich nach erneuten Verhandlungen auf die Lieferung von 600 Gramm [X.] zum Preis von 23.000 Euro. Am frühen Nachmittag dieses Tages wurde der Angeklagte [X.]           von einer unbekannten Person kontaktiert, die ihm den Auftrag gab, für eine Entlohnung von 1.000 Euro insgesamt 500 Gramm [X.] von [X.]   nach [X.]     zu bringen und vom Käufer der Lieferung 13.000 Euro entgegenzunehmen. Die Drogen wurden ihm noch am Nachmittag in der E.    straße übergeben.

4

Der Angeklagte [X.]          , der über keine Fahrerlaubnis verfügte, kontaktierte [X.].   , damit dieser ihn nach [X.]    fahre. Weil er die Drogen nicht in seinem Fahrzeug transportieren wollte, beauftragte [X.]          den Angeklagten [X.]  mit dem Transport in einem anderen Fahrzeug für eine Entlohnung von 300 Euro. Am Nachmittag begaben sich [X.]           und [X.].     in einem weißen [X.] und [X.]  und der von diesem mitgenommene Angeklagte [X.]in einem schwarzen [X.] von [X.]    nach [X.]     . Allen Beteiligten war bekannt, dass die Fahrt dem Transport zum Weiterverkauf bestimmter 500 Gramm [X.] diente. Die Drogen befanden sich während der Fahrt in dem vom Angeklagten [X.] gesteuerten Fahrzeug versteckt unter einem der vorderen Sitze.

5

Beide Fahrzeuge trafen gegen 18.30 Uhr an einen mit dem gesondert Verfolgten [X.].     , einem Bekannten [X.]           s, vereinbarten Treffpunkt in [X.]      ein. [X.].     hatte den Angeklagten [X.]   kurz zuvor persönlich darüber informiert, dass die Lieferung bald eintreffen werde. [X.].    stieg in das Fahrzeug des [X.]           ein. Beide PKW fuhren zu dem nahe gelegenen Treffpunkt, wo der Mitangeklagte [X.]   und die [X.] bereits warteten. [X.]          und [X.].     gingen zum Fahrzeug der [X.], wo auf der Rückbank bereits der Mitangeklagte [X.]   saß. Auf telefonische Anweisung von [X.]         brachte der Angeklagte [X.]  die Drogen aus seinem Fahrzeug zu [X.]          . Anschließend griff die Polizei im Rahmen des bis dahin überwachten Geschäfts zu. Es wurden 496,51 Gramm [X.] mit einem Wirkstoffgehalt von 276,21 Gramm [X.] und 26,32 Gramm Levomethamphetaminbase sichergestellt.

6

2. Das [X.] hat nach Vernehmung der [X.] und des [X.]s sowie nach Erhebung weiterer Beweise (insbesondere Chatnachrichten) die Behauptung des Mitangeklagten [X.]  , er sei von der [X.] zu dem Drogengeschäft gedrängt worden, als widerlegt angesehen und eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation verneint. Die Tatbeiträge der Angeklagten [X.]       , [X.]  und [X.]hat es als Beihilfe zur vom Angeklagten [X.]   begangenen Haupttat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet.

II.

7

[X.], mit denen die jeweiligen Schuldsprüche und die darauf aufbauenden Rechtsfolgenaussprüche mit den zugehörigen Feststellungen beanstandet werden, führen zur überwiegenden Aufhebung des Urteils.

8

1. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Nach den auf einer [X.] Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen des [X.]s (vgl. zu deren Relevanz [X.], Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 [X.]/17 Rn. 28, [X.], 17) liegen die Voraussetzungen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation (vgl. hierzu zuletzt [X.], Urteil vom 16. Dezember 2021 – 1 StR 197/21, [X.], 243; [X.], Urteil vom 15. Oktober 2020 – 40495/15, NJW 2021, 3515; [X.] [X.], 325; Fischer [X.] 2023, 263, jeweils mwN) nicht vor. Anlass zur weiteren freibeweislichen Klärung besteht nicht (vgl. [X.], Urteil vom 7. Dezember 2017 – 1 [X.] Rn. 29, [X.], 355). Gegenteiligen Bekundungen des Mitangeklagten [X.]   hat die [X.] aus nachvollziehbaren Gründen nicht geglaubt, so dass es nicht darauf ankommt, dass sich die von der behaupteten Provokation weder unmittelbar noch mittelbar (im Sinne einer Fortsetzung von Druckausübung) betroffenen Angeklagten [X.]           , [X.]  und [X.]  ohnehin nicht selbst auf ein derartiges Verfahrenshindernis berufen könnten (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 16. Dezember 2021 – 1 StR 197/21 Rn. 40 ff., [X.], 243).

9

2. Die Schuldsprüche können keinen Bestand haben, weil das [X.] seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) nicht gerecht geworden ist. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihren Revisionen zu Recht, dass die [X.] die angeklagte Tat bei den Angeklagten [X.]         , [X.]   und [X.]  nicht unter dem Gesichtspunkt des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) geprüft hat, obwohl die Feststellungen dazu Anlass bieten.

a) Besitz von Betäubungsmitteln bedeutet ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis verbunden mit einem Besitzwillen, der darauf gerichtet ist, sich die ungehinderte Einwirkung auf die Sache zu erhalten (vgl. [X.], Beschluss vom 25. September 2018 – 3 [X.], [X.], 41 mwN). Hierbei ist weder die tatsächliche Dauer der Sachherrschaft alleine entscheidend (vgl. [X.], Urteil vom 16. Februar 2022 – 5 [X.]/21 mwN) noch steht ein Handeln unter polizeilicher Observation der Annahme von Besitz entgegen (vgl. [X.], Urteil vom 15. April 2008 – 4 [X.], [X.], 212). Abzugrenzen sind allerdings kurze Hilfstätigkeiten ohne Herrschaftswillen ([X.], Beschluss vom 25. September 2018 – 3 [X.], [X.], 41 mwN).

b) Nach diesen Kriterien liegt nahe, dass der Angeklagte [X.]          bereits mit der Übernahme der Drogen in der [X.]   er E.     straße und die Angeklagten [X.]  und [X.]  anschließend während der Fahrt nach [X.]     bis zur Übergabe dort Betäubungsmittel in nicht geringer Menge besessen haben. Weil das [X.] die festgestellte Tat entgegen § 264 StPO nicht unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt geprüft hat, unterliegt der zu einem möglichen Besitz in Tateinheit stehende – für sich gesehen rechtsfehlerfreie – Schuldspruch wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge der Aufhebung, was den ausgeurteilten Rechtsfolgen die Grundlage entzieht.

c) Die Feststellungen sind vom Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen. Insoweit bleiben die Revisionen der Staatsanwaltschaft, in denen ausdrücklich die Aufhebung der zum Rechtsfolgenausspruch zugehörigen Feststellungen begehrt wird, erfolglos.

Gericke     

  

Mosbacher     

  

Köhler

  

von Häfen     

  

Werner     

  

Meta

5 StR 17/23

05.07.2023

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dresden, 18. Juli 2022, Az: 17 KLs 436 Js 63663/20

§ 29 Abs 1 S 1 Nr 3 BtMG, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 27 StGB, § 52 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.07.2023, Az. 5 StR 17/23 (REWIS RS 2023, 4216)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4216

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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