Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.05.2017, Az. 1 StR 163/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 10566

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:220517B1STR163.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 163/17

vom
22. Mai
2017
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Totschlags u.a.

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat
auf Antrag des [X.] und nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 22. Mai
2017
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. November 2016 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer [X.] rechtskräftigen Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die [X.] formellen und materiellen Rechts gestützten Revision, die in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg hat.
1. Aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigten Gründen bleibt der Angriff der Revision auf den Schuldspruch er-folglos.
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2. Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch schon auf die Sachrüge hin keinen Bestand haben.
a) Das sachverständig beratene [X.] hat keinen Hang im Sinne des § 64 StGB festgestellt und deswegen die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt. Hierfür hat es darauf abgestellt, dass die Sachverständige bei dem Angeklagten kein Abhängigkeitssyndrom zu diagnos-tizieren vermochte, da weder Entzugssymptome dokumentiert, noch Organ-schäden erkennbar seien. Da aber im Einklang mit den vom Angeklagten ge-schilderten Trinkgewohnheiten eine gewisse Toleranzentwicklung erkennbar sei, liege ein schädlicher Gebrauch von Alkohol vor. An einem Hang fehle es eit des problematischen

allein auf den Angaben des Ange-klagten beruhenden

Alkoholkonsums vergleichsweise kurz gewesen sei und Die Einengung der Interessen des Angeklagten auf den Alkoholkonsum sei zu-dem noch nicht soweit ausgeprägt, dass von einer eingewurzelten intensiven Neigung gesprochen werden könne. Zwar sei die berufliche Leistungsfähigkeit durch den Alkoholkonsum jedenfalls nicht wesentlich beeinträchtigt gewesen, da er zu
Hause keinen Alkohol getrunken habe. Auch gebe es keine Anzeichen einer Verwahrlosung oder eines Kontrollverlustes über den [X.], er habe vielmehr immer wieder kurzzeitig auf Alkohol verzichten können.
b) Diese Ausführungen lassen

wie der [X.] zutref-fend ausgeführt hat

besorgen, dass das [X.] rechtsfehlerhaft von ei-nem zu engen Verständnis des Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist und enthalten keine hinreichende und widerspruchsfreie Abwägung aller maßgeblichen Umstände zur Beurteilung des Vorliegens eines Hanges. Hierfür 3
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ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposi-tion zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von [X.] im Sinne des §
64 StGB ist jedenfalls dann gege-ben, wenn
der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juni 2016

1 [X.], [X.], 7; Urteil vom 15. Mai 2014

3 [X.], [X.], 271).
Hieran gemessen begegnen die Ausführungen des [X.] durch-greifenden Bedenken. Denn es
fehlt eine nachvollziehbare Auseinandersetzung
mit dem Trinkverhalten des Angeklagten und der sich hieraus für ihn ergeben-den Konsequenzen. Hierzu hätte über den

für sich genommen
zudem unkla-ren und mit den Feststellungen in einem gewissen Spannungsverhältnis ste-henden

Hinweis auf die vergleichsweise kurze Zeit des problematischen [X.] wegen folgender Umstände Anlass bestanden:
So steigerte der Angeklagte ausweislich der Feststellungen bereits knapp zwei Jahre vor der Tat seinen schon etliche Jahre andauernden regel-mäßigen Alkoholkonsum weiter. Infolge seines Trinkverhaltens ließ er sich mehrfach krankschreiben und blieb unentschuldigt seinem Ausbildungsplatz fern, was zu
einer Kündigung wegen unentschuldigter Fehlzeiten führte. Nach dieser Kündigung steigerte sich der Alkoholkonsum erneut. Ende September 2015, also etwa ein halbes Jahr vor der Tat, beging der deutlich alkoholisierte Angeklagte eine gefährliche Körperverletzung. Auch den folgenden Arbeitsplatz verlor er
wenige Wochen vor der hiesigen Tat ebenfalls wegen unentschuldigter und verspätet angezeigter Fehlzeiten. Diese Fehlzeiten gingen darauf zurück, 6
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dass der Angeklagte wegen des nächtlichen Alkoholkonsums und dem damit einhergehenden Freizeitverhalten Schwierigkeiten mit dem Aufstehen hatte. Schließlich wies der Angeklagte etwa zwei Stunden nach der Tat eine [X.] von 2,12 Promille auf.

ächtigt[en]e-ziehungen zum [X.] Umfeld und zu seiner Fähigkeit zum kurzzeitigen Ver-zicht lassen vor diesem Hintergrund zudem besorgen, dass das [X.] von einem zu engen Maßstab für die Annahme des Hanges ausgegangen ist. So kann dem Umstand, dass durch den [X.] bereits die Ge-sundheit, Arbeits-
und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beein-trächtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukom-men (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. Oktober
2015

1 StR 415/15 und vom 1.
April 2008

4 StR 56/08, [X.], 198). Wenngleich solche Beein-trächtigungen in der Regel mit übermäßigem [X.] einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus ([X.], Beschluss vom 2. April 2015

3 [X.]; Urteil vom 15. Mai 2014

3 [X.], [X.], 271). Dies gilt umso mehr, als hier das [X.] von einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit aus-gegangen ist, diese trotz zweimaligen Arbeitsplatzverlustes aber nicht als ge-wichtig genug eingestuft hat. Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein [X.] kurzzeitig in der Lage war, seinen [X.] zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen ([X.], Urteil vom 15.
Mai 2014

3 [X.], [X.], 271 und Beschluss vom 20.
Dezember 2011

3 [X.], [X.], 204; vgl. auch Fischer, StGB, 64. Aufl.,
§ 64 Rn. 7a).
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c) Da auch die übrigen Voraussetzungen zur Anordnung der Maßregel des § 64 StGB nicht fernliegen, konnte die [X.] der Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt keinen Bestand haben. Dass nur der die Nichtan-wendung des § 64 StGB ausdrücklich als rechtsfehlerhaft beanstandende An-geklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungs-anordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
d) Ausnahmsweise kann vorliegend
nicht ausgeschlossen werden, dass der Rechtsfehler sich auf den Strafausspruch ausgewirkt hat. Der Generalbun-desanwalt hat hierzu ausgeführt:

usführungen zum Hang berühren auch den Strafausspruch, da das [X.] maßgeblich aufgrund der selbstverschulde-ten [X.] von einer Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49

Dem kann sich der [X.] letztlich nicht verschließen. Zwar wird in der Regel auszuschließen sein, dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbrin-gung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte (vgl. hierzu [X.], Urteile
vom 15. März 2016

1 StR 526/15 Rn. 28, [X.], 29 und
vom 28. April 2014

1 [X.] Rn. 23). Hier besteht aber eine vom [X.] durch einen Verweis hergestellte Verknüpfung zwischen den vom Rechtsfehler behaf-teten Ausführungen zum Vorliegen eines Hanges und der [X.]. Denn das [X.] hat trotz Vorliegens einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit von der Möglichkeit der [X.] keinen Gebrauch gemacht. Hierfür hat es

auf dem Boden der aktuellen Rechtsprechung (vgl. [X.], Urteil vom 17. August 2004

5 [X.], [X.]St 49, 239)

darauf abgestellt, dass es für den Angeklagten
voraussehbar war, dass sich sein Risiko der Begehung von Gewaltstraftaten 9
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n-ken hat. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ausführungen zum Hang hat es ausgeschlossen, dass der Angeklagte alkoholkrank war oder aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weit beherrschenden Hangs trank.
[X.]

Bellay

Cirener [X.]

Meta

1 StR 163/17

22.05.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.05.2017, Az. 1 StR 163/17 (REWIS RS 2017, 10566)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10566

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 163/17

1 StR 219/16

3 StR 386/13

3 StR 421/11

1 StR 526/15

1 StR 594/14

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