Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.05.2018, Az. XI ZR 584/16

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 9159

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:150518UXIZR584.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
XI ZR 584/16
Verkündet am:

15.
Mai 2018

Weber

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

-
2
-
Der XI.
Zivilsenat des [X.] hat gemäß §
128 Abs.
2 ZPO im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum
17.
April
2018 eingereicht werden konnten, durch den Vizepräsidenten Prof.
Dr.
Ellenberger, [X.]
Grüneberg und Dr.
Matthias sowie die Richterinnen Dr.
Menges und Dr.
Derstadt
für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 5.
Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen
Oberlandesgerichts vom 13.
Oktober 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung eines Teils geleisteter "Vorfälligkeitsentschädigungen" und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten nach Widerruf seiner auf den Abschluss zweier Verbraucherdar-lehensverträge gerichteten Willenserklärungen in Anspruch.
Die Parteien

der Kläger zusammen mit seiner damaligen Ehefrau

schlossen im September 2003 und Januar 2006 zwei Darlehensverträge. Die Beklagte belehrte den Kläger und seine Ehefrau nach den Grundsätzen des 1
2
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3
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[X.]surteils vom 12.
Juli 2016 (XI
ZR
564/15, [X.]Z
211, 123
ff.) fehlerhaft über ihr Widerrufsrecht.
Mitte des Jahres
2010 beendeten die Parteien die Darlehensverträge vorzeitig gegen Zahlung von [X.] in Höhe von 32.336,81

11.805,99

seine auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen.
Seine Klage auf Zahlung "seines" hälftigen Anteils der Aufhebungsent-gelte in Höhe von vom Kläger so errechnet 22.121,40

und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten hat das [X.] abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des [X.], mit der er seine Zahlungsanträge weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:
Die Revision des [X.] hat Erfolg.

I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Der Widerruf sei unwirksam, weil er nur vom Kläger und nicht auch von der früheren Ehefrau des [X.] erklärt worden sei. Da der Kläger und seine 3
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4
-
Ehefrau Mitgläubiger der aus einem Rückgewährschuldverhältnis resultieren-den Ansprüche seien, habe der Kläger nicht auf Leistung nur an sich selbst [X.] dürfen.
Jedenfalls sei das Widerrufsrecht des [X.] und seiner Ehefrau [X.]. [X.] der Darlehensgeber eines [X.] eine unrichtige Widerrufsbelehrung, dürfe er sich allerdings regelmäßig nicht darauf einrichten, der Darlehensnehmer werde von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch ma-chen. Ein schutzwürdiges Vertrauen könne der Darlehensgeber grundsätzlich schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeige-führt habe, indem er den Darlehensnehmer nicht ordnungsgemäß belehrt habe. Gleichwohl dürfe sich der Darlehensgeber in Einzelfällen darauf einrichten, dass der Darlehensnehmer nicht widerrufe. Das gelte namentlich dann, wenn der Darlehensvertrag vollständig abgewickelt, der Darlehensnehmer grundsätz-lich über das Widerrufsrecht belehrt und dabei nur der Beginn der Widerrufsfrist formal missverständlich benannt worden sei. Gerade bei beendeten Verbrau-cherdarlehensverträgen
wie hier
könne das Vertrauen des Darlehensgebers auf ein Unterbleiben des Widerrufs nach diesen Maßgaben schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzli-chen Vorschriften nicht entsprochen habe und er es in der Folgezeit versäumt habe, den Darlehensnehmer nachzubelehren.
Hier könne sich die Beklagte ausnahmsweise auf Verwirkung berufen, weil [X.]-
und Umstandsmoment, die in einer Wechselwirkung stünden, erfüllt seien: Die für das [X.]moment maßgebliche Frist beginne mit dem [X.] des Darlehensvertrags. Die Dauer des [X.]moments richte sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zu berücksichtigen seien die Art und Bedeu-tung des Anspruchs, die Intensität des für den Berechtigten geschaffenen [X.] und das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten. 8
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-
Es müsse jedenfalls eine längere [X.] verstrichen sein; die Regelverjährung von drei Jahren müsse dem Berechtigten regelmäßig ungekürzt zur Verfügung ste-hen. Daran gemessen sei das [X.]moment erfüllt. Nach den Vertragsschlüssen im September 2003 und im Januar 2006 seien bis zur Erklärung des Widerrufs mehr als elf bzw. fast neun Jahre vergangen.
Auch das Umstandsmoment, an das grundsätzlich strenge Anforderun-gen zu stellen seien, sei gegeben. Zwar reiche die einvernehmliche Abände-rung der Konditionen des Darlehensvertrags für sich genommen regelmäßig nicht aus. Löse aber der Darlehensnehmer das Verbraucherdarlehen unter [X.] einer "Vorfälligkeitsentschädigung" ab und lasse er danach eine gewisse [X.]
etwa sechs Monate
verstreichen, sei das Umstandsmoment regelmäßig

im Sinne einer tatsächlichen Vermutung
bejahen.
Überdies habe sich die Beklagte auch unabhängig von dieser tatsächli-chen Vermutung
bei einer Betrachtung des Einzelfalls
darauf eingerichtet, dass der Kläger und seine frühere Ehefrau von ihrem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machten. Darauf habe sie vertrauen dürfen. Die [X.] seien bereits seit Mitte
2010 vollständig abgewickelt gewesen. Der Kläger habe den Widerruf erst über vier Jahre später erklärt. Neben der [X.] des [X.] spreche hier überdies dafür, die Beklagte habe sich auf die Nichtausübung eines etwa noch bestehenden Widerrufsrechts [X.] dürfen und auch eingestellt, dass die Beklagte den Kläger und seine frühere Ehefrau über ihr Widerrufsrecht
wenn auch inhaltlich nicht ausrei-chend
informiert habe. Angesichts des Wortlauts der Widerrufsbelehrung ("in-nerhalb von zwei Wochen") habe sie anders als bei einer gänzlich fehlenden Belehrung davon ausgehen dürfen, dass der Kläger und seine frühere Ehefrau über die nur eng befristete Befugnis zum Widerruf nicht im Irrtum seien.
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6
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II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten
nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass die auf Zahlung von 22.121,40

i-nen Teilbetrag aus mehreren selbständigen Ansprüchen geltend, muss er ge-mäß §
253 Abs.
2 Nr.
2 ZPO im Einzelnen angeben, wie er die geltend gemach-te Gesamtsumme ziffernmäßig auf die verschiedenen Ansprüche verteilt wissen will, oder mindestens eine Reihenfolge angeben, in welcher die Ansprüche bis zu der von ihm geltend gemachten Gesamtsumme gefordert werden (st.
Rspr., zuletzt etwa [X.], Beschluss vom 2.
Mai 2017
VI
ZR
85/16, NJW
2017, 2623 Rn.
10 mwN). Das hat der Kläger, der aus zwei Rückgewährschuldverhältnis-sen nach Widerruf der auf Abschluss der Darlehensverträge 2003 und 2006 gerichteten Willenserklärungen Ansprüche geltend macht, nicht getan. Die hin-reichende Bestimmtheit des [X.] lässt sich auch nicht im Wege der Auslegung erreichen. Zwar hat der Kläger angeführt, jeweils die Hälfte der auf die Darlehensverträge entfallenden [X.] zu beanspruchen. Sei-ne Gesamtforderung übersteigt indessen den Gesamtbetrag der jeweils rechne-rischen Hälften von 22.071,40

2. Das Berufungsgericht, das auf der Grundlage des nach Art.
229 §
9 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2, §
22 Abs.
2, §
32 Abs.
1, §
38 Abs.
1 EGBGB maßgebli-chen Rechts zutreffend davon ausgegangen ist, die Beklagte habe den Kläger und seine Ehefrau unrichtig über das ihnen zustehende Widerrufsrecht nach §
495 Abs.
1 BGB belehrt ([X.]surteile vom 12.
Juli 2016
XI
ZR
564/15, [X.]Z
211, 123 Rn.
17
ff., 20
ff. und vom 7.
November 2017
XI
ZR
369/16, WM
2018, 45 Rn.
15), hat weiter verkannt, dass der Kläger einen Widerruf sei-12
13
14
-
7
-
ner auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen unabhängig von seiner früheren Ehefrau erklären konnte ([X.]surteil vom 11.
Oktober 2016
XI
ZR
482/15, [X.]Z
212, 207 Rn.
13
ff.).
3. Rechtsfehlerhaft ist überdies die Annahme des Berufungsgerichts, die Klage sei abweisungsreif, weil der Kläger Leistung nur an sich nicht [X.] könne.
Zwar trifft es entgegen der Rechtsmeinung der Revision zu, dass [X.] aus einem Rückgewährschuldverhältnis den Darlehensnehmern grundsätzlich als Mitgläubigern nach §
432 BGB zustehen ([X.]surteile vom 10.
Oktober 2017
XI
ZR
449/16, WM
2017, 2251 Rn.
27 und
XI
ZR
555/16, WM
2017, 2259 Rn.
27). Beantragt aber ein Mitgläubiger die Zahlung an sich statt an alle Mitgläubiger, ist darin im Sinne einer qualitativen Beschränkung der Antrag auf Zahlung an alle Mitgläubiger enthalten, auf den, sofern der Anspruch besteht, die Verurteilung ohne Verstoß gegen §
308 Abs.
1 ZPO zu lauten hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19.
April 2005
VI
ZB
47/03, NJW-RR 2005, 955
f. und vom 24.
November 2006
BLw
12/06, FamRZ
2007, 392, 393; RG, JW
1928, 107, 108; [X.]/[X.], 5.
Aufl., §
264 Rn.
17
f.; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 38.
Aufl., §
264 Rn.
3
f.). Das [X.] hätte mithin auf einen zu weitgehenden Antrag die Klage nicht ins-gesamt abweisen dürfen.
4. Schließlich weisen die Darlegungen zur Verwirkung des [X.] zum Nachteil des [X.] auf.
Zwar ist der Kläger durch die die Bestimmung des [X.]moments betref-fende unrichtige Annahme des Berufungsgerichts nicht beschwert, die

mangels Verjährung des Widerrufsrechts als Gestaltungsrecht nicht einschlä-gige

"Regelverjährung von drei Jahren" müsse "dem Berechtigten regelmäßig 15
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17
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-
8
-
ungekürzt zur Verfügung stehen" (gegen einen so begründeten Schluss auf ein "Mindestzeitmoment" [X.]surteil vom 10.
Oktober 2017

XI
ZR
455/16, juris Rn.
21).
Anderes gilt aber für die rechtsfehlerhaften Erwägungen des Berufungs-gerichts zum Umstandsmoment. Wie der [X.] entschieden hat ([X.]surteil vom 11.
Oktober 2016

XI
ZR
482/15, [X.]Z
212, 207 Rn.
30), besteht keine "tatsächliche Vermutung" des Inhalts, löse der Verbraucher ein Verbraucherdar-lehen unter Zahlung einer "Vorfälligkeitsentschädigung" ab, sei nach Ablauf von sechs Monaten das Umstandsmoment regelmäßig zu bejahen. Die Überlegun-gen des Berufungsgerichts dazu, Verwirkung sei auch
"bei einer Betrachtung des Einzelfalls" und "unabhängig von der vom [X.] postulierten tatsächlichen Vermutung" eingetreten, tragen die Entscheidung nicht. Vielmehr sind sie für sich rechtsfehlerhaft, weil das Berufungsgericht der Gewichtigkeit des [X.] zugunsten der Beklagten bei der Subsumtion unter §
242 BGB maßgebliches Gewicht beigemessen hat (dagegen [X.]surteile vom 12.
Juli 2016
XI
ZR
564/15, [X.]Z
211, 123 Rn.
40 und vom 9.
Januar 2018

XI
ZR
402/16, juris Rn.
12; [X.]sbeschluss vom 17.
Januar 2017

XI
ZR
82/16, juris).

III.
Das Berufungsurteil unterliegt der Aufhebung (§
562 ZPO), da es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§
561 ZPO).
Eine eigene Sachentscheidung (§
563 Abs.
3 ZPO) ist dem [X.] nicht möglich. Dem Kläger ist mit Blick auf §
139 ZPO zunächst Gelegenheit zu ge-ben, seinen die Hauptforderung betreffenden [X.], der nicht von 19
20
21
-
9
-
vornherein unbegründet ist, zu präzisieren ([X.], Urteile vom 15.
Februar 2007

I
ZR
114/04, [X.]Z
171, 151 Rn.
22 und vom 5.
November 2015

I
ZR
50/14, WRP
2016, 869 Rn.
15). Im Übrigen kann der [X.] der dem Tatrichter oblie-genden Würdigung der konkreten Umstände nach §
242 BGB nicht vorgreifen (st.
Rspr., vgl. zuletzt nur [X.]surteil vom 10.
Oktober 2017

XI
ZR
393/16, WM
2017, 2247 Rn.
11 mwN).
Der [X.] verweist die Sache daher zur neuen Verhandlung und Ent-scheidung an das Berufungsgericht zurück (§
563 Abs.
1 ZPO).

Ellenberger
Grüneberg
Matthias

Menges
Derstadt
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.12.2015 -
4 O 112/15 -

OLG Schleswig, Entscheidung vom 13.10.2016 -
5 [X.] -

22

Meta

XI ZR 584/16

15.05.2018

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.05.2018, Az. XI ZR 584/16 (REWIS RS 2018, 9159)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9159

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