Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.01.2010, Az. 3 StR 507/09

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 10504

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Gegenstand

Strafverfahren: Übertragung anhängiger Verfahren auf eine nachträglich eingerichtete Hilfsstrafkammer im Wege einer Änderung der Geschäftsverteilung; Voraussetzungen des Menschenhandels


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. März 2009, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Menschenhandels (zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft) in acht Fällen und wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 25 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; weiter hat es ihm für die Dauer von drei Jahren verboten, "eine selbständige, leitende oder angestellte Tätigkeit von Organisation und Durchführung sowie Vermittlung von Veranstaltungen folkloristischer, kultureller und künstlerischer Art" auszuüben. Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Besetzungsrüge Erfolg; auf die weiteren Verfahrensrügen und auf die Sachrüge kommt es daher nicht an.

I.

2

Mit Recht beanstandet der Beschwerdeführer die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 338 Nr. 1 StPO). Der Beschluss des Präsidiums des [X.]s vom 10. Oktober 2007, der die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung der zunächst bei der [X.] eingegangenen Sache nachträglich der [X.] 3 c zugewiesen hat, genügt nicht den Anforderungen, die an eine Übertragung (ausschließlich) bereits anhängiger Verfahren im Wege der Änderung der Geschäftsverteilung zu stellen sind. Der [X.] hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

"§ 21e Abs. 3 Satz 1 GVG erlaubt dem Präsidium die Änderung der Geschäftsverteilung während eines laufenden Geschäftsjahres, wenn dies wegen Überlastung eines Spruchkörpers erforderlich wird. Zu diesem Zweck kann auch eine [X.] eingerichtet werden, der Verfahren nach allgemeinen sachlich-objektiven Kriterien zugewiesen werden. Die Zuweisung bereits anhängiger Verfahren ist grundsätzlich nur möglich, wenn die Neuregelung generell gilt, also auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger gleichartiger Fälle erfasst (vgl. [X.] NJW 2003, 345; 2005, 2689 f. m.w.N.). Nur in Ausnahmefällen, wenn allein so dem Beschleunigungsgebot Rechnung getragen werden kann, ist eine beschränkte Zuweisung allein bereits eingegangener Verfahren zulässig (vgl. [X.] NJW 2009, 1734 f.). In Anbetracht des Ausnahmecharakters solcher Fälle und des Gewichts des Grundsatzes des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist dann eine detaillierte Dokumentation der Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, nötig (vgl. [X.] Urteil vom 9. April 2009 - 3 [X.]. 17; Beschluss vom 4. August 2009 - 3 [X.] - Rdnr. 18). Mängel in der Begründung des Beschlusses kann das Präsidium bis zur Entscheidung über einen nach § 222b StPO erhobenen [X.] durch einen ergänzenden, die Gründe für die Umverteilung dokumentierenden Beschluss ausräumen (vgl. [X.] Urteil vom 9. April 2009 - 3 [X.]. 20; Beschluss vom 4. August 2009 - 3 [X.] - Rdnr. 22).

Diesen Anforderungen wurde vorliegend nicht Rechnung getragen. Der Präsidiumsbeschluss vom 10. Oktober 2007 beschränkt sich darauf, die [X.] als überlastet zu bezeichnen, eine Begründung hierfür enthält er nicht. Diese liegt auch nicht in dem Hinweis auf den Beschluss des [X.] vom 19. September 2007, denn es wird nicht erläutert, wie sich dieser Beschluss auf die Gesamtbelastung der [X.] auswirkte. Eine Heilung durch die dienstliche Äußerung des Präsidenten des [X.]s ist nicht eingetreten. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob diese Äußerung auf einem - nach der neueren Rechtsprechung des [X.] erforderlichen - ergänzenden Beschluss des Präsidiums beruht, denn auch in diesem Fall wäre den Begründungsanforderungen nicht genügt. Mit der Äußerung wird nämlich nur dargelegt, dass die [X.] nach der verfassungsgerichtlichen Entscheidung in den Monaten Oktober bis Dezember 2007 zusätzliche Verhandlungstage anberaumen musste, um dem Beschleunigungsgebot Genüge zu tun. Wie viele Verfahren welchen Umfangs bei der [X.] anhängig waren, ob also insgesamt eine Überlastung eingetreten war, lässt sich dem nicht entnehmen. Zudem erschließt sich der Zusammenhang zwischen einer verstärkten Terminierung bis Dezember 2007 und dem vorliegenden Verfahren, das erst Ende September 2007 bei der [X.] eingegangen war und hinsichtlich dessen kaum mit dem Beginn der Hauptverhandlung vor Januar 2008 zu rechnen war, aus der dienstlichen Erklärung nicht. Nach der neueren Rechtsprechung des [X.] ist somit die Präsidiumsentscheidung bereits auf Grund mangelhafter Begründung nicht als rechtmäßig anzusehen; ob tatsächlich eine Überlastung der [X.] bestand, ist für den Erfolg der Besetzungsrüge ohne Belang."

3

Dem schließt sich der Senat an.

II.

4

Für die neue Hauptverhandlung geben die Urteilsgründe Anlass zu folgenden Hinweisen:

5

1. Die bisherigen Feststellungen vermögen den Schuldspruch wegen Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft nach § 233 Abs. 1 Satz 1 StGB, in [X.] getreten am 19. Februar 2005 (Art. 1 Nr. 10, Art. 4 des 37. [X.] vom 11. Februar 2005; [X.]), nicht zu tragen.

6

a) Menschenhandel im Sinne des § 233 Abs. 1 Satz 1 StGB begeht der Täter nicht bereits dann, wenn er eine sich in einer Zwangslage oder in einem Zustand der auslandsspezifischen Hilflosigkeit befindliche Person in ein als ausbeuterisch zu [X.] Beschäftigungsverhältnis übernimmt. Die Vorschrift setzt vielmehr voraus, dass der Täter die Person unter Ausnutzung der Zwangslage oder der Hilflosigkeit zur Aufnahme oder Fortsetzung der Beschäftigung bringt.

7

aa) Allerdings verlangt der Begriff des "dazu Bringens" im Sinne der §§ 232, 233 StGB, zu dessen Auslegung auch die §§ 180 b, 181 StGB in der bis 18. Februar 2005 geltenden Fassung herangezogen werden können ([X.] NJW 2005, 1393, 1395), weder eine Einflussnahme von gesteigerter Intensität wie das "Einwirken" (§ 180 b aF) noch eine Willensbeeinflussung im Wege der Kommunikation wie das "dazu Bestimmen" (§ 181 aF; vgl. [X.] in [X.] § 180 b Rdn. 25; § 181 Rdn. 13). Ist das Merkmal des Ausnutzens erfüllt, genügt jede ursächliche Herbeiführung des Erfolges, gleichgültig auf welche Art und Weise, sei es auch nur durch das Schaffen einer günstigen Gelegenheit oder durch ein schlichtes Angebot ([X.] NStZ-RR 2005, 234; [X.] aaO; [X.] in Schönke/[X.], StGB 27. Aufl. § 233 Rdn. 12; § 232 Rdn. 18; [X.], StGB 57. Aufl. § 232 Rdn. 12; [X.]/Kühl, StGB 26. Aufl. § 232 Rdn. 2; enger [X.] aaO § 233 Rdn. 18; § 232 Rdn. 24 f.).

8

bb) Indes schützt § 233 StGB die Freiheit der Person, über den Einsatz und die Verwertung ihrer Arbeitskraft zu verfügen ([X.] aaO § 233 Rdn. 2). [X.] ist deshalb nur ein Handeln, das gerichtet ist auf das Ziel, den Willen des - bereits in der Freiheit der Willensentschließung beeinträchtigten - Opfers zu beeinflussen und so den in der Aufnahme oder in der Fortsetzung der ausbeuterischen Beschäftigung bestehenden Erfolg herbeizuführen (vgl. [X.] aaO § 180 b Rdn. 51 f.; [X.]. 15/3045 S. 8). Der Täter muss einen bislang nicht vorhandenen Entschluss des Opfers, ein solches Beschäftigungsverhältnis einzugehen, hervorrufen oder das Opfer von seinem Entschluss, die Beschäftigung aufzugeben, abbringen (vgl. [X.] StraFo 2009, 429, 430; NStZ-RR 2004, 233, 234). Hieran fehlt es, wenn für den Erfolg eine vom Opfer unabhängig von seiner Lage getroffene eigenverantwortliche Entscheidung maßgeblich war ([X.] aaO § 232 Rdn. 18; [X.] aaO § 233 Rdn. 19; § 232 Rdn. 26).

9

b) Ob erst die entsprechenden Angebote des Angeklagten den Entschluss der Geschädigten hervorgerufen haben, die ab [X.] 2003 eingegangenen, soweit ersichtlich jeweils auf ein Jahr befristeten Engagements für die von ihm durchgeführten Folkloreveranstaltungen auch in der [X.] nach dem 19. Februar 2005 zu erneuern, lässt sich mangels ausreichender Feststellungen zur Willensrichtung der Geschädigten nicht beurteilen. Festgestellt ist lediglich, dass sie die Verträge weiterhin unterschrieben, weil sie als [X.] Staatsangehörige eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die [X.] anstrebten, sich deshalb fünf Jahre ununterbrochen hier aufhalten mussten und dieses Ziel auf andere Weise nicht erreichen konnten. Diese Interessenlage kann darauf hindeuten, dass die Geschädigten von vornherein entschlossen waren, erwartete Angebote des Angeklagten anzunehmen, ungeachtet dessen, dass wegen des absehbaren Misserfolgs der Veranstaltungen die versprochene Bezahlung auch in Zukunft weithin ausbleiben würde.

2. Das Einschleusen von Ausländern nach § 96 Abs. 1 [X.], § 92 a Abs. 1 [X.] aF ist eine zur Täterschaft verselbständigte Beteiligung an einer fremden Tat ([X.] in [X.] § 96 [X.] Rdn. 2). Unterstützt der Täter mehrere Ausländer bei der Beschaffung von Aufenthaltstiteln, ist materiellrechtlich eine Tat anzunehmen, soweit sich sein Handeln als einheitliches Geschehen darstellt. Hierzu teilen die Urteilsgründe nichts mit. Worauf die Annahme von 25 Fällen des Einschleusens beruht, wird deshalb nicht ersichtlich.

[X.]                                    Sost-Scheible

                     Schäfer                                              [X.]

Meta

3 StR 507/09

13.01.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hannover, 4. März 2009, Az: 89 KLs 2/07 - 6413 Js 12278/07, Urteil

§ 222b StPO, § 338 Nr 1 StPO, § 21e Abs 3 GVG, § 233 StGB, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.01.2010, Az. 3 StR 507/09 (REWIS RS 2010, 10504)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10504

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

3 StR 507/09

2 StR 202/18

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