Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.09.2020, Az. 9 KSt 3/20, 9 KSt 3/20 (9 KSt 1/19, 9 VR 2/16)

9. Senat | REWIS RS 2020, 4165

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Gegenstand

Kosten für private Sachverständigengutachten im Eilverfahren


Leitsatz

1. Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten gemäß § 67 Abs. 4 VwGO grundsätzlich durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 165 VwGO.

2. Kosten eines Privatgutachtens, das sich zur Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses verhält und sowohl im Klageverfahren als auch im zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorgelegt wird, sind unter den in § 162 Abs. 1 VwGO genannten Voraussetzungen vorbehaltlich der jeweiligen Kostengrundentscheidung anteilig in beiden Verfahren erstattungsfähig (im Anschluss an BVerwG, Großer Senat, Beschluss vom 2. März 2020 - Gr. Sen. 1.19 - juris Rn. 14).

3. Materiell-rechtliche Einwände gegen den Kostenerstattungsanspruch sind, soweit sie sich mit den im Kostenfestsetzungsverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln nicht ohne Weiteres klären lassen, nicht in diesem Verfahren, sondern mit der Vollstreckungsgegenklage geltend zu machen. Demgemäß wird eine Aufrechnung im Erinnerungsverfahren nicht berücksichtigt, falls die Gegenforderung nicht ausnahmsweise unstrittig oder rechtskräftig tituliert ist.

Tenor

Die Erinnerung des Antragstellers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 14. Dezember 2018 wird verworfen.

Die Erinnerung des Antragsgegners gegen den vorgenannten Kostenfestsetzungsbeschluss wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

Gründe

I

1

Der Antragsteller erstellte im Dezember 2016 und Januar 2017 für einen nach § 3 UmwRG anerkannten Umweltverband eine Reihe von Gutachten zu Fragen der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses der [X.] für den Ausbau der [X.] Sechs dieser Gutachten wurden vom Kläger nicht nur im Klageverfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss, sondern auch in einem parallel geführten Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorgelegt.

2

[X.]achdem der Antragsgegner die Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses weitgehend selbst ausgesetzt hatte und das Eilverfahren in diesem Umfang übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden war, hat der [X.] den Antrag, im noch streitigen Umfang die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, mit [X.]eschluss vom 16. Februar 2017 - 9 VR 2.16 - abgelehnt. Zur [X.]egründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, unter [X.]erücksichtigung der Feststellungen des Planfeststellungsbeschlusses einerseits und der umfänglichen, gutachterlich unterlegten Einwendungen andererseits stelle sich die Rechtmäßigkeit der umstrittenen Planung als offen dar. Im Rahmen einer Folgenabwägung überwiege das öffentliche [X.], weil mit den wenigen von der Aussetzungsentscheidung des Antragsgegners ausgenommenen Maßnahmen noch keine vollendeten Tatsachen geschaffen würden. Der [X.] hat die Kosten des Eilverfahrens dem Antragsgegner auferlegt, weil dieser die Teilerledigung herbeigeführt hatte und der Antragsteller nur geringfügig unterlegen war. Die Klage des [X.] hat der [X.] dann aber durch Urteil vom 11. Oktober 2017 - 9 A 14.16 - abgewiesen.

3

Schon zuvor hatte der Umweltverband in einem Vertrag vom 30./31. Mai 2017 seine Erstattungsansprüche gegen den Antragsgegner an den Antragsteller abgetreten. Daraufhin beantragte dieser die Kostenfestsetzung für das Eilverfahren. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle gab dem Antrag mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Dezember 2018 teilweise statt. Sie begrenzte darin die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen und verteilte diese auf das Eil- und auf das Hauptsacheverfahren - in Anlehnung an die Festsetzung der jeweiligen Streitwerte - im Verhältnis von 1/3 zu 2/3. Sowohl der Antragsteller als auch der Antragsgegner haben hiergegen die Entscheidung des Gerichts beantragt.

4

Der [X.] hat dem [X.]oßen [X.] des [X.] die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob Kosten eines Privatgutachtens, das sich zur Rechtmäßigkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses verhält und sowohl im Klageverfahren als auch im zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorgelegt wird, vorbehaltlich der jeweiligen Kostengrundentscheidung unter den in § 162 Abs. 1 VwGO genannten Voraussetzungen anteilig in beiden Verfahren erstattungsfähig sind. Der [X.]oße [X.] hat die Frage mit [X.]eschluss vom 2. März 2020 - [X.]. [X.]. 1.19 - bejaht.

II

5

[X.]eide Anträge auf gerichtliche Entscheidung bleiben ohne Erfolg.

6

1. Die Kostenerinnerung des Antragstellers ist schon mangels Prozessvertretung unzulässig.

7

Gemäß § 67 Abs. 4 VwGO müssen sich die [X.]eteiligten vor dem [X.], außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. [X.]ur eine vertretungsberechtigte Person kann namens des [X.]eteiligten wirksam prozessuale Erklärungen abgeben und Rechtshandlungen für ihn vornehmen. Das gilt grundsätzlich für sämtliche Verfahren vor dem [X.] und damit auch für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 165 VwGO ([X.], in: [X.], VwGO, 15. Aufl. 2019, § 151 Rn. 3; [X.], in: [X.], VwGO, 3. Aufl. 2020, § 151 Rn. 6; Rudisile, in: [X.]/[X.]/[X.]ier, VwGO, Stand Januar 2020, § 151 Rn. 6).

8

Dem kann nicht entgegengehalten werden, § 165 Satz 2 VwGO enthalte mit der Verweisung auf § 151 Satz 3 i.V.m. § 147 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine den § 67 Abs. 4 VwGO verdrängende Sonderregelung, weil Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zulässig sind, gemäß § 78 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO nicht dem Anwaltszwang unterlägen (so aber Guckelberger, in: [X.]/[X.], 5. Aufl. 2018, § 151 Rn. 5 m.w.[X.].). Diese Ansicht verkennt, dass mit § 67 Abs. 4 VwGO eine für das Verwaltungsprozessrecht abschließende [X.]estimmung getroffen worden ist, die - auch im Rahmen des § 147 Abs. 1 VwGO - für eine entsprechende Anwendung des § 78 Abs. 3 ZPO keinen Raum lässt. Das folgt namentlich aus § 147 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der § 67 Abs. 4 VwGO ausdrücklich unberührt lässt. Danach gilt im Verwaltungsprozessrecht der [X.]undsatz nicht, wonach [X.], die zur [X.]iederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklärt werden können, allein deshalb vom [X.] ausgenommen sind (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 11. Dezember 2012 - 8 [X.] 58.12 - [X.]uchholz 310 § 54 VwGO [X.]r. 74 Rn. 13).

9

2. Die Erinnerung des Antragsgegners ist zulässig aber unbegründet.

a) Wie der [X.] bereits in seiner den [X.]eteiligten bekannten Vorlage an den [X.]oßen [X.] des [X.] im Einzelnen ausgeführt hat, war der Antragsteller im Kostenfestsetzungsverfahren antragsbefugt. Zwar kann ein Sachverständiger grundsätzlich nur dann selbst [X.]eteiligter des [X.] sein, wenn er gerichtlich bestellt ist und ihm in dieser Funktion Kosten auferlegt wurden. Die Antragsbefugnis des Antragstellers folgt aber daraus, dass ihm der Kläger des Verfahrens 9 A 14.16 seine [X.], auch hinsichtlich des Eilverfahrens, abgetreten hatte. Einer Umschreibung des Titels in Gestalt einer auf den Antragsteller lautenden vollstreckbaren Ausfertigung gemäß § 167 VwGO i.V.m. § 727 ZPO bedurfte es jedenfalls unter den hier vorliegenden Umständen nicht (vgl. [X.]eschluss des [X.]s vom 12. September 2019 - 9 KSt 1.19 - juris Rn. 26 ff.).

b) In der Sache selbst richtet sich die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren von einem [X.]eteiligten vorgelegtes privates Gutachten nach § 162 Abs. 1 VwGO. Danach sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der [X.]eteiligten erstattungsfähig. Die [X.]otwendigkeit außergerichtlicher Aufwendungen ist aus der Sicht eines verständigen [X.]eteiligten zu beurteilen, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Dabei ist ex ante auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlungen abzustellen. Ob sich diese im [X.]achhinein als erforderlich oder unnötig herausstellen, ist ohne [X.]elang ([X.]VerwG, [X.]oßer [X.], [X.]eschluss vom 2. März 2020 - [X.]. [X.]. 1.19 - juris Rn. 15 m.w.[X.]). Wer Rechtsschutz gegen einen - typischerweise komplexen - Planfeststellungsbeschluss sucht, ist häufig nicht nur im Hauptsacheverfahren, sondern schon im Eilverfahren auf die Hinzuziehung externen [X.] angewiesen, wenn er fachspezifische Aussagen der Planfeststellungsbehörde substantiiert widerlegen will. Mit dieser Substantiierungslast korrespondiert im Erfolgsfall ein Anspruch auf Erstattung der notwendig angefallenen privaten Gutachterkosten, soweit sie dem Eilverfahren zuzuordnen sind, ohne dass es darauf ankommt, ob sich das Gericht bei seiner Entscheidung auf das Privatgutachten stützt oder der Eilantrag aus anderen [X.]ünden Erfolg hat (a.a.[X.] Rn. 18). Daraus folgt, dass Kosten eines Privatgutachtens, das sich zur Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses verhält und sowohl im Klageverfahren als auch im zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorgelegt wird, unter den in § 162 Abs. 1 VwGO genannten Voraussetzungen vorbehaltlich der jeweiligen Kostengrundentscheidung anteilig in beiden Verfahren erstattungsfähig sind. Dabei bietet sich in der Regel eine Verteilung der Kosten auf das [X.] und das Eilverfahren im Verhältnis der Streitwerte - also regelmäßig von 2/3 zu 1/3 - an (a.a.[X.] Rn. 14, 23).

Schon in dem Vorlagebeschluss vom 12. September 2019 - 9 KSt 1.19 - (juris Rn. 37) hat der [X.] zum Ausdruck gebracht und hält daran fest, dass die hier (auch) im Eilverfahren vorgelegten Gutachten des Antragstellers die Voraussetzungen erfüllen, an die § 162 Abs. 1 VwGO die Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen knüpft. Gegenteilige Anhaltspunkte hinsichtlich sämtlicher oder einzelner dieser Gutachten sind vom Antragsgegner nicht substantiiert vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.

c) Soweit der Antragsgegner gegen den vom Antragsteller geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch mit Gegenforderungen aufrechnet, dringt er damit im vorliegenden Verfahren nicht durch. [X.] Einwände gegen den Kostenerstattungsanspruch sind, soweit sie sich mit den im Kostenfestsetzungsverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln nicht ohne weiteres klären lassen, nicht in diesem Verfahren, sondern mit der [X.] geltend zu machen ([X.]GH, [X.]eschluss vom 23. März 2006 - V Z[X.] 189/05 - [X.]JW 2006, 1962; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 16. Juli 2012 - 9 KSt 3.12 - [X.]uchholz 310 § 165 VwGO [X.]r. 1 Rn. 2 f.). Demgemäß wird eine Aufrechnung im Erinnerungsverfahren nicht berücksichtigt, falls die Gegenforderung nicht ausnahmsweise unstrittig oder rechtskräftig tituliert ist ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 23. [X.]ovember 2009 - 2 KSt 2.09 - juris Rn. 9); eine solche Ausnahme liegt hier nicht vor.

[X.] ist zwar in Höhe von 2 899,32 € zu seinen Gunsten durch den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 1. Oktober 2019 tituliert. Ob aber der Antragsgegner berechtigt ist, die ihm gegen den Kläger des Verfahrens 9 A 14.16 zustehende Forderung gegen den Antragsteller geltend zu machen, der ihn seinerseits aus abgetretenem Recht in Anspruch nimmt (vgl. § 406 [X.]G[X.]), ist weder rechtskräftig festgestellt noch zwischen den [X.]eteiligten unstrittig. Ungeklärt ist auch, ob und inwieweit in diesem Zusammenhang die zwischenzeitlich beantragte, aber mangels Masse abgelehnte Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des damaligen Klägers materiell-rechtlich [X.]edeutung erlangen kann. Die Klärung dieser Fragen übersteigt den Rahmen des vorliegenden Erinnerungsverfahrens. Das gleiche gilt erst recht, soweit der Antragsgegner mit [X.] vom 15. Juni 2020 vorsorglich weitere Kosten angemeldet hat, die noch nicht nach § 164 VwGO festgesetzt worden sind.

3. Über Gerichtskosten ist nicht zu entscheiden, weil das Erinnerungsverfahren gerichtsgebührenfrei ist. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

9 KSt 3/20, 9 KSt 3/20 (9 KSt 1/19, 9 VR 2/16)

29.09.2020

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: VR

§ 162 Abs 1 VwGO, § 67 Abs 4 VwGO, § 147 VwGO, § 151 VwGO, § 165 VwGO, § 78 Abs 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.09.2020, Az. 9 KSt 3/20, 9 KSt 3/20 (9 KSt 1/19, 9 VR 2/16) (REWIS RS 2020, 4165)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4165

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