Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.04.2012, Az. 3 StR 65/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2012, 7273

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Hinreichend konkrete Erfolgsaussicht


Leitsatz

Eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 2 StGB) besteht nicht, wenn die voraussichtlich notwendige Dauer der Behandlung die Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB überschreitet.

Tenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. November 2011 wird als unbegründet verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von der Unterbringung der opiatabhängigen und unter einer rezidivierenden depressiven Störung leidenden Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es sachverständig beraten abgesehen, weil es eine Behandlungsdauer von "deutlich mehr als zwei Jahren" prognostiziert hat. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

Ergänzend zur Zuschrift des [X.] bemerkt der [X.]:

3

1. Das [X.] ist zu Recht davon ausgegangen, dass die für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Therapie (§ 64 Satz 2 StGB) nicht besteht, wenn die voraussichtlich notwendige Dauer der Behandlung die Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB überschreitet.

4

a) Gemäß § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB darf die Unterbringung nach § 64 StGB nicht länger als zwei Jahre dauern. Der insoweit eindeutige Wortlaut gründet auf der Überzeugung des Gesetzgebers, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sei nur innerhalb einer bestimmten Frist, konkret innerhalb eines Zeitraums von bis zu zwei Jahren, sinnvoll und erfolgversprechend (vgl. Protokolle des Sonderausschusses "Strafrecht", 4. Wahlperiode, S. 803 ff., 819, 936 f., und 5. Wahlperiode, S. 427; außerdem BT-Drucks. 5/4095, S. 33; bekräftigt BT-Drucks. 16/1110, [X.]; vgl. auch LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 167; [X.], StGB, Stand: Juli 2009, § 67d Rn. 2; [X.]/[X.], § 67d Rn. 5; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], StGB, § 67d Rn. 9; [X.]/[X.], Maßregelvollzug, 7. Aufl., [X.] Rn. 486).

5

b) Aus der Systematik der Bestimmungen zu den freiheitsentziehenden Maßregeln ergibt sich nichts anderes. Insbesondere lässt sich § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB nicht entnehmen, der Gesetzgeber halte Unterbringungen über zwei Jahre hinaus in Einzelfällen für therapeutisch sinnvoll. § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB knüpft die Höchstfristverlängerung nicht an die tatrichterliche Prognose, eine die Zweijahresfrist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB überschreitende Therapie werde ausnahmsweise erfolgreich sein, sondern will ausschließlich [X.] korrigieren, die sich aus der [X.] ergeben können (vgl. [X.], Urteil vom 11. März 2010 - 3 [X.], [X.]R StGB § 64 Abs. 1 Erfolgsaussicht 10 mwN; zu § 89 Abs. 5 StGB E 1962 vgl. BT-Drucks. 4/650, S. 219; zur Vorbildfunktion des § 89 Abs. 5 StGB E 1962 für den späteren § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB vgl. BT-Drucks. 5/4095, S. 34).

6

c) Die Auffassung des Gesetzgebers, eine auf länger als zwei Jahre prognostizierte Unterbringung in einer Entziehungsanstalt biete keine hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg und habe deshalb von vornherein zu unterbleiben, findet ihre Bekräftigung in § 67 Abs. 2 StGB in der Fassung des [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 ([X.]). Nach dessen Satz 2 soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Nach Satz 3 ist dieser Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden, auf die Strafe angerechneten Unterbringung die Vollstreckung der verbleibenden Hälfte der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, erfolgversprechende Behandlungen dauerten "nach den Erfahrungen der Praxis gegenwärtig im Durchschnitt" ein Jahr, eine "sinnvolle Entziehungstherapie" sei "spätestens nach zwei Jahren beendet" (BT-Drucks. 16/1110, [X.]; zur durchschnittlichen Behandlungsdauer bereits die Gesetzentwürfe des Bundesrates zur Verbesserung der Vollstreckung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung, BT-Drucks. 14/8200, [X.], und zur Reform des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt, BT-Drucks. 15/3652, S. 13 f.).

7

d) Ob ein rechtspolitisches Bedürfnis besteht, Verurteilten, die aufgrund einer mit der Suchterkrankung kombinierten Persönlichkeitsstörung nicht von einer auf höchstens zwei Jahre befristeten Unterbringung nach § 64 StGB profitieren können, im Rahmen einer Maßregel anderen Zuschnitts Heilungschancen zu eröffnen, hat nicht der [X.], sondern der Gesetzgeber zu entscheiden. Dem [X.] ist es verwehrt, einem verschiedentlich artikulierten Bedürfnis nach einer Eingliederung solcher Verurteilter in das Maßregelsystem des Strafgesetzbuchs (vgl. [X.], [X.], 501, 502 f.) mittels einer den Wortlaut, die Systematik und den Sinn und Zweck der Vorschriften verfehlenden Interpretation der § 67d Abs. 1, § 67 Abs. 2 StGB Rechnung zu tragen und das [X.] in einer Entziehungsanstalt auf Fälle auszuweiten, auf die es nach dem Willen des Gesetzgebers keine Anwendung finden soll.

8

2. Der [X.] ist an einer Verwerfung der Revision aufgrund der tragenden Erwägung (bisher nur obiter Beschlüsse vom 11. März 2010 - 3 [X.], [X.]R StGB § 64 Abs. 1 Erfolgsaussicht 10, und vom 5. August 2010 - 3 [X.], [X.]R StGB § 64 Abs. 1 Erfolgsaussicht 11), die Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB komme bei einer prognostizierten Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren nach geltendem Recht nicht in Betracht, nicht durch den Beschluss des 5. Strafsenats des [X.] vom 6. Februar 1996 (5 [X.]) gehindert. Zwar beruhte dieser Beschluss seinerseits tragend auf der [X.], in die Frist, innerhalb derer der Erfolg der Maßregel erwartbar sein müsse, sei auch eine gemäß § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB eintretende Verlängerung der [X.] einzubeziehen. Mit der Einführung des § 67 Abs. 2 StGB im Zuge der grundlegenden Reform des Rechts der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Jahr 2007 ist dieser Auslegung indessen endgültig die Basis entzogen; Anlass für ein Verfahren nach § 132 [X.] besteht damit nicht (vgl. [X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., § 132 Rn. 21).

[X.]     

        

Ri[X.] von [X.] befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben

        

Schäfer

                 

[X.]

                 
        

[X.]     

        

     Menges     

        

Meta

3 StR 65/12

17.04.2012

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kleve, 24. November 2011, Az: 103 Js 316/11 - 110 KLs 29/11

§ 64 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 2 S 3 StGB, § 67d Abs 1 S 1 StGB, § 67d Abs 1 S 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.04.2012, Az. 3 StR 65/12 (REWIS RS 2012, 7273)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7273

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