Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.04.2014, Az. 5 StR 37/14

5. Strafsenat | REWIS RS 2014, 6372

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Gegenstand

Unterbringung eines betäubungsmittelabhängigen Straftäters in einer Entziehungsanstalt: Therapiedauer und konkrete Erfolgsaussicht


Leitsatz

Therapiedauer und konkrete Erfolgsaussicht.

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 2. September 2013 dahin abgeändert, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.

Die Staatskasse hat die Kosten der Revision und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen einer Reihe von Vergehen nach dem Betäubungsmittel- und dem [X.] sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie Wertersatzverfall angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte, vom [X.] im Ergebnis vertretene Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich allein gegen den [X.]. Das Rechtsmittel ist begründet und führt zum Wegfall der Maßregel.

2

1. Das [X.] hat, soweit für die Maßregelfrage relevant, im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

a) Der 34-jährige Angeklagte konsumiert seit dem 14. Lebensjahr Cannabis sowie seit dem 17. Lebensjahr Kokain und ist in diesem Zusammenhang vielfach unter anderem mit [X.] strafrechtlich in Erscheinung getreten. Erstmals 2005 nahm er eine stationäre Therapie auf, aus der er jedoch wegen eines Drogenrückfalls entlassen werden musste. Eine kurze Zeit später begonnene erneute stationäre Behandlung brach er ab. Aus zwei ambulanten Therapien im November 2005 und im August 2006 wurde er wegen [X.] entlassen. Im Frühjahr 2007 scheiterte eine weitere Behandlung in einer Therapieeinrichtung, da sich Mitarbeiter und Patienten von ihm bedroht fühlten. Erstmals im Februar 2008 schloss er eine rund viermonatige ambulante Therapie regulär ab; im selben Jahr kam es jedoch wieder zu einem Rückfall. Nach einer erneuten ambulanten Therapie war er von Ende 2010 bis Anfang 2012 abstinent. Wegen des Verlusts seines Arbeitsplatzes begann er dann jedoch abermals mit dem täglichen Konsum von Kokain und Cannabis. Auch seine Festnahme im vorliegenden Verfahren und die spätere Außervollzugsetzung des Haftbefehls hielten ihn nicht davon ab, weiterhin Betäubungsmittel zu konsumieren und zu deren Beschaffung wiederum Straftaten zu begehen (UA S. 29).

4

b) [X.] beraten hat die [X.] die Voraussetzungen des § 64 Satz 1 StGB bejaht. Auch eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) sei gegeben. Der Angeklagte sei therapiemotiviert. Er sehe für sich selber das Erfordernis professioneller Unterstützung und habe als Therapieaufträge die Bearbeitung seiner Biografie und das Erreichen von Langzeitlebenszielen wie das Fortführen seiner Ehe und das [X.] eines Arbeitsplatzes formuliert. Trotz der Schwere einer bei ihm bestehenden dissozialen Persönlichkeitsstörung erscheine der Aufbau einer therapeutischen Beziehung „noch möglich“. [X.] sowie hirnorganische Folgen des Drogenmissbrauchs seien nicht feststellbar. Die vom [X.]en prognostizierte Therapiedauer von „etwa vier bis fünf Jahren“ stehe der Annahme hinreichend konkreter Erfolgsaussicht nicht entgegen, weil dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, dass Therapien von über zwei Jahren generell als aussichtslos einzustufen seien ([X.] ff.).

5

2. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist wirksam. Anhaltspunkte dafür, dass die Strafe von der [X.] beeinflusst sein könnte, ergeben sich nicht.

6

3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen tragen nicht die Annahme des [X.]s, es bestehe eine hinreichend konkrete Aussicht, den Angeklagten durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zumindest eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in seinen Hang zu bewahren und von der Begehung auf seinen Hang zurückgehender erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten (§ 64 Satz 2 StGB).

7

a) Bei dem seit frühester Jugend Betäubungsmittel konsumierenden Angeklagten ist eine Vielzahl von [X.] bzw. Rückfällen nach Absolvierung von Therapien zu verzeichnen (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 23. Oktober 1996 - 4 StR 473/96, [X.], 131, 132; vom 21. Januar 2014 - 2 [X.]). Neben anderen Risikofaktoren (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, [X.]) kommt als weiterer sehr ungünstiger Umstand hinzu, dass bei dem Angeklagten „primär“ eine dissoziale Persönlichkeitsstörung und (nur) „sekundär“ eine Abhängigkeit von Kokain und Cannabis besteht ([X.]), was die Erfolgsaussichten einer Entwöhnungsbehandlung weiter vermindert (vgl. [X.]/[X.], Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 158; [X.] u.a., [X.] 2014, 21). Jedenfalls bei derart ungünstigen Ausgangsbedingungen besteht bei einer durch den [X.]en und ihm folgend die [X.] prognostizierten Therapiedauer von „etwa vier bis fünf Jahren, einschließlich einer Adaptationsphase“ ([X.]) keine tragfähige Basis für die erforderliche konkrete Therapieaussicht, deren Unsicherheit sich im Übrigen aus den [X.] selbst ([X.]) erschließt. Einzig die Therapiemotivation des Angeklagten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung lässt unter solchen Vorzeichen nicht hinreichend sicher (§ 64 Satz 2 StGB) auf einen erfolgreichen Verlauf im Sinne des Gesetzes schließen. Hinzu kommt, dass es angesichts der Höhe der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Dauer der anzurechnenden Untersuchungshaft kaum möglich wäre, die Therapie innerhalb der verlängerten Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB zu beenden (vgl. zu deren Berechnung [X.] in [X.], 2. Aufl., § 64 Rn. 9). Hierzu haben die Prozessbeteiligten in der Revisionshauptverhandlung Stellung genommen; der Vertreter der [X.] hat hierauf seinen Antrag maßgeblich gestützt.

8

b) Da eine Bejahung der Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB auf der Grundlage der Feststellungen sicher ausscheidet, führt die - gegen eine zusätzliche Belastung des Angeklagten gerichtete, ihn mithin aus Rechtsgründen begünstigende (§ 296 Abs. 2 [X.]) - Revision der Staatsanwaltschaft zum Wegfall der Maßregel (vgl. zur Kostenfolge § 473 Abs. 2 Satz 2 [X.]; [X.], Urteil vom 20. September 2011 - 1 [X.]; [X.], [X.], 56. Aufl., § 473 Rn. 16).

9

4. Bei dieser Sachlage braucht der [X.] nicht zu entscheiden, ob es an einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB im vorliegenden Fall bereits allein deshalb fehlt, weil die prognostizierte Therapiedauer zwei Jahre überschreitet (in diesem Sinne [X.], Urteile vom 11. März 2010 - 3 [X.], [X.], 500; vom 20. Dezember 2012 - 3 [X.], [X.], 698; vom 27. März 2013 - 2 StR 384/12, [X.], 698; vom 16. Januar 2014 - 4 StR 496/13; Beschlüsse vom 17. April 2012 - 3 StR 65/12, [X.]R StGB § 64 Abs. 2 Erfolgsaussicht 1; vom 17. Juli 2012 - 4 StR 223/12, [X.], 413; vom 8. August 2012 - 2 StR 279/12, [X.], 7). Der [X.] hält jedoch an seiner gegenteiligen Auffassung ([X.], Beschluss vom 6. Februar 1996 - 5 StR 16/96) fest; danach steht eine Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren einer konkreten Erfolgsaussicht jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen. Eine strikte Begrenzung der Unterbringungsdauer auf zwei Jahre mit der Folge der generellen Aussichtslosigkeit bei absehbar eine längere Dauer erfordernden Unterbringungen lässt sich dem [X.] nicht entnehmen (vgl. [X.] aaO Rn. 73 mwN). § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB enthält gerade keine starre Beschränkung der Unterbringungsdauer; die Vorschrift ist vielmehr im Zusammenhang mit § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB zu sehen, der ausdrücklich eine Verlängerung der Zweijahresfrist vorsieht. Eine solche Begrenzung lässt sich auch nicht mit systematischen Erwägungen begründen, findet in den Gesetzesmaterialien keinen Niederschlag (vgl. BT-Drucks. IV/650, [X.], siehe auch BT-Drucks. V/4095, [X.]) und [X.] dem Gesetzeszweck, die Allgemeinheit bei Bedarf auch durch im Einzelfall zwei Jahre übersteigende Therapie vor gefährlichen Tätern zu schützen (vgl. dazu auch [X.], [X.], 501). Insbesondere ergäben sich im Vorfeld und in Konkurrenz zu schwereren freiheitsentziehenden Maßregeln (§§ 63, 66 StGB) prinzipielle Sperren gegen unter Umständen konkret aussichtsreiche längere Entzugstherapien. Diese wären - gerade auch im Blick auf § 72 StGB - mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schwerlich vereinbar und widersprächen in Fällen der Sicherungsverwahrung dem vom [X.] ([X.] 128, 326) initiierten gesetzlichen Konzept, Sicherungsverwahrung durch individuelle und intensive Therapie vermeidbar zu machen (vgl. § 66c Abs. 2 StGB).

Basdorf                           Sander                           Schneider

                    Dölp                             König

Meta

5 StR 37/14

10.04.2014

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Braunschweig, 2. September 2013, Az: 8 KLs 19/13

§ 64 S 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.04.2014, Az. 5 StR 37/14 (REWIS RS 2014, 6372)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6372

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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