Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 04.09.2023, Az. 2 BvR 1239/23

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2023, 5747

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde in einer Auslieferungssache mangels Darlegungen zur Fristwahrung sowie wegen Subsidiarität


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Entscheidungsgründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers, eines aserbaidschanischen und [X.] Staatsangehörigen, nach [X.].

I.

2

1. Das aserbaidschanische [X.] ersuchte mit internationaler polizeilicher Ausschreibung vom 6. Februar 2023 um die Auslieferung des Beschwerdeführers nach [X.] zum Zwecke der Strafverfolgung. Der Ausschreibung lag ein nationaler Haftbefehl des [X.] in [X.] vom 12. Januar 2023 zugrunde, in welchem dem Beschwerdeführer die Begehung einer Betrugsstraftat in [X.] im Januar 2018 zur Last gelegt wird. Nach der Festnahme des Beschwerdeführers am 20. März 2023 ersuchten die aserbaidschanischen Behörden mit Schreiben vom 3. April 2023, das sie in der Folge durch die Haftbedingungen betreffende Zusicherungen ergänzten, um die Überstellung des Beschwerdeführers.

3

2. Mit angegriffenem Beschluss vom 13. Juni 2023 erklärte das [X.] die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine Auslieferung die durch § 73 [X.] gezogenen Grenzen überschreiten würde, seien nicht ersichtlich. Vor dem Hintergrund der Angaben der aserbaidschanischen Behörden zu den den Beschwerdeführer erwartenden Haftbedingungen könne davon ausgegangen werden, dass diese den in Art. 3 [X.] verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen genügen würden. Ausführungen zur Frage der politischen Verfolgung des Beschwerdeführers in [X.] enthält der Beschluss nicht.

4

3. Am 20. Juni 2023 stellte der Beschwerdeführer einen Asylantrag. Zur Begründung machte er geltend, Schutz vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden zu suchen. Infolgedessen wurde er am 12. Juli 2023 gemäß § 25 [X.] angehört. Er führte aus, in der Vergangenheit sowohl in [X.] als auch in der [X.] politisch tätig gewesen zu sein. Zuletzt habe er in [X.] ([X.]) gelebt, wo er im Jahr 2015 den ehemaligen Präsidenten von [X.], [X.], kennengelernt habe. Dessen politische Aktivitäten in der [X.] habe er unterstützt. Insoweit sei er auch vermittelnd für verschiedene aserbaidschanische Personen tätig gewesen, die [X.] organisatorisch und finanziell hätten unterstützen wollen. Nach der Festnahme von [X.] im Jahr 2018 hätten sich diese Personen - darunter auch ein im Auslieferungsersuchen angeführter Geschädigter - über ihn, den Beschwerdeführer, beschwert, weil sich die Investitionen in die Aktivitäten von [X.] nicht gelohnt hätten. Der im Auslieferungsersuchen angeführte Geschädigte sei ein Verwandter des Ministers für Katastrophenschutz in [X.]. Dieser habe die Justiz aufgefordert, strafrechtlich gegen ihn vorzugehen, und dafür gesorgt, dass das Gericht seine Auslieferung beantragt habe. Hierfür spreche auch, dass im [X.] an seinen im Dezember 2021 erfolgten Besuch [X.]s im Gefängnis in [X.] ein Bezirkspolizist seinen Vater in [X.] aufgesucht und diesem mitgeteilt habe, dass er, der Beschwerdeführer, bei einem wiederholten Besuch von [X.] und einer Rückkehr nach [X.] festgenommen würde.

5

4. Mit der am 30. August 2023 eingegangenen Verfassungsbeschwerde, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden ist, wendet sich der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer gegen die durch das [X.] für zulässig befundene Auslieferung. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes sei das derzeit laufende Asylverfahren abzuwarten. Außerdem bestehe die Gefahr, dass er in [X.] politisch verfolgt, gefoltert und misshandelt werde. Ferner habe das [X.] die Frage der ihm in [X.] drohenden Haftbedingungen nicht hinreichend aufgeklärt.

II.

6

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] im Sinne des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.

7

1. Der Beschwerdeführer hat es bereits versäumt, die Wahrung der Verfassungsbeschwerdefrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] darzulegen. Er hat weder zum Zeitpunkt des Zugangs des Beschlusses des [X.]s vom 13. Juni 2023, mit dem die Auslieferung für zulässig erklärt wurde, vorgetragen, noch ergibt sich dieser ohne Weiteres aus den vorgelegten Unterlagen. Es ist deshalb nicht möglich, zu prüfen, ob die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] gewahrt wurde (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 28. Oktober 2019 - 1 BvR 2237/19 -, Rn. 2 m.w.N.).

8

2. Der Beschwerdeführer hat ferner nicht aufgezeigt, dass er den Grundsatz der Subsidiarität gewahrt hat.

9

a) Der aus § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] abgeleitete Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde fordert, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. [X.]E 68, 384 <388 f.>; 107, 395 <414>; 112, 50 <60>; stRspr). Deswegen ist dem Subsidiaritätsgrundsatz nicht genügt, wenn im Instanzenzug ein Mangel nicht nachgeprüft werden konnte, weil er nicht oder nicht in ordnungsgemäßer Form gerügt worden war (vgl. [X.]E 16, 124 <127>; 54, 53 <65>; 74, 102 <114>).

b) Soweit der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde eine ihm drohende politische Verfolgung, Folter und Misshandlung rügt, hat er nicht substantiiert dargetan, den Grundsatz der Subsidiarität gewahrt zu haben. Er hat weder aufgezeigt, die Angaben, die er insoweit bei seiner im Rahmen des Asylverfahrens erfolgten Anhörung am 12. Juli 2023 gemacht hat, bereits im fachgerichtlichen Auslieferungsverfahren vor dem Beschluss des [X.]s über die Zulässigkeit der Auslieferung vom 13. Juni 2023 vorgebracht zu haben, noch hat er entsprechende fachgerichtliche Schriftsätze vorgelegt. Ferner hat er nicht dargelegt, gegenüber dem [X.] nach dem Ergehen der Zulässigkeitsentscheidung auf eine (erneute) Entscheidung nach § 33 [X.] hingewirkt und in diesem Rahmen die entsprechenden Tatsachen vorgebracht zu haben, aufgrund derer ihm eine politische Verfolgung drohe.

3. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt auch im Übrigen nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 [X.] folgenden Anforderungen.

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1239/23

04.09.2023

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Köln, 13. Juni 2023, Az: 3 OAus 31/23, Beschluss

§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 32 IRG, § 33 IRG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 04.09.2023, Az. 2 BvR 1239/23 (REWIS RS 2023, 5747)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5747

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1 BvR 2237/19

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