Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.09.2020, Az. VIII R 23/18

8. Senat | REWIS RS 2020, 3559

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Gegenstand

Zur Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist bei fehlerhaftem Eingangsstempel


Leitsatz

1. NV: Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den dargelegten und glaubhaft gemachten Tatsachen die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis vom Prozessbevollmächtigten verschuldet ist.

2. NV: Zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten bei der Bearbeitung einer Revision gehört die eigenständige Prüfung des Ablaufes der Revisionsbegründungsfrist. Dies gilt auch, wenn ihm die Akten auf eine Vorfrist hin vorgelegt werden. Bei einer solchen Prüfung darf er sich nicht auf die Richtigkeit eines auf dem Zulassungsbeschluss angebrachten Eingangsstempels verlassen, sondern muss selbst prüfen, ob das dort angegebene Datum mit dem vom Postbediensteten auf dem Zustellungsumschlag eingetragenen Zustellungsdatum übereinstimmt.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 23.08.2017 - 4 K 2149/15 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.]. Er erwirtschaftete auf einem im Insolvenzverfahren eingerichteten [X.] in den Jahren 2012 und 2013 Zinseinkünfte, für die die kontoführende [X.]ank Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag einbehielt und an das zuständige Finanzamt abführte.

2

Die Klage, mit der der Kläger die Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer und des [X.] begehrte, wies das Finanzgericht ([X.]) mit Urteil vom 23.08.2017 - 4 K 2149/15 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 225) ab, ohne die Revision zuzulassen. [X.]uf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] hin ließ der [X.]. Senat des [X.] ([X.]) mit [X.]eschluss vom 30.07.2018 - [X.] [X.] 111/17 die Revision zu. Der [X.] wurde den Prozessbevollmächtigten des [X.] ausweislich der [X.] am 10.08.2018 durch Einwurf in den Kanzleibriefkasten zugestellt.

3

Mit [X.] vom 13.09.2018 ging die Revisionsbegründung des [X.] beim [X.] ein. Mit Schreiben vom gleichen Tag wies die Geschäftsstelle des [X.]. Senats die Prozessbevollmächtigten des [X.] darauf hin, dass die [X.] bereits am 10.09.2018 abgelaufen sei. Hierauf beantragten die Prozessbevollmächtigten des [X.] mit Schriftsatz vom 26.09.2018 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie seien aufgrund eines [X.] ohne Verschulden an der fristgerechten Einreichung der Revisionsbegründung gehindert gewesen. Der [X.]eschluss des [X.] vom 30.07.2018 - [X.] [X.] 111/17, der sich in der am Montagmorgen dem Kanzleibriefkasten entnommenen Tagespost befunden haben müsse, sei von der vertretungsweise zuständigen Kanzleimitarbeiterin [X.] mit einem Eingangsstempel vom 13.08.2018 versehen worden. Die Mitarbeiterin habe auf dem förmlich zugestellten Dokument auch den handschriftlichen Zusatz "Zustellung" angebracht. Die fehlerhafte Datierung des Eingangs auf den 13.08.2018 lasse sich nur damit erklären, dass sie die Post taggleich bearbeitet, beim [X.] jedoch die Datumsangabe nicht geändert habe. Die Mitarbeiterin sei ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte und instruiert, förmlich zugestellte Schriftstücke mit dem auf dem gelben [X.]riefkuvert vermerkten Datum zu stempeln und das Kuvert dem betreffenden Schriftstück beizufügen. Die Mitarbeiterin [X.] habe ihre [X.]ufgaben stets zuverlässig erledigt. Ihre Tätigkeit werde zudem in regelmäßigen [X.]bständen überprüft und überwacht, ohne dass es zu [X.]eanstandungen gekommen sei.

4

Im weiteren Verlauf der [X.]earbeitung des Schriftstückes habe die für den Prozessbevollmächtigten tätige Sachbearbeiterin [X.] --nachdem ihr die Post zugeleitet worden [X.] die Rechtsmittelfrist und die einwöchige Vorfrist auf der Grundlage des vermerkten Zustelldatums vom 13.08.2018 berechnet und auf dem Dokument vermerkt. Dabei habe sie --insbesondere auch aufgrund des Zusatzes "Zustellung"-- berechtigterweise davon ausgehen können, dass der 13.08.2018 das korrekte Zustelldatum gewesen sei. Er, der Prozessbevollmächtigte selbst, habe erst mit dem am 17.09.2018 zugestellten Hinweisschreiben des [X.] vom 13.09.2018 Kenntnis von der Verfristung erhalten.

5

Dem Wiedereinsetzungsantrag vom 26.09.2018 waren zur Glaubhaftmachung u.a. die eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiterinnen [X.] und [X.] beigefügt.

Entscheidungsgründe

II.

6

Die Revision ist unzulässig und daher durch [X.]eschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger hat die Revision nicht rechtzeitig begründet.

7

1. Hat der [X.] --wie vorliegend-- der [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, ist die Revision innerhalb von einem Monat nach Zustellung des [X.]es zu begründen (§ 116 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1, § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).

8

Im Streitfall begann gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 187 Abs. 1 des [X.]ürgerlichen Gesetzesbuchs die [X.]egründungsfrist durch Einlegen des [X.]es in den Kanzleibriefkasten (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 180 Satz 2 ZPO) mit Ablauf des 10.08.2018 (Freitag) und endete mit Ablauf des 10.09.2018 (Montag). Der erst am 13.09.2018 beim [X.] eingegangene [X.]egründungsschriftsatz der Prozessbevollmächtigten des [X.] war mithin verspätet.

9

Ob der Fristbeginn auf einen Sonntag, allgemeinen Feiertag oder Samstag fällt, ist unerheblich, denn das Gesetz sieht in § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO diesen Umstand lediglich für das Ende der Frist als bedeutsam an (vgl. z.[X.]. [X.]-[X.]eschluss vom 13.09.2012 - XI R 40/11, [X.]/NV 2013, 213, m.w.N.).

2. Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte [X.] zu gewähren, denn er hat weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass die Fristversäumnis schuldlos war.

a) Die Wiedereinsetzung kommt in [X.]etracht, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). [X.]ei Versäumung der Frist zur [X.]egründung der Revision setzt dies in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. [X.]-[X.]eschluss in [X.]/NV 2013, 213, m.w.N.). Jedes Verschulden --mithin auch einfache Fahrlässigkeit-- schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. z.[X.]. [X.]-[X.]eschluss in [X.]/NV 2013, 213, m.w.N.). Der [X.]eteiligte muss sich gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. z.[X.]. [X.]-[X.]eschluss in [X.]/NV 2013, 213, m.w.N.). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis vom Prozessbevollmächtigten verschuldet war ([X.]-[X.]eschluss vom 23.08.2016 - IX R 15/16, [X.]/NV 2017, 47).

b) Im Streitfall ist zumindest nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass das Versäumen der [X.]egründungsfrist entschuldbar ist. Dabei kann dahinstehen, ob sich der Kläger mit Erfolg auf ein sog. [X.]üroversehen der ansonsten zuverlässigen Angestellten seines Prozessbevollmächtigten berufen kann. Denn es bleibt zumindest die Möglichkeit offen, dass den Prozessbevollmächtigten selbst ein Verschulden trifft, das für das Versäumen der [X.]egründungsfrist ursächlich geworden ist und das sich der Kläger zurechnen lassen muss. Ausgehend von dem Sachvortrag des [X.] ist es keinesfalls ausgeschlossen, sondern naheliegend, dass die Fristversäumnis darauf beruht, dass sein Prozessbevollmächtigter schuldhaft versäumt hat, die gebotene Fristenkontrolle vorzunehmen, nachdem ihm die Akten auf die Vorfrist hin vorgelegt worden waren.

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] gehört es zu den Pflichten eines [X.]evollmächtigten, im Rahmen eines von ihm geführten Revisionsverfahrens bei der [X.]earbeitung der Sache eigenständig den Ablauf der [X.] zu prüfen (z.[X.]. [X.]-[X.]eschlüsse in [X.]/NV 2013, 213; in [X.]/NV 2017, 47, und vom 16.01.2009 - VII R 31/08, [X.]/NV 2009, 951). Für eine sorgfältige Prüfung besteht Anlass, weil die [X.] auch für einen schwerpunktmäßig mit der Prozessführung beauftragten Rechtsanwalt regelmäßig keine alltägliche Frist ist (vgl. [X.]-[X.]eschluss in [X.]/NV 2017, 47). Die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist, gilt auch dann, wenn dem Prozessbevollmächtigten die Akten auf eine Vorfrist hin vorgelegt werden (z.[X.]. [X.]eschluss des [X.] --[X.]GH-- vom 10.06.2008 - VI Z[X.] 2/08, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2008, 3439). Diese Prüfung muss zwar nicht sofort erfolgen, weil die Vorfrist den Sinn hat, dem Anwalt einen gewissen Spielraum zur [X.]earbeitung bis zum endgültigen Ablauf der Frist zu verschaffen. Sie kann daher auch noch am folgenden Tag vorgenommen werden (z.[X.]. [X.] in [X.], 3429). Soll die Prüfung Sinn machen, darf sie jedoch nicht zurückgestellt werden, bis der Anwalt --ggf. erst am letzten Tag der [X.] die eigentliche [X.]earbeitung der Sache vornimmt. Vielmehr entsteht die Prüfungspflicht unabhängig davon, ob sich der Prozessbevollmächtigte daraufhin zur sofortigen [X.]earbeitung der Sache entschließt. Dementsprechend besteht für einen Anwalt, der die eigentliche Sachbearbeitung zurückstellen will, bei der Vorlage auf Vorfrist Anlass zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten wurde (z.[X.]. [X.] in [X.], 3439).

bb) Dementsprechend war auch der Prozessbevollmächtigte des [X.] gehalten, den Ablauf der [X.]egründungsfrist eigenständig zu prüfen. Eine solche Prüfung hätte der Prozessbevollmächtigte vornehmen müssen, nachdem ihm der Vorgang mit Ablauf der von der Mitarbeiterin [X.] berechneten Vorfrist zum 06.09.2018 vorgelegt worden war. Dass dem Prozessbevollmächtigten die Sache, obwohl die Mitarbeiterin [X.] auf der Grundlage des (unzutreffend) vermerkten [X.] vom 13.08.2018 eine Vorfrist zum 06.09.2018 und eine "Ausschlussfrist" zum 13.09.2018 berechnet hat, nicht zum Ablauf der Vorfrist, sondern erst nach dem tatsächlichen Ablauf der [X.]egründungsfrist am 13.09.2018 vorgelegt worden ist, ist nicht ersichtlich. Entsprechendes hat auch der Prozessbevollmächtigte nicht vorgetragen.

Im Rahmen dieser Prüfung hätte der Prozessbevollmächtigte sich nicht ohne Weiteres auf die Richtigkeit des von der [X.] auf dem [X.] des [X.] angebrachten [X.] verlassen dürfen. Vielmehr hätte er selbst prüfen müssen, ob das dort angegebene Datum mit dem von dem Postbediensteten auf dem Zustellkuvert eingetragenen Zustellungsdatum übereinstimmt (vgl. [X.]-[X.]eschlüsse in [X.]/NV 2009, 951; vom 11.10.2019 - IX [X.] 52/19, [X.]/NV 2020, 211; vom 30.11.2010 - IV [X.] 39/10, [X.]/NV 2011, 613, und in [X.]/NV 2013, 213).

Eine entsprechende Prüfung wäre dem Prozessbevollmächtigten auch möglich gewesen, denn bei einer Zustellung gegen [X.] ist der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk aufzubewahren und dem Prozessbevollmächtigten im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Wiedervorlage der Sache zur Prüfung der Frist vorzulegen (vgl. [X.]-[X.]eschlüsse in [X.]/NV 2013, 213; in [X.]/NV 2009, 951, m.w.N.).

Eine solche Prüfung durch den Prozessbevollmächtigten ist jedoch offenbar unterblieben, denn --wie er selbst vorgetragen [X.] ist er erst durch das Hinweisschreiben des [X.] vom 13.09.2018 auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründung aufmerksam geworden.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

Meta

VIII R 23/18

28.09.2020

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 23. August 2017, Az: 4 K 2149/15, Urteil

§ 56 FGO, § 116 Abs 7 S 2 Halbs 1 FGO, § 120 Abs 2 S 1 Halbs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.09.2020, Az. VIII R 23/18 (REWIS RS 2020, 3559)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3559

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