Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.02.2011, Az. IX R 53/10

9. Senat | REWIS RS 2011, 9673

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Gegenstand

Zur Frage der unternehmerischen Beteiligung eines Aktionärs


Leitsatz

NV: Ein Aktionär ist, nachdem er einen Teil seiner Aktien veräußert hat und der ihm verbliebene Teil keine Sperrminorität sichert, grundsätzlich auch dann nicht mehr unternehmerisch an einer AG beteiligt, wenn der Erwerber ihm bindend angeboten hat, die Aktien zum Einkaufspreis (zurück) zu verkaufen .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit ihrer Gründung im Jahre 2001 an der [X.] beteiligt. Sein Anteil umfasste zunächst 40 %. Aufgrund des Kauf- und Übertragungsvertrags vom 10. Januar 2002 übertrug der Kläger 9800 Namensaktien der [X.] für einen Euro pro Aktie auf einen [X.], so dass sich seine Beteiligung auf 20,4 % verringerte. Zugleich bot der Käufer der Aktien dem Kläger diese Aktien zum Preis von einem Euro pro Aktie wiederum zum Kauf an und war bis zum 9. Januar des [X.] (2004) an dieses Angebot gebunden. Am 11. Januar 2002 vereinbarten die [X.] und der Kläger eine typisch stille Beteiligung des [X.] als stiller Gesellschafter an der [X.]. Der Kläger verpflichtete sich --in Verbindung mit dem [X.] vom 15. Mai 2002-- zu einer Bareinlage von 77.657 €, die im Mai 2002 auch tatsächlich geleistet wurde.

2

Die [X.] durfte nach § 3 des Vertrages die folgenden Entscheidungen nicht ohne Zustimmung des [X.] durchführen:

3

- Änderungen des Gegenstandes des Unternehmens und der Unternehmensform,
- Erwerb von oder Beteiligung an anderen Unternehmen sowie deren Veräußerung,
- Veräußerung oder Verpachtung des Unternehmens oder eines Teils des Unternehmens,
- Errichtung von Zweigniederlassungen,
- Abschluss, Änderung oder Aufhebung von Gewinn- und Verlustübernahmeverträgen,
- vollständige oder teilweise Einstellung des Gewerbebetriebs,
- Ausgaben, die das von den stillen Gesellschaftern genehmigte Budget überschreiten.

4

Mit gerichtlichem Beschluss vom 14. Mai 2003 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] eröffnet. Am 21. Mai 2003 wurde die Auflösung der [X.] eingetragen. [X.] wurde das Insolvenzverfahren beendet und der Kläger aus der Quote nicht bedient.

5

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger, der zusammen mit der Klägerin zur Einkommensteuer veranlagt wurde, einen Verlust aus dieser Beteiligung in Höhe von 87.857 € geltend. Dieser setzt sich zusammen aus dem Nennkapital der Aktien von 10.200 € sowie der Einlage als stiller Beteiligter in Höhe von 77.657 €.

6

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte nur einen Verlust in Höhe von 10.200 €, den er dem Halbeinkünfteverfahren unterwarf.

7

Mit Einspruch und Klage begehrten die Kläger, einen Verlust i.S. von § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von nunmehr insgesamt 81.985 € (Anschaffungskosten für Aktien von 10.200 € und Einlage als stiller Gesellschafter 71.985 €) zu berücksichtigen. Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage statt und bejahte einen Veräußerungsverlust nach § 17 EStG in Höhe von 81.985 € unter Berücksichtigung des Halbeinkünfteverfahrens. Die Grundsätze des Eigenkapitalrechts seien hier auch auf Finanzierungshilfen des [X.] als Aktionär anzuwenden. Zwar habe er im Zeitpunkt der Einlage nicht über eine Sperrminorität von 25 % verfügt. Sein Einfluss auf die Unternehmensleitung folge auch nicht allein aus den Zustimmungsvorbehalten, wohl aber daraus, dass er zudem auf der Grundlage des Angebots seine veräußerten Aktien hätte [X.] und damit unternehmerische Entscheidungen hätte beeinflussen können.

8

Hiergegen richtet sich die auf Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 1, 2 und Abs. 4 EStG) gestützte Revision des [X.]. Wenn das [X.] argumentiere, der Kläger habe eine der Sperrminorität vergleichbare Stellung durch das Angebot des Erwerbers seiner Aktien, so verletze dies materielles Recht; denn die Besteuerung knüpfe an den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt an. Allein die Möglichkeit des Rückerwerbs reiche nicht aus, entsprechende Folgen zu ziehen.

9

Das [X.] beantragt,

         das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

          die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) durch Abweisung der Klage in der Sache selbst zu entscheiden.

1. Das [X.] hat unzutreffend nachträgliche Anschaffungskosten des Klägers durch seine Einlage als typisch stiller Gesellschafter angenommen und damit § 17 Abs. 1, 2 und Abs. 4 EStG verletzt.

a) Nach § 17 Abs. 1 und 4 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb --unter weiteren hier nicht problematischen [X.] auch der Gewinn aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft; Entsprechendes gilt für einen [X.] als den Betrag, um den die im Zusammenhang mit der Auflösung der [X.] persönlich getragenen Kosten (entsprechend den Veräußerungskosten nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) sowie seine Anschaffungskosten den gemeinen Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft übersteigen (ständige Rechtsprechung des [X.] --BFH--, vgl. das Urteil vom 9. Juni 2010 [X.], [X.], 326, [X.], 1102, m.w.N.).

Anschaffungskosten sind nach § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben. Dazu gehören nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB auch die nachträglichen Anschaffungskosten. Zu den nachträglichen Anschaffungskosten einer Beteiligung zählen neben (verdeckten) Einlagen auch nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungs- oder Auflösungskosten sind. Zu in diesem Sinne funktionellem Eigenkapital werden Finanzierungshilfen oder [X.], wenn der Gesellschafter der [X.] (§ 32a des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung i.d.[X.] --GmbHG a.F.--) ein Darlehen gewährt (§ 32a Abs. 1 GmbHG a.F.), eine Bürgschaft übernimmt, eine Sicherheit bestellt (§ 32a Abs. 2 GmbHG a.F.) oder eine andere Rechtshandlung i.S. des § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG a.F. unternimmt und diese [X.] eigenkapitalersetzenden Charakter haben. Maßgebend dafür ist, ob ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), stattdessen ein Darlehen gewährt oder eine dem Darlehen wirtschaftlich entsprechend andere Rechtshandlung ausführt, § 32a Abs. 1 und 3 GmbHG a.F. (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 4. März 2008 [X.], [X.], 446, [X.], 575, und vom 4. März 2008 [X.], [X.], 451, [X.], 577, jeweils m.w.N.).

b) Ist der Gesellschafter --wie hier der [X.] (vgl. dazu § 57 Abs. 1 des [X.]es), so sind die Grundsätze des Eigenkapitalrechts auf seine Finanzierungshilfen nur dann sinngemäß anzuwenden, wenn er mehr als 25 % der Aktien der Gesellschaft hält oder --bei geringerer, aber nicht unbeträchtlicher Beteiligung-- verbunden mit weiteren Umständen über gesellschaftsrechtlich fundierte Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft als Grundlage für eine (innergesellschaftliche) Finanzierungsverantwortung verfügt, die einer Sperrminorität vergleichbar sind. Eine Mitgliedschaft im Aufsichtsrat oder eine Vorstandsfunktion genügen dafür nicht (ständige Rechtsprechung des [X.] vom 9. Mai 2005 [X.], [X.], 1416, und vom 26. März 1984 II ZR 171/83, [X.], 381; vgl. auch [X.] in [X.] Kommentar zum [X.], 3. Aufl. 2008, § 57 Rz 180 ff., m.w.N.; [X.], [X.], 8. Aufl., § 57 Rz 18; [X.] in [X.], Großkommentar, 4. Aufl., § 57 Rz 123 ff.; [X.], [X.], in Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht --[X.]-- Bd. 156 --1992--, [X.], 404 f.: weitergehend [X.], [X.] im Gesellschaftsrecht, [X.] 162 --1998-- S. 201, 220 f.). Da [X.] nur unter diesen Voraussetzungen als funktionelles Eigenkapital zu beurteilen sind, führen sie folgerichtig nur dann zu nachträglichen Anschaffungskosten gemäß § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB, wenn der Aktionär an der Aktiengesellschaft im vorgenannten Sinne unternehmerisch beteiligt ist (BFH-Urteil vom 2. April 2008 [X.], [X.], 7, [X.], 706).

c) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] unzutreffend eine unternehmerische Beteiligung des Klägers bejaht. Es hat zwar im [X.] zutreffend nicht schon in den Zustimmungsvorbehalten Einflussmöglichkeiten gesehen, die einer Sperrminorität vergleichbar wären. Hiervon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus. In der Tat dokumentieren diese Vorbehalte keine Verantwortung für die ordnungsgemäße Finanzierung der Aktiengesellschaft (vgl. zur sog. Patronatserklärung [X.] in [X.] Kommentar zum [X.], § 57 Rz 184, m.w.N.). Sie bleiben aber im Niveau unterhalb der Einflussmöglichkeiten einer --für die Annahme einer unternehmerischen Beteiligung nicht ausreichenden-- Vorstandsposition.

Es hat indes zu Unrecht kumulativ und vor allem die Rechtsposition des Klägers aufgrund des bis zum 9. Januar des [X.] bindenden Angebots des [X.], ihm --dem [X.] die Aktien zum Kaufpreis zurückzuverkaufen, als Umstand gewertet, der es dem Kläger ermöglicht habe, Einfluss auf die Unternehmensleitung auszuüben. Es handelt sich dabei nicht um eine mit einem Konsortialvertrag vergleichbare gesellschaftsrechtlich fundierte Sonderlage. Das Angebot berechtigte den Kläger gegenüber dem Erwerber, die Aktien zum Einkaufspreis zu kaufen. Diese Rechtsposition war nicht gesellschaftsrechtlich --causa societatis-- begründet, sondern beruhte auf der Nebenvereinbarung zum Aktienkaufvertrag. Sie sicherte als solche keine Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmensführung. Vielmehr hätte der Kläger, um dies zu erreichen, das Angebot annehmen und die Aktien [X.] müssen. Dies hat er aber gerade nicht getan, so dass seine Stellung ihm allenfalls potentiell oder hypothetisch die Möglichkeit eröffnete, eine Sperrminorität zu erlangen. Dieses Potential ist aber nicht mit einer --auch [X.] Sperrminorität zu vergleichen. Die durch das bindende Angebot vermittelte Anwartschaft stärkte seine Rechtsposition gegenüber dem möglichen Verkäufer, band ihn aber nicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage in die Entscheidungsfindung der Aktiengesellschaft aktiv ein.

Mangels entsprechender Feststellungen durch das [X.] ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger etwa zusammen mit dem [X.] Einfluss ausgeübt hatte, weil er in koordinierter Abstimmung mit ihm über eine Sperrminorität verfügte (vgl. dazu [X.], in KK-[X.], 2. Aufl., § 57 Rz 93, S. 667, m.w.N.).

2. Da es bereits am funktionellen Eigenkapital fehlt und deshalb die Annahme von nachträglichen Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB scheitert, kann es der Senat dahinstehen lassen, ob die im Streitfall durch eine typisch stille Beteiligung vermittelte Einlage zu Finanzierungshilfen führen kann. Überdies mag offenbleiben, ob die [X.] bereits in der Krise war, als der Kläger die Einlage tätigte. Ob die Gesellschaft in eine Krise geraten ist, hat das [X.] aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls als Tatfrage (§ 118 Abs. 2 [X.]O) zu entscheiden (BFH-Urteil vom 9. Oktober 2008 [X.], [X.], 896). Es fehlen im Streitfall aber Feststellungen des [X.], aus denen nachvollziehbar geschlossen werden könnte, die [X.] habe sich schon bei Hingabe der Mittel in der Krise befunden.

3. Da das angefochtene Urteil bereits wegen Verletzung des § 17 Abs. 1 und Abs. 4 EStG aufzuheben ist, kommt es nicht darauf an, welche Folgen es hat, dass das [X.] --wie es im Urteil [X.] über den nach § 68 Satz 1 [X.]O zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Änderungsbescheid vom 15. Juli 2010 mangels Kenntnisnahme "nicht entschieden" habe, Verfahrensfehler aber nicht geltend gemacht worden sind (vgl. dazu von [X.]/Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 68 Rz 105 f.).

4. Die Sache ist spruchreif: Die Klage ist abzuweisen. Nach den obigen Ausführungen (unter II. 1. c) war der Kläger an der [X.] nicht unternehmerisch beteiligt, so dass die in der Insolvenz ausgefallenen Finanzierungshilfen nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten führen.

Meta

IX R 53/10

08.02.2011

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 22. Juli 2010, Az: 13 K 3546/07, Urteil

§ 17 Abs 1 EStG 2002, § 17 Abs 4 EStG 2002, § 255 Abs 1 S 2 HGB, § 32a GmbHG vom 19.07.2002, § 57 AktG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 08.02.2011, Az. IX R 53/10 (REWIS RS 2011, 9673)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9673

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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