Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2006, Az. 1 StR 7/06

1. Strafsenat | REWIS RS 2006, 5121

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[X.] vom 8. Februar 2006 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 8. Februar 2006 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 5. Oktober 2005 wird mit der Maßgabe verworfen, dass in sämtlichen Fällen die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen entfällt. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Gründe: 1. Der Angeklagte hat sich 1990 wiederholt an seiner damals acht Jahre alten Stieftochter, der Nebenklägerin, sexuell vergangen, als er sie zu Bett brachte, während seine Ehefrau, die Mutter der Nebenklägerin, mit der Versor-gung eines Säuglings befasst war. Er hat der Nebenklägerin z.B. Gegenstände in die Scheide eingeführt, ist mit einem oder mehreren Fingern - er versuchte es auch mit der ganzen Hand - oder seiner Zunge dort eingedrungen, führte ihre Hand an sein Geschlechtsteil oder rieb damit an ihren Schamlippen. 1 Die Nebenklägerin, die die Vorfälle erst 2005 zur Anzeige brachte, ist als Folge der Taten nach wie vor psychisch schwer belastet und therapiebedürftig. Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung bei ihr entschuldigt; sie [X.] dies jedoch nicht und lehnt Kontakt mit ihm ab. Allerdings hat sie er-2 - 3 - klärt, eine von ihm angekündigte - freilich noch nicht erbrachte - Schmerzens-geldzahlung von 15.000.- • zu akzeptieren. 2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen insgesamt acht Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern, jeweils in [X.] mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von drei Jahren verurteilt, wobei die Einzelstrafen zweimal acht [X.], viermal ein Jahr und zweimal ein Jahr und drei Monate betrugen. Die [X.] war von besonders schweren Fällen [X.] § 176 Abs. 3 StGB aF ausgegangen, hatte aber die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB bejaht und von der danach eröffneten Möglichkeit zur Strafrahmenmilderung Gebrauch gemacht. 3 3. Die auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Ange-klagten ist zwar auf den Strafausspruch beschränkt, führt aber insoweit zu einer Abänderung des Schuldspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO), als der sexuelle Miss-brauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) verjährt ist (§ 78 StGB i.V.m. § 78b StGB aF). 4 Wie der [X.] zutreffend im Einzelnen dargelegt hat, gilt § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB nF ([X.] I 2003, 3007), wonach die Verjährung jetzt auch bei Straftaten gemäß § 174 StGB bis zur Vollendung des [X.] des Opfers ruht, auch rückwirkend für vor Inkrafttreten dieser Bestimmung (1. April 2004) begangene Taten. Anderes gilt, wenn zu diesem Zeitpunkt be-reits Verjährung eingetreten war ([X.], Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 4 [X.]; [X.] NStZ 2005, 89, 90). So verhält es sich hier. Die [X.] für Vergehen gemäß § 174 StGB beträgt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre, war also angesichts der erst 2005 erfolgten Anzeige bei der ersten zur Unterbrechung der Verjährung geeigneten Handlung abgelaufen. Der 5 - 4 - danach gebotenen Änderung des Schuldspruchs steht der Umstand, dass die Revision auf den Strafausspruch beschränkt ist, nicht entgegen (vgl. [X.]St 11, 393, 394; [X.] bei [X.] 1978, 146, 160 ). 4. Im Übrigen bleibt die Revision erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). 6 a) Die Änderung des Schuldspruchs gefährdet den Strafausspruch hier nicht. Abgesehen davon, dass auch verjährte Taten bei der Strafzumessung nicht unberücksichtigt bleiben müssen, kommt dem Umstand, dass der Ange-klagte eine Vertrauensstellung missbraucht hat, unabhängig von der [X.] des § 174 StGB straferschwerende Wirkung zu, da dieser Gesichtspunkt die [X.] erhöht (vgl. [X.] bei Pfister NStZ-RR 1999, 321, 322 ; [X.] in [X.], StGB § 176 [X.]. 66 jew. m. w. N.). 7 b) Die - wohl versehentliche - fehlerhafte Bezeichnung der angewende-ten Fassung des § 176 StGB - die [X.] spricht von der Fassung des [X.], statt richtig von der des zur Tatzeit geltenden [X.], dessen Strafrahmen sie aber zu Grunde gelegt hat - gefährdet, so auch im Ergebnis die Revision, den Strafausspruch nicht. 8 c) Zu Recht weist die Revision allerdings darauf hin, dass die [X.] die abgeurteilten Delikte als Verbrechen bezeichnet hat. Dies trifft nicht zu, wie sich aus § 12 Abs. 3 StGB ohne weiteres ergibt. Der Unterschied zwischen Verbrechen und Vergehen hat faktisch jedoch vor allem noch gesetzestechni-sche Bedeutung und ist vorwiegend formal zu verstehen (vgl. [X.] in [X.], StGB § 12 [X.]. 6). Der sachliche Unterschied zwischen [X.] und Vergehen ist vor allem dort nicht hoch, wo, wie auch hier, der beson-ders schwere Fall eines Vergehens mit ebenso hoher Mindeststrafe bedroht ist wie ein Verbrechen (vgl. hierzu näher [X.] aaO [X.]. 9 m. w. N.). Daher lässt allein die hier vorliegende fehlerhafte Bezeichnung Taten - auch angesichts der 9 - 5 - konkreten Höhe der verhängten Strafen - eine rechtsfehlerhafte Strafzumes-sung nicht besorgen. Konkrete Umstände, die eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich. d) Die Revision wendet sich gegen die Annahme besonders schwerer Fälle [X.] § 176 Abs. 3 StGB (der genannten Fassung). Vor allem, so trägt sie vor, habe in diesem Zusammenhang der Umstand entscheidende Bedeu-tung, dass die Taten bereits länger zurückliegen. 10 Der Senat vermag dem nicht zu folgen. Dem langen zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil kommt bei Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs nicht eine gleich hohe Bedeutung wie in anderen Fällen zu (wie etwa in den von der Revision genannten Entscheidungen [X.]St 40, 48, 58 und [X.], Beschluss vom 6. November 2001 - 4 [X.], bei denen es nicht um Sexualdelikte z. [X.], sondern um Totschlag und schwere räuberische Erpressung ging). Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen, wie hier, ein Kind vom im selben Familienverband lebenden (hier: Stief-)Vater missbraucht wird und (wie ebenfalls hier) erst im Erwachsenenalter [X.] zu einer Aufarbeitung des Geschehens mit Hilfe einer Strafanzeige findet. Deshalb hat der Gesetzgeber auch die besondere Verjährungsregelung in § 78b StGB getroffen (vgl. [X.] NJW 2000, 748, 749; [X.], Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. [X.]. 437). 11 e) Auch die übrigen Erwägungen der Revision, die im [X.] darauf hi-nauslaufen, die [X.] habe nicht rechtsfehlerfrei zwischen Strafrahmen-bestimmung und Festsetzung der Einzelstrafen differenziert und dadurch im Ergebnis - von ihr nicht übersehene - strafmildernde Gesichtspunkte (z. B. das Geständnis, die [X.] Folgen der Strafe für den bisher nicht vorbestraften Angeklagten und der Versuch 12 - 6 - einer Entschuldigung) zu gering und strafschärfende Gesichtspunkte (z. B. die Folgen der Tat) zu schwer gewichtet, können hier schon angesichts der sehr maßvollen Einzelstrafen und der hieraus nach - so auch die [X.] selbst - straffem Zusammenzug gebildeten Gesamtstrafe durchgreifende Rechtsfehler nicht verdeutlichen. Rechtlichen Bedenken gegen die von der [X.] bejahte [X.] von § 46a StGB - der von der [X.] angewendete § 46a Nr. 2 StGB betrifft vorwiegend einen hier nicht vorliegenden materiellen Schaden des Opfers (vgl. [X.]/[X.] StGB 53. Aufl. § 46a [X.]. 11 m. w. N.), § 46a Nr. 1 StGB erfordert einen "kommunikativen Prozess" zwischen Täter und Opfer (vgl. aaO [X.]. 10a m. w. N.), für den hier wenig spricht - braucht der Senat dabei nicht näher nachzugehen, da der Angeklagte insoweit nur begünstigt sein kann. 13 - 7 - 5. Auf den Hinweis des [X.]s, dass vor allem ange-sichts der schwerwiegenden und noch immer fortwirkenden psychischen Belas-tungen der Nebenklägerin die Strafe auch angemessen [X.] § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO wäre, kommt es unter den gegebenen Umständen ebenfalls nicht mehr an. 14 Wahl Kolz Hebenstreit Elf [X.]

Meta

1 StR 7/06

08.02.2006

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2006, Az. 1 StR 7/06 (REWIS RS 2006, 5121)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 5121

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