Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.07.2012, Az. V R 58/10

5. Senat | REWIS RS 2012, 4955

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Gegenstand

Zeitliche Bindungswirkung der Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung - Zum zeitlichen Umfang der Prüfung der Kindergeldansprüche durch das FG - Ablaufhemmung bei Kindergeldansprüchen - Sprungklage - Verpflichtungsklage wegen Unterlassen eines Verwaltungsakts


Leitsatz

1. NV: Die Ablehnung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung bindet nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des Bescheides bzw. der Einspruchsentscheidung .   

2. NV: Eine gegen den Aufhebungsbescheid gerichtete Klage erledigt sich daher in der Hauptsache, wenn während des finanzgerichtlichen Verfahrens der Aufhebungsbescheid aufgehoben und Kindergeld bis zu dem Monat der Einspruchsentscheidung bewilligt wird .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Vater des am 5. September 1988 geborenen Kindes [X.] absolvierte in der [X.] vom 6. August 2007 bis Ende August 2008 einen Aufenthalt als Au-pair in den USA.

2

Mit Bescheid vom 8. August 2007 hob die Beklagte und Revisionsbeklagte ([X.]amilienkasse) die [X.]estsetzung des Kindergeldes ab September 2007 auf, da [X.] eine Beschäftigung aufgenommen habe, die den Anspruch auf Kindergeld ausschließe. Den hiergegen gerichteten Einspruch vom 9. August 2007 wies die [X.]amilienkasse mit Bescheid vom 17. Oktober 2007 als unbegründet zurück.

3

Mit seiner Klage vor dem [X.] ([X.]) verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2008 kündigte die [X.]amilienkasse an, dem Klagebegehren teilweise abzuhelfen. Zwischenzeitlich sei der Kindergeldanspruch bis November 2007 nachgewiesen worden. Über den [X.]raum ab Dezember 2007 habe die [X.]amilienkasse noch nicht entschieden. Einen entsprechenden Kindergeldantrag habe der Kläger bislang nicht gestellt. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2008 setzte die [X.]amilienkasse für den [X.]raum September bis November 2007 Kindergeld fest.

4

Die Beteiligten haben hinsichtlich der Monate September bis November 2007 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

5

Das [X.] wies die Klage wegen Kindergeld Dezember 2007 bis August 2008 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, es könne dahinstehen, ob die Klage für den [X.]raum ab Dezember 2007 zulässig sei, denn jedenfalls sei sie unbegründet, da [X.] keine Berufsausbildung absolviert habe.

6

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, die er auf die Verletzung materiellen Rechts stützt.

7

Die Klage sei zulässig und begründet. Das Gericht sei nicht aufgrund einer Bindungswirkung des ablehnenden Bescheides an einer Entscheidung gehindert. Es habe im Rahmen der Verpflichtungsklage nach rechtsstaatlichen Prinzipien die Voraussetzungen für den Bezug des Kindergeldes selbst weiter aufzuklären.

8

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die [X.]amilienkasse unter Aufhebung des Bescheides vom 8. August 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2007 zu verpflichten, Kindergeld für [X.] für den [X.]raum Dezember 2007 bis August 2008 festzusetzen.

9

Die [X.]amilienkasse beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat zwar zu Unrecht dahinstehen lassen, ob die Klage zulässig ist und die Klage als unbegründet abgewiesen. Gleichwohl ist der Tenor seines Urteils zutreffend. Die Revision ist deshalb insgesamt gemäß § 126 Abs. 4 der [X.]inanzgerichtsordnung ([X.]O) mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Klage unzulässig war (vgl. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 10. Januar 2007 I R 75/05, [X.] 2007, 1506, m.w.N.).

1. Die auf Verurteilung zum Erlass eines Kindergeldbescheides für die Monate Dezember 2007 bis August 2008 gerichtete Klage ist unzulässig.

a) Eine Klage, die auf Verurteilung zum Erlass eines unterlassenen Verwaltungsakts gerichtet ist (§ 40 Abs. 1 Halbsatz 2 [X.]O), ist --vorbehaltlich der §§ 45 und 46 [X.]O-- nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist (§ 44 Abs. 1 [X.]O). Daran fehlt es hier.

Das mit dem Einspruch des [X.] vom 9. August 2007 eingeleitete und mit der Einspruchsentscheidung der [X.]amilienkasse vom 17. Oktober 2007 abgeschlossene Vorverfahren betrifft nicht den Gegenstand der noch anhängigen Klage. Einspruch und Einspruchsentscheidung beziehen sich auf den Aufhebungsbescheid vom 8. August 2007. Dieser entfaltet keine Bindungswirkung für den Zeitraum Dezember 2007 bis August 2008.

b) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] bindet die Ablehnung oder Aufhebung der Kindergeldfestsetzung nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe des Bescheides bzw. der Einspruchsentscheidung (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 2. November 2011 III B 48/11, [X.] 2012, 265, m.w.N.; [X.]-Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10, [X.]E 235, 203, m.w.N.). Daraus ergibt sich zugleich, dass sich eine gegen einen Aufhebungsbescheid gerichtete Klage in der Hauptsache erledigt, wenn während des finanzgerichtlichen Verfahrens der Aufhebungsbescheid aufgehoben und Kindergeld bis zu dem Monat der Einspruchsentscheidung bewilligt wird (vgl. [X.]-Beschluss vom 19. Dezember 2008 III B 163/07, [X.] 2009, 578).

Der Aufhebungsbescheid vom 8. August 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. Oktober 2007 traf daher aufgrund seiner beschränkten Bindungswirkung nur für den Zeitraum bis Oktober 2007 eine Entscheidung. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2008, in dem Kindergeld für die Monate September bis November 2007 gewährt worden ist, ist dem Begehren des [X.] auf Aufhebung des [X.] in Gestalt der Einspruchsentscheidung daher abgeholfen worden. Dementsprechend haben die Beteiligten den Rechtsstreit u.a. für September und Oktober 2007 übereinstimmend für erledigt erklärt.

c) Bringt der Berechtigte --wie im [X.] im finanzgerichtlichen Verfahren zum Ausdruck, auch Kindergeld für einen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung liegenden Zeitraum erhalten zu wollen, ist zur Wahrung der Rechte des [X.] ausnahmsweise davon auszugehen, dass ein --außer-halb des Klageverfahrens liegender-- Antrag auf Kindergeld vorliegt ([X.]-Urteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07, [X.]E 236, 144). Über diesen hat die [X.]amilienkasse bisher nicht entschieden. Insbesondere enthält der Bescheid vom 15. Dezember 2008, wie die [X.]amilienkasse im Schriftsatz vom 4. Dezember 2008 mitgeteilt hat, keine Regelung für den Zeitraum ab Dezember 2007.

2. Ein Vorverfahren ist im Streitfall auch nicht ausnahmsweise unter den Voraussetzungen einer sog. Sprungverpflichtungsklage nach § 45 Abs. 1 [X.]O entbehrlich.

Eine zulässige Sprungklage setzt voraus, dass die [X.]amilienkasse zuvor einen Antrag auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes mindestens durch einen Verwaltungsakt abgelehnt hat ([X.]-Urteil vom 19. Mai 2004 III R 36/02, [X.] 2004, 1655, m.w.N.). Daran fehlt es für den Zeitraum ab Dezember 2007.

3. Die Voraussetzungen für eine von Amts wegen zu prüfende Untätigkeitsklage nach § 46 [X.]O liegen ebenfalls nicht vor.

Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 [X.]O ist eine Verpflichtungsklage ab-weichend von § 44 [X.]O ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, wenn über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener [X.]rist sachlich nicht entschieden worden ist.

Ist kein Einspruch möglich, weil die [X.]amilienkasse über den Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts nicht entscheidet, muss vor Erhebung der Klage ein sog. [X.] gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung ([X.]) eingelegt werden. Nach dieser Vorschrift ist ein Einspruch auch dann statthaft, wenn geltend gemacht wird, dass über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener [X.]rist sachlich nicht entschieden worden ist.

Ist --wie im [X.] der Einspruch als Rechtsbehelf nicht nach § 348 [X.] ausgeschlossen, so ist eine Verpflichtungsklage wegen Unterlassens eines beantragten Verwaltungsaktes grundsätzlich erst nach erfolglosem [X.] zulässig (vgl. [X.]-Urteile in [X.] 2004, 1655; vom 3. August 2005 I R 74/02, [X.] 2006, 19).

4. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass bezüglich des [X.] ab Monat Dezember 2007 noch keine [X.]estsetzungsverjährung (§ 31 Satz 3 der im Streitjahr gültigen [X.]assung des Einkommensteuergesetzes --EStG--, § 155 Abs. 4 [X.], §§ 169 bis 171 [X.]) eingetreten ist. Es greift eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 [X.] ein, da der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren zum Ausdruck gebracht hat, Kindergeld auch für einen nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung lie-genden Zeitraum erhalten zu wollen ([X.]-Urteil in [X.]E 236, 144 Rz 48).

Bei der Entscheidung über den [X.] wird die [X.]amilienkasse unter Berücksichtigung des [X.]-Urteils vom 15. März 2012 III R 58/08 ([X.] 2012, 1224) zu prüfen haben, ob im Streitfall der Sprachaufenthalt der [X.] im Rahmen des Au-Pair Verhältnisses als Berufsausbildung i.S. von § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG anzusehen ist.

Meta

V R 58/10

05.07.2012

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 2. Februar 2009, Az: 2 K 2215/07 (Kg), Urteil

§ 40 Abs 1 Halbs 2 FGO, § 44 Abs 1 FGO, § 45 Abs 1 FGO, § 46 Abs 1 S 1 FGO, § 155 Abs 4 AO, § 171 Abs 3 AO, § 347 Abs 1 S 2 AO, § 63 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.07.2012, Az. V R 58/10 (REWIS RS 2012, 4955)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4955

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