Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.08.2019, Az. V ZB 39/19

5. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 4231

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Gegenstand

Anwesenheit eines Rechtsanwalts bei Anhörung in Haftverlängerungsverfahren


Leitsatz

Ist dem Haftrichter, der über einen Haftverlängerungsantrag zu entscheiden hat, bekannt, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde, muss er den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch im Verfahren über die Haftverlängerung vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen. Kann dieser den schon anberaumten Anhörungstermin nicht wahrnehmen, ist ein neuer Termin zu bestimmen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 23. Januar 2019 und der Beschluss des [X.] - 26. Zivilkammer - vom 7. Februar 2019 den Betroffenen für den Zeitraum vom 23. Januar 2019 bis zum 6. Februar 2019 in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste 2016 nach [X.] ein. Mit Beschluss vom 5. Januar 2019 ordnete das [X.] Abschiebungshaft bis zum 23. Januar 2019 an. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das [X.] mit Beschluss vom 23. Januar 2019 die Verlängerung der [X.] bis einschließlich 9. April 2019 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das [X.] mit Beschluss vom 7. Februar 2019 zurückgewiesen. Am 3. April 2019 ist der Betroffene abgeschoben worden. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er die Feststellung, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des [X.]s ihn für den Zeitraum vom 23. Januar 2019 bis zum 6. Februar 2019 in seinen Rechten verletzt haben. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

2

Nach Ansicht des [X.] hat das Amtsgericht zu Recht die Verlängerung der Abschiebungshaft angeordnet. Der für die Abschiebung vorgesehene 3. April 2019 sei der nächstmögliche Termin. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig und der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG) liege vor.

III.

3

Die mit dem Feststellungsantrag gemäß § 62 FamFG zulässige Rechtsbeschwerde ist in der Sache begründet und führt zur Feststellung der Rechtsverletzung für den beantragten Zeitraum bis zum 6. Februar 2019. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt; dieser Verfahrensmangel ist erst in der Beschwerdeinstanz geheilt worden.

4

1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. [X.] das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (Senat, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - [X.], [X.] 2019, 152 Rn. 4 und vom 6. Dezember 2018 - [X.], juris Rn. 5). Dies gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungs- oder [X.], auf die nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über den Erstantrag, also auch diejenigen über die Anhörung, uneingeschränkt anzuwenden sind (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - [X.] 167/16, juris Rn. 7).

5

2. Danach ist das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt.

6

a) Ausweislich des Terminvermerks vom 23. Januar 2019 war dem Amtsgericht bekannt, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren vor dem [X.] durch eine Rechtsanwältin vertreten wurde. Hieraus folgt zwar nicht zwingend, dass er auch in dem Verfahren über die Haftverlängerung durch diese Rechtsanwältin vertreten wurde, wie die beteiligte Behörde in ihrer Erwiderung im Ausgangspunkt zu Recht bemerkt. Es handelt sich bei der Haftanordnung und der Haftverlängerung um zwei unterschiedliche Verfahren (vgl. Senat, Beschlüsse vom 3. Mai 2018 - [X.] 230/17, [X.] 2018, 387 Rn. 7 und vom 22. August 2019 - [X.] 144/17, z. Veröff. [X.]). Dass die Rechtsanwältin den Betroffenen auch in dem [X.] vertreten würde, lag jedoch angesichts des unmittelbaren Zusammenhangs beider Verfahren nahe.

7

b) In einem solchen Fall erfordern die Grundsätze des fairen Verfahrens, dass der Haftrichter das Haftverlängerungsverfahren so gestaltet, dass der Betroffene von seinem Recht, seinen Anwalt zu der Anhörung hinzuzuziehen, effektiv Gebrauch machen kann. Der zur Entscheidung über einen Antrag auf Verlängerung einer [X.] berufene Haftrichter ist zwar nicht verpflichtet, von Amts wegen zu prüfen, ob sich in dem Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung ein Rechtsanwalt bestellt hat (Senat, Beschluss vom 22. August 2019 - [X.] 144/17, z. Veröff. [X.]). Über den ihm bekannten Umstand, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde, darf er aber nicht hinweggehen. Der Haftrichter muss in diesem Fall den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch im Verfahren über die Haftverlängerung vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen. Kann dieser den schon anberaumten Anhörungstermin nicht wahrnehmen, ist ein neuer Termin zu bestimmen. Dies bedeutet nicht, dass der Betroffene gegebenenfalls aus der Haft entlassen werden müsste. Der Haftrichter hat bis zu dem neuen Termin nur von einer endgültigen Entscheidung über die Haftverlängerung abzusehen, kann aber bis dahin auf entsprechenden Antrag Haft vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 427 FamFG anordnen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2018 - [X.], [X.] 2019, 152 Rn. 5).

8

c) Diesen Anforderungen an eine faire Verfahrensgestaltung ist das Amtsgericht hier nicht gerecht geworden. Es hat ungeachtet seiner Kenntnis davon, dass der Betroffene im Verfahren über die vorangegangene Haft durch eine Rechtsanwältin vertreten war, das Verfahren über die beantragte Haftverlängerung durchgeführt, ohne den Betroffenen danach zu fragen, ob er durch diese Rechtsanwältin auch im [X.] vertreten werden wolle, und ohne ihr Gelegenheit zur Teilnahme an der Anhörung zu geben. Damit hat es deren Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen vereitelt. Die Haftverlängerung war deshalb rechtswidrig.

9

3. Der Verfahrensfehler des Amtsgerichts ist - mit Wirkung für die Zukunft (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - [X.] 167/16, juris Rn. 9) - in der Beschwerdeinstanz geheilt worden. Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen am 7. Februar 2019 in Anwesenheit seiner Verfahrensbevollmächtigten nochmals angehört und am selben Tag über die Fortdauer der Haft entschieden. Damit ist am 7. Februar 2019 Heilung des Verfahrensfehlers eingetreten (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - [X.] 71/17, [X.] 2018, 136 Rn. 6), so dass die Rechtsverletzung bis zum 6. Februar 2019 angedauert hat.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 6 Abs. 3 Buchstabe e [X.] analog. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Stresemann     

        

Schmidt-Räntsch     

        

RinBGH Weinland ist infolge
Urlaubs an der Unterschrift
gehindert.
[X.], den 27. August 2019

                                   

Die Vorsitzende
Stresemann

        

Haberkamp     

        

Hamdorf     

        

Meta

V ZB 39/19

22.08.2019

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Darmstadt, 7. Februar 2019, Az: 26 T 2/19

§ 420 Abs 1 S 1 FamFG, § 425 Abs 3 FamFG, § 427 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.08.2019, Az. V ZB 39/19 (REWIS RS 2019, 4231)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 4231

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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