Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.10.2023, Az. VIa ZR 37/21

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 7468

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Gegenstand

Deliktische Haftung des Fahrzeugherstellers in einem sog. Dieselfall: Umfang des Schadensersatzanspruchs bei Schutzgesetzverletzung; Feststellungsinteresse


Leitsatz

§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gewähren dem Käufer eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller neben dem der Höhe nach auf 15% des gezahlten Kaufpreises begrenzten Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens keinen Anspruch auf Ersatz weiterer möglicher Vermögensnachteile. Für einen auf die Pflicht zum Ersatz solcher Vermögensnachteile gerichteten Feststellungsantrag besteht kein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des [X.] vom 5. Juli 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage betreffend eine deliktische Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des im Klageantrag zu 1 bezeichneten Fahrzeugs abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin erwarb im Dezember 2015 von der [X.] einen gebrauchten [X.] [X.], der mit einem Dieselmotor der Baureihe [X.] (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommt eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung ([X.]) zur Anwendung. Es ist nicht von einem Rückruf durch das [X.] ([X.]) betroffen.

3

Mit ihrer Klage hat die Klägerin Zahlung in Höhe von 19.250 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer von der [X.] darzulegenden Nutzungsentschädigung verlangt. Sie hat außerdem die Feststellung der Ersatzpflicht für darüberhinausgehende Schäden sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin zuletzt nach teilweiser Rücknahme des Rechtsmittels ihre Anträge weiter, soweit sie ihre Ansprüche auf eine deliktische Schädigung durch die Beklagte stützt.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

A.

5

Das angefochtene Urteil unterliegt aufgrund der Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts der revisionsrechtlichen Nachprüfung insoweit, als die Berufung hinsichtlich einer deliktischen Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist. Die weitergehende Beschränkung der Zulassung durch das Berufungsgericht allein "in Bezug auf die [X.]" ist entgegen der Rechtsmeinung der Revisionserwiderung unwirksam.

6

Eine Beschränkung der Revisionszulassung ist zulässig und damit wirksam, wenn der von der Zulassung erfasste Teil des Streitstoffs in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig vom übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch nach einer möglichen Zurückverweisung der Sache kein Widerspruch zum unanfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann. Dabei muss es sich nicht um einen eigenen Streitgegenstand handeln und der betroffene Teil des Streitstoffs auf [X.] der Berufungsinstanz nicht teilurteilsfähig sein. Eine Beschränkung der Revision auf einzelne Rechtsfragen, bestimmte Anspruchselemente oder einzelne von mehreren miteinander konkurrierenden Anspruchsgrundlagen ist indes unzulässig (vgl. [X.], Urteil vom 21. Februar 2022 - [X.], [X.]Z 233, 16 Rn. 17 mwN).

7

Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Zulassung zwar wirksam auf deliktische Ansprüche beschränkt. Dagegen konnte das Berufungsgericht die Revision nicht wirksam auf eine Abschalteinrichtung "in Bezug auf die [X.]" begrenzen. Bei natürlicher Betrachtungsweise stellt die Implementierung diverser Abschalteinrichtungen bezogen auf eine Übereinstimmungsbescheinigung einen einheitlichen Lebensvorgang dar ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2270 Rn. 34). Der maßgebliche Streitstoff besteht für die in Betracht kommenden Ansprüche nach §§ 826, 31 BGB und nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV darin, ob der Fahrzeughersteller auf der Grundlage einer erwirkten [X.]-Typgenehmigung und der hinzutretenden materiell unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung schuldhaft ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstetes Fahrzeug in den Verkehr gebracht und dadurch dem jeweiligen Fahrzeugerwerber einen an seine Vertrauensinvestition bei Kaufvertragsabschluss anknüpfenden Schaden zugefügt hat (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juni 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 1251 Rn. 26; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 45, zur [X.] bestimmt in [X.]Z; Urteil vom 10. Juli 2023 - [X.], juris Rn. 6). Die einzelne Abschalteinrichtung ist dabei nur ein nicht für sich [X.].

B.

8

Die Revision ist in der Sache begründet.

I.

9

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB. Bezogen auf die [X.] und weiterer behaupteter Einrichtungen habe die Klägerin schon nicht ausreichend dargelegt, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 handele. Einzelne Fahrzeuge, die eine [X.] enthielten, seien vom [X.] nicht als mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen eingestuft worden, weil die Grenzwerte bei jenen Fahrzeugen auch ohne Nutzung dieser Funktion eingehalten würden. Unabhängig davon habe die Klägerin die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung hinsichtlich [X.] und [X.] unterstellt - nicht schlüssig behauptet. Es fehle an berücksichtigungsfähigem, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestütztem Vortrag zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV oder Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung ([X.]) Nr. 692/2008 scheitere bereits daran, dass es sich bei diesen Normen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

1. Soweit das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus §§ 826, 31 BGB mangels greifbarer Anhaltspunkte für ein [X.] Verhalten der Beklagten verneint hat, wendet die Revision zwar zutreffend ein, dass die Frage, ob es sich bei der [X.] um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, unabhängig davon zu beantworten ist, ob die Grenzwerte auch ohne diese Funktion eingehalten würden.

Ob die Grenzwerte unter den Bedingungen des [X.] ([X.]) auch bei veränderter Funktion eingehalten würden, ist mit Rücksicht auf den Wortlaut des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 nicht von Bedeutung. Die Prüfung im [X.] lässt nur in Bezug auf die dabei wirksamen Emissionskontrollsysteme Prognosen für den gewöhnlichen Fahrbetrieb zu und auch das nur dann, wenn die Wirksamkeit der betreffenden Systeme im gewöhnlichen Fahrbetrieb nicht verringert wird. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 knüpft - ohne Rücksicht auf die jeweils eingesetzten Technologien - an die Verringerung der Wirksamkeit des [X.] in seiner Gesamtheit an und nicht an die Einhaltung der Grenzwerte im [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 8. November 2022 - [X.]/19, NJW 2022, 3769 Rn. 92; [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 51).

Es begegnet indessen keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB hinsichtlich des [X.]s und der [X.] mangels vorsätzlichen Verhaltens der für sie handelnden Repräsentanten verneint und hinsichtlich weiterer behaupteter Einrichtungen schon eine ausreichende Darlegung dazu vermisst hat, dass sie im Fahrzeug der Klägerin vorhanden sind. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der [X.] geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines [X.]s gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das Berufungsurteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben.

Das Berufungsgericht wird zu beachten haben, dass auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV mögliche künftige Vermögensnachteile infolge der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bereits bei der Bemessung des [X.]s zu berücksichtigen (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 76; zum "kleinen" Schadensersatz vgl. auch [X.], Urteil vom 6. Juli 2021 - [X.], [X.]Z 230, 224 Rn. 23 f.; Urteil vom 24. Januar 2022 - [X.], NJW-RR 2022, 1033 Rn. 15) und deshalb nicht gesondert ersatzfähig sind (zum "kleinen" Schadensersatz vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2021, aaO, Rn. 34). Dem Berufungsantrag zu 2 auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden wird das Berufungsgericht daher nur entsprechen können, wenn es sonstige Tatsachen feststellen sollte, aufgrund derer die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB haftet (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juli 2020 - [X.], NJW 2020, 2806 Rn. 29; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22, [X.] 2023, 1133 Rn. 28).

[X.]     

      

Möhring     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 37/21

16.10.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 5. Juli 2021, Az: 12 U 1363/20

§ 31 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, § 256 Abs 1 ZPO, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.10.2023, Az. VIa ZR 37/21 (REWIS RS 2023, 7468)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7468

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VI ZR 397/19

VI ZR 40/20

III ZR 303/20

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