Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.06.2010, Az. II R 9/09

2. Senat | REWIS RS 2010, 5324

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nachfeststellung bei Wegfall einer Grundsteuerbefreiung - Widersprüchliche Sachverhaltsdarstellung des FG


Leitsatz

1. NV: Eine Nachfeststellung ist vorzunehmen, wenn wegen einer Grundsteuerbefreiung ein Einheitswert aufgehoben worden war und die Voraussetzungen für die Befreiung wegfallen .

2. NV: Eine widersprüchliche Sachverhaltsdarstellung im FG-Urteil ist ein materiell-rechtlicher Fehler, der auch ohne diesbezügliche Rüge die Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO entfallen lässt und vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ist (ständige Rechtsprechung des BFH) .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein rechtsfähiger Verein, der in [[X.].] lebenden Menschen [[X.].] Glaubens die Möglichkeit zu ihrer Religionsausübung bietet. Nach seiner Satzung dient er ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken im Sinne der Abgabenordnung ([[X.].]).

2

Im Jahr 1996 erwarb der Kläger ein in [X.] gelegenes Grundstück. Nachdem dem Beklagten und [X.] (das Finanzamt --[X.]--) in einem Telefonat am 4. April 1997 von einem unbekannten [X.] Mitbürger mitgeteilt worden war, dass das Grundstück zu gemeinnützigen Zwecken genutzt werde, hob das [X.] durch Bescheid vom 9. Juni 1997 den auf den 1. Januar 1983 festgestellten Einheitswert zum 1. Januar 1997 auf.

3

[X.] wurde dem [X.] aufgrund einer Kontrollmitteilung bekannt, dass der Kläger bereits ab 1997 nicht mehr ausschließlich gemeinnützig tätig war und deshalb ab 1997 die Voraussetzungen für die [X.] nicht mehr erfüllte. Daraufhin stellte das [X.] mit Bescheid vom 29. Oktober 2007 (Nachfeststellung auf den 1. Januar 1998) den Einheitswert für das Grundstück einschließlich der vormals zu gemeinnützigen Zwecken genutzten Räume auf 333.900 DM fest.

4

Einspruch und Klage, mit denen der Kläger nunmehr die Steuerbefreiung des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des [X.] ([X.]) beanspruchte, blieben erfolglos. Das Finanzgericht ([X.]) sah die Voraussetzungen einer gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 [[X.].] i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 [[X.].] auf zehn Jahre verlängerten Feststellungsfrist als erfüllt an. Verantwortliche des [X.] hätten gegenüber dem [X.] durch Vorlage der Freistellungsbescheinigung unrichtigerweise erklärt, die für die Gemeinnützigkeit erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen, und dadurch Grundsteuer verkürzt. Die subjektiven Voraussetzungen der Steuerhinterziehung seien erfüllt, weil die Vorstandsmitglieder hinsichtlich der Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit ab 1997 eine objektiv falsche steuerrechtliche Beurteilung des [X.] zumindest billigend in Kauf genommen hätten.

5

Mit der Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung von § 169 Abs. 2 Satz 2 [[X.].] und § 370 Abs. 1 Nr. 1 [[X.].] sowie § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.].

6

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Einheitswertbescheid vom 29. Oktober 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2008 aufzuheben.

7

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

[X.] Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat rechtsfehlerhaft angenommen, dem angefochtenen [X.]sbescheid stehe [X.] nicht entgegen.

9

1. Das [X.] ist --abgesehen von der Frage der [X.], dazu unten [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass das [X.] einen Einheitswert gegen den Kläger nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes ([X.]) nachträglich feststellen konnte.

Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist ein Einheitswert nachträglich festzustellen, wenn eine bereits bestehende wirtschaftliche Einheit erstmals zu einer Steuer herangezogen werden soll. Die [X.] ist die nachträgliche Feststellung eines Einheitswerts auf einen späteren Zeitpunkt als den Hauptfeststellungszeitpunkt. Sie kommt in Betracht, wenn eine wirtschaftliche Einheit entweder im Hauptfeststellungszeitpunkt oder zu späteren Feststellungszeitpunkten einer Besteuerung nicht unterliegt und es deswegen der Feststellung eines Einheitswerts nicht bedarf. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass für eine wirtschaftliche Einheit, die einer Besteuerung (z.B. wegen einer Steuerbefreiung) nicht unterliegt, nach § 19 Abs. 4 [X.] solange kein Einheitswert festzustellen ist, wie die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung gegeben sind und damit ein Einheitswert für eine Besteuerung nicht von Bedeutung ist.

Im Streitfall sind die Voraussetzungen der [X.] erfüllt. Das [X.] hatte den Einheitswert für die fragliche wirtschaftliche Einheit durch Bescheid vom 9. Juni 1997 zum 1. Januar 1997 deshalb aufgehoben, weil er mit Rücksicht auf die angenommene Grundsteuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit für die Besteuerung nicht von Bedeutung war (vgl. § 19 Abs. 4 [X.]). Aufgrund des Wegfalls dieser Grundsteuerbefreiung waren die Voraussetzungen für die erstmalige Heranziehung der wirtschaftlichen Einheit zur Grundsteuer gegeben.

2. Die Vorentscheidung ist jedoch materiell fehlerhaft, soweit das [X.] angenommen hat, dem angefochtenen Bescheid über die [X.] auf den 1. Januar 1998 stehe [X.] nicht entgegen. Die vom [X.] hinsichtlich einer von Verantwortlichen des Klägers begangenen Steuerhinterziehung getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind widersprüchlich und tragen die Vorentscheidung nicht.

a) Die Feststellungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, auf dessen Beginn die [X.] vorzunehmen ist (§ 181 Abs. 3 Satz 1 [X.]). [X.]szeitpunkt war hier nach § 23 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 2 [X.] der 1. Januar 1998. Die Feststellungsfrist begann daher mit Ablauf des Jahres 1998 und endete regulär nach vier Jahren mit Ablauf des Jahres 2002.

b) Die Annahme des [X.], die Feststellungsfrist wegen Hinterziehung der Grundsteuer habe sich auf zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 [X.]) verlängert, beruht auf widersprüchlichen Feststellungen des [X.].

Das den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllende Verhalten von Verantwortlichen des Klägers soll sich nach den Entscheidungsgründen des [X.]-Urteils daraus ergeben, dass der Kläger durch Vorlage der Freistellungsbescheinigung unrichtigerweise erklärt habe, er erfülle die für die Gemeinnützigkeit erforderlichen Voraussetzungen. Diese Annahme des [X.] steht jedoch im Widerspruch zu der im Tatbestand der Vorentscheidung getroffenen Feststellung, wonach dem [X.] in einem Telefonat am 4. April 1997 von einem unbekannten [X.] Mitbürger mitgeteilt worden sei, dass das Grundstück zu gemeinnützigen Zwecken genutzt werde, worauf das [X.] den auf den 1. Januar 1983 festgestellten Einheitswert zum 1. Januar 1997 aufgehoben habe. Aus dem Inhalt der Steuerakten ergibt sich kein Hinweis darauf, dass dem [X.] seitens des Klägers eine Freistellungsbescheinigung vorgelegt worden ist. Demgemäß ist die Annahme des [X.], es sei vorliegend eine Tathandlung von Verantwortlichen des Klägers i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 [X.] begangen worden, nicht durch entsprechende tatsächliche Feststellungen gedeckt.

c) Der Kläger hat diese widersprüchlichen Feststellungen des [X.] zwar nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen. Grundsätzlich binden die Feststellungen des [X.] das Revisionsgericht, sofern sie zumindest möglich sind. Jedoch ist die unzureichende und widersprüchliche Sachverhaltsdarstellung in einem angefochtenen Urteil ein materiell-rechtlicher Fehler, der auch ohne diesbezügliche Rüge vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ist und zum Wegfall der Bindungswirkung nach § 118 Abs. 2 [X.]O führt (vgl. etwa Urteil des [X.] vom 22. April 1998 [X.], [X.] 1998, 1481; Lange in [X.]/[X.]/[X.], § 118 [X.]O Rz 230, m.w.N.).

3. Die Vorentscheidung war daher wegen fehlerhafter Anwendung sachlichen Rechts aufzuheben. Die Sache war gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Das [X.] wird bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung zu prüfen haben, ob die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) vorliegen.

Das [X.] wird im Übrigen darauf hingewiesen, dass der Kläger die Befreiungsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 oder § 4 Nr. 1 GrStG nicht erfüllt, da er weder den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt noch eine [X.] Kultusgemeinde ist. Zur näheren Begründung wird auf die Gründe unter [X.] 3. des Senatsurteils II R 12/09  ([X.], 93) vom heutigen Tage Bezug genommen.

Meta

II R 9/09

30.06.2010

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 14. November 2008, Az: 11 K 662/08 BG, Urteil

§ 23 Abs 1 Nr 2 BewG 1991, § 118 Abs 2 FGO, § 370 AO, § 3 Abs 1 S 1 Nr 3 Buchst b GrStG, § 96 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.06.2010, Az. II R 9/09 (REWIS RS 2010, 5324)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5324

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II R 11/09 (Bundesfinanzhof)

Wertfortschreibung wegen Ausbauten und Umbauten bei späterem Wegfall einer Grundsteuerbefreiung - Regelungsgehalt eines "negativen Wertfortschreibungsbescheids" …


II R 14/09 (Bundesfinanzhof)

Änderung eines Einheitswertbescheids wegen neuer Tatsachen - Anforderungen an die Annahme des Vorsatzes bei Steuerhinterziehung


II R 20/09 (Bundesfinanzhof)

Änderung eines Einheitswertbescheids wegen neuer Tatsachen - Bezugnahme des FG auf tatsächliche Feststellungen in einem …


II R 17/09 und II R 18/09, II R 17/09, II R 18/09 (Bundesfinanzhof)

Wertfortschreibung wegen Ausbauten und Umbauten bei späterem Wegfall einer Grundsteuerbefreiung - Änderung eines Einheitswertbescheids wegen …


II R 8/09 und II R 10/09, II R 8/09, II R 10/09 (Bundesfinanzhof)

Abgrenzung von Wertfortschreibung und Nachfeststellung - Keine Nachfeststellung bei rechtswirksam festgestelltem Einheitswert


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

II R 12/09

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.