Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.07.2015, Az. 2 StR 137/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 8806

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen



BUNDESGERICHTSHOF

I[X.] NA[X.]EN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 137/15
vom
1. Juli 2015
in der Strafsache
gegen

wegen Betrugs

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 1.
Juli 2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. [X.],
[X.],
[X.],
[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],

Bundesanwältin
beim Bundesgerichtshof

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15.
Dezember 2014 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äu-ßeren Tatgeschehen, aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Nach
Aufhebung eines ersten Urteils durch Senatsbeschluss vom 17.
April 2014 -
2 StR 405/12 (NJW 2014, 2738), wobei aber die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten wurden, hat das [X.] den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil wegen Betrugs in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs [X.]onaten verurteilt sowie ausgesprochen, dass davon zwei [X.]onate als bereits vollstreckt gelten. In den [X.] erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis von eins zu eins angerechnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, der das Rechtsmittel in der [X.] auf den Strafausspruch beschränkt hat. Die Revision hat in diesem Um-fang Erfolg.
1
-
4
-
I.
Nach den bindend gewordenen Feststellungen zur Tat beschloss der Angeklagte im [X.] 2005 noch während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe wegen gleichartiger Taten, Kunden in schwierigen finanziellen Verhältnissen eine Leasingfinanzierung anzubieten und dabei
Vorschusszahlungen zu verlan-gen. Im Februar 2006 gründete er mit dem gesondert verfolgten

S.

die H.

mit Sitz in [X.].

. Das Unternehmen unterbreitete Inte-ressenten jeweils Angebote für eine Finanzierung, wobei eine [X.] ab Erteilung einer Darlehenszusage in Höhe von fünf vom Hundert der Darlehens-summe verlangt wurde. Unmittelbar nach Erbringung dieser "Sonderzahlung" übernahm eine "Refinanzierungsabteilung" des Unternehmens die Sachbear-beitung und forderte umfangreiche Bonitätsauskünfte sowie die Vorlage weite-rer Unterlagen ein. Danach wurde der Vertrag jeweils mit Hinweis auf ein [X.] des Kunden gekündigt, und die H.

machte gegen die Kunden auch Schadensersatzansprüche geltend,
bis diese einer [X.] unter Verzicht auf die Rückzahlung der [X.] zustimm-ten. Über ausreichende [X.]ittel oder Refinanzierungsmöglichkeiten zur Darle-hensgewährung an die Kunden verfügte die H.

nicht.
Gegenstand der Verurteilung sind Sonderzahlungen von Kunden [X.] durch [X.]itarbeiter der H.

. In einem Teil der Fälle hatte der Angeklagte, der als faktischer Geschäftsführer des [X.] aufgetreten war, neben anderen Personen selbst am [X.] mitgewirkt. Andere Fälle hat ihm das [X.] als uneigentliches Organisationsdelikt zugerechnet.
2
3
-
5
-
II.
Die Rechtsmittelbeschränkung in der Revisionshauptverhandlung, wel-cher der [X.] zugestimmt hat, ist wirksam.
Der Senat schließt -
unbeschadet des Vorliegens eines Rechtsfehlers bei der Prüfung der §§
20, 21 StGB (dazu sogleich unter III.)
-
aus, dass ein neues Tatgericht zu der Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur [X.] gelangen würde.
Dagegen sprechen unter anderem die Vorausplanung der Tat bereits in der Haft und die lange Dauer des komplexen Tatgeschehens.
III.
Die Revision hat im verbleibenden Umfang Erfolg; sie führt zur [X.] mit den zugehörigen Feststellungen. Die [X.] zum äußeren Tatgeschehen sind, auch soweit sie [X.], bereits bindend geworden, was der Senat klargestellt hat.
1. In dem vom Senat aufgehobenen ersten Urteil war das Fehlen der Fä-higkeit des Angeklagten zur Einsicht in das Unrecht der Betrugshandlungen nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen worden. Nunmehr hat das [X.] angenommen, zur Tatzeit habe der Angeklagte mit [X.] gehandelt. Seiner Fähigkeit zur Verhaltenssteuerung nach dieser Einsicht habe keine schwere andere seelische Abartigkeit entgegengestanden. Seine Feststellung vorhandener [X.] ist rechtsfehlerfrei. Jedoch unterliegt die Vernei-nung einer erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens durchgreifen-den rechtlichen Bedenken.
2. a) Nach den Feststellungen des [X.] leidet der heute 62jährige Angeklagte unter einer histrionischen Persönlichkeitsstörung mit nar-zisstischen und dis[X.] Anteilen. Schon als Kind hatte er Geld entwendet, 4
5
6
7
8
-
6
-
um sich mit Zuwendungen Freundschaften zu erkaufen. [X.] nahm er später eine intime Beziehung auf. Sein gesamtes Streben als Erwachsener war darauf gerichtet, die [X.]itarbeiter seiner Unternehmungen an sich zu binden, die er als taktivitäten einbezog. Er unterstützte nicht nur seine [X.]itarbeiter finanziell, sondern sogar die Eltern der zum Personal der H.

gehörenden [X.].

. Der Ange-klagte reagierte "indigniert bis beleidigt", wenn sich die [X.]itarbeiter seinem Wunsch nach engem Kontakt verschlossen.
Das [X.] hat ausgeführt, zwar liege das Vollbild einer Persönlich-keitsstörung vor; jedoch habe diese Störung nicht dasselbe Belastungsgewicht wie eine seelische Krankheit. Sie erfülle nicht das [X.] einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von §
20 StGB.
Die Störung habe allerdings dazu geführt, dass der Angeklagte sich in der gesamten Tatstruktur ein Konstrukt geschaffen habe, in welchem er nicht nur beruflich, sondern
auch im Persönlichen der "Chef"
gewesen sei. Die Stö-rung sei in seiner Persönlichkeit absolut prägend. Aufgrund einer [X.] ließ. In Fantasien über einen Finanzierungserfolg und der Behandlung des gesondert verfolgten S.

als seinen künftigen "Nachfolger"
im Sinne dynasti-scher Großkonzerne seien narzisstische Züge zu erkennen. Er habe sich in [X.] verstrickt, über deren [X.]otivation man nur spekulieren könne und die scheitern mussten, weil er seine "[X.]"
stets nach seinen Vorstellungen "umzugestalten"
versucht habe.
Gleichwohl habe die Störung das Leben des Angeklagten nicht ver-gleichbar schwer und mit ähnlichen [X.] Folgen beeinträchtigt, wie eine krankhafte seelische Störung. Sein "[X.]s [X.]"
sei dafür zu 9
10
11
-
7
-
hoch gewesen. Eine stereotype Lebensgestaltung wie bei einem Drogenabhän-gigen habe nicht vorgelegen, sondern ein unauffällig strukturierter Tagesablauf, der sowohl Arbeit als auch Freizeitverhalten eingeschlossen habe. Beruflich wie privat habe der Angeklagte ein [X.]aß an Flexibilität gezeigt, das von einem [X.]en-schen mit einer krankhaften seelischen Störung nicht erwartet werden könne. Er sei auch grundsätzlich in einer Weise kontaktfähig gewesen, wie sie "von einem Patienten mit einer krankhaften seelischen Störung -
etwa mit einem psychotischen Residualsyndrom -
keinesfalls zu erwarten"
gewesen sei. Prob-leme bei der [X.] und ähnliche störungsbedingte Beeinträchtigun-gen seien nicht zu beobachten gewesen. Vor diesem Hintergrund sei festzustel-len, dass die Einsicht des Angeklagten in das Unrecht der Serientaten nicht ausgeschlossen gewesen sei.
b) Gegen diese Beurteilung bestehen durchgreifende rechtliche Beden-ken. Sie lenken den Blick auf die [X.] des Angeklagten und ver-nachlässigen die Frage einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens.
aa) Richtig ist zwar, dass nicht bereits die gesicherte Diagnose einer his-trionischen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dis[X.] Anteilen mit einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit"
in §
20 StGB gleichzuset-zen ist (vgl. [X.], Urteil vom 21. Januar 2004 -
1 [X.], [X.]St 49, 45, 52). Jedoch kann das [X.] im Einzelfall bei einem solchen Befund erfüllt sein. Dabei sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit von Bedeutung.
Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist im [X.] maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des Delikts zu Einschränkungen des [X.] Handlungsvermögens gekommen ist ([X.] aaO). Insoweit ist die Unterscheidung von beruflichen und privaten Aktivitäten des Angeklagten 12
13
14
-
8
-
dadurch erschwert, dass seine vielfältigen "privaten"
Aktivitäten -
"durchgängig"
unter Einbeziehung der [X.]itglieder seiner "Ersatzfamilie"
-
gerade Ausdruck sei-ner Persönlichkeitsstörung waren. Im Vordergrund der Prüfung müssten daher die Wahrnehmung der eigenen und anderer Personen, die emotionalen Reakti-onen, die konkrete Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und die Im-pulskontrolle stehen (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Dezember 2012 -
4 [X.], [X.]R StGB § 20 seelische Abartigkeit 6). Damit hat sich das [X.] unter einem falschen Blickwinkel beschäftigt.
So wäre etwa auch die Unfähigkeit des Angeklagten, eine intime Part-nerschaft einzugehen und deren vollständige Ersetzung durch die intensive [X.] wie private Beziehung zu den [X.]itarbeitern als Ausdruck der Störung in die Gesamtschau einzubeziehen. Deshalb grenzt die landgerichtliche Annahme des Vorliegens eines normalen Sozialverhaltens mit "hohem [X.]"
ein nur scheinbar intaktes Privatleben in unzutreffender Weise von Störungs-symptomen ab. Zumindest hat das [X.] die Bedeutung dieses Aspekts im Unklaren gelassen, indem es angemerkt hat, über die Gründe dafür, dass der Angeklagte zweifelhafte Beziehungen mit Personen aufgenommen hat, die ihn -
wie er wusste -
stets ausgenutzt haben, können "nur spekuliert"
werden.
bb) Das [X.] hat die Zielrichtung der Prüfung, ob ein Eingangs-merkmal im Sinne des § 20 StGB vorliegt und die Schuldfähigkeit des Ange-klagten im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war, im Hinblick auf die Frage des Hemmungsvermögens vernachlässigt, weil es sich auf die Frage der [X.] konzentriert hat. Auch deshalb hat es eine fragwürdige Ge-wichtung der Störung vorgenommen.
Die Entscheidung, ob das Hemmungsvermögen des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe im Sinne von §
21 15
16
17
-
9
-
StGB erheblich
vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. [X.], Urteil vom 17.
April 2012 -
1 StR 15/12, [X.], 694); jedoch sind die [X.] miteinander verzahnt (vgl. zur Problematik Fischer, StGB 62.
Aufl. §
20 Rn.
5, 5a m.w.[X.]). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem [X.] eine Störung im psychiatrischen Sinn vorliegt, was hier mit dem "Vollbild einer Persönlichkeitsstörung"
eindeutig der Fall ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung im Hinblick auf das Vorliegen eines Eingangs-merkmals und anschließend die Erheblichkeit des Einflusses auf das Hem-mungsvermögen gemäß §
21 StGB zu untersuchen. Hierzu ist der [X.] für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen ange-wiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der [X.] des §
20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatri-schen Befundes wie bei der Prüfung erheblich eingeschränkter Steuerungsfä-higkeit zur Tatzeit um Rechtsfragen. Diese Fragen hat das [X.] nicht in einer nachvollziehbaren Weise beantwortet.
Sein Vergleich der Bedeutung der Persönlichkeitsstörung des Angeklag-ten mit der Beeinträchtigung eines Drogensüchtigen wirkt unpassend. [X.] hat die [X.] nicht näher überprüft, inwieweit die störungsbedingte Sucht des Angeklagten danach, die [X.]itglieder seiner Ersatzfamilie an sich zu binden, sein Sozialverhalten und das hiermit auf das Engste verknüpfte [X.] beherrscht hat. In diese Prüfung wäre zudem der festgestellte Konsum des angstlösenden [X.]edikaments Lorazepam (Tavor) als konstellativer Faktor einzubeziehen gewesen.
Schließlich liegt der Erwägung des [X.], der Angeklagte habe die Abläufe in dem -
ausschließlich auf Betrug ausgerichteten -
Unternehmen zu organisieren und dabei auch Verträge zu entwerfen vermocht, was ein [X.]ensch im Residualsyndrom einer Psychose nicht hätte leisten können, ein 18
19
-
10
-
fehlerhafter Vergleich zu Grunde. Die Fähigkeit zu einem bestimmten Handeln des [X.] enthält keine abschließende Aussage über seine [X.]öglichkeit, aus-reichende Hemmungen gegen dieses Handeln aufzubauen.
Fischer [X.] Eschelbach

[X.]

[X.]

Meta

2 StR 137/15

01.07.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.07.2015, Az. 2 StR 137/15 (REWIS RS 2015, 8806)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8806

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 137/15 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Betruges: Schuldunfähigkeit bei gesicherter Diagnose einer histrionischen Persönlichkeitsstörung


2 StR 530/18 (Bundesgerichtshof)

Heimtücke bei spontaner Tötung eines Taxifahrers


2 StR 297/12 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei Beschaffungsbetrug: Verminderte Schuldfähigkeit wegen pathologischen Spielens; Spielsucht als schwere …


2 StR 297/12 (Bundesgerichtshof)


2 StR 562/19 (Bundesgerichtshof)

Versuchter besonders schwerer Raub: Wirksamkeit der Revisionsbeschränkung auf den Strafausspruch; Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit bei Feststellung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 StR 137/15

2 StR 405/12

4 StR 494/12

1 StR 15/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.