Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.09.2023, Az. AnwZ (Brfg) 24/23

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2023, 6475

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Gegenstand

Widerruf der Rechtsanwaltszulassung: Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls eines Rechtsanwalts im Insolvenzverfahren


Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des ersten Senats des [X.] des Landes [X.] vom 21. April 2023 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin ist seit April 1985 im [X.]ezirk der [X.]eklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit [X.]escheid vom 15. Dezember 2022 widerrief die [X.]eklagte die Zulassung der Klägerin wegen [X.] (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.]). Der [X.] hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Nunmehr beantragt die Klägerin die Zulassung der [X.]erufung gegen das Urteil des [X.]s.

II.

2

Der Zulassungsantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Ein [X.] nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

3

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser [X.] setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den [X.] dann nicht aus, wenn sie nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (st. Rspr.; vgl. nur Senat, [X.]eschluss vom 14. Oktober 2022 - [X.] ([X.]) 17/22, [X.], 2682 Rn. 6 mwN).

4

Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Das Urteil des [X.]s steht im Einklang mit der Senatsrechtsprechung.

5

a) Der [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass für die [X.]eurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen und die [X.]eurteilung danach eingetretener Entwicklungen einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten ist (vgl. nur Senat, [X.]eschluss vom 14. Oktober 2022 - [X.] ([X.]) 17/22, [X.], 2682 Rn. 10 mwN). Abzustellen ist hier demnach auf den Zeitpunkt der der Klägerin nach ihren Angaben am 18. Dezember 2022 zugestellten Widerrufsverfügung vom 15. Dezember 2022.

6

b) Das Vorbringen der Klägerin begründet keine ernstlichen Zweifel an der Feststellung des [X.]s, dass sich die Klägerin in diesem Zeitpunkt in Vermögensverfall gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] befunden hat.

7

aa) Zu diesem Zeitpunkt dauerte das am 10. Juli 2019 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin (  IN     AG      ) noch an, so dass der damalige Vermögensverfall der Klägerin gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 [X.] widerlegbar vermutet wird.

8

Außerdem bestanden zu diesem Zeitpunkt mehrere Eintragungen der Klägerin im Schuldnerverzeichnis (§ 882b ZPO), was ebenfalls die widerlegbare Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 2 [X.] begründet. Diese Vermutung greift zwar dann nicht, wenn die Eintragung im Schuldnerverzeichnis im maßgeblichen Zeitpunkt bereits tilgungsreif war, weil die ihr zugrundeliegende Forderung schon vollständig getilgt war (vgl. nur Senat, [X.]eschlüsse vom 11. Dezember 2019 - [X.] ([X.]) 50/19, juris Rn. 20; vom 26. November 2002 - [X.] ([X.]) 18/01, [X.], 577; vom 12. Oktober 2017 - [X.] ([X.]) 39/17, [X.], 2544 Rn. 6 und vom 14. August 2019 - [X.] ([X.]) 40/19 Rn. 6). Das ist hier aber nicht der Fall, da die den Eintragungen zugrundeliegenden Forderungen - wie die Klägerin selbst einräumt - erst nach dem Widerruf ihrer Zulassung vollständig beglichen wurden. Der Einwand der Klägerin, dass sich die den Eintragungen zugrundeliegenden Forderungen insgesamt auf lediglich 3.300 € beliefen, lässt die Vermutungswirkung ebenfalls nicht entfallen. Der Umstand, dass es selbst wegen kleinerer Verbindlichkeiten zu Vollstreckungsmaßnahmen kommt, kann vielmehr gerade auch für prekäre, jedenfalls aber nicht mehr geordnete finanzielle Verhältnisse sprechen (vgl. [X.]/Göcken, Anwaltliches [X.]erufsrecht, 3. Aufl., § 14 [X.] Rn. 31 und § 7 [X.] Rn. 89 mwN).

9

bb) Zutreffend ist der [X.] auch davon ausgegangen, dass die Klägerin die gesetzliche Vermutung ihres [X.] nicht widerlegt hat.

Im Fall eines Insolvenzverfahrens ist die gesetzliche Vermutung des [X.] nach ständiger Senatsrechtsprechung erst dann widerlegt, wenn ein vom Insolvenzgericht bestätigter Insolvenzplan (§ 248 [X.]) oder angenommener Schuldenbereinigungsplan (§ 308 [X.]) vorliegt, bei dessen Erfüllung der Schuldner von seinen übrigen Forderungen gegenüber den Gläubigern befreit wird (vgl. nur Senatsbeschluss vom 19. April 2022 - [X.] ([X.]) 2/22, juris Rn. 8 mwN). Diese Voraussetzungen waren im maßgebenden Zeitpunkt nicht erfüllt. Die Mitteilung des Insolvenzverwalters im Schreiben vom 9. November 2022, dass das Insolvenzverfahren kurz vor seinem Abschluss stehe, reicht dafür nicht aus, zumal das Verfahren selbst im Zeitpunkt der Entscheidung des [X.]s noch nicht beendet war und - wie die Klägerin mit der [X.]egründung ihres Zulassungsantrags mitgeteilt hat - erst am 19. Juli 2023 der Schlusstermin stattgefunden hat. Die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Vermutung ist auch nicht dadurch widerlegt, dass der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit der Klägerin als Rechtsanwältin freigegeben hatte (§ 35 Abs. 2 Satz 1 [X.]; vgl. Senat, [X.]eschlüsse vom 17. September 2015 - [X.] ([X.]) 29/15, juris Rn. 6; vom 9. November 2020- [X.] ([X.]) 19/20, juris Rn. 5 und vom 19. April 2022 - [X.] ([X.]) 2/22, juris Rn. 9; jeweils mwN).

Keine andere [X.]eurteilung rechtfertigt auch der Vortrag der Klägerin, ihre finanzielle Situation habe sich inzwischen konsolidiert, die ihren Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zugrundeliegenden Forderungen seien nunmehr getilgt und die Eintragungen gelöscht, es habe auch im Zeitpunkt des Widerrufs keine weiteren Gläubiger gegeben und ihre Vermögens- und Einkommensverhältnisse seien zwischenzeitlich nachhaltig geordnet, wozu sie gegebenenfalls ein entsprechendes Verzeichnis nachreichen könne. Die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Vermutung vermag dies bereits deshalb nicht zu widerlegen, weil die Rechtsprechung des Senats zur Widerlegung der Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] durch eine umfassende Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse (nur) für die Vermutung des [X.] bei Eintragung in das Schuldnerverzeichnis nach § 882b ZPO gilt (vgl. Senat, [X.]eschlüsse vom 4. April 2012 - [X.] ([X.]) 62/11, juris Rn. 5 und vom 19. April 2022 - [X.] ([X.]) 39/21, [X.], 1461 Rn. 20), während für die Vermutung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens die oben genannten Anforderungen an eine Widerlegung bestehen. Darüber hinaus würde das Vorbringen aber auch für eine Widerlegung der Vermutung aufgrund der Eintragungen der Klägerin in das Schuldnerverzeichnis nicht ausreichen, weil es auch dafür - wie oben ausgeführt - auf die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Klägerin im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung ankommt und eine etwaige spätere Konsolidierung erst in einem etwaigen Wiederzulassungsverfahren relevant würde.

c) Keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen auch, soweit der [X.] auch eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall der Klägerin bejaht hat.

Der [X.] hat auch hier die ständige Rechtsprechung des Senats zutreffend zugrunde gelegt, nach der aufgrund der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 [X.] zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden ist. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines [X.] folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Selbst auferlegte [X.]eschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (st. Rspr.; siehe etwa Senat, [X.]eschlüsse vom 31. Januar 2023 - [X.] ([X.]) 29/22, juris Rn. 12 und vom 11. Mai 2023 - [X.] ([X.]) 33/22, juris Rn. 11; jeweils mwN).

Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Gefährdung hier zum maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung ausnahmsweise nicht bestand, hat der [X.] zu Recht verneint. Der [X.] hat insoweit zutreffend darauf verwiesen, dass die Klägerin weiterhin im Rahmen einer [X.]ürogemeinschaft, mithin selbständig tätig ist, und weder dem von ihr vorgelegten [X.]ürogemeinschaftsvertrag noch ihrem übrigen Vorbringen verbindliche Absprachen zur Vermeidung einer Gefährdung von Mandanteninteressen, insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit eingehenden Fremdgeldern, zu entnehmen sind. Umstände, die eine andere [X.]eurteilung rechtfertigen könnten, hat die Klägerin auch mit der [X.]egründung ihres Zulassungsantrags nicht vorgetragen.

2. Die weiteren Zulassungsgründe des § 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 2 bis Nr. 5 VwGO sind von der Klägerin ebenfalls nicht dargetan und liegen auch nicht vor.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 [X.], § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 [X.].

Schoppmeyer     

  

Remmert     

  

Grüneberg

  

[X.]     

  

Niggemeyer-Müller     

  

Meta

AnwZ (Brfg) 24/23

01.09.2023

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Hamm, 21. April 2023, Az: 1 AGH 2/23, Urteil

§ 14 Abs 2 Nr 7 Halbs 2 BRAO, § 248 InsO, § 308 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.09.2023, Az. AnwZ (Brfg) 24/23 (REWIS RS 2023, 6475)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6475

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