Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.08.2021, Az. 1 StR 222/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2021, 3370

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Gegenstand

Gefährliche Körperverletzung: Notwendige Feststellungen zum bedingten Körperverletzungsvorsatz bei hochgradiger Alkoholisierung des Angeklagten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 11. März 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die Beanstandung der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

2

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

Der Angeklagte und der geschädigte Zeuge H.     bewohnten zum Tatzeitpunkt [X.] in einer Arbeiterunterkunft. In der Arbeiterunterkunft gab es zwei Nasszellen, die intern jeweils bestimmten Zimmern zugeordnet waren. Am 18. Juli 2020 gegen 23.00 Uhr wollte der Zeuge [X.]die Toilette aufsuchen und begab sich zu der Nasszelle, die nach der internen Zuordnung nicht der Benutzung durch ihn vorgesehen war. Die Tür zur Nasszelle war verschlossen, so dass der Zeuge [X.]klopfte. Daraufhin trat die Zeugin [X.]aufgebracht aus der Nasszelle und stellte ihn lautstark zur Rede. Der Geschädigte und der ihn begleitende Zeuge P.    , die beide gehörlos sind, verstanden nicht, was die Zeugin [X.] sagte, entschuldigten sich aber gleichwohl mit Gesten bzw. undeutlicher Lautsprache für die unabsichtliche Störung.

4

Der Angeklagte, der sich in [X.] befand, wurde durch die lauten und aufgebrachten Äußerungen der Zeugin [X.] aufmerksam, ergriff eine leere Bierflasche am Flaschenhals, trat auf den Flur und zerschlug die mitgeführte Flasche an der [X.], so dass er nur noch einen Stummel in der Hand hielt, der kaum aus der geballten Faust herausragte. Er ging zu der Gruppe vor der Nasszelle und stellte den Geschädigten und den Zeugen P.    , die er bis zu diesem Zeitpunkt nicht kannte, zur Rede. Die Zeugin [X.] betrat sodann die Nasszelle und ließ die Männer auf dem Gang stehend zurück.

5

Der Angeklagte redete trotz der Kommunikationsschwierigkeiten emotional erregt auf die Zeugen ein, wobei er sehr schnell näher an den geschädigten Zeugen [X.]herantrat und diesen - den Flaschenhalsstummel in einer Hand - mit beiden Händen am Kragen packte, aber keine Stichbewegung und keinen Griff unmittelbar an den Hals ausführte. Der Zeuge P.     schob sich anschließend zwischen Angeklagten und Geschädigten, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Der Angeklagte ließ vom Geschädigten ab und den Flaschenhalsstummel fallen und ging zurück in [X.]. Nun erst bemerkte der Geschädigte, dass er verletzt war. Er erlitt drei oberflächliche Hautdefektstellen an der linken Halsseite (eine 8, eine 3 sowie eine weitere ungefähr 2,5 Zentimeter lang) sowie eine 1x1 Zentimeter große Wunde am rechten Unterarm.

6

Eine dem Angeklagten am 19. Juli 2020 um 00.12 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,66 Promille.

7

2. Das [X.] hat aus der Gefährlichkeit der Tathandlung auf einen bedingten [X.] geschlossen und ein vorsätzliches Handeln - in Abgrenzung zur Fahrlässigkeit - mit der Erwägung angenommen, dass der Angeklagte die Bierflasche bereits in [X.] aufnahm, um sie mit in den Gang zu nehmen und zielgerichtet als Waffe einsetzen zu können. Die anschließende Tätlichkeit habe er begangen, als er sich mit dem Flaschenhalsstummel in der Hand und im Bewusstsein hierüber gegen den Oberkörper und Hals des Zeugen [X.]wendete. Die dadurch verursachten Verletzungen hätten aus der Sicht des Angeklagten mehr als nahe gelegen, so dass er sich mit diesen abgefunden habe, auch wenn er sie nicht bewusst angestrebt habe.

8

Angesichts einer - rückgerechnet - maximalen Blutalkoholkonzentration von 3,1 Promille zur Tatzeit ist das [X.] von einer nicht ausschließbar erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB ausgegangen.

II.

9

Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung hat keinen Bestand, weil die Feststellungen zu einem bedingten [X.] nicht tragfähig belegt sind.

1. Rechtliche Bedenken bestehen bereits insoweit, als das [X.] nicht belegt hat, dass dem Angeklagten bei der Tathandlung überhaupt bewusst war, dass er den Flaschenhalsstummel in der Hand hielt. Gegen ein entsprechendes Bewusstsein spricht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen keine (gezielte) Stich- oder Schnittbewegung ausführte, sondern den geschädigten Zeugen lediglich mit beiden Händen am Kragen packte und somit eine Handlung vornahm, die üblicherweise ohne ein Messer oder ein ähnliches Werkzeug durchgeführt wird. Soweit die [X.] darauf abhebt, dem Angeklagten sei die Gefährlichkeit seiner Handlung - auch trotz Alkoholisierung - bewusst gewesen ([X.] f.) erfasst dies den zuvor genannten Gesichtspunkt nicht.

In diesem Zusammenhang wäre darüber hinaus zu erörtern gewesen, ob die festgestellte erhebliche Alkoholisierung des Angeklagten dazu geführt haben könnte, dass dem Angeklagten nicht bewusst gewesen sein könnte, dass er den Flaschenhalsstummel bei der Tathandlung in der Hand hatte (zur zwingenden Erörterung der Alkoholisierung im Rahmen der Prüfung des Vorsatzes sogleich 2.).

2. Überdies fehlt es bei der Prüfung des Willenselements des bedingten Vorsatzes an einer Auseinandersetzung mit der Alkoholisierung des Angeklagten als möglichem vorsatzkritischem Umstand.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch bei hochgefährlichen Taten im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen kann, wenn dem Täter das Risiko der Erfolgsherbeiführung - trotz Kenntnis aller gefahrbegründenden Umstände - infolge einer alkoholischen Beeinflussung oder einer anderen psychischen Beeinträchtigung zur Tatzeit nicht bewusst ist oder er deshalb ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des Erfolgs vertraut (vgl. [X.], Beschluss vom 14. August 2018 - 4 StR 251/18 Rn. 7 und Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.]St 57, 183 Rn. 26 mwN). Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören daher zu den Umständen, die der Annahme eines bedingten Vorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen (vgl. [X.], Beschluss vom 14. August 2018 - 4 StR 251/18 Rn. 7 und Urteil vom 25. Oktober 2005 - 4 [X.] Rn. 13 mwN [zum bedingten Tötungsvorsatz]). Danach hätte es hier mit Blick auf die Tatsache, dass die [X.] dem Angeklagten mit Rücksicht auf seinen Alkoholkonsum eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB zugebilligt hat, - unabhängig von den rechtsfehlerhaften Ausführungen zum Wissenselement - auch weiterer Ausführungen zum Willenselement des Eventualvorsatzes bedurft.

3. Zudem weist die Strafzumessung - sowohl bei der Strafrahmenbestimmung als auch bei der Strafzumessung im Einzelnen - durchgreifende Rechtsfehler auf. Die [X.] hat zulasten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Tat des Angeklagten keine erhebliche Provokation vorausgegangen und für die Regelung des Streits um die Toilettennutzung ein Einschreiten des Angeklagten keinesfalls notwendig gewesen sei. Mit diesen Erwägungen bewertet die [X.] rechtsfehlerhaft das Fehlen von [X.] als strafschärfend (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 23. April 2020 - 1 StR 15/20 Rn. 9 mwN; zudem LK/[X.], StGB, 13. Aufl., § 46 Rn. 62). Ferner wird die [X.] im Rahmen eines Körperverletzungsdelikts - entgegen der Annahme des [X.]s - nicht dadurch erhöht, dass der „Angriff völlig aus dem Nichts“ kam und „für das Opfer in der konkreten Situation also nicht vorhersehbar“ war (UA S. 50).

4. Auch wenn der zur Aufhebung des Schuldspruchs führende Rechtsfehler lediglich die Annahme eines [X.]es betrifft (§ 353 Abs. 2 StPO), hebt der Senat die gesamten Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

Jäger   

        

[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer
befindet sich im Urlaub
und ist daher gehindert
zu unterschreiben.

        

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Bär
befindet sich im Urlaub
und ist daher gehindert
zu unterschreiben.

                 

Jäger 

        

Jäger 

        

Hohoff   

        

[X.]in am Bundesgerichtshof
Dr. [X.] befindet
sich im Urlaub und
ist daher gehindert zu
unterschreiben.

        
                          

Jäger 

        

Meta

1 StR 222/21

11.08.2021

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Landshut, 11. März 2021, Az: 102 Js 25292/20 Ks

§ 16 Abs 1 StGB, § 21 StGB, § 224 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.08.2021, Az. 1 StR 222/21 (REWIS RS 2021, 3370)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3370

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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