Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.05.2023, Az. XI R 34/21

11. Senat | REWIS RS 2023, 4187

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Gegenstand

Zum Organisationsverschulden der Finanzverwaltung bei der Übermittlung elektronischer Dokumente im finanzgerichtlichen Verfahren


Leitsatz

1. Ein Beteiligter darf erst dann davon ausgehen, dass er ein bestimmtes Dokument erfolgreich an das Gericht übermittelt hat, wenn er für das übermittelte Dokument vom Gericht eine Bestätigung gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO erhalten hat. Dies ist vom Beteiligten zu kontrollieren.

2. Auch ein Finanzamt darf nicht ohne Verschulden davon ausgehen, dass die Kontrolle des Erhalts einer Eingangsbestätigung des Gerichts entbehrlich sei. Dies gilt unabhängig davon, ob es verwaltungsintern zur Durchführung dieser Kontrolle angewiesen ist oder nicht.

3. Die Finanzverwaltung kann ihre Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht nicht selbst durch Verwaltungsanweisungen definieren. Außerdem kann es an sich selbst keine geringeren Anforderungen stellen als an die anderen Beteiligten, die zur elektronischen Übermittlung an das Gericht verpflichtet sind.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 02.11.2021 - 15 K 2736/18 U wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist unter anderem die Zulässigkeit der Revision wegen Versäumung der [[X.].].

2

Das Finanzgericht gab mit Urteil vom 02.11.2021 der Klage der Klägerin und [[X.].] wegen Umsatzsteuer 2014 statt und ließ die Revision zu. Das Urteil wurde dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[[X.].]--) am 16.11.2021 elektronisch zugestellt. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte Revision des [[X.].] vom 26.11.2021. Auf Antrag des [[X.].] vom [[X.].] verlängerte der Vorsitzende des erkennenden Senats des [[X.].] ([[X.].]) mit Schreiben vom 23.12.2021 die [[X.].] antragsgemäß bis zum 17.02.2022.

3

Mit Telefax vom 15.02.2022 übermittelte das [[X.].] dem [[X.].] die "in der elektronisch übermittelten Revisionsbegründung vom 15.02.2022 angekündigten Anlagen". Die Geschäftsstelle des [[X.].] informierte das [[X.].] am 18.02.2022 sowohl telefonisch als auch schriftlich unter Verweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darüber, dass dem Gericht zwar die per Telefax übermittelten Anlagen zur Revisionsbegründung vorlägen, die im [[X.].] angekündigte, nach § 52d Satz 1 FGO elektronisch zu übermittelnde Revisionsbegründung jedoch bislang nicht eingegangen sei. Daraufhin richtete das [[X.].] ein sogenanntes Ticket zur Erforschung der Gründe für die nicht erfolgte Übermittlung an das [[X.].] ([X.]) ... Die Revisionsbegründung wurde daraufhin am 02.03.2022 elektronisch an den [[X.].] übermittelt. Mit Schreiben vom gleichen Tag beantragte das [[X.].] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO.

4

Zur Begründung trägt das [[X.].] vor, es sei durch einen technischen Fehler ohne Verschulden verhindert gewesen, die Frist zur Begründung der Revision einzuhalten. Zur Übermittlung von elektronischen Dokumenten werde in der Finanzverwaltung das Programm "[X.]" genutzt. Das jeweilige Finanzamt übermittle den elektronischen Schriftsatz nach bestimmten technischen Vorgaben an das Rechenzentrum der Finanzverwaltung ([X.]), das den Schriftsatz elektronisch an den [[X.].] weiterleite. [X.] die Übermittlung aufgrund eines bereits bekannten ("definierten") Fehlers, erfolge eine automatisierte oder personelle Fehlermeldung seitens des [X.] an den Anwender (das Finanzamt).

5

Im Streitfall sei die die Revisionsbegründung enthaltende Datei nach den zu diesem Zeitpunkt gültigen Vorgaben erstellt und am 15.02.2022 um 11:22 Uhr an das [X.] versandt worden. Die erstellte xml-Datei habe allerdings den Klammerzusatz "(1)" erhalten, weil zuvor eine weitere xml-Datei für ein anderes Verfahren erstellt worden sei und sich noch in dem dafür vorgesehenen Ordner befunden habe. Das Programm [X.] sei zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen, eine xml-Datei mit einem Klammerzusatz weiterzuverarbeiten (und damit an den [[X.].] zu übermitteln). Es habe sich um einen zum damaligen Zeitpunkt dem Programm noch nicht als bekannt eingespeisten Fehler gehandelt; dieser sei erst mit einer neuen Version am [X.] behoben worden. Da es sich nicht um einen "definierten" Fehler gehandelt habe, sei eine Fehlermeldung unterblieben. Vielmehr sei die Datei im [X.] überhaupt nicht verarbeitet und dementsprechend weder für das Programm noch für die Bearbeiter im [X.] eine Fehlermeldung ausgegeben worden. Das [[X.].] habe mangels Fehlermeldung des [X.] keinen Grund gehabt, an einer erfolgreichen Übermittlung an den [[X.].] zu zweifeln. Erst nach dem Hinweis des [[X.].] sei der Fehler aufgefallen und am 23.02.2023 behoben worden. Nunmehr werde auf den potentiellen Fehler hingewiesen und eine Fehlermeldung erstellt.

6

Vor diesem Hintergrund habe das [[X.].] --als Absender-- alles getan‚ was zur Übermittlung der Revisionsbegründung erforderlich gewesen sei, und dabei insbesondere die internen Vorgaben der [X.] beachtet. Lediglich wegen eines bis dahin unbekannten Programmfehlers habe das [X.] den Schriftsatz nicht an den [[X.].] weitergereicht. Dies sei dem [[X.].] nicht bekannt gewesen. Das [[X.].] habe mangels Fehlermeldung auch keine Veranlassung gehabt, von einer gescheiterten Übermittlung an den [[X.].] auszugehen. Somit sei das [[X.].] ohne Verschulden gehindert gewesen, die [[X.].] einzuhalten.

Gründe

II.

7

Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist für die Revisionsbegründung gemäß § 120 Abs. 2 FGO begründet worden ist (s. unter 1.). Eine Wiedereinsetzung kommt nicht in Betracht (s. unter 2.).

8

1. Das [X.] hat die [X.] versäumt.

9

a) Die Revision ist gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO kann diese Frist auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Nach § 52d Satz 1 FGO ist die [X.] von Behörden ab dem 01.01.2022 verpflichtend elektronisch zu übermitteln ([X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 52d FGO Rz 13; [X.] in Tipke/[X.], § 52d FGO Rz 1).

b) Ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses ist das mit der Revision angegriffene Urteil am 16.11.2021 dem [X.] zugestellt worden. Die Begründungsfrist für die Revision wurde auf Antrag des [X.] vor ihrem Ablauf am [X.] gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO bis zum 17.02.2022 von dem Vorsitzenden des erkennenden Senats verlängert. Innerhalb dieser Frist ist die Revisionsbegründung nicht in elektronischer Form beim [X.] eingegangen. Sie wurde erst am 02.03.2022 an den [X.] übermittelt. Die per Telefax übermittelten Anlagen gelten prozessrechtlich als nicht eingereicht ([X.] in [X.], § 52d FGO Rz 35).

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der [X.] nach § 56 FGO kann dem [X.] nicht gewährt werden.

a) Einem Verfahrensbeteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; innerhalb dieser Frist muss die versäumte Rechtshandlung nachgeholt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 und 3 FGO). Ob der Beteiligte die Frist schuldlos versäumt hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten. Nach der Rechtsprechung des [X.] schließt jedes Verschulden --auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 29.04.2008 - I R 67/06, [X.]E 221, 201, [X.], 55, Rz 18; [X.]-Beschlüsse vom 11.10.1991 - VII R 32/90, [X.]/NV 1994, 553, Rz 6; vom 25.04.2005 - VIII B 42/02, [X.]/NV 2005, 1821, Rz 2; vom 18.01.2007 - III R 65/05, [X.]/NV 2007, 945, Rz 13; vom 06.11.2012 - VIII R 40/10, Rz 6; vom 28.04.2020 - II R 33/18, Rz 12; vom [X.], Rz 7). Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO sind die Tatsachen zur Begründung eines solchen Begehrens bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 04.09.2008 - VII R 46/07, [X.]/NV 2009, 38, Rz 5; vom 13.09.2012 - XI R 48/10, Rz 12; vom 20.05.2015 - XI R 48/13, Rz 17; vom 14.12.2021 - VIII R 6/21, Rz 14; [X.], [X.] 2023, 101, 102).

b) Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 16.01.2007 - IX R 41/05, [X.]/NV 2007, 1508, Rz 10, m.w.N.; vom 25.11.2008 - III R 78/06, [X.]/NV 2009, 407; vom 24.03.2011 - VII R 48/10, Rz 8); das bedeutet auch, dass das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des [X.] gleichsteht (vgl. [X.]-Urteil vom 12.05.1992 - VII R 38/91, [X.]/NV 1993, 6, Rz 15, m.w.N.; vom 06.11.2012 - VIII R 40/10, Rz 7).

aa) In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass das [X.] unter anderem vorträgt, welche Maßnahmen zur Überwachung von Fristen im [X.] getroffen sind. Dabei ist zu beachten, dass [X.] wie ein berufsständischer [X.] auch der Vorsteher des [X.] beziehungsweise der zuständige Referent, Sachgebietsleiter oder Sachbearbeiter verpflichtet sind, ein Fristenkontrollbuch oder einen elektronischen Fristenkalender zu führen, in dem unter anderem die Frist für die Revisionsbegründung zu vermerken ist (vgl. [X.]-Urteil vom 19.07.1994 - II R 74/90, [X.]E 175, 302, [X.] 1994, 946, Rz 13; [X.]-Beschlüsse vom 10.07.1996 - II R 12/96, [X.]/NV 1997, 47, Rz 11; vom 26.08.1997 - VII R 11/96, [X.]/NV 1998, 70, Rz 4; vom 10.03.2000 - VII R 2/00, [X.]/NV 2000, 1117, Rz 11; vom 06.11.2012 - VIII R 40/10, Rz 8; vom 16.09.2014 - II B 46/14, Rz 7).

bb) Das [X.] muss in diesem Zusammenhang vortragen, wie und durch welche Beschäftigten in seinem [X.] gehandhabt werden, zumal [X.]n ihre Erledigung an Fristen gebunden ist, die nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehören. Dazu rechnet auch die [X.] (vgl. [X.]-Beschlüsse in [X.]/NV 2007, 945, Rz 15; vom 06.11.2012 - VIII R 40/10, Rz 9, m.w.N.; vom 13.09.2012 - XI R 48/10, Rz 13 f.; vom 04.08.2020 - XI R 15/18, Rz 25). Das [X.] muss mithin vorbringen, wer die Fristen berechnet sowie durch [X.] und welche Maßnahmen gewährleistet ist, dass die Fristen notiert und kontrolliert werden (vgl. [X.]-Beschluss vom 14.05.2007 - VIII B 47/07, [X.]/NV 2007, 1684, Rz 3). Weiter muss es darlegen, wann und wie die in der Sachbearbeitung von Rechtsbehelfen und Fristsachen eingesetzten Beschäftigten entsprechend belehrt werden und wie die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht wird (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 07.02.2002 - VII B 150/01, [X.]/NV 2002, 795, Rz 10; vom 24.01.2005 - III R 43/03, [X.]/NV 2005, 1312, Rz 14; vom 11.05.2010 - XI R 24/08, Rz 14; vom 06.11.2012 - VIII R 40/10, Rz 8).

cc) Im Hinblick auf die erforderliche elektronische Übermittlung der [X.] ist zu beachten, dass die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (vgl. Beschlüsse des [X.] --BGH-- vom 11.01.2023 - IV ZB 23/21, Neue Juristische [X.] Zivilrecht --NJW-RR-- 2023, 425, Rz 14; vom 30.11.2022 - IV ZB 17/22, NJW-RR 2023, 351, Rz 10; jeweils zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts). Die Überprüfung einer ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei unter anderem die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht (§ 52a Abs. 5 Satz 2 FGO) erteilt wurde (vgl. Beschluss des [X.] vom 07.08.2019 - 5 [X.] 16/19, [X.], 221; [X.] vom 11.05.2021 - VIII ZB 9/20, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2021, 2201, Rz 22). Außerdem ist anhand des zuvor vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich diese Meldung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte (vgl. [X.] vom 20.09.2022 - XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715, Rz 10).

dd) Hat der Absender eine automatisierte Eingangsbestätigung des Gerichts erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der [X.] erfolgreich gewesen ist. Bleibt sie aus, muss ihn dies zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen (vgl. [X.] vom 30.03.2023 - III ZB 13/22, Rz 12; s. auch BTDrucks 17/12634, S. 26 zu § 130a der Zivilprozessordnung und S. 37 zu § 52a FGO; Fu in [X.]/[X.]/Keß, [X.], § 52a FGO Rz 68; [X.] in [X.], § 52a FGO Rz 126; [X.] in Tipke/[X.], § 52a FGO Rz 15 Abs. 2 a.E.). Unterlässt der Absender diese Überprüfung, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (vgl. Fu in [X.]/[X.]/Keß, [X.], § 52a FGO Rz 68 f.; [X.] in [X.], § 52a FGO Rz 37; [X.] in [X.], § 52a FGO Rz 127, m.w.N.).

c) Nach diesen Grundsätzen scheidet im Streitfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Abgesehen davon, dass es an den erforderlichen Darlegungen --siehe unter [X.] aa bis cc-- fehlt, hat das [X.] die Revisionsbegründung nicht fristgerecht an den [X.] elektronisch übermittelt, was in der Folgezeit auch nicht weiter aufgefallen ist, weil nicht überprüft wurde, ob der [X.] eine automatisierte Eingangsbestätigung (§ 52a Abs. 5 Satz 2 FGO) übermittelt hat. Das [X.] konnte indes ohne das Vorliegen einer Eingangsbestätigung des [X.] (und gegebenenfalls ohne weitere Nachfrage bei der Geschäftsstelle des Gerichts) nicht davon ausgehen, dass die Revisionsbegründung beim [X.] eingegangen ist.

d) Soweit dieses Unterlassen auf [X.] des [X.] möglicherweise [X.] vorgesehen ist, ist dem [X.] ein Organisationsverschulden höherer Stellen zuzurechnen, was im Ergebnis einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehen kann (s. z.B. [X.]-Beschlüsse in [X.]/NV 2009, 407; vom 24.03.2011 - VII R 48/10, Rz 8). Das [X.] durfte im Streitfall mit Blick auf die hierzu ergangene Rechtsprechung (vgl. dazu [X.] in NJW-RR 2023, 425, Rz 19) auch dann nicht ohne Verschulden davon ausgehen, dass die Kontrolle des Erhalts einer Eingangsbestätigung des [X.] entbehrlich sei, [X.]n eine solche Kontrolle [X.] nicht angewiesen gewesen sein sollte.

aa) Nach dem Vortrag des [X.] basiert die Übermittlung der Dokumente über das [X.] auf einem elektronischen System, das die Finanzverwaltung des Bundeslandes einsetzt und das (nur) bestimmte Fehlermeldungen an das absendende [X.] versendet. Das [X.] habe sich in vollem Umfang an die [X.]en Arbeitsanweisungen gehalten. Das [X.] habe vom [X.] auch keine Fehlermeldung erhalten.

bb) Die Pflicht, den Erhalt einer Eingangsbestätigung des Empfängers zu prüfen, besteht jedoch für alle Beteiligten und ihre Vertreter --das heißt für das [X.], für Rechtsanwälte und seit 01.01.2023 auch für [X.] gleichermaßen, und zwar unabhängig davon, ob die Finanzverwaltung diese Prüfung für generell not[X.]dig erachtet oder nicht, und auch unabhängig davon, ob die Finanzämter angewiesen sind, diese Kontrolle durchzuführen oder nicht. Das absendende [X.] muss selbst für die Einrichtung einer solchen Überprüfungsmöglichkeit sorgen und seine Beschäftigten entsprechend schulen (vgl. zu den organisatorischen Anforderungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei [X.] in NJW-RR 2023, 425, Rz 17), damit eine Prüfung, zu der das [X.] auch ohne Weisung durch [X.] oder Mittelbehörden verpflichtet ist, von den zuständigen Bediensteten auch tatsächlich durchgeführt werden kann.

cc) Falls die obersten Behörden, die [X.] oder die Mittelbehörden der Finanzverwaltung [X.] entschieden haben sollten, dass sie diese Prüfung nicht für erforderlich halten, vermag deren Fehleinschätzung das [X.] als Beteiligten nicht von seinen Sorgfaltspflichten zu entbinden, und zwar auch dann nicht, [X.]n diese Fehleinschätzung in --das [X.] [X.] bindende-- Verwaltungsanweisungen oder Arbeitsanweisungen gegossen worden sein sollte. Da norminterpretierende Verwaltungsanweisungen die Gerichte nicht binden (vgl. Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 28.11.2016 - GrS 1/15, [X.]E 255, 482, [X.] 2017, 393, Rz 107; [X.]-Urteil vom 20.11.2019 - XI R 52/17, [X.]E 267, 49, [X.] 2020, 264, Rz 31), steht der Finanzverwaltung kein Spielraum zu, ihre Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen durch Verwaltungsanweisungen selbst zu definieren und dabei an die eigene Sorgfalt geringere Anforderungen zu stellen als an die der anderen Verfahrensbeteiligten, die zur elektronischen Übermittlung verpflichtet sind.

e) Die Pflichtverletzung war für die Versäumung der [X.] auch ursächlich. Bei ordnungsgemäßer Überprüfung, ob eine automatisierte Eingangsbestätigung des [X.] vorliegt, wäre die fehlgeschlagene Übermittlung --gegebenenfalls auch nach telefonischer Rückfrage bei der Geschäftsstelle des [X.]-- zeitnah erkannt worden und es wäre dem [X.] und dem [X.] innerhalb der verbliebenen zwei Tage bis zum Ablauf der [X.] nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge möglich gewesen, einen erneuten Übermittlungsversuch durchzuführen.

f) Hinreichende Anhaltspunkte für eine überholende Kausalität oder eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts (vgl. allgemein [X.] vom 18.07.2007 - XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778, Rz 11; Beschluss des [X.] vom 12.10.2022 - [X.], Rz 5 ff.) bestehen nicht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Meta

XI R 34/21

24.05.2023

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 2. November 2021, Az: 15 K 2736/18 U, Urteil

§ 56 FGO, § 52d FGO, § 52a Abs 5 S 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.05.2023, Az. XI R 34/21 (REWIS RS 2023, 4187)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4187

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