Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.12.2023, Az. VII B 188/22

7. Senat | REWIS RS 2023, 9091

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei elektronischer Übermittlung einer Rechtsmittelbegründungsschrift


Leitsatz

1. NV: Die Überprüfung einer ordnungsgemäßen elektronischen Übermittlung einer Rechtsmittelbegründungsschrift an den Bundesfinanzhof erfordert unter anderem die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung erteilt wurde.

2. NV: Unterlässt der Absender diese Überprüfung, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 15.11.2022 - 6 K 1105/21 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Mit Urteil vom 15.11.2022 - 6 K 1105/21 gab das [X.] ([X.]) einer Klage des [X.] und Beschwerdegegners (Kläger) gegen den Haftungsbescheid vom 24.09.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.07.2021 und des [X.] vom 14.09.2021 statt. Mit diesem Bescheid hatte der Beklagte und Beschwerdeführer (Finanzamt --[X.]--) den Kläger gemäß § 191 Abs. 1, § 69 der Abgabenordnung ([X.]) für rückständige Umsatzsteuer und steuerliche Nebenleistungen der Firma [X.] in Haftung genommen.

2

Gegen das ihm am 24.11.2022 zugestellte Urteil legte das [X.] mit Schreiben vom 22.12.2022 Nichtzulassungsbeschwerde ein und beantragte gleichzeitig eine Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat. Der [X.] verlängerte die Frist mit Verfügung vom 05.01.2023 gemäß § 116 Abs. 3 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) antragsgemäß bis zum 24.02.2023. Am Samstag, dem 25.02.2023 ging eine auf den 24.02.2023 datierende, 18 Seiten umfassende Beschwerdebegründung des [X.] nebst einer 63 Seiten umfassenden Anlage beim [X.] ([X.]) über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ein.

3

Auf entsprechenden gerichtlichen Hinweis stellte das [X.] mit Schriftsatz vom 23.03.2023 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung führte es aus, zwar sei die Beschwerdebegründung laut der elektronischen Sendungsquittung erst am 25.02.2023 um 04:48 Uhr auf dem [X.] des [X.] eingegangen. Der Unterzeichner des Schriftsatzes habe diesen jedoch bereits am 24.02.2023 gegen 19:30 Uhr fertiggestellt und sogleich elektronisch versandt. Erfahrungsgemäß erfolge der Versand über das EGVP innerhalb der ersten halben Stunde nach dem Sendeauftrag. Eine Verzögerung von über neun Stunden sei sehr ungewöhnlich. Da vom System auch keine Übermittlungsfehler gemeldet worden seien, habe sich der Unterzeichner auf die rechtzeitige Übermittlung verlassen. Das [X.] treffe kein Verschulden am verspäteten Eingang der Beschwerdebegründung.

4

Auf eine gerichtliche Aufforderung, das elektronische Versandprotokoll zu übersenden, legte das [X.] einen Nachweis über den "Sendezeitpunkt elektronische Nachricht via EGVP" vor, wonach die Sendung am 24.02.2023 um 19:50 Uhr dem elektronischen System übermittelt wurde. Eine Bestätigung über die Verarbeitung wurde demnach am 25.02.2023 um 04:46 Uhr gespeichert.

5

In der Sache macht das [X.] mit seiner Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) sowie eine Unrichtigkeit im Tatbestand des Urteils geltend.

Gründe

[X.]

6

Die Beschwerde ist unzulässig.

7

1. Das [X.] hat die Beschwerde zwar fristgerecht erhoben, aber die Beschwerdebegründungsfrist versäumt.

8

a) Die Beschwerdebegründung des [X.] ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist beim [X.] eingegangen.

9

Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 [X.]O ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann gemäß § 116 Abs. 3 Satz 4 [X.]O von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.

Nachdem das [X.] dem [X.] am 24.11.2022 zugestellt worden war, lief die --vom [X.] am Freitag, dem 24.02.2023 ab. Innerhalb dieser Frist hat das [X.] jedoch keine Begründung eingereicht. Die Beschwerdebegründung ging vielmehr erst am 25.02.2023 um 04:48 Uhr in der von § 52d Satz 1 i.V.m. § 52a Abs. 1 [X.]O vorgeschriebenen elektronischen Form (per EGVP) beim [X.] ein.

b) Dem [X.] kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 [X.]O gewährt werden.

aa) Einem Verfahrensbeteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist gemäß § 56 Abs. 1 [X.]O auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 [X.]O binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde beträgt die Frist einen Monat. Innerhalb der Antragsfrist ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 [X.]O die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ob der Beteiligte die Frist schuldlos versäumt hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] schließt jedes Verschulden --auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (z.B. [X.]-Beschluss vom [X.], Rz 7; Senatsbeschluss vom 11.10.1991 - VII R 32/90, [X.]/NV 1994, 553, unter [X.] der Gründe). Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat; das bedeutet auch, dass das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des [X.] gleichsteht ([X.]-Beschluss vom 24.05.2023 - XI R 34/21, [X.]E 280, 408, Rz 13, m.w.N.).

Im Hinblick auf die erforderliche elektronische Übermittlung einer Rechtsmittelbegründungsschrift hat der [X.] aus diesen Vorgaben abgeleitet, dass die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen ([X.]-Beschluss vom 24.05.2023 - XI R 34/21, [X.]E 280, 408, Rz 16, m.w.N.). Die Überprüfung einer ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei unter anderem die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 [X.]O erteilt wurde ([X.]-Beschluss vom 24.05.2023 - XI R 34/21, [X.]E 280, 408, Rz 16, mit Verweis auf Beschluss des [X.] vom 07.08.2019 - 5 [X.] 16/19, [X.], 221 und Beschluss des [X.] --BGH-- vom 11.05.2021 - VIII ZB 9/20, Rz 22). Außerdem ist anhand des zuvor vergebenen Dateinamens zu prüfen, ob sich diese Meldung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte ([X.]-Beschluss vom 24.05.2023 - XI R 34/21, [X.]E 280, 408, Rz 16, mit Verweis auf BGH-Beschluss vom 20.09.2022 - XI ZB 14/22, Rz 10). Unterlässt der Absender diese Überprüfung, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht ([X.]-Beschluss vom 24.05.2023 - XI R 34/21, [X.]E 280, 408, Rz 17; vgl. auch Fu in [X.]/[X.]/Keß, [X.]O, § 52a Rz 68; [X.] in [X.], [X.]O § 52a Rz 37; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 52a [X.]O Rz 127, m.w.N.).

bb) Nach diesen Grundsätzen scheidet im Streitfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Das [X.], dem das Verhalten des Unterzeichners des Schriftsatzes vom 24.02.2023 als Bevollmächtigtem zuzurechnen ist, war nicht ohne Verschulden im Sinne des § 56 Abs. 1 [X.]O gehindert, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten.

Denn das [X.] hat nicht dargelegt, dass es die ordnungsgemäße Übermittlung der Beschwerdebegründung an den [X.] überprüft hat. Es ist nicht ersichtlich, dass es am 24.02.2023 kontrolliert hat, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 [X.]O erteilt worden ist. Ohne diese Überprüfung kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand --wie beschrieben-- nicht in Betracht.

Das [X.] kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es habe sich auf die rechtzeitige Übermittlung verlassen können, weil der Unterzeichner der Beschwerdebegründung diese am 24.02.2023 gegen 19:30 Uhr fertiggestellt und sogleich elektronisch versandt habe, der Versand über das EGVP erfahrungsgemäß innerhalb der ersten halben Stunde nach dem [X.] erfolge und vom System auch keine Übermittlungsfehler gemeldet worden seien. Wie beschrieben kommt es nach der Rechtsprechung nicht auf den rechtzeitigen Versand, sondern auf die Eingangsbestätigung bei Gericht an. Im Streitfall bestand zudem die Besonderheit, dass die Beschwerdebegründung 18 Seiten umfasste und eine Anlage im Umfang von 63 Seiten aufwies. Dass es bei der elektronischen Übermittlung größerer Dateien zu Verzögerungen kommen kann, liegt nicht außerhalb des Erwartbaren.

2. Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde aber auch deshalb unzulässig, weil sie nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 [X.]O entspricht.

a) Das [X.] hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) nicht dargelegt.

Für eine den Vorgaben des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O entsprechende Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und auf ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Erforderlich ist darüber hinaus der substantiierte Vortrag, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Ferner muss die aufgeworfene Frage klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig sein (Senatsbeschlüsse vom 11.11.2015 - VII B 74/15, Rz 6 und vom 14.05.2014 - VII B 116/12, Rz 9).

Das [X.] hat insgesamt drei Fragen formuliert, und zwar zwei Fragen zu den Überwachungs- und Kontrollpflichten des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber einer mandatierten Steuerberaterin und eine Frage zur groben Fahrlässigkeit bei der Überwachung dieser Steuerberaterin. Alle drei Fragen sind jedoch so formuliert, dass sie infrage stellen, ob --wie es das [X.] gesehen hat-- aufgrund einer Vielzahl besonderer Sachverhaltsumstände die Überwachungs- und Kontrollpflichten des Geschäftsführers erfüllt worden sind und folglich ein Verschulden zu verneinen war. Damit hat das [X.] indes keine Rechtsfragen formuliert, sondern beanstandet --im [X.] lediglich, dass das [X.] den besonderen Sachverhalt des Streitfalls nicht richtig unter die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands des § 69 AO subsumiert habe. Ein Subsumtionsfehler würde aber lediglich einen Rechtsanwendungsfehler darstellen, der von vornherein die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.

Das [X.] hat auf Seite 12 seiner Beschwerdebegründung auch selbst erkannt, dass materiell-rechtliche Fehler des [X.] im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich unerheblich sind. Gleichwohl hat es an seiner Beschwerde festgehalten.

b) Die Rüge des [X.], der Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils sei unrichtig, weil zwischen den Beteiligten nicht unstreitig gewesen sei, ob die [X.] zum Zeitpunkt der gesetzlichen Abgabetermine der Umsatzsteuervoranmeldungen über eine ausreichende Liquidität verfügt habe, rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Einwendungen gegen die Richtigkeit des Tatbestands sind nicht als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) im [X.] zu rügen, sondern müssen gegebenenfalls zum Gegenstand eines Antrags auf [X.] (§ 108 [X.]O) gemacht werden (Senatsbeschlüsse vom 30.06.2011 - VII B 124/10, Rz 14 und vom 12.06.2008 - VII B 61/08, [X.]/NV 2008, 1708, unter [X.]2. der Gründe).

3. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O abgesehen.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VII B 188/22

13.12.2023

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 15. November 2022, Az: 6 K 1105/21, Urteil

§ 56 Abs 1 FGO, § 52a Abs 5 S 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 108 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.12.2023, Az. VII B 188/22 (REWIS RS 2023, 9091)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9091

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