Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2012, Az. VI ZR 330/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1549

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]/11
Verkündet am:

13. November 2012

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GG Art. 1 Abs. 1; Art. 2 Abs. 1; Art. 5 Abs. 1; BGB §§ 823 Abs. 1 [X.]; 1004 Abs. 1 Satz 2
Zur Zulässigkeit des Bereithaltens von zeitgeschichtlich bedeutsamen, den [X.] namentlich nennenden Prozessberichten über ein Kapitalverbrechen in dem Online-Archiv einer [X.]schrift.

[X.], Urteil vom 13. November 2012 -
VI [X.]/11 -
O[X.]

LG [X.]

-

2

-

Der VI. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2012 durch den Vorsitzenden [X.], die [X.] Zoll
und
Wellner, die [X.]in [X.] und den [X.] Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7.
Zivilsenats des [X.] vom 1.
Novem-ber 2011
aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15.
April 2011 abgeändert und die Klage abgewie-sen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten es zu unterlassen, über Straftaten
aus dem Jahr 1981, derentwegen der Kläger 1982 zu einer lebenslangen Frei-heitsstrafe verurteilt worden ist, unter Nennung seines Nachnamens zu berich-ten.
Das Magazin "[X.]" berichtete in den Ausgaben vom 22.
Novem-ber 1982, 3.
Januar 1983 und 14.
November 1983 über den "[X.]-Prozess".
Der Kläger war angeklagt, am frühen Abend des 13.
Dezember 1981 1
2
-

3

-

an Bord der Yacht "[X.]", die sich mit [X.] auf hoher See befand, zwei Menschen erschossen und einen dritten schwer verletzt zu haben.
[X.] wurde er vom [X.] wegen Mordes in zwei Fällen und we-gen versuchten Mordes in einem Fall zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ver-urteilt. In dem letzten Artikel wird über das Revisionsverfahren berichtet, in dem der [X.] die Revision des [X.] gegen seine Verurteilung [X.] hat.
Ab April 1999 erstellte die Beklagte unter "www.spiegel.de" ein im We-sentlichen
kostenloses Online-Archiv, in welchem
bis zum [X.] auch die vorgenannten Artikel zum Abruf bereitgestellt wurden. Bei der Eingabe des [X.] Namens des Beklagten werden -
auch über "Google"
-
die vorgenannten Berichte an den ersten Stellen angezeigt.
[X.] erschien das Buch "Logbuch der Angst -
Der Fall der [X.]" von [X.].
[X.] brachte die [X.] den Fall als Fern-sehspiel unter dem Titel "Mord in der [X.] -
Die Todesfahrt der [X.]" in der Reihe "[X.]". [X.]ungsberichte über die Fahrt der [X.] gab es bis in das Jahr 2008.
In allen diesen [X.]en wurde der Name des [X.] allerdings nicht genannt.
Nachdem der Kläger
nach seiner eigenen Darstellung erstmals im Jahr 2009
Kenntnis von den Online-[X.]en der Beklagten erlangt hatte, mahnte er mit Schreiben vom 1.
Februar 2010 die Beklagte wegen der identifi-zierenden Berichterstattung im [X.] ab und hat -
nachdem die Beklagte kei-ne Unterlassungsverpflichtungserklärung abgab
-
die vorliegende [X.] erhoben. Das [X.] hat die Beklagte
antragsgemäß
verurteilt, es zu unterlassen, über die
Straftat des [X.] aus dem Jahr 1981 unter [X.] seines Nachnamens zu berichten. Die hiergegen gerichtete Berufung der 3
4
5
-

4

-

Beklagten hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Berufungs-gericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbe-gehren weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, bei der Abwägung zwischen dem
Recht des [X.] auf Schutz seiner Persönlichkeit und [X.]ung seines Privatlebens so-wie seiner Anonymität aus Art.
1 Abs.
1, Art.
2 Abs.
1 GG, Art.
8 Abs.
1 [X.] und dem Recht der Beklagten auf Meinungs-
und Medienfreiheit aus Art.
5 Abs.
1 GG, Art.
10 [X.] überwiege das Schutzinteresse des [X.]. Das Bereithalten der beanstandeten Beiträge unter Nennung des Nachnamens des [X.] zum Abruf im [X.] verletze dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht in rechtswidriger Weise. Dabei stehe im Vordergrund, dass die Rezipienten [X.] nach den Taten und der Verurteilung durch die ausführlichen Beiträge erneut und erstmalig erführen, dass der Kläger zwei Morde und einen Mordver-such begangen habe und dafür verurteilt worden sei. Die Informationen über die von dem Kläger begangenen Gewaltverbrechen hätten bei aller zugleich mitge-teilten Kritik an den Feststellungen des mit der Strafsache befassten [X.] eine stigmatisierende Wirkung. Denn wegen der außergewöhnlichen Schwere des Tatunrechts und der Folgen der Taten begründeten die Veröffent-lichungen in besonderem Maß die Gefahr, dass sie sich bei den Rezipienten als Anknüpfungspunkt für eine [X.] Abgrenzung und Isolierung des [X.] auswirkten. Mit zunehmendem
zeitlichem
Abstand zur Tat gewinne das
Resozi-alisierungsinteresse des Straftäters an Bedeutung. Die
Reaktualisierung der Verbrechen des [X.] auf dem [X.]portal der Beklagten habe mit einem 6
-

5

-

zeitlichen Abstand von mindestens 18 Jahren zur Tat und mindestens 16
Jahren zum Abschluss des Revisionsverfahrens stattgefunden, ohne dass es einen neuen Anknüpfungspunkt für ein öffentliches Informationsinteresse gegeben habe. Der Anlass für die Bereitstellung der Artikel aus den Jahren 1982 und 1983 sei lediglich die Schaffung des Online-Archivs gewesen. Der nicht näher bekannte [X.]punkt der Bereitstellung der Artikel im [X.] habe längstens etwa ein Jahr vor oder etwa zwei Jahre nach der Entlassung des [X.] aus dem Strafvollzug gelegen. Auch unter Berücksichtigung des [X.] der Öffentlichkeit sei im Verhältnis zu der damit für den Klä-ger verbundenen Beeinträchtigung kein hinreichender Grund erkennbar, ein schutzwürdiges Informationsinteresse bei dem vorliegenden zeitlichen Ablauf auf eine erneute Bekanntgabe des
Nachnamens
des
[X.] zu erstrecken. Auch bei einer Bereitstellung von Informationen auf [X.]portalen als soge-nannte passive Darstellungsplattform dürfe nicht außer [X.] bleiben, dass mit den technischen Nutzungsmöglichkeiten des [X.]s und den
dort kostenlos verfügbaren und hoch effizient arbeitenden Suchmaschinen bei Eingabe des Namens des [X.] zeitlich und örtlich unbegrenzt ein Zugriff auf die Artikel mit dem vollen Namen des [X.] möglich sei. Von einem solchen "Dauerzu-stand" gehe eine ganz erhebliche Eingriffsintensität auf das Persönlichkeits-recht des [X.] aus. Eine Anonymisierung des [X.] im [X.] müsse nicht eine Tilgung der Geschichte und vollständige Immunisierung von Straftätern zur Folge haben. Wenn die unveränderten Beiträge
in einem herkömmlichen Archiv mit Printmedien bereitgestellt würden, aber nicht für die breite Öffentlichkeit des [X.]s voraussetzungslos abrufbar wären, wäre ei-nem Interesse an zeitgeschichtlichen Recherchemöglichkeiten hinreichend Ge-nüge getan. Jedenfalls habe es der Beklagten nach Zugang der Abmahnung des [X.] oblegen, die dort bezeichneten Artikel zu überprüfen und den Nachnamen des [X.] zu entfernen sowie darüber hinaus ihr [X.]angebot -

6

-

auf weitere Beiträge über die Straftaten des [X.]
unter Nennung seines [X.] durchzusehen.

II.
Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Dem Kläger steht kein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte aus §
823 Abs.
1, §
1004 Abs.
1 Satz
2 BGB analog i.V.m. Art.
1 Abs.
1, Art.
2 Abs.
1 GG zu.
1. Das Berufungsgericht hat allerdings mit
Recht angenommen, dass das Bereithalten der angegriffenen Meldung zum Abruf im [X.] einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des [X.] darstellt. Denn die [X.] über ein Strafverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten beeinträchtigt zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (vgl. Senatsurteile vom 7.
Dezember 1999 -
VI
ZR 51/99, [X.]Z 143, 199, 202
f.; vom 15.
Dezember 2009
VI ZR 227/08, [X.]Z
183, 353 Rn. 10; vom 9.
Februar 2010 -
VI
ZR 243/08, VersR
2010, 673
Rn. 13; vom 20.
April 2010 -
VI
ZR 245/08, AfP
2010, 261 Rn. 11; vom 1.
Februar 2011 -
VI
ZR 345/09, VersR
2011, 634 Rn. 11; vom 22.
Februar 2011 -
VI [X.], AfP
2011, 176 Rn. 11; vom 22.
Februar 2011
VI ZR 346/09, AfP
2011, 180 Rn. 10; vom 8.
Mai 2012
[X.], [X.], 994 Rn.
34; [X.], [X.], 143 Rn.
36; [X.], Urteil vom 7.
Februar 2012
39954/08, K
&
R 2012, 187 Rn.
83, 96
[X.] AG
gegen Deutschland, jeweils mwN). Dies gilt nicht nur bei aktiver Informationsübermittlung durch die Medien, wie es im Rahmen der [X.] Berichterstattung in Tagespresse, Rundfunk oder Fernsehen ge-7
8
-

7

-

schieht, sondern auch dann, wenn
wie im Streitfall
den Straftäter identifizie-rende Inhalte lediglich auf einer passiven Darstellungsplattform im [X.] zum Abruf bereitgehalten werden. Diese Inhalte sind nämlich grundsätzlich jedem interessierten [X.]nutzer zugänglich (vgl. Senatsurteile vom 8.
Mai 2012
[X.], aaO und vom 30. Oktober 2012
[X.], zur [X.] bestimmt).
2. Im Ausgangspunkt zutreffend hat es das Berufungsgericht auch für geboten erachtet, über den Unterlassungsantrag aufgrund einer Abwägung des Rechts des [X.] auf Schutz seiner Persönlichkeit und [X.]ung seines Privat-lebens aus Art.
1 Abs.
1, Art.
2 Abs.
1 GG, Art.
8 Abs.
1 [X.] mit dem in Art.
5 Abs.
1 GG, Art.
10 [X.] verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs-
und Medienfreiheit zu entscheiden. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine
Reichweite nicht absolut fest, sondern muss durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der [X.] interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. Senatsurteile vom 8.
Mai 2012

[X.],
aaO Rn.
35 und vom 30. Okto-ber 2012 -
VI
ZR 4/12; [X.]; [X.], Urteil vom 7.
Februar 2012
39954/08, aaO Rn.
89
ff., jeweils mwN).
3. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des [X.] dadurch in rechtswidriger Weise verletzt wird, dass die beanstandeten Presseberichte, die ihn mit vollem Namen nennen, zum Abruf im [X.] bereitgehalten werden.
Das Berufungs-gericht hat das
von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffent-9
10
-

8

-

lichkeit und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung mit einem zu geringen Ge-wicht in die Abwägung eingestellt.
a) Nach den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben (vgl. Senatsurteile vom 8.
Mai 2012 -
VI
ZR 217/08, aaO Rn.
37 und vom 30.
Oktober 2012 -
VI
ZR 4/12, [X.];
[X.], [X.], 365 Rn.
17; [X.], 480 Rn.
61
f.; [X.], 365 Rn.
27
ff.; [X.], 143 Rn.
36, 39, jeweils mwN)
darf
die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden (vgl. [X.], [X.], 46 Rn.
12; [X.], 143 Rn.
39). Straftaten -
auch konkreter Personen
-
aufzu-zeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien ([X.], [X.], 143 Rn.
39; [X.]/[X.], Das Recht der Wort-
und Bildberichterstattung, 5.
Aufl. 2003, Kap.
10 Rn.
154). Wahre
Tatsachenbehauptungen
müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht. Allerdings kann auch eine wahre Darstellung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, wenn sie einen Persönlichkeits-schaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Ver-breitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussagen geeignet sind, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für eine [X.] Ausgrenzung und Isolierung zu werden drohen (vgl. [X.]E 97, 391, 404
f.; [X.], [X.], 365 Rn.
17).
b) Geht es um eine Berichterstattung über eine Straftat, so ist zu berück-sichtigen, dass eine solche Tat zum [X.]geschehen gehört, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträch-tigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der [X.] be-gründen ein anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter (vgl. etwa Senatsurteile vom 17.
Dezember 1999 -
VI
ZR 51/99, [X.]Z 11
12
-

9

-

143, 199, 204; vom 15.
November 2005 -
VI
ZR 286/04, [X.], 274 Rn.
14; vom 8.
Mai 2012 -
VI
ZR 217/08, aaO Rn.
38; vom 30.
Oktober 2012
-
VI
ZR 4/12, [X.]; [X.], [X.], 365 Rn.
18; [X.], 365 Rn.
32; [X.], Urteil vom 7.
Februar 2012 -
39954/08, aaO Rn.
96). Die Beeinträchti-gung des Persönlichkeitsrechts muss aber in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens und seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlich-keit stehen (vgl. Senatsurteil vom 30.
Oktober 2012 -
VI
ZR 4/12, [X.]).
c) Mit zeitlicher Distanz zum Strafverfahren und nach Befriedigung des aktuellen Informationsinteresses der Öffentlichkeit gewinnt das Interesse des Betroffenen, von einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, zunehmend an
Bedeutung (vgl. Senatsurteil vom 30.
Oktober 2012 -
VI
ZR 4/12, [X.] und vom 8.
Mai 2012 -
VI
ZR 217/08, aaO Rn.
40; [X.]E 35, 202, 233; [X.], [X.], 354, 355; [X.], [X.], 365 Rn.
21, jeweils mwN). Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet Schutz vor einer zeitlich
uneinge-schränkten Befassung der Medien mit der Person des Straftäters. Hat die das öffentliche Interesse veranlassende Tat mit dem Abschluss des Strafverfahrens die gebotene Reaktion der [X.] erfahren und ist die Öffentlichkeit hierüber hinreichend informiert worden, so lassen sich fortgesetzte oder wie-derholte Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen mit Blick auf sein Interesse an der Wiedereingliederung in die [X.] nicht ohne weiteres rechtfertigen. Eine vollständige Immunisierung vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse ist damit jedoch nicht gemeint
([X.]E 35, 202, 233; [X.], [X.], 365 Rn.
21). Das allgemeine [X.] vermittelt dem Betroffenen keinen uneingeschränkten [X.] darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit seiner Verfehlung konfrontiert zu werden (vgl. Senatsurteile vom 30.
Oktober 2012 -
VI
ZR 4/12, [X.]
und vom 8.
Mai 2012 -
VI
ZR 217/08, aaO, mwN).
Selbst die Verbüßung der Straftat führt nicht dazu, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch 13
-

10

-

erwirbt, mit der Tat "allein gelassen zu werden". Maßgeblich ist vielmehr stets, in welchem Ausmaß das Persönlichkeitsrecht einschließlich des Resozialisie-rungsinteresses
des Straftäters von der Berichterstattung unter den konkreten Umständen des Einzelfalls beeinträchtigt wird (vgl. [X.] [X.], 1859, 1860; [X.], 365 Rn.
21; [X.], Urteil vom 7.
Dezember 2006,
Beschwer-de Nr.
35841/02, [X.] gegen [X.], [X.], [X.] 2007, 472, 473, jeweils mwN). Für die Intensität der Beeinträchtigung des [X.]s kommt es auch auf die Art und Weise der Darstellung, insbe-sondere auf den Grad der Verbreitung des Mediums an (vgl. Senatsurteil vom 9.
Februar 2010 -
VI
ZR 243/08, [X.], 549 Rn.
19).
d) Nach diesen Grundsätzen hat das Interesse des [X.] am Schutz seiner Persönlichkeit hinter dem von der Beklagten verfolgten [X.] der Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzu-treten.
aa) Das Berufungsgericht zieht nicht in Zweifel, dass die Berichte über die Straftat und die Verurteilung des [X.] zum [X.]punkt der ursprünglichen Berichterstattung rechtmäßig waren. In den
Beiträgen, die
der Kläger nur hin-sichtlich der Nennung seines Namens, nicht aber im Übrigen angreift, wird wahrheitsgemäß
und
sachlich ausgewogen über die Tat, ihre Hintergründe, die Persönlichkeit des [X.] und den Strafprozess berichtet. Auch der Kläger selbst stellt
nicht in Frage, dass die ihn identifizierenden Angaben zum [X.]-punkt der erstmaligen [X.] der Artikel im "[X.]" zulässig waren.
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war es auch zuläs-sig, die genannten Artikel nach April 1999 unverändert in ein Online-Archiv [X.] und weiterhin zum Abruf bereitzuhalten.
14
15
16
-

11

-

(1) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Artikel als frühere [X.] im "[X.]" erkennbar, die lediglich online zum Abruf bereitgehalten werden. Ein Auffinden setzt eine gezielte Suche voraus. Sie [X.] und sind nur auf einer als passive Darstellungsplattform gestalteten Website verfügbar, die typischerweise nur von solchen Nutzern zur Kenntnis genommen wird, die sich selbst aktiv informieren (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 30. Oktober 2012
[X.], [X.] und Senatsurteil vom 8.
Mai
2012 -
VI
ZR 217/08,
aaO Rn.
43 mwN; [X.],
[X.], 445, 448; NJW 2003, 2818, 2819; NJW 2008, 1298 Rn.
20).
(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts musste die Beklagte die Berichte nicht allein aufgrund
des [X.]ablaufs anonymisieren. Ein anerken-nenswertes Interesse der Öffentlichkeit besteht nicht nur an der Information über das aktuelle [X.]geschehen, sondern auch an der Möglichkeit, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse anhand der unveränderten Originalberichte in den Medien zu recherchieren (vgl. Senatsurteil vom 15.
Dezember 2009
VI ZR 227/08, [X.]Z 183, 353
Rn.
20 mwN). Dementsprechend nehmen die Medien ihre Aufgabe, in Ausübung der Meinungsfreiheit die Öffentlichkeit zu informieren und an der [X.] Willensbildung mitzuwirken, auch dadurch wahr, dass sie nicht mehr aktuelle [X.]en für interessierte Mediennutzer verfügbar halten.
(3) Der "[X.]-Prozess"
war ein bedeutendes zeitgeschichtliches Er-eignis. Er betraf ein spektakuläres Kapitalverbrechen, das untrennbar mit der Person und dem Namen des [X.] verbunden ist. In ähnlicher Weise werden viele Aufsehen erregende Kriminalfälle der [X.] unter dem Namen der Täter geführt. Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genomme-nen Feststellungen des [X.]s beschäftigten die Ereignisse auf der "[X.]" und der nachfolgende Prozess die Medien bis in die jüngste [X.]. 17
18
19
-

12

-

Dies belegt die besondere zeitgeschichtliche Bedeutung dieses Falles und das nach wie vor bestehende Interesse der Öffentlichkeit. Ein generelles Verbot der Einsehbarkeit und Recherchierbarkeit der Originalberichte bzw. ein Gebot der Löschung aller früheren, den Straftäter identifizierenden Darstellungen in [X.] würde dazu führen, dass Geschichte getilgt und der Straftäter [X.] immunisiert würde
(vgl. Senatsurteil vom 15.
Dezember 2009
VI ZR 227/08, aaO Rn.
20 mwN). Hierauf hat der Täter keinen Anspruch (vgl. [X.], [X.], 1859, 1860; [X.], 365 Rn.
21).
(4) Etwas anderes ergibt sich auch nicht
wie
das Berufungsgericht meint
aus den technischen Nutzungsmöglichkeiten des [X.]s und den
dort kostenlos verfügbaren und "hoch effizient arbeitenden Suchmaschinen". Die technischen Möglichkeiten des [X.]s rechtfertigen es nicht, die Zugriffsmög-lichkeiten auf Originalberichte über besondere zeitgeschichtliche Ereignisse nur auf solche Personen zu beschränken, die Zugang zu [X.] haben oder diesen
suchen.
(5) Die durch die beanstandete identifizierende Berichterstattung hervor-gerufene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des [X.] steht auch nicht außer Verhältnis zu dem nach wie vor bestehenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit, hinter dem das Interesse des [X.] an einer [X.] zeitgeschichtlicher Originalberichte
zurückzutreten hat. Die Verurteilung des [X.] erfolgte wegen eines Kapitalverbrechens, das besondere zeitge-schichtliche Bedeutung erlangt hat. Trotz der Schwere der Tat wird der Kläger in den Berichten
als Person nicht stigmatisiert. Er wird vielmehr ausdrücklich als
nicht bösartig
bezeichnet, sondern als Person, die aufgrund ihres
biografischen
Hintergrundes unfähig war, die bis zum Wahnsinn und zur Verblendung aller Beteiligten überspannte Situation an Bord der "[X.]"
zu bewältigen. Er wird weiter als Mensch charakterisiert, mit dem
man an [X.] gut Freund in allen Le-20
21
-

13

-

benslagen sein könne, ohne auch nur das Geringste von ihm
fürchten zu müs-sen, mit dem
man jedoch nicht für Wochen an Bord einer Yacht auf See gehen dürfe.
In diesem Lichte behält die kritische Berichterstattung über den "Apollo-nia"-Prozess im Online-Archiv der Beklagten eine aktuelle Bedeutung für das Interesse der Öffentlichkeit daran, wie schmal
-
so wörtlich am Ende des letzten Berichts
-
in Extremsituationen die Gratwanderung zwischen [X.] und Böse sein kann.

(6) Bei dieser Sachlage überwiegt das Interesse des [X.] am Schutz seiner Persönlichkeit das
Interesse der Beklagten, die Originalberichte über den Fall in ihr Online-Archiv zu stellen und als [X.]dokument zur Information der in-teressierten Öffentlichkeit bereitzuhalten, nicht.
Galke
Zoll
Wellner

[X.]
Stöhr
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 15.04.2011 -
324 [X.]/10 -

O[X.], Entscheidung vom 01.11.2011 -
7 U 49/11 -

22

Meta

VI ZR 330/11

13.11.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2012, Az. VI ZR 330/11 (REWIS RS 2012, 1549)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1549

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VI ZR 114/09

VI ZR 346/09

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